Baurecht

Festsetzung von Sondernutzungsgebühren

Aktenzeichen  M 10 K 17.4193

Datum:
25.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32270
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SoNuGebS § 2 Abs. 1
BayStrWG Art. 2 Nr. 1 b, Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 18 Abs. 1 S. 1
StrWG NRW § 14 Abs. 1 S. 1
KAG Art. 8

 

Leitsatz

1 Eine Sondernutzungsgebühr knüpft an ein zweckgerichtetes Vorteilsziehen an. (Rn. 23 und 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Öffentliche Leistung, für die eine Sondernutzungsgebühr als Gegenleistung gefordert wird, ist die Duldung der mit der öffentlich-rechtlichen Sondernutzung verbundenen und von der Straßenbaubehörde in Kauf genommenen Gemeingebrauchsbeeinträchtigung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Bescheide der Beklagten vom 22. März 2016 und vom 22. Februar 2017 sowie der Widerspruchsbescheid der Regierung … … vom 3. August 2017 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bescheide vom 22. März 2016 und vom 22. Februar 2017 sowie der Widerspruchsbescheid vom 3. August 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte kann die Bescheide nicht auf §§ 2 und 4 der Satzung über die Gebühren für Sondernutzungen auf öffentlichen Straßen in der Landeshauptstadt München vom 25. Juni 2014, zuletzt geändert am 13. Juli 2015 (Sondernutzungsgebührensatzung – SoNuGebS), stützen. Sie ermächtigen die Beklagte nicht, die festgesetzten Gebühren zu erheben, denn es handelt sich bei den von der Klägerin vorgenommenen Arbeiten nicht um eine Sondernutzung im Sinne der Satzung. Dies gilt sowohl für die Absperrung des Geh- und Radweges (dazu unter 1.) als auch für die Absperrung der Grünfläche (dazu unter 2.).
1. Zur Regelung von Sondernutzungstatbeständen können die Gemeinden unter anderem Sondernutzungsgebührensatzungen erlassen, und zwar sowohl für Bundesstraßen (§ 8 Abs. 3 FStrG) wie für Landesstraßen (Art. 18 Abs. 2a BayStrWG). Rechtliche Bedenken gegen die formelle und materiell-rechtliche Gültigkeit der Sondernutzungsgebührensatzung bestehen nicht.
Nach § 2 Abs. 1 SoNuGebS können von der Beklagten für Sondernutzungen auf den in ihrer Straßenbaulast stehenden Straßen, Wegen und Plätzen Sondernutzungsgebühren erhoben werden. Der streitgegenständliche Geh- und Radweg ist als sog. unselbstständiger Geh- und Radweg Bestandteil der Straße i.S.d. Art. 2 Nr. 1 b BayStrWG.
Die Sondernutzungsgebührensatzung definiert den Tatbestand der Sondernutzung nicht, sondern setzt ihn voraus. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG, der in Abs. 2a zum Erlass der Sondernutzungsgebührensatzung ermächtigt, liegt eine Sondernutzung vor bei der Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG ist Gemeingebrauch die Benutzung der Straßen im Rahmen ihrer Widmung für den Verkehr. Grundlegende Voraussetzung einer Sondernutzung ist mithin eine Benutzung. Diese Voraussetzung erfüllt die streitgegenständliche Reparatur bzw. Aufwertung des Geh- und Fahrradweges durch die Klägerin nicht. Das Gericht geht von einer Auslegung des Begriffs „Benutzung“ aus, die eine Reparatur, Ertüchtigung oder erstmalige Erstellung einer öffentlichen Einrichtung nicht umfasst. Die Klägerin hat den Straßengrund sowie das Begleitgrün nicht für die Baustelle des Gebäudes, etwa als Abstellfläche genutzt, sondern die Absperrung des Geh- und Radweges erfolgte allein, um den Austausch der Oberfläche zu ermöglichen.
Die zu Grunde gelegte Auslegung ergibt sich zum einen aus dem Wortsinn. Benutzen bedeutet, sich einer Sache ihrem Zweck entsprechend zu bedienen, sie zu verwenden oder von ihr Gebrauch zu machen (BayVGH, U.v. 25.7.2000 – 8 B 99.3497 – juris unter Verweis auf den Duden). An anderer Stelle wird „Benutzung“ mit „Verwenden“ oder „Gebrauchmachen“ einer Sache gleichgesetzt (BayVGH, B.v. 15.12.2017 – 8 ZB 16.1806 – juris, Rn. 14). Bei einem systematischen Blick in die Gesetze anderer Bundesländer findet sich dort an entsprechender Stelle der Begriff „Gebrauch“ einer Straße (z.B. § 14 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW: „Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet [Gemeingebrauch].“).
Diese Definitionen und der Wortsinn des Begriffs „Benutzen“ setzen einerseits einen Nutzen oder Vorteil voraus, den der Benutzende andererseits zu einem bestimmten Zweck zieht. Der Benutzende verwendet die Straße zu seinen Zwecken, etwa zur Fortbewegung, Kunstdarstellung oder als Außenfläche einer Gaststätte.
Das Erfordernis eines zweckgerichteten Vorteilsziehens entspricht nicht nur dem Wortsinn, sondern auch der teleologischen Auslegung. Bei den Sondernutzungsgebühren handelt es sich dem Rechtscharakter nach um Benutzungsgebühren im Sinn des Art. 21 Kostengesetz (KG) und des Art. 8 KAG. Sie werden dem Straßenbaulastträger als Gegenleistung für eine widmungsfremde Straßenbenutzung geschuldet. Sie sollen den wirtschaftlichen Vorteil der Sondernutzung, die gegenüber anderen Staatsbürgern ein Privileg darstellt, abschöpfen. Als öffentliche Leistung, für die eine Sondernutzungsgebühr als Gegenleistung gefordert wird, ist die Duldung der mit der öffentlich-rechtlichen Sondernutzung verbundenen und von der Straßenbaubehörde in Kauf genommenen Gemeingebrauchsbeeinträchtigung anzusehen (Zeitler/Wiget, BayStrWG, Art. 18 Rn. 32-34). Nachdem die Herstellung bzw. Ertüchtigung des Straßenraums keinen Bedarf nach einer Gegenleistung auslöst – im Gegenteil im Interesse aller Straßennutzer liegt -, ist es systematisch stimmig, sie nicht als Sondernutzung anzusehen.
Soweit die Beklagte auf die wirtschaftlichen oder etwaige baurechtliche Vorteile aus dem Vertragsgefüge für den …-Konzern oder die Klägerin selbst hinweist und somit vorbringt, die Klägerin habe den Geh- und Radweg für diese Zwecke „benutzt“ im weitesten Sinne, ist eine solche Gegenleistung nicht der zum Verkehr gewidmeten Straße selbst entnommen, sondern der gesamten Vertragsgestaltung, in der das Angebot der Aufwertung ein Baustein gewesen sein mag.
Auch soweit die Beklagte darauf abstellt, dass sie die Ertüchtigung in der ausgeführten Weise nicht beauftragt habe, sondern sie der optischen Vorstellung der … AG angepasst wurde und zeitlich früher als sonst von der Beklagten geplant erfolgte, kann darin kein Zweck liegen, zu dem die Klägerin den Rad- und Gehweg benutzt hätte in einer der obigen Auslegung entsprechenden Weise. Denn die optische Gestaltung war nicht der hauptsächliche Zweck der Arbeiten, sondern die vertragliche Verpflichtung gegenüber der Beklagten, den Weg zu erneuern bzw. aufzuwerten. Dass die Beklagte selbst eine Gestaltung gewählt hätte, bei der eine (eingeschränkte) Nutzung für den Verkehr erhalten geblieben wäre, ist eine hypothetische Erwägung. Sie kann an der Subsumtion des konkreten Geschehens unter die Norm nichts ändern.
Das Gericht hat berücksichtigt, dass auch der Eingriff in den Straßenkörper selbst eine Sondernutzung darstellen kann (etwa das Verlegen eines „Stolpersteins“ zu künstlerischen Zwecken, vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2017 – 8 ZB 16.1806 -, Rn. 14, juris). Es kommt jedoch nach der Auslegung für die Beurteilung einer Sondernutzung nicht bloß auf den Vorgang des Aufgrabens an, sondern wie bereits dargestellt auch auf den Zweck und die Umstände.
2. Dieselben Erwägungen gelten auch hinsichtlich der Umgestaltung des Begleitgrüns. Auch dieses ist nach Art. 2 Nr. 1 b BayStrWG Bestandteil der Straße, so dass die Beklagte grundsätzlich Sondernutzungsgebühren erheben kann. Ein zwischen Gehweg und Fahrstreifen oder Parkstreifen verlaufender Grünstreifen ist ebenfalls als ein zur Straße gehörender Trenn-, Seiten-, Rand- oder Sicherheitsstreifen anzusehen, da er gerade wie im vorliegenden Fall den Geh- und Radverkehr unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten von der Fahrbahn bzw. von Parkplätzen als Sicherheitsbereich abtrennen soll (vgl. auch VG München, U.v. 28.7.2016 – M 10 K 15.5890 – juris, Rn. 18).
Auch hinsichtlich des Begleitgrüns unterfallen die vorgenommenen Maßnahmen jedoch nicht dem Tatbestand einer Sondernutzung.
Das Begleitgrün wurde nach Angaben der Klägerin durch Bepflanzung verbessert bzw. wiederhergestellt. Diesbezüglich gelten die oben genannten Erwägungen, dass die Reparatur bzw. Ertüchtigung einer Straße und ihrer Bestandteile keine Benutzung derselben darstellt. Soweit diesbezüglich auch der Schutz der Grünfläche vor dem Baustellenverkehr bezweckt gewesen sein mag, führte auch dies nicht zu einer Sondernutzungsgebührenpflicht (vgl. VG München, U.v. 28.7.2016 – M 10 K 15.5890 – juris).
Nach alledem sind angefochtenen Bescheide sowie der Widerspruchsbescheid rechtswidrig und aufzuheben.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
5. Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.


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