Baurecht

Fläche für Landwirtschaft, Veränderungssperre, Planungskonzeption

Aktenzeichen  1 N 21.821

Datum:
4.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4436
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans E. „Landwirtschaft Süd/West“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 3. März 2021, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über den Normenkontrollantrag konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da sich die Beteiligten mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Der zulässige Antrag hat Erfolg. Die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans E. „Landwirtschaft Süd/West“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 3. März 2021, ist unwirksam.
1. Der Antragsteller ist als Eigentümer aller Grundstücke, die von der Veränderungssperre erfasst werden, gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Die Veränderungssperre bewirkt, dass in ihrem Geltungsbereich – und damit auf den Grundstücken des Antragstellers – grundsätzlich Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Sie schränkt damit die aus dem Eigentumsrecht folgenden Nutzungsmöglichkeiten ein und berührt die aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Rechtsposition.
2. Der Antrag ist auch begründet. Die vorliegende Planung lässt nicht das erforderliche Mindestmaß an inhaltlichen Aussagen des künftigen Bebauungsplans erkennen.
Nach § 14 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn – wie hier – ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre beschließen. Eine Veränderungssperre ist unzulässig, wenn sich der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise absehen lässt, wenn die Gemeinde lediglich beschließt zu planen oder wenn die Gemeinde nur das städtebaulich Unerwünschte feststellt (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2010 – 2 N 06.3192 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die Anforderungen, die im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre an die Konkretisierung der planerischen Vorstellungen der Gemeinde zu stellen sind, sind zwar mit Rücksicht auf die gemeindliche Planungshoheit denkbar gering. Der von der Veränderungssperre flankierte Aufstellungsbeschluss muss lediglich ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Gegenstand und Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans bzw. der zu erwartenden Bebauungsplanänderung ist und welchen Inhalt die neue Planung haben soll. Die Gemeinde muss aber bereits positive planerische Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans so weit entwickelt haben, dass diese geeignet sind, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde über die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu steuern (vgl. st. Rspr BVerwG, B.v. 22.1.2013 – 4 BN 7.13 – juris Rn. 3; B.v. 21.10.2010 – 4 BN 26.10 – BauR 2011, 481; B.v. 1.10.2009 – 4 BN 34.09 – NVwZ 2010, 42; U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120,138; BayVGH, U.v. 20.9.2016 – 15 N 15.1092 – juris Rn. 18). Dagegen ist es nicht erforderlich, dass die Planung bereits einen Stand erreicht hat, der nahezu den Abschluss des Verfahrens ermöglicht. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nicht erforderlich. Auch das Abwägungsmaterial muss noch nicht vollständig vorliegen. Den Mindestanforderungen ist genügt, wenn die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre zumindest Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung besitzt, sei es, dass sie bereits einen bestimmten Baugebietstyp, sei es, dass sie nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB festsetzbare Nutzungen ins Auge gefasst hat (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – BVerwGE 156, 1 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßgaben lässt die vorliegende Planung im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre nicht das erforderliche Mindestmaß an inhaltlichen Aussagen des künftigen Bebauungsplans erkennen. Die Antragsgegnerin umschreibt den Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans in der Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderats am 1. März 2021 lediglich mit den Worten, dass mögliche Erweiterungen des Betriebs des Antragstellers in Einklang mit dem Bedarf an weiterem Wohnraum gebracht werden sollen und hierzu beabsichtigt sei, die konkrete Lage von Ställen und Dungstätten auf den jeweiligen Grundstücken, die Tieranzahl und die Tierart sowie mögliche emissionsmindernde (bauliche) Maßnahmen – soweit zulässig und möglich – festzusetzen. In welche Richtung die Planung geht, bleibt allerdings dem Ergebnis der Prüfung der potentiellen Emissionen der in den Blick genommenen Standorte auf den Betrieben des Antragstellers vorbehalten und damit offen. Vielmehr soll das Planungskonzept als solches erst im Planungsverfahren entwickelt werden. Damit drängt sich der Eindruck auf, dass die Veränderungssperre dazu dient, der Gemeinde erst die Zeit für die Entwicklung eines bestimmten Plankonzepts zu geben. Zu diesem Zweck darf die Veränderungssperre als Planungssicherungsinstrument nach Maßgabe von § 14 Abs. 1 BauGB nicht eingesetzt werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138). Offen bleibt insbesondere auch, welche Vorstellungen die Antragsgegnerin hinsichtlich der maßgeblichen Art der baulichen Nutzung verfolgte, da die Regelung für die Landwirtschaft sich mit verschiedensten Inhalten gestalten ließe, beispielsweise über die Festsetzung eines bestimmten Gebietstyps nach der Baunutzungsverordnung oder über Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB. Letzteres würde im Hinblick auf die vorgetragenen immissionsschutzrechtlichen Interessen der Antragsgegnerin nur Sinn machen, wenn darüber hinaus weitere Regelungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB getroffen werden würden. Welche Konzeption die Planung zur Erreichung der genannten Ziele enthalten soll oder könnte, ist nach den vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar. Allein der Umstand, dass geruch-emissionsträchtige Anlagen „problematisch“ sind, reicht für die notwendige Konkretisierung nicht aus. Damit ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans noch offen (vgl. BVerwG, B.v. 16.12.2013 – 4 BN 18.13 – juris Rn. 5).
Ob der Bebauungsplan darüber hinaus an rechtlich nicht behebbaren Mängeln leidet, braucht im Hauptsacheverfahren nicht mehr weiter geprüft werden. Es kann daher insbesondere dahingestellt bleiben, ob mit dem Bebauungsplan zulässige städtebauliche Ziele, mit denen auch landwirtschaftliche Betriebe eingeschränkt werden können, verfolgt werden. Wie vorliegend ausgeführt, liegt ein hinreichendes Plankonzept noch nicht vor.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nr. I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben