Baurecht

Fehlen der Voraussetzungen für naturschutzrechtliche Befreiung

Aktenzeichen  M 1 SN 20.1828

Datum:
8.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12918
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 S. 2, § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 60 S. 1 Nr. 3
BayNatSchG Art. 56 S. 3
VwZVG Art. 8, Art. 9
BNatSchG § 44, § 67
ZPO § 222 Abs. 1

 

Leitsatz

Besteht ein Verbot gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ANPV zur Sanierung und damit verbundener Kapazitätssteigerung einer Berghütte erfolgt keine Befreiung aus Gründen des öffentlichen Interesses, wenn der Erweiterungsbau aufgrund wirtschaftlicher Interessen erfolgen soll. (Rn. 59 – 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 1 K 20.310) gegen den Bescheid des Landratsamtes Berchtesgadener Land vom 26. November 2019 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, eine anerkannte Naturschutzvereinigung, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner am … Januar 2020 beim Verwaltungsgericht München erhobenen Klage gegen die dem Beigeladenen erteilte Nachtragsbaugenehmigung vom 26. November 2019 zur Errichtung eines Ersatzbaus, des sogenannten Salettls am …
Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich des Natura 2000 SPA- und FFH-Gebiets Nr. 8342 „Nationalpark Berchtesgaden“ auf dem Grundstück FlNr. 89/1 Gemarkung … …
Am … Januar 2014 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Ersatzbau des Salettls am … unter Erweiterung des Bestandes sowie die Durchführung von Brandschutzmaßnahmen im Bestand. Grund für den Ersatzbau bzw. die Erweiterung des Salettls sei die Schaffung einer Möglichkeit für Übernachtungsgäste, das Frühstück auch im Gastraum einnehmen zu können. Derzeit werde mangels ausreichender Frühstücksplätze in mehreren Etappen gefrühstückt. Die Planung sah eine Grundfläche von 69,80 m² für 87 Personen vor.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2016 erteilte das Landratsamt Berchtesgadener Land (im Folgenden Landratsamt) die Baugenehmigung für den Ersatzbau des Salettls am … und der Durchführung von Brandschutzmaßnahmen im Bestand. Im Bescheid wurden Abweichungen und Befreiungen für einzelne Brandschutzmaßnahmen erteilt.
Die Bevollmächtigte der Antragspartei zeigte unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen AB …3 BV …-2014 mit Schriftsatz vom … März 2018 gegenüber dem Antragsgegner unter Vorlage einer Vollmacht an, dass sie den Kläger vertrete (vgl. S. 203 der Behördenakte). Die Vollmacht wurde erteilt wegen „Baurecht/…“ und wurde unter anderem zur Vertretung im Verwaltungsverfahren nach §§ 9 ff. VwVfG sowie zur Vertretung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erteilt. Ferner ist angegeben, die Vollmacht umfasse die Befugnis, Zustellungen zu bewirken und entgegenzunehmen. Auf der Vollmacht befindet sich ein Stempel mit dem Text: „Zustellungen werden nur an den/die Bevollmächtigten erbeten“.
Mit Schriftsatz vom … Mai 2018 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage (M 1 K 18.2252) gegen die Baugenehmigung vom 16. Februar 2016 und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (M 1 SN 18.2253).
Mit Beschluss vom 29. August 2018 wurde im gerichtlichen Verfahren M 1 SN 18.2253 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Genehmigungsbescheid des Landratsamtes vom 16. Februar 2016 angeordnet. Dagegen wurde Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht (1 CS 18.1964). Im erstinstanzlichen Klageverfahren wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Unter dem 6. August 2018 beantragte der Beigeladene sodann eine Tektur zum Bauantrag vom 28. Januar 2014. Das ursprüngliche Salettl stellt einen rechteckigen Anbau an den Hauptbaukörper mit einer Grundfläche von ca. 24,5 m² dar. Der geplante Neubau weist einen halbrunden Wandverlauf auf; das Salettl soll in Richtung Norden um ca. 2,70 m und in Richtung Osten am weitesten Punkt um ca. 3,78 m erweitert werden. Die geplante Grundfläche des Salettl soll ausweislich der Antragsunterlagen 51,60 m² und eine Sitzplatzanzahl von 69 betragen. Die Fläche der Erweiterung beträgt ausweislich der beim Landratsamt eingereichten Planunterlagen eine Fläche von ca. 27 m². Nach dem Tekturantrag soll die Erweiterung des Salettl aus Statik- und Kostengründen nun jedoch um 1,60 m kürzer und somit verkleinert errichtet werden.
Mit Beschluss vom 14. August 2018 wurde das gemeindliche Einvernehmen erteilt.
Mit Stellungnahme vom 12. September 2018 teilte die untere Naturschutzbehörde mit, dass die Verkleinerung zu begrüßen sei. Das Salettl werde nur geringfügig erweitert, durch die gerundete Form füge sich dieses gut in das Landschaftsbild ein. Bei der Vergrößerung der Fensterflächen sei zu berücksichtigen, dass es dadurch zu keiner signifikanten Erhöhung der Mortalität von Vögeln komme. Es sei Vogelschutzglas zu verwenden. Die naturschutzfachlichen Auflagen aus der Baugenehmigung vom 16. Februar 2016 seien aufrechtzuerhalten.
Im Rahmen seiner Beteiligung teilte der Antragsteller dem Landratsamt mit Schreiben vom … November 2018 mit, dass das Vorhaben in der vorliegenden Form nach wie vor abgelehnt werde.
Unter dem … April 2019 teilte der Antragsteller dem Beigeladenen mit, dass weiterhin nicht akzeptiert werde, dass der neu zu errichtende Gebäudeteil über den Hang hinausragen. Auch die runde Bauform überzeuge nicht; der geplante neue Anbau sei ca. 2,3 m länger als das alte Salettl.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2019 teilte das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz dem Landratsamt mit, dass das Einvernehmen des Umweltministeriums unter Nebenbestimmungen hinsichtlich der Verbotstatbestände des § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 4 der Verordnung über den Alpen- und den Nationalpark Berchtesgaden (ANPV) für die Realisierung des Ersatzbaus des Salettls, für den Bau der in den Planunterlagen dargestellten Treppe sowie für die Änderung der Wegebegrenzung erteilt werde.
Unter dem 30. Juli 2019 erteilte die untere Naturschutzbehörde unter Nebenbestimmungen ihr naturschutzrechtliches Einvernehmen zur beantragten Tekturgenehmigung.
Mit Bescheid vom 26. November 2019 erteilte das Landratsamt eine so bezeichnete Nachtragsbaugenehmigung für den verkleinerten Ersatzbau des Salettls am … Es wurde festgesetzt, dass die Nebenbestimmungen der Genehmigung vom 16. Februar 2016 weiterhin gelten, soweit sie durch die Nachtragsbaugenehmigung nicht ausdrücklich aufgehoben, ersetzt oder geändert werden. In den Gründen des Bescheids wurde zur planungsrechtlichen Zulässigkeit ausgeführt, das geplante Vorhaben sei privilegiert im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Hinsichtlich der Nebenbestimmungen wurde ausgeführt, dass diese geeignet und erforderlich seien, um die Ziele des Natur- und Landschaftsschutzes zu wahren, insbesondere um den Schutz von Fauna und Flora des hochsensiblen Bereichs um das Vorhaben sicherzustellen und zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen der Umgebung zu führen. Hinsichtlich der Befreiung von der Nationalparkverordnung, die durch die Baugenehmigung ersetzt wurde, wurde ausgeführt, dass sowohl das Einvernehmen des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz sowie das der unteren Naturschutzbehörde erteilt worden sei. Die Erteilung der Befreiung sei bei Abwägung der Sach- und Rechtslage angemessen, da die Verbote in der Nationalparkverordnung zu einer unzumutbaren Belastung führen würden und zudem die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar sei, § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG. Es seien keine Gründe erkennbar, die eine Versagung des Einvernehmens erfordern würden. Auch Gründe des allgemeinen Wohls würden im konkreten Fall die Belange des Naturschutzes überwiegen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller persönlich mit Postzustellungsurkunde am 5. Dezember 2019 zugestellt. Dieser leitete den Bescheid nach eigenen Angaben am 8. Januar 2020 per E-Mail an seine Bevollmächtigte weiter.
Mit Schriftsatz vom … Januar 2020 erhob der Antragsteller, vertreten durch seine Bevollmächtigte, Klage (M 1 K 20.310) gegen die Baugenehmigung vom 26. November 2019.
Mit Schriftsatz vom … April 2020 beantragt der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamtes vom 26. November 2019 anzuordnen.
Als Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die Baugenehmigung sei wegen des Verstoßes gegen naturschutzrechtliche Vorschriften rechtswidrig. Der Antrag sei zulässig. Die Klage sei insbesondere fristgerecht eingereicht worden, da der Bescheid an die bevollmächtigte Kanzlei und nicht an die Landesgeschäftsstelle des Antragstellers selbst zugestellt hätte werden müssen. Die Antragstellerbevollmächtigte habe ihre Bevollmächtigung für den Antragsteller durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht gegenüber dem Antragsgegner angezeigt. Die Vollmacht beziehe sich auf den Gegenstand „Baurecht/…“. Aus dem bezeichneten Gegenstand ergebe sich, dass die Vollmacht nicht nur für den ursprünglichen Genehmigungsbescheid, sondern auch für das Änderungsverfahren gelten solle, sofern die Vollmacht nicht widerrufen worden sei. Der Eilantrag sei auch begründet, da die Voraussetzungen zur Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 BNatSchG nicht gegeben seien. Es fehle bereits an einem Antrag für die Befreiung. Dem Vorhaben stünden zudem die Verbote in § 9 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1, Nr. 4 ANPV entgegen. Zu dem Erfordernis eines atypischen Sonderfalls habe sich der Antragsgegner nicht geäußert. Auch die Stellungnahmen der unteren Naturschutzbehörde seien nicht geeignet, eine besondere Atypik zu begründen. Selbst wenn man eine Unzumutbarkeit für die Gäste des … dahingehend annehmen könnte, dass diesen keine Sitzplätze zur Verfügung stünden, wäre dies ein rein persönlicher Umstand. Ferner bestünden Zweifel daran, ob der Antragsgegner überhaupt das Vorliegen einer Ermessensentscheidung erkannt habe. Auch liege kein überwiegendes öffentliches Interesse vor. Die notwendigen Bedürfnisse der Bergsteiger würden bereits jetzt befriedigt. Das Frühstücken in Etappen begründe kein überwiegendes öffentliches Interesse. Auch liege keine unzumutbare Belastung im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG vor. Dieses Tatbestandsmerkmal verlange nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls einen atypischen Sachverhalt, der jedoch nicht vorliege. Die Befreiung widerspräche erkennbar den Zielen und Zwecken der Nationalparkverordnung. Die Erweiterung des Salettls und damit die Schaffung weiterer Sitzplätze würde dazu führen, dass sich die vorhandenen Übernachtungskapazitäten weiter steigern ließen. Eine Erhöhung der Kapazitäten hätte zur Folge, dass auch die schon knapp bemessene Wassermenge erweitert werden müsste. Somit löse die Erweiterung selbst nachfolgende Modernisierungsmaßnahmen aus. Zudem sei es nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 ANPV verboten, den Lebensbereich von Pflanzen und Tieren zu stören oder zu verändern; eine diesbezügliche Befreiung sei nicht erteilt worden. Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass die Befreiung auch gegen § 10 Abs. 7 ANPV verstoße. Hieraus ergebe sich, dass bei zulässigen baulichen Maßnahmen eine landschaftsgebundene und örtlich gewachsene Bauweise einzuhalten sei. Durch den Ersatzneubau entstehe der Eindruck einer spektakulären, neuartigen Architektur, die nichts mit der volkstümlichen Bauweise in den Alpen zu tun habe. Die Baugenehmigung verstoße ferner gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften, insbesondere gegen §§ 44 ff. BNatSchG, da der Antragsgegner zu Unrecht davon ausgehe, dass artenschutzrechtliche Verbotstatbestände nicht verwirklicht seien. Eine den geltenden Anforderungen entsprechende artenschutzrechtliche Prüfung habe nicht stattgefunden. Es sei bekannt, dass die Umgebung um das … Kerngebiet des geschützten Alpenschneehuhns sei. Trotzdem sei mit den Bautätigkeiten in dem im Bescheid zugelassenen Zeitfenster Störungen des Alpenschneehuhns während der sensiblen Balz-, Brut- und Aufzuchtszeit verbunden. Ferner seien die Vorschriften zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung nach §§ 13 ff. BNatSchG nicht angewendet worden. Eine Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung sei nicht durchgeführt worden, sodass die Baugenehmigung gem. § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BNatSchG rechtswidrig erteilt worden sei. Dadurch sei auch die Mitwirkungspflicht des Antragstellers verletzt worden, da hierzu keine prüffähigen Unterlagen vorgelegt worden seien. Dieses Beteiligungsrecht bestehe auch dann, wenn zu Unrecht eine Befreiungsentscheidung aufgrund einer nicht durchgeführten Verträglichkeitsprüfung unterlassen worden sei.
Der Antragsgegner beantragt
Antragsablehnung.
Zur Begründung führt er aus, der Antrag sei bereits wegen seiner Bestandskraft unzulässig. Die vorgelegte Vollmacht im Verwaltungsverfahren sei nicht eindeutig dem gegenständlichen Verfahren zuzuordnen. Zudem sei der Antrag auch unbegründet. Durch die untere Bauaufsichtsbehörde sei eine eigene Ermessensentscheidung über die Erteilung der Befreiung von den Verboten der Nationalparkverordnung getroffen worden. Die im Verfahren eingeholten Stellungnahmen seien von der Bauaufsichtsbehörde gewürdigt und im Rahmen der eigenen Zulässigkeitsentscheidung berücksichtigt worden. Die eigene Würdigung habe ergeben, dass eine Ablehnung der Befreiung ermessensfehlerhaft wäre. Ein eigenständiger Antrag auf Befreiung im Sinne des § 67 BNatSchG sei nicht erforderlich gewesen. Nach verbreiteter Auffassung genüge es bereits, wenn der Wille erkennbar werde, alle für das Vorhaben erforderlichen behördlichen Gestattungen zu erlangen. Dies sei mit dem Antrag auf Baugenehmigung geschehen. Der Antragsteller verkenne, dass die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BNatSchG nur alternativ und nicht kumulativ vorliegen müssten. Die der Befreiung zugrundeliegende Atypik sei bereits im Rahmen der Aufstellung des Nationalparkplans berücksichtigt und gewürdigt worden. So heiße es unter Nr. 6.2 des Nationalparkplans, dass die Modernisierung der bestehenden Gaststätten und Unterkunftshäuser zur Qualitätssteigerung erwünscht sei. Darüber hinaus werde klargestellt, dass der Schwerpunkt der Erholungsnutzung in der Kernzone im Bereich des … liege. Die Atypik ergebe sich hierdurch nur für neue Standorte oder Kapazitätssteigerungen. Diese Ausführungen würden auch den Kern der unzumutbaren Belastung im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG betreffen. Insoweit würden die Verordnung über den Alpen- und den Nationalpark Berchtesgaden und der zugehörige Nationalparkplan bereits Maßnahmen betreffen, deren Verbot eine unzumutbare Belastung sein könnte. Darin werde klargestellt, welche Maßnahmenpakete, unter anderem die Steigerung des Komforts, zur Zielerreichung vorstellbar oder gar erforderlich seien. Die erteilten Befreiungen seien zudem mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege vereinbar. Es handele sich nicht um eine Kapazitätssteigerung. Die Bettenanzahl ändere sich mit der beantragten Baumaßnahme nicht. Durch die neuen brandschutztechnischen Anforderungen werde diese sogar auf 214 Personen reduziert. Auch die Erschließung sei zweifelsohne gegeben. Der naturschutzfachliche Eingriff in das Landschaftsbild sei bereits mit der Baugenehmigung vom 16. Februar 2016 gewürdigt worden. Der Überbau der Genehmigung orientiere sich am vorhandenen Gelände und schließe mit dem Bergmassiv ab. Der Anbau werde sich aus großer und mittlerer Entfernung nicht auf das ästhetische Befinden des durchschnittlichen Betrachters auswirken. Eine Abhandlung der Eingriffsregelung sei nicht erforderlich, da es sich um keinen erheblichen Eingriff gemäß §§ 13 ff. BNatSchG handele. Bereits im Rahmen des ursprünglichen Baugenehmigungsverfahren sei auch die Vereinbarkeit mit den Schutzzielen und -gütern des Natura-2000 SPA und FFH-Gebiets gewürdigt worden. Im Umfeld des … bestünden hinreichende Kenntnisse über das Vorkommen von artenschutzrelevanten Tierarten; eine zusätzliche Erhebung hätte keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zur Folge gehabt. Eine Tötung und ebenso ein Eingriff in Fortpflanzungs- und Ruhestätten könne mit Sicherheit ausgeschlossen werden, da es sich um einen Ersatzbau handele und keine zusätzlichen naturnahen Flächen beeinträchtigt würden.
Der Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem Verfahren sowie in den Verfahren M 1 K 18.2252, M 1 SN 18.2253 und M 1 K 20.310 Bezug genommen.
II.
Der Antrag gem. § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26. November 2019 hat Erfolg.
1. Der Eilantrag ist zulässig.
a. Der Eilantrag ist statthaft. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung einen der genannten Rechtsbehelfe ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich (§ 212a Abs. 1 BauGB, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung des jeweiligen Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen.
b. Die Regelung in § 64 Abs. 1 BNatSchG eröffnet auch anerkannten Naturschutzvereinigungen ein Klage- und Antragsrecht. Nach ihr kann eine anerkannte Naturschutzvereinigung, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 63 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 und Abs. 2 Nrn. 5 bis 7 BNatSchG einlegen, wenn
1. geltend gemacht wird, dass die Entscheidung Vorschriften des BNatSchG, Rechtsvorschriften, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, Naturschutzrecht der Länder oder anderen Rechtsvorschriften, die bei der Entscheidung zu beachten und zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, widerspricht,
2. sie in ihrem satzungsgemäßen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich, soweit sich die Anerkennung darauf bezieht, berührt wird und
3. sie zur Mitwirkung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 oder Abs. 2 Nr. 4a bis 5 BNatSchG berechtigt war und sich hierbei in der Sache geäußert hat oder ihr keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
Vorliegend kommt als Entscheidung in diesem Sinne § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG („Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz von […] Naturschutzgebieten“) in Betracht. Die Entscheidung über die Befreiung von naturschutzrechtlichen Belangen ist von der Baugenehmigung umfasst. Die weiteren Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 BNatSchG liegen ebenfalls vor: Der Antragsteller macht eine Verletzung naturschutzrechtlicher Normen in Form der Verordnung über den Alpen- und den Nationalpark Berchtesgaden und auch des Bundesnaturschutzgesetzes geltend. Die angegriffene Entscheidung berührt den satzungsgemäßen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich des Antragstellers. Die Anerkennung des Antragstellers und sein satzungsmäßiger Aufgaben- und Tätigkeitsbereich als anerkannte Naturschutzvereinigung beziehen sich im Schwerpunkt auf die Förderung der Ziele des Natur- und Umweltschutzes und der Landschaftspflege. Schließlich hat der Antragsteller vor Erlass der angegriffenen Entscheidung durch Abgabe einer Stellungnahme am Verfahren mitgewirkt und sich zur Sache geäußert.
c. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht. Insbesondere ist die Klage in der Hauptsache nicht verfristet erhoben worden.
Gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO beträgt die Frist für die Einreichung der Klage einen Monat ab Bekanntgabe des Bescheides. Geht man von einer ordnungsgemäßen Bekanntgabe an den Antragsteller persönlich aus, so hätte die Klagefrist gem. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 6. Dezember 2019 zu laufen begonnen und hätte gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2, 193 BGB am 7. Januar 2020 geendet. Die Klage vom 22. Januar 2020 wäre demnach verfristet bei Gericht eingereicht worden.
Jedoch wurde der Bescheid nicht ordnungsgemäß gegenüber der Antragspartei am 5. Dezember 2019 bekannt gegeben.
Gem. Art. 41 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, so kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden. Nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG bleiben Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung unberührt. Vorliegend hat das Landratsamt den angegriffenen Bescheid dem Antragsteller per Postzustellungsurkunde übermittelt. Nach Art. 1 Abs. 5 VwZVG wird zugestellt, wenn es durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung bestimmt ist. Die Bayerische Bauordnung regelt allein das Erfordernis der Zustellung einer Baugenehmigung an Nachbarn, die einem Bauvorhaben nicht zugestimmt haben (vgl. Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO). Eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Zustellung bei anerkannten Naturschutzvereinigungen ist in der Bayerischen Bauordnung nicht vorhanden. Doch hier kann es offenbleiben, ob die Regelung des Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO für anerkannte Naturschutzvereinigungen analog anzuwenden ist. Denn hier erfolgt das Zustellerfordernis jedenfalls aus der behördlichen Anordnung gem. Art. 1 Abs. 5 Alt. 2 VwZVG (S. 12 des angegriffenen Bescheides).
Gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VwZVG können Zustellungen an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden. Nach dessen Satz 2 sind sie an ihn zu richten, wenn er eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat.
Der Inhalt und der Umfang einer Vollmacht ist durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 26.3.2019 – 8 B 3.19 – juris Ls. 1). Entscheidend für den Umfang der Vollmacht ist wie bei anderen privaten Willenserklärungen der tatsächliche Inhalt der Erklärung. Es bleibt also festzustellen, was der Erklärende im Einzelfall sprachlich erklärt und was er mit seiner Erklärung wirklich gewollt hat. Ist die Vollmacht allein durch die Befugnis zur Vertretung in einem bestimmten Verwaltungsverfahren geprägt, bleibt diese nur so lange wirksam, wie das Verwaltungsverfahren durch eine bestandskräftige Regelung beendet wird. Ob eine derartige Beschränkung auf ein einziges Verwaltungsverfahren erfolgt ist, ist gegebenenfalls durch Auslegung festzustellen. Den Inhalt einer Vollmacht bestimmt ausschließlich der Vollmachtgeber selbst mit seiner Erklärung (vgl. LSG Nds-Bremen, B.v. 7.12.2011 – L 7 AS 906/11 B – juris Rn. 11).
Die Vollmacht wurde unter dem Betreff „Baurecht/…“ im Baugenehmigungsverfahren Az. AB …3 BV …-2014 erteilt. Zu der noch nicht bestandskräftigen Baugenehmigung wurde sodann ein Tekturantrag eingereicht, der mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 26. November 2019 genehmigt wurde. Eine Beschränkung der Vollmacht ausschließlich auf das erste Baugenehmigungsverfahren kann aus dieser nicht herausgelesen werden, weil der Betreff der Vollmacht mit „Baurecht/…“ eher allgemein gefasst ist und kein konkretes Aktenzeichen eines Baugenehmigungsverfahren beim Landratsamt nennt. Zwar handelt es sich hierbei um zwei getrennte Verwaltungsverfahren. Jedoch betreffen sie den nahezu gleichen Streitgegenstand, nämlich den Ersatzbau des Salettls am … und sind ineinander verschränkt. Der sogar als Nachtragsbaugenehmigung bezeichnete Bescheid baut auf der ersten Baugenehmigung auf, indem er sich weiterhin auf Nebenbestimmungen aus der ersten Baugenehmigung bezieht. Auch aufgrund der inhaltlichen Verknüpfung der Baugenehmigungsverfahren ist die Vollmacht daher dahingehend auszulegen, dass sich diese auf die Baugenehmigung vom 16. Februar 2016 einschließlich darauf aufbauender Nachtragsbaugenehmigungen bezieht, zumal beide in zeitlich engem Zusammenhang zueinanderstehen. Die schriftliche Vollmacht wurde kurz vor Eingang des Tekturantrags eingereicht. Zudem lief das behördliche Tekturverfahren parallel zum Gerichtsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung vom 16. Februar 2016, bei dem die Bevollmächtigte die Antragspartei ebenfalls vertrat.
Die Vollmacht ist nicht erloschen. Eine ausdrückliche Erklärung über den Widerruf der Vollmacht oder des Bevollmächtigten über die Niederlegung des Mandats liegt nicht vor. Ein konkludenter Widerruf der Vollmacht durch die Tatsache, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 16. November 2018 persönlich im Verfahren zum Tekturantrag zu dem geänderten Bauvorhaben Stellung genommen hat, liegt nicht vor. Dies kann ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, wenn das Verhalten eines Beteiligten aus Sicht der Behörde bei objektiver Betrachtungsweise keinen anderen Schluss als den gewollten Widerruf der Vollmacht bzw. die Niederlegung des Mandats zulässt. Dies war vorliegend nicht der Fall. Aus dem Umstand, dass sich der Antragsteller selbst schriftlich an den Antragsgegner wandte, ergibt sich kein eindeutiger Wille, die Vollmacht widerrufen zu wollen (vgl. BayVGH, U.v. 17.10.1975 – 52 V 71 – BayVBl 1976, 220 f.).
Offen bleiben kann, ob gem. Art. 9 VwZVG eine Heilung der fehlerhaften Zustellung eingetreten ist. Geht man von einer Heilung des Bekanntgabefehlers aus, so wäre diese am 8. Januar 2020 durch Weiterleitung des Bescheids per E-Mail an die Bevollmächtigte durch die Antragspartei eingetreten. Die Klagefrist wäre mit Erhebung der Klage bei Gericht am 22. Januar 2020 eingehalten.
2. Der Eilantrag ist begründet.
Im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Der Antragsteller kann gem. § 64 Abs. 1 BNatSchG ohne die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 63 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 und Abs. 2 Nrn. 4a bis 7 BNatSchG überprüfen lassen. Als verbandsklagebefugter Naturschutzverein muss der Antragsteller durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt – insoweit in Abweichung von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO – nicht in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein. Mit der Verbandsklagebefugnis hat der Gesetzgeber – entsprechend der Formulierung in § 64 Abs. 1 BNatSchG („ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein“) – vielmehr ein objektiv-rechtliches Beanstandungsverfahren geschaffen.
Bei Rechtsbehelfen anerkannter Naturschutzvereinigungen besteht eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des angerufenen Gerichts. Die gerichtliche Kontrolle umfasst bei der Klage bzw. einem Eilantrag einer Naturschutzvereinigung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nur die gerügten Normen mit naturschutzrechtlichem Bezug. Es muss geltend gemacht werden, dass die Entscheidung Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes, Rechtsvorschriften, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, Naturschutzrecht der Länder oder anderen Rechtsvorschriften, die bei der Entscheidung zu beachten und zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, widerspricht. Prüfungsmaßstab ist demnach, ob objektiv eine Verletzung der vorgenannten naturschutzrechtlichen Regelungen vorliegt.
a. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Es führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, dass in dem gestellten Tekturantrag kein ausdrücklicher Antrag auf Befreiung nach § 67 BNatSchG formuliert wurde. Es genügt, dass durch den gestellten Antrag erkennbar war, dass der Antragsteller alle für das Vorhaben erforderlichen Genehmigungen erhalten wollte (vgl. Teßmer in BeckOK Umweltrecht, § 67 BNatSchG, Rn. 16).
b. Der Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig, weil nach summarischer Prüfung voraussichtlich die Voraussetzungen für die Erteilung von Befreiungen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über den Alpen- und den Nationalpark Berchtesgaden (ANPV) i.V.m. § 67 Abs. 1 BNatSchG nicht vorliegen.
Im Baugenehmigungsverfahren sind gemäß Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO auch die naturschutzrechtlichen Anforderungen zu überprüfen. Nach dieser Norm sind im Baugenehmigungsverfahren durch die Bauaufsichtsbehörde andere öffentlich-rechtliche Anforderungen zu prüfen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird. Gem. Art. 56 Satz 3 BayNatSchG werden auch naturschutzrechtliche Befreiungen durch eine nach anderen Vorschriften gleichzeitig erforderliche behördliche Gestattung ersetzt, soweit diese Gestattung nicht ihrerseits ersetzt wird; die behördliche Gestattung darf nur erteilt werden, wenn die Gründe für eine Befreiung vorliegen und die zuständige Naturschutzbehörde ihr Einvernehmen erklärt.
Auf Grund von Art. 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 und Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (a.F.) wurde die Verordnung über den Alpen- und den Nationalpark Berchtesgaden in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Februar 1987 (GVBl. S. 63) erlassen. Das beantragte Bauvorhaben liegt im Geltungsbereich der Verordnung (§ 5 ANPV).
Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ANPV ist es verboten, Bodenbestandteile abzubauen, Grabungen oder Sprengungen vorzunehmen oder die Bodengestalt in sonstiger Weise zu verändern. Nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 APNV ist es verboten, bauliche Anlagen zu errichten, zu ändern, abzubrechen oder zu beseitigen. Nach § 9 Abs. 3 Nr. 4 ANPV ist es verboten, Wege und Straßen sowie Skiabfahrten anzulegen oder zu verändern.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 APNV i.V.m. § 67 Abs. 1 BNatSchG kann von diesen Verboten im Einzelfall eine Befreiung erteilt werden, wenn
1. dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder
2. die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
Beide Alternativen setzen nach Sinn und Zweck der Norm zudem das Vorliegen eines atypischen Sonderfalls voraus (vgl. VGH BW, U.v. 16.3.2011 – 5 S 644/09 – DVBl 2011, 427 zur Vorgängernorm).
Das Landratsamt hat sich bei Erteilung der Befreiung überwiegend auf § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatschG gestützt, jedoch auch Gründe des allgemeinen Wohls als Erwägungsgrund herangezogen. Weder die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG (vgl. unter aa.) noch die des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG (vgl. unter bb.) sind nach summarischer Prüfung gegeben.
Beantragt ist nicht nur ein Ersatzbau des Salettl, sondern zusätzlich eine Erweiterung des Gastraumes um eine Fläche von ca. 27 m².
aa. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG liegen nicht vor.
Der Gesetzgeber hat in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG klargestellt, dass zugunsten einer Befreiung nur Gründe des öffentlichen Interesses und nicht auch private Belange eingestellt werden dürfen. Dabei ist unter dem „öffentlichen Interesse“ im Sinne der Vorschrift ein qualifiziertes öffentliches Interesse zu verstehen (vgl. BVerwG, B. v. 20.2.2002 – 4 B 12/02 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 19.8.2014 – 8 CS 14.1300 – juris Rn. 15). Liegt ein solches öffentliches Interesse vor, ist zu prüfen, ob es die Befreiung erfordert. Eine Befreiung ist nicht erst dann erforderlich, wenn den Belangen der Allgemeinheit auf keine andere Weise als durch die Befreiung entsprochen werden könnte, sondern schon dann, wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten ist, das Vorhaben mit Hilfe der Befreiung an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen. Es genügt nicht, wenn die Befreiung dem allgemeinen Wohl nur nützlich oder dienlich ist (vgl. OVG NW, U.v. 21.4.2020 – 8 A 311/19 – juris Rn. 54).
In dem angegriffenen Bescheid wurde nicht dargelegt, worin das öffentliche Interesse für die Erteilung einer Befreiung zu sehen ist. Auch vermag die erkennende Kammer ein über das wirtschaftliche Interesse des Beigeladenen hinausgehendes Interesse, nämlich den Komfort seiner Hütte zu steigern und die Essensgestaltung für Gäste attraktiver zu machen, nicht zu erkennen. Zwar ist es nachvollziehbar, dass es für Bergsteiger angenehmer ist, nicht auf Sitzgelegenheiten warten zu müssen. Ein öffentliches Interesse ist darin jedoch nicht zu sehen. Auch ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Erhöhung der Sitzplätze die Steigerung des Tourismus in der Region Berchtesgadener Land zur Folge hätte, dadurch zum Beispiel Arbeitsplätze gesichert würden und dies eine Steigerung der Wirtschaft zur Folge hätte (hierzu z.B. BayVGH, B.v. 19.8.2014 – 8 CS 14.1300 – juris Rn. 15 m.w.N; BVerwG, U.v. 9.7.2009 – 4 C 12/07 – BVerwGE 134, 166, juris Rn. 19).
Auch bei Heranziehung der Verordnung über den Alpen- und Nationalpark Berchtesgaden und den darauf beruhenden Nationalparkplan (§ 13 ANPV) für die Auslegung des Begriffs des öffentlichen Interesses, ist dieses nicht zu bejahen. Im öffentlichen Interesse stehen ausweislich des Nationalparkplans bei bestehenden Hütten nur Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Im Nationalparkplan wird ausgeführt, Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen bei den vorhandenen Gaststätten und Unterkunftshäusern seien insbesondere im Hinblick auf eine Verbesserung der Ver- und Entsorgungssituation erwünscht. Sie sollen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Leitlinie 5 („Erschließungstätigkeit beenden“) des „Grundsatzprogramms zur umwelt- und sozialverträglichen Entwicklung und zum Schutz des Alpenraumes“, entwickelt und beschlossen von den Alpenvereinen Deutschlands, Österreichs und Südtirols, nur der Qualitätssteigerung und nicht der Kapazitätserhöhung dienen (Nationalparkplan, S. 26). Explizit wird im genannten Grundsatzprogramm darauf verwiesen, dass Alpenvereinshütten im Hochgebirge keine Hotels sind. Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in Anpassung an die zeitgemäßen Erfordernisse seien jedoch möglich und erwünscht (Nationalparkplan, S. 112/113).
Die Erweiterung des Salettls fällt weder unter den Begriff der Sanierung noch unter den der Modernisierung. Eine Sanierung ist nach dem Wortsinn lediglich auf die Behebung von Mängeln zur Wiederherstellung des zum bestimmungsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustandes des Gebäudes gerichtet. Es soll also nur die weitere Nutzung des bisherigen Bestandes in der bisherigen Weise ermöglicht werden. Ebenso schließt eine Modernisierung nur Maßnahmen zur Beseitigung von Missständen ein, die den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes beeinträchtigen (vgl. zur Auslegung des Begriffs der Modernisierung auch die Ausführungen zu § 177 BauGB bei Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 136. EL Oktober 2019, Rn. 14 ff.). Die Erweiterung des Salettls stellt weder eine Instandsetzung noch eine Modernisierung dar, weil Maßnahmen dieser Art nicht der Wiederherstellung eines vormals gegebenen, sondern der erstmaligen Herstellung eines neuen Zustandes dienen (vgl. hierzu auch BVerwG, B.v. 27.8.1996 – 8 B 165.96 – juris Ls.). Eine Erweiterung von Hütten ist ausweislich der Ausführungen im Nationalparkplan unzulässig und nicht gewollt. Selbst wenn die bauliche Maßnahme daher zu einer Qualitätssteigerung für die Gäste führt, rechtfertigt dies keine Erweiterung der Hütte, da es sich hierbei um keine Sanierungs- oder Modernisierungsmaßnahme handelt. Somit greift auch die Argumentation des Antragsgegners nicht, wonach die Nachtragsbaugenehmigung keine Kapazitätserweiterung zur Folge habe, da die Übernachtungsplätze nicht erhöht würden. Die Erhöhung der Anzahl der Sitzplätze führt auch zu einer Erhöhung der Kapazitäten der Hütte – wenn auch nur bezogen auf Sitzplätze. Würde man dies nicht unter eine Kapazitätssteigerung fassen, könnten Hütten, die keine Übernachtungssondern nur Sitzplätze haben, unbegrenzt mit dem Argument erweitern, es stelle keine Kapazitätssteigerung dar. Dass dies von den Normgebern bezweckt worden sein soll, ist fernliegend. Folgerichtig differenziert der Nationalparkplan gerade nicht zwischen Betten und Sitzplätzen.
bb. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG für die Erteilung einer Befreiung liegen ebenfalls nicht vor. Die Durchführung der Verbotsvorschriften des § 9 ANPV führen nicht zu einer unzumutbaren Belastung. Eine Härte i. S. v. § 67 Abs. 1 Satz Nr. 2 BNatSchG ist nur anzunehmen, wenn der Vollzug der Bestimmungen bei dem Betroffenen eine Belastung auslöst, die für ihn einen unzumutbaren Grad erreicht. Da sich der Befreiungstatbestand als mögliches Korrektiv für grundstücksbezogene Besonderheiten darstellt, können sich unzumutbare Belastungen nur aus boden-, nicht aber aus personenbezogenen Umständen, namentlich finanzieller oder familiärer Art ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 25.4.2012 – 14 B 10.1750 – NuR 2012, 862 (865 f.); Gellermann in Landmann/Rohmer, UmweltR, 91. EL September 2019, § 67 BNatSchG Rn. 15). Von einer unzumutbaren Belastung im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG kann nur gesprochen werden, wenn der Eintritt der Verbotsfolge in Ansehung der Gegebenheiten des Einzelfalles und der ihn prägenden besonderen Umstände als „nicht gerechtfertigt“ (vgl. OVG NW, U.v. 2.5.1988 – 10 A 1109/84 – NuR 1989, 230 (231)), „unbillig“ (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.1989 – 9 B 86.01531 – NuR 1990, 275 (277)) oder „unangemessen“ (vgl. OVG Saarl., U.v. 6.5.1981 – 2 R 115/80 – RdL 81, 323) erscheint (vgl. Gellermann in Landmann/Rohmer, UmweltR, 91. EL September 2019, § 67 BNatSchG Rn. 14). Ein Bauverbot in einer Schutzgebietsverordnung begründet in aller Regel keine unzumutbare Belastung, weil die Untersagung der Errichtung baulicher Anlagen innerhalb der Kulisse des jeweiligen Gebietes vom Normgeber typischerweise gewollt ist (vgl. hierzu OVG NS, U.v. 22.11.2012 – 12 LB 64/11 – ZfBR 2013, 162 (167); Gellermann in Landmann/Rohmer, UmweltR, 91. EL September 2019, § 67 BNatSchG Rn. 15).
Der Bescheid enthält zwar Ausführungen zur Angemessenheit der Befreiung. Demnach sei der Schutz von Flora und Fauna gewahrt und keine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zu befürchten. Eine Argumentation, worin die unzumutbare Belastung im konkreten Einzelfall liegen soll, enthält der Bescheid aber nicht. Eine solche ist für das Gericht auch nicht erkennbar. Es ist durchaus für die Übernachtungsgäste und auch für den Beigeladenen zumutbar, die Gäste nicht gleichzeitig, sondern in zeitlichen Abständen zu bewirten. Es wurde von dem Beigeladenen weder vorgetragen, noch ist es ersichtlich, dass durch das Frühstück in Etappen etwa wirtschaftliche Einbußen drohen, die zu einer unzumutbaren Belastung führen würden. Auch sonstige besondere nachteilige Folgen für den Beigeladenen bei Absehen von einer Erweiterung des Salettls und der Erhöhung der Anzahl der Sitzplätze sind nicht erkennbar. In den Stellungnahmen der Naturschutzbehörden in den vorgelegten Behördenakten werden keine Argumente für das Vorliegen eines besonderen Härtefalls vorgetragen. Auf eine mögliche Vereinbarung einer Befreiung mit den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege kommt es daher nicht an.
c. Der Antragsteller kann sich auf diesen materiellen Fehler auch berufen. Die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 BNatSchG kann von ihm als anerkannte Naturschutzvereinigung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG gerügt werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst, weil er keinen Sachantrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG und Nrn. 1.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 10.000,- EUR festgesetzt.


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