Baurecht

Erforderliche Festsetzung der Grundflächen im Bebauungsplan im Sinne eines Summenmaßes

Aktenzeichen  1 N 11.766

Datum:
5.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO BauNVO § 16 Abs. 3, § 19 Abs. 2, Abs. 4

 

Leitsatz

1 Bei der Festsetzung der Flächen, die von baulichen Anlagen überdeckt werden dürfen (§ 19 Abs. 2 BauNVO), muss ein auf das jeweilige Baugrundstück bezogenes „Summenmaß“ für alle baulichen Anlagen festgesetzt werden, die beim Maß der baulichen Nutzung zu Buche schlagen. Eine auf einzelne bauliche Anlagen bezogene Festsetzung ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt, weil eine solche Festsetzung den Anforderungen von § 19 Abs. 4 BauNVO in der Fassung von 1990 nicht entspricht.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Danach sind im Interesse der Reduzierung der Bodenversiegelung nicht nur die Flächen der Hauptbaukörper, sondern auch von im Einzelnen in § 19 Abs. 4 BauNVO beschriebenen Nebenanlagen einschließlich der Zufahrten und Wege für das Maß der Grundfläche zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München
1 N 11.766
Im Namen des Volkes
Urteil
verkündet am 5. Februar 2016
1. Senat
O., als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Sachgebietsschlüssel: 920
Hauptpunkte: Bebauungsplan, Maß der baulichen Nutzung; Größe der Grundfläche; „Summenmaß“
Rechtsquellen:
In der Normenkontrollsache
…,
gegen
Gemeinde Eggstätt,
vertreten durch den ersten Bürgermeister, Obinger Str. 7, 83125 Eggstätt,
– Antragsgegnerin –
bevollmächtigt: Rechtsanwälte …,
wegen Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 14 „Weisham“;
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schweinoch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmeichel aufgrund mündlicher Verhandlung vom 5. Februar 2016 folgendes Urteil:
I.
Der Bebauungsplan Nr. 14 „Weisham“, bekanntgemacht am 31. März 2010, ist unwirksam.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 14 „Weisham“, den die Antragsgegnerin am 20. Oktober 2009 als Satzung beschlossen und am 31. März 2010 bekannt gemacht hat.
Mit dem Bebauungsplan hat die Antragsgegnerin ein mit landwirtschaftlichen Hofstellen und Wohngebäuden bebautes, etwa 9 ha großes Gebiet mit dem Ziel der Lückenschließung und Ortsabrundung überplant. Dabei ist der südlich der Staatsstraße 2095 gelegene Bereich als Dorfgebiet festgesetzt, während nördlich der Staatsstraße allgemeine Wohngebiete und Mischgebiete ausgewiesen sind. Auf einer Teilfläche des Grundstücks Fl. Nr. …, das dem Antragsteller gehört, sind – bezeichnet als Parzelle … – Bauräume für ein Haupt- und ein Nebengebäude festgesetzt. Für diesen Standort besitzt der Antragsteller mehrfach verlängerte Baugenehmigungen zur Errichtung einer landwirtschaftlichen Maschinenhalle und eines Wohngebäudes, von denen er bisher noch keinen Gebrauch gemacht hat. Erschlossen werden sollen diese Parzelle und die Parzellen …, … und … durch eine private Verkehrsfläche, die über die Grundstücke Fl. Nr. …/… und …/… an das Grundstück des Antragstellers heranführt. Im Aufstellungsverfahren beantragte der Antragsteller die Ausweisung von weiteren vier Bauparzellen auf seinem Grundstück, was die Antragsgegnerin zunächst befürwortete, im Juli 2008 aber endgültig ablehnte. Darüber hinaus wandte er sich gegen die Festsetzung einer ökologischen Ausgleichsfläche auf seinem Grundstück Fl. Nr. …, weil der Bebauungsplan auf seinem Grundstück kein über die Baugenehmigungen hinausgehendes Baurecht schaffe. Auch beanstandete er die Festsetzung der privaten Verkehrsfläche, weil das ihm in diesem Bereich zustehende grundbuchrechtlich gesicherte Geh- und Fahrtrecht durch die Erschließung zusätzlicher Bauparzellen beeinträchtigt werde.
Seinen Normenkontrollantrag vom 30. März 2011 begründete er damit, dass die neuen Bauparzellen im Dorfgebiet südlich der Staatsstraße für landwirtschaftliche Betriebe nicht geeignet und einzelne bereits bebaute Bauräume ausschließlich landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden vorbehalten seien, wofür eine Rechtsgrundlage fehle. Darüber hinaus bewältige der Bebauungsplan den Immissionskonflikt zwischen Wohnen und den landwirtschaftlichen Betrieben nicht. Unwirksam sei auch die Festsetzung des lediglich drei Parzellen umfassenden Mischgebiets, in dem auch die Teilfläche seines Grundstücks liegt, weil sich wegen der geringen Größe des Gebiets die erforderliche gemischte Nutzungsstruktur nicht entfalten könne und darüber hinaus die genehmigte Maschinenhalle mit der festgesetzten Gebietsart nicht vereinbar sei. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung würden den Anforderungen des § 16 Abs. 3 und § 19 Abs. 4 BauNVO nicht entsprechen. Auch leide der Bebauungsplan an Abwägungsmängeln bei der Festsetzung der Grünflächen, bei denen nicht erkennbar sei, ob es sich um öffentliche oder private Flächen handele; zudem sei die Bebauung der Parzelle Nr. … wegen der früher erteilten Baugenehmigungen nicht nach § 1a Abs. 3 BauGB ausgleichspflichtig. Abwägungsfehlerhaft sei auch die Festsetzung der privaten Verkehrsfläche auf den Grundstücken Fl. Nr. …/… und …/…. Diese Verkehrsfläche könne nicht der Erschließung der Bauparzellen …, … und … dienen, weil dem das zugunsten seines Grundstücks eingetragene Geh- und Fahrtrecht entgegenstehe. Er habe das Recht, die Grundstücke Fl. Nr. …/… und …/… auf einer Breite von 5 m mit Fahrzeugen aller Art zu befahren und den Weg entsprechend der Nutzung herzurichten und zu gestalten.
Die Antragsgegnerin nahm diese Begründung zum Anlass, das Plangebiet in einen Teilbereich Nord-West sowie einen Teilbereich Süd und Nord-Ost zu gliedern und jeweils ein Ergänzungsverfahren zur Fehlerbehebung durchzuführen. Der Bebauungsplan für den Teilbereich Nord-West, der am 17. September 2013 als Satzung beschlossen worden ist und als wesentliche Änderung nunmehr ein allgemeines Wohngebiet und aus Gründen des Verkehrslärmschutzes eine veränderte Situierung der straßennahen Wohngebäude auf den Parzellen … und … festsetzt, ist Gegenstand eines eigenen Normenkontrollverfahrens mit dem Aktenzeichen 1 N 16.237. Das Verfahren zum Erlass des Bebauungsplans „Weisham betreffend den Teilbereich Süd und Nord-Ost“ ist dagegen noch nicht abgeschlossen.
Der Antragsteller beantragt,
den Bebauungsplan „Weisham“ für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt ohne nähere Begründung,
den Antrag abzulehnen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Normaufstellungsakten, die im Normenkontrollverfahren eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
Soweit der Bebauungsplan Nr. 14 „Weisham“ nicht durch den Bebauungsplan „Weisham betreffend den Teilbereich Nord-West“ ersetzt worden ist (1), ist er unwirksam, weil die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung gegen § 16 Abs. 3 und § 19 Abs. 4 BauNVO verstoßen (2).
1. Gegenstand des vorliegenden Normenkontrollverfahrens ist der Bebauungsplan „Weisham“ ohne den Bereich, den der Bebauungsplan „Weisham betreffend den Teilbereich Nord-West“ erfasst. Zwar hat der Bebauungsplan für den Teilbereich Nord-West den ursprünglichen Bebauungsplan nicht ausdrücklich geändert. Gleichwohl reduziert die Überplanung des Teilbereichs Nord-West durch einen selbstständigen Bebauungsplan als zeitlich nachfolgende Regelung den räumlichen Geltungsbereich des ursprünglichen Bebauungsplans, lässt aber ansonsten dessen Festsetzungen unberührt, die bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans für den Teilbereich Süd und Nord-Ost für den begrenzten räumlichen Geltungsbereich weiterhin eine dem Planungswillen der Antragsgegnerin entsprechende städtebauliche Planung beinhalten.
2. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung sind insgesamt unwirksam.
2.1 Im Bebauungsplan fehlt die nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zwingend erforderliche Festsetzung der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen. Der Bebauungsplan setzt zwar in Nr. 2.1 der textlichen Festsetzungen Grundflächen für Doppelhäuser (180 m²), Einzelhäuser (140 m²) und Garagen (50 m²) fest. Diese Festsetzungen sind aber unwirksam, weil sie, so wie sie getroffen wurden, nicht von den Ermächtigungsgrundlagen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 und § 19 Abs. 4 BauNVO gedeckt sind. Bei der Festsetzung der Flächen, die von baulichen Anlagen überdeckt werden dürfen (§ 19 Abs. 2 BauNVO), muss ein auf das jeweilige Baugrundstück bezogenes „Summenmaß“ für alle baulichen Anlagen festgesetzt werden, die beim Maß der baulichen Nutzung zu Buche schlagen. Eine auf einzelne bauliche Anlagen bezogene Festsetzung ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt, weil eine solche Festsetzung den Anforderungen von § 19 Abs. 4 BauNVO in der Fassung von 1990 nicht entspricht. Danach sind im Interesse der Reduzierung der Bodenversiegelung nicht nur die Flächen der Hauptbaukörper, sondern auch von im Einzelnen in § 19 Abs. 4 BauNVO beschriebenen Nebenanlagen einschließlich der Zufahrten und Wege für das Maß der Grundfläche zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, U. v. 10.8.2006 – 1 N 04.1371 u. a. – NVwZ-RR 2007, 447). Darüber hinaus fehlt im Bebauungsplan für die festgesetzten landwirtschaftlichen Betriebsgebäude jede Festsetzung zur zulässigen Grundfläche. Die Festsetzung der Baugrenzen vermag dieses Defizit nicht auszugleichen, weil die Festsetzungen nach § 23 BauNVO einen anderen Regelungszweck verfolgen. Während die Festsetzungen zur Grundfläche bestimmen, in welchem Umfang das Baugrundstück durch bauliche Anlagen “versiegelt“ werden darf, bestimmen die Festsetzungen zur überbaubaren Grundfläche den Standort der baulichen Anlagen (vgl. BVerwG, B. v. 18.12.1995 – 4 NB 36.95 – NVwZ 1996, 894).
2.2 Die Unwirksamkeit der Festsetzung zur Größe der Grundflächen hat zunächst zur Folge, dass auch die Festsetzungen zur Wandhöhe unwirksam sind, weil jede für sich den gesetzlichen Mindestanforderungen nicht genügt (vgl. BayVGH, U. v. 4.4.2006 – 1 N 04.2709 – juris). Aus dieser Unwirksamkeit folgt die Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans.
Entsprechend den allgemeinen, § 139 BGB folgenden Grundsätzen hat die Unwirksamkeit eines Teils eines Bebauungsplans nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den ungültigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB bewirken können und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, B. v. 20.8.1991- 4 NB 3.91 – NVwZ 1992, 567).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil angesichts des Ziels der Antragsgegnerin, den Bestand zu sichern und eine maßvolle Verdichtung der Baulücken zuzulassen, nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Antragsgegnerin auf Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung verzichtet hätte.
Angesichts dieses zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führenden Fehlers kommt es nicht mehr darauf an, ob die übrigen, vom Antragsteller erhobenen Einwendungen durchgreifen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und 8 GKG).


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