Baurecht

Erfolgreicher Eilantrag des Nachbarn gegen widersprüchliche Baugenehmigung für Rinderstall

Aktenzeichen  1 CS 16.1367

Datum:
16.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 68
BImSchG BImSchG § 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3

 

Leitsatz

Ein Nachbar wird durch eine Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt, wenn infolge der Widersprüchlichkeit der Baugenehmigung nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften oder den zum Genehmigungsmaßstab gehörenden nachbarschützenden Vorschriften entspricht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 SN 16.2195 2016-06-20 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Unter Aufhebung von Nummer I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 20. Juni 2016 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Landratsamts Rosenheim vom 2. Dezember 2015 angeordnet.
II.
Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens je zur Hälfte. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner allein.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen die Baugenehmigung für einen Rinderstall.
Unter dem 27. Februar 2015 beantragte der Beigeladene eine Baugenehmigung zum Neubau einer Fress- und Liegehalle für Kühe und Jungvieh mit 45 m Länge und 28‚5 m Breite. Dieser Stall soll mit 142‚8 GVE, der bisherige Stall nach Ausführung des Bauvorhabens mit 57‚5 GVE belegt werden. Der hierzu eingereichte Eingabeplan enthält Süd-‚ Nord- und Westansichten; der Grundriss sieht auf der zum Wohngebäude des Antragstellers hin gelegenen Ostwand keine Öffnungen vor. Am 12. März 2015 bat das Landratsamt um Planergänzung‚ da auf dem Eingabeplan die Ostansicht fehle. In der Behördenakte findet sich die Kopie einer „Ergänzung der Ansicht zum Eingabeplan“ ohne Eingangsdatum‚ die eine Ostansicht mit vier Toren zeigt. Sowohl der ursprüngliche Eingabeplan (ohne Ostansicht) sowie die nachgereichte Ostansicht sind mit dem Genehmigungsstempel des Landratsamts vom 2. Dezember 2015 versehen.
Der Baugenehmigung liegt eine Stellungnahme des Sachgebiets Immissionsschutz vom 21. Juli 2015 zugrunde‚ die u. a. folgende Ausführungen enthält:
„… Nach den Abgaben des Betreibers wird die Ostseite des Neubaus in geschlossener Bauweise mit Toren ausgeführt; die Lüftung erfolgt daher über die Nord- und Südseite. In den Planunterlagen sind an der Ostseite keine Öffnungen dargestellt.
… Aufgrund der örtlichen Bedingungen (Windrichtung‚ geschlossene Stallostseite beim Neubau) ist nicht von ungünstigen Bedingungen auszugehen‚ wodurch die vorliegenden Abstände als ausreichend erachtet werden und somit keine schädlichen Umwelteinwirkungen zu befürchten sind. Zudem werden die konservativen Abstände zum Bauvorhaben (Neubau) eingehalten. …“
Sodann findet sich unter der Rubrik „Hinweise“ folgende Passage„ 2. Die Ostseite des Stallneubaus ist (wie geplant) in geschlossener Bauweise auszuführen. …“
In der Baugenehmigung vom 2. Dezember 2015 findet sich in der Begründung u. a. folgende Passage zum Immissionsschutz:
„… Als Zumutbarkeitsschwelle gilt daher auch im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots § 3 Abs. 1 BImSchG. Der immissionsschutzrechtliche Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ konkretisiert die Schwelle für die bauplanungsrechtliche Rücksichtslosigkeit. Die tenorierten Auflagen zum Immissionsschutzrecht dienen dazu‚ die Einhaltung dieser gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der Baugenehmigung sicherzustellen‚ Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG. …“
In den festgesetzten Auflagen finden sich nur solche zur Bautechnik und zum Natur- und Landschaftsschutz sowie zur Gestaltung; Auflagen zum Immissionsschutz enthält der Bescheid nicht.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag des Antragstellers mit Beschluss vom 20. Juni 2016 ab. Dabei geht es in den Gründen bei der Sachverhaltsdarstellung davon aus‚ dass die Halle mit Toren an der West-‚ nicht aber an der Ostseite ausgeführt wird (S. 3 des Beschlusses). Auch in den Entscheidungsgründen wird tragend darauf abgestellt‚ dass der Stall im östlichen Teil nicht in Offenbauweise errichtet werde‚ sondern mit geschlossener Rückwand auszuführen sei. Es sei nicht zu beanstanden‚ dass der technische Immissionsschutz des Landratsamts den Immissionsschwerpunkt bei dem nach den Bauvorlagen nur an der Westseite mit Toren versehenen Stall in einem Abstand von 50 m zum Wohnhaus des Antragstellers entfernt annehme.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das Verwaltungsgericht hat den gemäß § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO statthaften Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung eines Stalles zu Unrecht abgelehnt. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird die Anfechtungsklage nach derzeitigem Sachstand voraussichtlich Erfolg haben‚ so dass die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfällt.
Die Baugenehmigung ist rechtswidrig‚ weil sie im Hinblick auf die Ostseite des Stallgebäudes widersprüchliche Aussagen enthält. In dem – genehmigten – Eingabeplan ist im Grundriss ein an der Ostseite geschlossenes Gebäude dargestellt‚ während in der nachträglich eingereichten Ostansicht vier Tore vorgesehen sind. Auch die immissionsfachliche Stellungnahme des Landratsamts erweist sich als widersprüchlich wenn sie ausführt‚ dass die Ostseite des Neubaus in geschlossener Bauweise mit Toren ausgeführt werde‚ andererseits aber davon ausgeht‚ dass in den Planunterlagen an der Ostseite keine Öffnungen dargestellt seien. Schließlich führt die Stellungnahme aus‚ dass aufgrund der örtlichen Bedingungen (Windrichtung‚ geschlossene Stallostseite beim Neubau) nicht von ungünstigen Bedingungen auszugehen sei‚ wodurch die vorliegenden Abstände als ausreichend erachtet würden und somit keine schädlichen Umwelteinwirkungen zu befürchten seien. Darüber hinaus verweist die Baugenehmigung in ihrer Begründung auf die „tenorierten Auflagen zum Immissionsschutzrecht“‚ die jedoch nicht festgesetzt wurden. Nicht einmal der in der immissionsschutzrechtlichen Stellungnahme des Landratsamts vom 21. Juli 2015 empfohlene „Hinweis“‚ dass die Ostseite des Stallneubaus (wie geplant) in geschlossener Bauweise auszuführen sei‚ wurde in den Baugenehmigungsbescheid aufgenommen.
Der Antragsteller wird durch die objektiv rechtswidrige Baugenehmigung auch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil infolge der Widersprüchlichkeit der Baugenehmigung nicht beurteilt werden kann‚ ob das Vorhaben den geprüften oder den zum Genehmigungsmaßstab gehörenden nachbarschützenden Vorschriften entspricht (BayVGH‚ B. v. 9.12.2009 – 14 B 07.165 – juris Rn. 32; B. v. 10.4.2006 – 1 ZB 04.3506 – juris; VGH BW‚ B. v. 12.2.2007 – 5 S 2826/06 – BauR 2007‚ 1399). So liegt der Fall hier‚ da wegen der widersprüchlichen Angaben in den Plänen eine ordnungsgemäße Prüfung der Immissionsbelastung‚ die gerade dem Schutz des Antragstellers dient‚ nicht gewährleistet war.
Der Antragsgegner und der Beigeladene, der in erster Instanz einen Antrag gestellt hat, haben die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 und 3 VwGO). Da der Beigeladene im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt hat, trägt der Antragsgegner die Kosten des Beschwerdeverfahrens allein. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 und § 47 GKG.


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