Baurecht

Erhebung von Gebühren für die Abfallentsorgung

Aktenzeichen  M 10 K 16.86

Datum:
16.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AbfWS § 6, § 15
AbfGebS § 3

 

Leitsatz

1. Ob eine Ausnahme vom Anschluss- und Überlassungszwang vorliegt, ist aufgrund des Regelungszusammenhangs der Satzung zu bestimmen und orientiert sich am System der Entsorgungsfinanzierung, welches die jeweilige Abfallgebührensatzung vorsieht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bemessungsgrundlage für die Finanzierung des Entsorgungssystems ist die Annahme eines Mindestvorhalts unter der Prämisse, dass bei den veranlagten Haushalten, in denen Personen gemeldet sind, unter Zugrundelegung üblicher Lebensverhältnisse davon auszugehen ist, dass, sei es auch nur in geringer Menge, Abfall prinzipiell anfällt; die Bemessung erfolgt damit grundsätzlich verbrauchsunabhängig. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Ausnahme vom Anschlusszwang kann nicht bereits angenommen werden, wenn in regelmäßigen zeitlichen Abständen nur kleine Mengen an Abfall entstehen, sondern erst, wenn die Entstehung des Abfalls selbst – grundsätzlich unabhängig von der konkret entstehenden Menge – kein regelmäßig wiederkehrendes Ereignis darstellt; es kommt also nicht auf die Gesamtmenge des anfallenden Abfalls an, sondern auf die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Anfalls (gleich welcher Menge). (redaktioneller Leitsatz)
4. Benachbarte Grundstücke müssen zwar nicht zwingend aneinander angrenzende Grundstücke sein, sie dürfen aber nur eine solche Distanz zueinander aufweisen, dass der tägliche, spontane und bedarfsabhängige Zugang zu den Abfallbehältern des benachbarten Grundstücks ohne weitere Hindernisse unter normalen Umständen möglich ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leitet.

Gründe

1. Die Klage ist bereits insofern unzulässig, als der Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 21. November 2013 beantragt. Denn eine solche Klage ist verfristet gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Der Bescheid vom 21. November 2013 stellt nicht nur eine Modifikation des Bescheids vom 9. November 2012 hinsichtlich der Gebührenhöhe dar, sondern eine eigenständige Regelung hinsichtlich Grund und Höhe der Gebührenschuld als solcher, so dass eine Anfechtung des neuen Gebührenbescheids innerhalb der gesetzlichen Fristen notwendig ist. Nachdem sich der Widerspruch vom 27. Dezember 2012 ausdrücklich nur gegen den Bescheid vom 9. November 2012 richtete und somit kein Widerspruchsverfahren bezüglich des Bescheids vom 21. November 2013 stattfand, ist die Klageerhebung erst am 8. Januar 2016 nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids und damit verspätet erfolgt. Der Bescheid vom 21. November 2013 hatte eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung über wahlweise eine Widerspruchseinlegung oder eine unmittelbare Klageerhebung enthalten.
2. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. November 2012 ist zulässig, jedoch in der Sache unbegründet, denn der Gebührenbescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung … vom 4. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 der Satzung über die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfällen im Landkreis … (Abfallwirtschaftssatzung – AbfWS) muss auf jedem anschlusspflichtigen Grundstück mindestens jeweils ein Restmüll- und Bio-abfallbehältnis vorhanden sein, wobei gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3 AbfWS die Mindestgröße der zu verwendenden Abfallbehälter für einen Haushalt mit zwei als Hauptwohnsitz gemeldeten Personen 60 Liter beträgt. Die Anschlusspflicht besteht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfWS für alle Grundstückseigentümer im Kreisgebiet.
Gemäß § 3 AbfGebS wird die Gebühr für jede Benutzung der Abfallentsorgung des Landkreises erhoben, wobei bei der Abfallentsorgung im Bring- und Holsystem der Eigentümer oder der dinglich Nutzungsberechtigte der an die Abfallentsorgung des Landkreises angeschlossenen Grundstücke als Benutzer gilt. Als Eigentümer des Anwesens … 35 unterliegt der Kläger – unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme der jeweiligen Leistungen – damit gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfWS dem Anschlusszwang und hat Tonnen mit einer Mindestgröße von 60 Litern vorzuhalten.
b) Eine Ausnahme vom Anschlusszwang gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbfWS kann nicht angenommen werden, denn bereits nach dem Klägervortrag fallen Abfälle auf dem Grundstück … 35 nicht nur ausnahmsweise an. Ob eine Ausnahme vom Anschluss- und Überlassungszwang vorliegt, ist aufgrund des Regelungszusammenhangs der Satzung zu bestimmen und orientiert sich am System der Entsorgungsfinanzierung, welches die jeweilige Abfallgebührensatzung vorsieht. Bemessungsgrundlage für die Finanzierung des Entsorgungssystems ist die Annahme eines Mindestvorhalts unter der Prämisse, dass bei den veranlagten Haushalten, in denen Personen gemeldet sind, unter Zugrundelegung üblicher Lebensverhältnisse davon auszugehen ist, dass, sei es auch nur in geringer Menge, Abfall prinzipiell anfällt. Die Bemessung erfolgt damit grundsätzlich verbrauchsunabhängig, so dass auch nach dem Satzungszweck die Mindestgebühren unabhängig von der konkret verursachten Abfallmenge anfallen sollen. Mit Blick auf diese Veranlagungsüberlegungen kann eine Erfüllung des Ausnahmetatbestandes daher nur ganz ausnahmsweise angenommen werden, wenn entgegen der angestellten Prämisse kein oder nur selten Abfall anfällt. Eine Ausnahme vom Anschlusszwang kann daher nur dann angenommen werden, wenn nicht in regelmäßigen zeitlichen Abständen nur kleine Mengen an Abfall entstehen, sondern wenn die Entstehung selbst – grundsätzlich unabhängig von der konkret entstehenden Menge – kein regelmäßig wiederkehrendes Ereignis darstellt; es kommt nicht auf die Gesamtmenge des anfallenden Abfalls, sondern auf die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Anfalls (gleich welcher Menge) an. Der Kläger trägt jedoch selbst vor, dass regelmäßig Abfall auf dem Grundstück … 35 anfällt, so dass hier gerade keine Abweichung von der Prämisse des Satzungsgebers vorliegt.
c) Eine gemeinsame Veranlagung der Grundstücke … 35 und …-straße 7 gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 AbfWS kann ebenfalls nicht erfolgen, denn die betroffenen Grundstücke können nicht als „benachbart“ im Sinne der Norm angesehen werden.
Wie bereits die vorherige Ausnahmeregelung ist auch der Begriff „benachbart“ im Lichte der übrigen Satzungsregelungen sowie des Regelungszwecks auszulegen. Bereits der Wortlaut setzt der Annahme, dass hier benachbarte Grundstücke vorliegen, insofern eine Grenze, als der Begriff nach allgemeinem Sprachgebrauch eine gewisse räumliche Nähe voraussetzt. Benachbarte Grundstücke müssen – aus der bisherigen Handhabung mit dem Grundstück in der …-straße 3, der ehemaligen Privatwohnung – zwar nicht zwingend aneinander angrenzende Grundstücke sein, aber sie dürfen nur eine solche Distanz zueinander aufweisen, dass der tägliche, spontane und bedarfsabhängige Zugang zu den Abfallbehältern des benachbarten Grundstücks ohne weitere Hindernisse unter normalen Umständen möglich ist. Die Distanz von mehreren Kilometern kann wohl schon nicht mehr als Nachbarschaft angesehen werden. Zudem erstreckt sich die Distanz nicht nur über 7 Kilometer, sondern auch über Gebietsteile, die nicht mehr als einheitlicher Bebauungszusammenhang oder zumindest einheitliches Teilgemeindegebiet angesehen werden können. Diese Auslegung des Begriffs „benachbart“ wird auch durch die Satzung selbst gestützt: aus § 15 Abs. 3 Satz 3 AbfWS ersichtlich ist notwendig, dass gemeinsam genutzte Restmüllbehälter für die Benutzer zugänglich sein müssen und von diesen ordnungsgemäß benutzt können werden müssen. Hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass nur solche Grundstücke als „benachbart“ angesehen werden können, die die Entleerung der im Haushalt befindlichen Müllbehälter in einer allgemein üblichen Art und Weise ermöglichen, ohne dass ihr besondere Hemmnisse entgegenstehen. Die Entfernung kann letztlich jedoch nur unter Benutzung von Verkehrsmitteln überwunden werden, was jedoch keinen ungehinderten und problemlosen Zugang zum potentiell benachbarten Grundstück mehr darstellt.
Darüber hinaus stünde eine derartige Entleerungsmöglichkeit auch im Widerspruch zu § 15 Abs. 1 Satz 6 AbfWS, der die gemeinsame Veranlagung nur unter der Voraussetzung zulässt, dass die satzungsgemäße Befüllung und Entsorgung der Abfallbehälter sichergestellt ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 4 AbfWS unterliegt Restmüll dem Holsystem, wonach die Abfälle am oder auf dem Abfallgrundstück abgeholt werden. Die gemeinsame Veranlagung der Grundstücke als „benachbarte“ würde jedoch dazu führen, dass entgegen § 13 Abs. 1 AbfWS der Abfall gerade nicht mehr am Anfallgrundstück, nämlich … 35, abgeholt werden würde, sondern privat mittels öffentlicher Verkehrswege erst zum Grundstück …-straße 7 verbracht werden müsste; ein solches Prozedere steht in Widerspruch zum vom Satzungsgeber vorgesehenen Holsystem, so dass auch insoweit nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach dem Willen des Satzungsgebers Grundstücke als „benachbart“ angesehen werden können, die eine derartige satzungswidrige Vorgehensweise notwendig machen.
d) Sonstige Rechtsfehler sind nicht ersichtlich. Der Beklagte hat somit zu Recht den Abfallgebührenbescheid vom 9. November 2012 erlassen. Die Gebührenerhebung betreffend …-straße 7 war nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.
3. Damit ist die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 382,30 festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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