Baurecht

Erfolgreicher einstweiliger Rechtsschutz gegen gemeindliche Veränderungssperre: mangelnde Konkretisierung

Aktenzeichen  1 NE 20.333

Datum:
11.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9426
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 14 Abs. 1
BauNVO § 6a

 

Leitsatz

1. Lässt sich aus den Planunterlagen nicht hinreichend konkret ersehen, was Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans sein soll, weist die Planung nicht das zu fordernde Mindestmaß an Konkretisierung auf. (Rn. 11) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Das Planungsziel, mit der Erweiterung des Geltungsbereichs (des Bebauungsplans) auch eine Steuerung des Baurechts im Hinblick auf den Erhalt der dörflich gewachsenen Struktur im Sinn der vorhandenen Mischnutzung zu verfolgen, ist mit der Festsetzung als Urbanes Gebiet nicht vereinbar. (Rn. 11) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Veränderungssperre für den Geltungsbereich der in Aufstellung befindlichen 3. Änderung des Bebauungsplans „O…“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 19. Dezember 2019, wird vorläufig außer Kraft gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin am 4. Dezember 2019 beschlossene und am 19. Dezember 2019 bekanntgemachte Veränderungssperre. Aufgrund der Entwidmung der bisher vom Fachplanungsrecht erfassten Grundstücke FlNr. … und …, Gemarkung O…, auf denen sich die Gaststätte „…“ (K… am B…) befindet, hatte der Gemeinderat am 10. April 2019 beschlossen, im Zuge der 3. Änderung des Bebauungsplans „O…“ (im Folgenden „Bebauungsplan“) die rechtlichen Grundlagen zur städtebaulichen Ordnung dieser Flächen und zur Fortentwicklung des Gebiets zu schaffen. Der Bebauungsplan weist ein Mischgebiet auf. Der Antragsteller ist Eigentümer von südlich des bisherigen Geltungsbereichs des Bebauungsplans gelegenen Grundstücken im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB, auf denen sich ein Geschäfts- und ein Wohnhaus (FlNr. …), ein älteres Wohngebäude (…) und eine herausgemessene Wegefläche (…) befinden. Anlässlich eines Bauantrags für den Neubau eines Doppelhauses auf dem Grundstück FlNr. … hat der Gemeinderat der Antragsgegnerin am 4. Dezember 2019 beschlossen, den Planumgriff der 3. Änderung des Bebauungsplans zu erweitern und u.a. die Grundstücke des Antragstellers in den Geltungsbereich der Änderung miteinzubeziehen sowie die verfahrensgegenständliche Veränderungssperre beschlossen.
Mit dem am 17. Februar 2020 eingereichten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz macht der Antragsteller geltend, dass die Veränderungssperre offensichtlich unwirksam sei, da kein bestimmtes Planungskonzept vorliege. Sie sei nicht erforderlich, da in dem geplanten Urbanen Gebiet u.a. auch Wohngebäude zulässig seien und ein potentieller Konflikt in Bezug auf den Immissionsschutz im Hinblick auf die Gaststättennutzung und die nähere Umgebung nicht zu erkennen sei. Die Satzung diene allein dazu, ihn zu benachteiligen. Nachdem die beabsichtigte Veräußerung des Grundstücks FlNr. … als Baugrund an einen Kaufinteressenten gescheitert sei, entstehe ihm ein finanzieller Schaden, da das Wohnhaus zum Sanieren unwirtschaftlich und ein Abriss und Neubau derzeit nicht möglich sei. Die Veränderungssperre stelle sich daher als unverhältnismäßiger Eingriff in sein Eigentumsgrundrecht dar.
Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen. Ungeachtet dessen, dass bisher ein Normenkontrollantrag nicht erhoben worden sei, habe der Antragsteller nicht dargelegt, dass die begehrte Außervollzugsetzung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten sei. Die Planung für die 3. Änderung des Bebauungsplans sei hinreichend konkret. Planungsziel sei der Erhalt der vorhandenen Mischnutzung unter Berücksichtigung des bisherigen Baurechts und eine Lösung der Emissions-/Immissionsproblematik. Dieses Ziel können mit der Festsetzung eines Urbanen Gebiets erreicht werden. Eine endgültige Festlegung auf die konkrete Gebietsart werde aber erst im Rahmen der weiter anstehenden Planungsschritte erfolgen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Normaufstellungsakten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Danach kann einen Normenkontroll(eil)antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Das ist hier der Fall, da die Veränderungssperre bewirkt, dass in ihrem Geltungsbereich – und damit auch auf den Grundstücken des Antragstellers – grundsätzlich Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Damit schränkt sie die aus dem Eigentumsrecht folgenden Nutzungsmöglichkeiten ein und berührt die aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Rechtsposition. Dem Antragsteller fehlt auch nicht das erforderliche Rechtschutzbedürfnis. Dieses würde dann fehlen, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als für den Rechtschutzsuchenden nutzlos oder als rechtsmissbräuchlich erweist. Dies ist nicht der Fall, weil einem Vorhaben des Antragstellers bei einem Erfolg seines Eilantrags nicht schon die Veränderungssperre entgegengehalten werden kann. Der Zulässigkeit des Antrags steht hier ferner nicht entgegen, dass der Antragsteller auch Rechtschutz etwa gegen die Ablehnung einer Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheids verfolgen kann und dabei auch die planungsrechtlichen Grundlagen Gegenstand gerichtlicher Prüfung werden können (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 1 NE 19.85 – juris Rn. 9; B.v. 3.1.2013 – 1 NE 12.2151 – NVwZ-RR 2013, 392). Auch der Umstand, dass der Antragsteller den Normenkontrollantrag in der Hauptsache noch nicht gestellt hat, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag nicht entfallen. Die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt nicht voraus, dass das Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist (vgl. OVG NW, B.v. 17.1.2014 – 2 B 1367.13 NE – BauR 2014, 1430). Der Antragsteller kann den Antrag in der Hauptsache noch innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellen.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen zwingend geboten ist. Prüfungsmaßstab bei Veränderungssperren sind die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache und damit die allgemeinen Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB. Erweist sich, dass der Normenkontrollantrag zulässig und voraussichtlich begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der Veränderungssperre bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – BauR 2015, 968 zur Frage der Wirksamkeit eines Bebauungsplans).
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wird sich die angegriffene Veränderungssperre voraussichtlich als unwirksam erweisen. Angesichts dessen sprechen gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung der Veränderungssperre.
Nach § 14 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn – wie hier – ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre beschließen. Eine Veränderungssperre ist unzulässig, wenn sich der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise absehen lässt, wenn die Gemeinde lediglich beschließt zu planen oder wenn die Gemeinde nur das städtebaulich Unerwünschte feststellt (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2010 – 2 N 06.3192 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die Anforderungen, die im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre an die Konkretisierung der planerischen Vorstellungen der Gemeinde zu stellen sind, sind zwar mit Rücksicht auf die gemeindliche Planungshoheit denkbar gering. Der von der Veränderungssperre flankierte Aufstellungsbeschluss muss lediglich ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Gegenstand und Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans bzw. der zu erwartenden Bebauungsplanänderung ist und welchen Inhalt die neue Planung haben soll. Die Gemeinde muss aber bereits positive planerische Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans so weit entwickelt haben, dass diese geeignet sind, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde über die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu steuern (vgl. st. Rspr BVerwG, B.v. 22.1.2013 – 4 BN 7.13 – juris Rn. 3; B.v. 1.10.2009 – 4 BN 34.09 – NVwZ 2010, 42; U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120,138). Dagegen ist es nicht erforderlich, dass die Planung bereits einen Stand erreicht hat, der nahezu den Abschluss des Verfahrens ermöglicht. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nicht erforderlich. Auch das Abwägungsmaterial muss noch nicht vollständig vorliegen. Den Mindestanforderungen ist genügt, wenn die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits einen bestimmten Baugebietstyp ins Auge gefasst hat, da die Art der baulichen Nutzung zu den für die Bauleitplanung wichtigen Festsetzungselementen gehört (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2000 – 4 BN 35.00 – juris Rn. 3).
Eine solche Planung, die ein Mindestmaß an inhaltlichen Aussagen des künftigen Bebauungsplans erkennen lässt, liegt hier nicht vor. Aus den Planunterlagen lässt sich nicht hinreichend konkret ersehen, was Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans sein soll. Zwar hat die Antragsgegnerin beschlossen, dass bei der 3. Änderung des Bebauungsplans ein „Urbanes Gebiet“ nach § 6a BauNVO festgesetzt wird. Damit werden nach dem Vortrag der Antragsgegnerin der Erhalt und die Sicherung der vielfältigen Nutzungen und die wechselseitige Verträglichkeit der vorhandenen Mischnutzung (Gaststätte mit offener Bühne, Gaststätte mit Beherbergungsbetrieb, Geschäftshaus und Wohnnutzung) unter Berücksichtigung der bisherigen Prägung und der vorhandenen Vorbelastungen durch die Lage des Plangebiets unmittelbar angrenzend an die Bahn- bzw. Gleisanlagen verfolgt. Weiteres Planungsziel ist zudem, mit der Erweiterung des Geltungsbereichs (des Bebauungsplans) auch eine Steuerung des Baurechts im Hinblick auf den Erhalt der dörflich gewachsenen Struktur im Sinn der vorhandenen Mischnutzung zu verfolgen. Letzteres ist mit der Festsetzung als Urbanes Gebiet nicht vereinbar. Dies hat auch die Antragsgegnerin erkannt und vorgetragen, dass die endgültige Festlegung auf die konkrete Gebietsart erst im Rahmen der weiteren Planungsschritte erfolgen werde. Unabhängig von der Frage, ob die Festsetzung eines Urbanen Gebiets bei kleineren (und mittleren) Kommunen nur ausnahmsweise in Betracht kommt, dürfte es hier angesichts des beabsichtigten Erhalts der dörflichen Strukturen an der städtischen Struktur bzw. einer städtischen Gemengelage und einem auf die Schaffung urbaner Strukturen bezogenen Planungswillen der Antragsgegnerin fehlen (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2019 – 1 CS 19.1882 – juris Rn. 6 m.w.N.). Somit ist nicht erkennbar, in welche Richtung die Planung geht, die Planung weist nicht das zu fordernde Mindestmaß an Konkretisierung auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
In entsprechender Anwendung von § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Nummer I der Entscheidungsformel in derselben Weise zu veröffentlichen wie die streitgegenständliche Satzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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