Baurecht

Gebäudeversicherung: Überschwemmungsschaden durch auf ein Hanggrundstück abfließendes Niederschlagswasser

Aktenzeichen  25 U 4744/20

Datum:
19.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44500
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AVB Wohngebäudeversicherung

 

Leitsatz

Eine in der Gebäudeversicherung versicherte “Überschwemmung” liegt auch dann vor, wenn der Gebäudeschaden dadurch verursacht wird, dass die Kanalisation auf der Straße Niederschlagswasser nicht mehr aufnehmen kann, dieses daher von der Straße über absinkendes Gefälle auf die tiefer gelegenen Flächen des versicherten Grundstücks fließt und sich dort mit auf das versicherte Grundstück auftreffendem Niederschlag vermischt und in das versicherte Gebäude eindringt. Für eine Überschwemmung muss demgemäß nicht das gesamte Versicherungsgrundstück überflutet sein. Es genügt, dass sich auf einem nicht bebauten Grundstücksteil erhebliche Mengen von Oberflächenwasser befinden (unter Hinweis auf BGH BeckRS 2006, 7352 zur Kraftfahrtversicherung; s. auch OLG Oldenburg BeckRS 2011, 26628). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

26 O 14155/19 2020-07-16 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 16.07.2020, Az. 26 O 14155/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Nach einstimmiger Auffassung des Senats hat das Landgericht – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Berufungsschrift – der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.
Die Beklagte hat der Klägerin Versicherungsschutz für Schäden, die durch Überschwemmungen verursacht wurden, versprochen.
Vorliegend hat das Landgericht in seinem sorgfältig begründeten Urteil festgestellt, dass es am 07.06.2018 auf dem versicherten Grundstück (… in München) zu einer Überschwemmung im Sinn der vereinbarten Bedingungen gekommen ist und dass dadurch der Klägerin ein – im Sachverständigenverfahren der Höhe nach zu ermittelnder Schaden – entstanden ist, den die Beklagte der Klägerin zu ersetzen hat (soweit Ansprüche nicht auf die Allianz Versicherungs AG, die den Tatbestand der Überschwemmung anerkannt hat und – teilweise – entsprechend ihren Bedingungen reguliert hat, vgl. Anlage K 13, übergegangen sind).
Das beim Landgericht durchgeführte Verfahren ist ebenso beanstandungsfrei, wie die materielle Rechtsanwendung. Der Senat ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO an die Beweiswürdigung des Landgerichts gebunden. Das Landgericht hat eine Zeugeneinvernahme durchgeführt, den Geschäftsführer der Klägerin angehört und eine nachvollziehbare und überzeugende Beweiswürdigung vorgenommen.
1. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist unbegründet; die Beklagte beanstandet, dass kein Sachverständigengutachten zu der Frage erholt wurde, ob der Schaden durch über das Grundstücksgefälle ablaufendes Wasser von der Straße oder durch sich auf dem Grundstück sammelndes Niederschlagswasser entstanden ist.
Zwar verstößt die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots – auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter – dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BGH, Beschluss vom 28.05.2019 – Az. VI ZR 328/18; BGH, Beschluss vom 26.03.2019 – Az. VI ZR 163/17; BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – Az. VI ZR 234/17, NJW 2019, 607; BGH, Beschluss vom 07.06.2018 – Az. III ZR 210/17 -, Rn. 4, juris; BGH, Beschluss vom 10.04.2018 – Az. VI ZR 378/17; BGH, Beschluss vom 01.03.2018 – Az. IX ZR 179/17; BGH, Beschluss vom 27.07.2016 – Az. XII ZR 59/14, NJW-RR 2016, 1291; Bacher in Beck’scher Onlinekommentar zur ZPO, 27. Edition 01.12.2017, § 321a Rn. 47). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich ihre Darstellung ist, und ob sie auf eigenem Wissen oder einer Schlussfolgerung aus Indizien besteht (BVerfG Beschluss vom 24.01.2012 – Az. 1 BVR 1819-10, BeckRS 2012, 6218, BGH, Beschluss vom 28.05.2019 – Az. VI ZR 328/18; BGH, Beschluss vom 14.03.2017 – Az. VI ZR 225/16, VersR 2017, 966).
Allerdings liegen vorliegend die Voraussetzungen für die von der Beklagten beantragte Beweiserhebung nicht vor, da die unter Beweis gestellte Tatsache (der Schaden sei durch von der Straße abfließendes Wasser verursacht worden) teilweise dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist, teilweise vom Gericht selbst beantwortet werden konnte und teilweise unerheblich ist, so dass das Landgericht zu Recht von der Erholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat.
1.1. Den von der Zeugin und dem Geschäftsführer der Klägerin beobachteten extrem starken Niederschlag, die Wasseransammlung, das Abfließen des Wassers von der Straße und das Eindringen des Wassers in die versicherten Räume sind dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich, da sie Gegenstand der Beobachtung der Zeugin und des Geschäftsführers der Klägerin waren; die Beklagte hat auch keine konkreten Tatsachen unter Beweis gestellt, die Zweifel an der Richtigkeit der Angaben wecken können; auch in der Berufung wendet sie sich nicht gegen die Auffassung des Landgerichts, die Angaben seien glaubhaft und glaubwürdig gewesen; vielmehr zitiert die Beklagte die Angaben und stellt aufgrund dieser Angaben Schlussfolgerungen auf.
1.2. Vom Landgericht selbst beantwortet werden konnte die Frage, welches Wasser in die Räumlichkeiten der Klägerin eingedrungen ist. Der Sachverständige soll dem Richter die diesem fehlende Kenntnis von Erfahrungssätzen vermitteln oder anhand solcher Erfahrungssätze auf Grund seiner Fachkunde aus einem feststehenden Sachverhalt Schlussfolgerungen ziehen. Die Hinzuziehung des Sachverständigen als Beweismittel ist notwendig, wenn dem Gericht die eigene Sachkunde fehlt (Zimmermann in Münchner Kommentar, ZPO, 4. Auflage 2012, § 402 Rn. 7 vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 15.08.2017 – Az. 9 U 12/17, NJW-RR 2017, 1502 zu offenkundigen Tatsachen). Dass sich, wenn – wie vorliegend – unwetterartiger Regen fällt, den die Kanalisation auf der Straße nicht mehr aufnehmen kann, und der dann von der Straße über absinkendes Gefälle auf tiefer gelegene Hofflächen fließt, der über die Straße abfließende Niederschlag mit dem auf den Hofflächen auftreffenden Niederschlag vermischt bedarf keines Sachverständigenbeweises sondern ist offenkundig. Dass das Wasser dann in die Räumlichkeiten der Klägerin eingedrungen ist, ist unstreitig. Ob der Teil des Wassers der von der Straße kam oder der Teil der als Niederschlag auf der Hoffläche aufgetroffen ist zu den Schäden führte kann auch ein Gutachter nicht klären, da sich das Wasser vermischt hat. Das ist für die Entscheidung auch nicht relevant. Staut sich beispielsweise von einem Bergabhang herabfließendes Regenwasser auf dem Versicherungsgrundstück in erheblichem Umfang, so ist dieses überschwemmt. Es muss nicht das gesamte Versicherungsgrundstück überflutet sein, es genügt, dass sich auf einem nicht bebauten Grundstücksteil erhebliche Mengen von Oberflächenwasser befinden (Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, § 4 Wohngebäudeversicherung Rn. 121, 4. Auflage 2020, beck-online). Vorliegend hatte sich das Niederschlagswasser, das teilweise von der Straße herablief und das teilweise direkt von oben kam auf dem versicherten Grundstück aufgestaut; die Zeugin hatte bestätigt, dass sie in knöcheltiefem Wasser stand (Bild, Anlage K 14 im Bereich der Fahrräder – Eingang zum Studio 3); der Geschäftsführer der Klägerin hat angegeben, dass auch auf der Seite, auf der der Eingang zum Basement liegt (Bild Anlage K 16) das Wasser gestanden hatte (etwa bis zu dem dort abgebildeten Toyota). Die Zeugin hat die Situation dort mit einem „fließenden Bach“ verglichen. Das Wasser drang in das Gebäude ein und verursachte Schäden (deren Höhe im Sachverständigenverfahren zu ermitteln ist).
2. Auch die materielle Rechtsanwendung des Landgerichts ist zutreffend.
2.1. Soweit die Beklagte meint, die Entscheidung BGH, Urteil vom 26.04.2006 – Az. IV ZR 154/05, r + s 2006, 323, sei fachfremd und vom Landgericht zu Unrecht herangezogen, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Dort sind Überlegungen des Bundesgerichtshofs zum Verständnis des auch in den vorliegenden Versicherungsbedingungen verwendeten Begriffs „Überschwemmung“ enthalten, insbesondere bei Hanggrundstücken. Diese lassen sich ohne weiteres auch auf den vorliegenden Fall übertragen; für das Verständnis eines in Allgemeinen Versicherungsbedingungnen verwendeten Begriffs kommt es in beiden Versicherungsarten auf einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer an; dass ein solcher den Begriff in der Elementarschadensversicherung anders als in der Fahrzeugversicherung verstehen würde, ist nicht ersichtlich. Dass die Entscheidung auf die Sachversicherung übertragbar ist, entspricht daher der ständigen Rechtsprechung des Senats (z.B. 25 U 1504/18, so auch Behrens, r+s 2020, 489 Fußnote 71, beck-online).
2.2. Ob der Entscheidung OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2011 – Az. 5 U 160/11, r + s 2012, 342 uneingeschränkt zu folgen ist (kritisch z.B. Behrens, r+s 2020, 489: „Die Entscheidung überzeugt nicht, denn die Neigung eines Grundstücks ist kein Ausschlusskriterium für eine Überflutung von Grund und Boden“) kann dahinstehen. Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet wie folgt: „Wenn Wasser – hier: Regenwasser – direkt, d.h. ohne Ansammlung auf anderen Teilen des Grundstücks über eine schräge Einfahrt in die Garage und dann in das Kellergeschoss des Gebäudes gelangt ist, liegt eine Überschwemmung i.S. von § 3a BWE nicht vor, weil es an einer Überflutung des Grund und Bodens fehlt, auf dem das Gebäude liegt, indem sich die versicherten Sachen befinden.“ Im vorliegenden Fall hat sich – wie das Landgericht zutreffend hervorhebt – anders als im Fall den das OLG Oldenburg zu beurteilen hatte – Wasser auf dem Grundstück in erheblicher Menge angesammelt. Das OLG Oldenburg begründet seine Auffassung damit, dass das Wasser sich nicht auf der Geländeoberfläche gesammelt habe, weil dies bei der schrägen Einfahrt nicht möglich sei. Hat sich – wie hier – auf der Grundstücksfläche (und nicht erst im Gebäude) Wasser in erheblicher Menge angesammelt, so läge auch nach der Auffassung des OLG Oldenburg eine Überschwemmung vor. Dieses hat lediglich als nicht ausreichend angesehen, wenn sich Niederschlagswasser (erst) in dem Gebäude selbst ansammelt. Auf anderen Grundstücksteilen waren im vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall keine Überschwemmungen eingetreten. Der Kläger hatte dort selbst angegeben, dass das Wasser im Garten nicht gestanden habe. Dass auch ein Hanggrundstück überschwemmt sein kann, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2006 – Az. IV ZR 154/05 zu § 12 AKB; vgl. auch Senat, Urteil vom 02.10.2020 – Az. 25 U 1504/18).
2.3. Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.04.2005 – Az. IV ZR 252/03 steht den Ausführungen des Landgerichts nicht entgegen. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte die Klageseite behauptet, auf ihrem Grundstück befindliches Wasser eines Sees sei durch die Kellerwand in den Keller eingedrungen und habe die Schäden verursacht, während die Beklagte geltend gemacht hatte, dass unabhängig von dem überflutenden Seewasser das Grundwasser gestiegen und in das Haus eingedrungen sei (VersR 2005, 828). Der unterschiedliche Vortrag war entscheidungsrelevant, da Schäden durch von unten eindringendes Grundwasser nicht versichert waren. Daher war zu klären, welches Wasser eingedrungen ist. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).


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