Baurecht

Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch ein Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortslage einer Kreisstraße

Aktenzeichen  M 9 K 15.2642

Datum:
19.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG BayStrWG Art. 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Art. 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2

 

Leitsatz

Die Straßenbaubehörde darf ihr Einvernehmen zur Erteilung eines Bauvorbescheides wegen der geringen Gesamtbreite der Straße an der Stelle, an der ein Vorhaben in einem Abstand von 3 m zur Straße errichtet werden soll, verweigern, wenn Bestrebungen bestehen, die Straße an dieser Stelle zu verbreitern. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des streitgegenständlichen Vorbescheids, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 71 BayBO.
Nach Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung des Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Die Vorbescheidsfrage, die mit dem streitgegenständlichen Vorbescheidsantrag abgefragt werden soll, ist unter Berücksichtigung der mit dem Vorbescheidsantrag vorgelegten Bauvorlagen zulässig. Zwar werden mit der Vorbescheidsfrage, so wie sie formuliert ist, auch Umstände abgefragt, die für die Zulässigkeit des Vorhabens nicht relevant sind, z.B. die Dachform als Flachdach, obwohl weder der Vorhabensstandort im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt noch sonstige Umstände ersichtlich sind, die es erforderlich machen, die Dachform abzufragen; jedoch lässt sich der Vorbescheidsantrag unter Zuhilfenahme der zwar nicht notwendigen, diesem aber beigefügten Bauvorlagen dahingehend auslegen, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Gebäudes, so wie der Baukörper auf der Bauvorlage eingezeichnet ist, abgefragt werden soll.
Zwar ist das Vorhaben an sich bauplanungsrechtlich zulässig, wovon das Landratsamt entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu Recht ausgegangen ist, indem es zunächst zutreffenderweise den Vorhabenstandort dem unbeplanten Innenbereich i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zugeordnet hat; der in diesem Ortsteil bestehende Bebauungsplan reicht zwar bis zum Vorhabensgrundstück, der konkrete Standort des Vorhabens liegt jedoch außerhalb. Weiterhin geht das Landratsamt zu Recht von einem Einfügen i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BauGB aus.
Das Vorhaben ist jedoch gleichwohl nicht genehmigungsfähig, denn es verstößt jedenfalls gegen die Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG).
Das Landratsamt durfte den Vorbescheidsantrag gemäß Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz Halbsatz 2 BayBO auch aus einem Grund ablehnen, der hinsichtlich der späteren Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO nicht zu prüfen ist. Vorliegend ist eine Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegeben; deswegen verweigerte auch das von Seiten des Landratsamts beteiligte Staatliche Bauamt Rosenheim als zuständige Straßenbaubehörde das erforderliche Einvernehmen. Das Gericht hat in einer solchen Situation zu prüfen, ob das Einvernehmen zu Recht verweigert wurde und ob Gründe der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Baugenehmigung entgegenstehen. Dabei ist es unerheblich, dass die Beteiligten von der Geltung des Art. 23 BayStrWG und nicht von Art. 24 BayStrWG ausgingen. Vorliegend handelt es sich zwar richtigerweise um einen Fall von Art. 24 BayStrWG (nachfolgend unter 1.). Da jedoch auch diese Vorschrift dem Bauvorhaben entgegensteht, ist die unzutreffende Anwendung von Art. 23 BayStrWG unschädlich (nachfolgend unter 2.).
1. Es liegt ein Fall von Art. 24 BayStrWG vor. Das Baugrundstück liegt an einem Teil einer Kreisstraße innerhalb der geschlossenen Ortslage. Geschlossene Ortslage ist der Teil einer Gemeindegebiets, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist (Häußler in: Zeitler, BayStrWG, Art. 4 Rn. 11; zum Ganzen auch VG München, U.v. 19.10.2016 – M) K 16.2007 -, juris Rn. 19ff.). Maßgebend ist der tatsächliche Bebauungszusammenhang, nicht der Umstand, ob eine ausgewiesene straßenrechtliche Ortsdurchfahrt vorliegt oder nicht. Ein tatsächlicher Bebauungszusammenhang ist vorliegend anhand der Feststellungen im vom Gericht durchgeführten Augenschein zu bejahen. Das Baugrundstück ist Teil einer zusammenhängenden Bebauung. Eine Anwendung von Art. 23 BayStrWG, hier Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, scheidet aus. Nach Art. 4 BayStrWG zu unterscheiden sind Erschließungs- und Verknüpfungsbereiche als Untergliederungen von Ortsdurchfahrten. Im Erschließungsbereich sind an- und hinterliegende Grundstücke mit Staats- oder Kreisstraßen durch gemeingebräuchliche Zufahrten und Zugänge verbunden und erschlossen; Verknüpfungsbereiche zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass sie ohne Zufahrten durch die geschlossene Ortslage geführt werden und nur mit dem Ortsstraßennetz verbunden sind (Häußler in: Zeitler a.a.O., Rn. 22f). Art. 23 BayStrWG gilt nur entlang der Teilstrecken der Ortsdurchfahrten, die ausschließlich der Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dienen und entlang der daran „nach außen“ anschließenden freien Strecken der Staats- und Kreisstraßen (Häußler in: Zeitler, BayStrWG, Art. 23 Rn. 46). Vorliegend bindet die Kreisstraße jedenfalls ab Höhe des Baugrundstücks nicht etwa nur einzelne Ortsteile an, sondern erschließt selbst direkt die an sie angebauten Häuser, wie die Feststellungen im gerichtlichen Augenschein zweifelsfrei ergeben haben (insbesondere die Grundstücke FlNrn. 314/1, 314/2 und 695, vgl. Sitzungsprotokoll S. 4). Im Umfeld des Baugrundstücks haben mehrere Grundstücke eine direkte Zufahrt zur hier als Ortsdurchfahrt fungierenden Kreisstraße EBE 9 (insbesondere die Grundstücke FlNrn. 277 und 322, Sitzungsprotokoll S. 3).
2. Jedoch steht dem Vorhaben Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BayStrWG entgegen.
Danach dürfen unbeschadet der Vorschrift des Art. 23 BayStrWG u.a. baurechtliche Genehmigungen nur im Einvernehmen mit der Straßenbaubehörde erteilt werden, wenn die bauliche Anlage längs einer Kreisstraße in einer Entfernung von bis zu 30 m errichtet werden soll. Das Einvernehmen der Straßenbaubehörde darf gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG nur verweigert oder von Auflagen abhängig gemacht werden, soweit dies für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs, besonders wegen der Sichtverhältnisse, Verkehrsgefährdung, Bebauungsabsichten und Straßenbaugestaltung erforderlich ist.
Maßstab für die Prüfung im Rahmen von Art. 24 BayStrWG ist, ob eine abstrakte Gefährlichkeit gegeben ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift schützt bereits den „normalen“ Verkehrsablauf, ohne dass beispielsweise die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss. Bereits der reibungslose und ungehinderte Verkehr soll geschützt werden, eine im Einzelfall bestehende Gefahr braucht nicht zu befürchten sein (vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 9 Abs. 3a i.V.m. Abs. 3 Fernstraßengesetz, VG Ansbach, U.v. 4.5.2016 – AN 3 K 16. 00277 -, juris Rn. 65; BayVGH, B.v. 25.10.2011 – 15 ZB 10.2590 -, juris Rn. 3).
Die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayStrWG liegen dabei für den hier zu entscheidenden Einzelfall vor. Daher bedarf es des Einvernehmens der Straßenbaubehörde, Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BayStrWG, an dem es hier fehlt. Es wurde auch zu Recht nicht erteilt, wobei es nicht schadet, dass die Behörden hier von einem Fall des Art. 23 Abs. 2 BayStrWG ausgingen, denn die Erwägungen für die Nichtzulassung einer Ausnahme vom Anbauverbot einerseits und für die Nichterteilung des straßenbaurechtlichen Einvernehmens andererseits sind hier dieselben.
Vorliegend ist eine abstrakte Gefährlichkeit im oben dargestellten Sinne zu bejahen. Das Gericht orientiert sich nach den Erkenntnissen des Augenscheins unter Berücksichtigung der dort vorgefundenen Verkehrssituation an den Erwägungen der zuständigen Straßenbaubehörde, des Staatlichen Bauamts Rosenheim, die in der mündlichen Verhandlung nochmals dargelegt und bekräftigt wurden.
Zwar ist dem Klägerbevollmächtigten dahingehend Recht zu geben, dass die Unübersichtlichkeit in verkehrlicher Hinsicht an dieser Stelle die Ablehnung des Einvernehmens wohl alleine nicht tragen würde, wenn auch eine abstrakte Gefährlichkeit, die in Bezug auf Art. 24 BayStrWG ausreicht, durchaus gegeben ist. Dazu kommt im konkreten Fall aber noch eine Reihe weiterer Umstände. Das ist zunächst die geringe Gesamtbreite der Straße an der Stelle, an der das streitgegenständliche Vorhaben im Abstand von nur 3 m zur Straße verwirklicht werden soll und auf die auch in allen Stellungnahmen des Staatlichen Bauamts Rosenheim hingewiesen wird. Außerdem kommen noch die Bestrebungen hinzu, die vom Vertreter des Staatlichen Bauamts Rosenheim in der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren noch einmal bekräftigt wurden, die Straße nach Möglichkeit zu verbreitern, was nach Ausführung des Bauvorhabens jedenfalls nicht mehr möglich wäre. Es kommt schließlich hinzu die Erforderlichkeit eines Gehwegs an dieser Stelle der Straße. Unter Zugrundelegung der im Augenschein besichtigten tatsächlichen Verhältnisse ist entgegen der Auffassung der Klageseite nicht ersichtlich, wie der Bau eines erforderlichen Gehwegs nach Ausführung dieses streitgegenständlichen Vorbescheidsvorhabens noch realisiert werden sollte. Auch hierbei handelt es sich um einen Umstand, der von den Regelungsgegenständen des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG erfasst ist. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Anlegung eines Gehsteigs oder auch die angestrebte Verbreiterung der Straße an dieser Stelle auch noch von anderen Umständen als dem streitgegenständlichen Vorbescheidsvorhaben abhängt. Denn jedenfalls nach Bestandskräftigwerden des Vorbescheids, so wie er beantragt ist, sind beide angestrebten Veränderungen nicht mehr möglich. Daher besteht kein Anlass, den Beklagten trotz des nicht bestehenden Einvernehmens des Staatlichen Bauamts Rosenheim zur Erteilung des Vorbescheids zu verpflichten.
3. Offen bleiben kann daher, ob unabhängig von dem verweigerten Einvernehmen nach Straßenrecht dem streitgegenständlichen Vorbescheid auch noch ein weiteres Hindernis entgegensteht. Mangels Ausschlusses im Rahmen der mit dem Vorbescheidsantrag abgefragten Umstände – letztlich geht es bei sachgemäßer Auslegung der wie oben schon dargestellt nicht völlig zweifelsfreien Vorbescheidsfrage um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des in der Bauvorlage bereits verhältnismäßig detailliert dargestellten Vorhabens – ist auch die gesicherte Erschließung Teil der Vorbescheidsfragestellung. Die Erschließung wie dargestellt über ein Wegegrundstück (FlNr. 277/1 der Gemarkung Oexing), das im Eigentum der Stadt Grafing steht, ist jedenfalls nicht gesichert. Das Landratsamt hat sich damit zufrieden gegeben, dass die Erschließung deswegen gesichert sei, weil das Vorhabensgrundstück an einer öffentlichen Straße anliegt. Das ist grundsätzlich auch richtig, im konkreten Fall jedoch ausnahmsweise nicht. Denn zu entscheiden ist immer über einen konkreten Vorbescheidsantrag. Lässt es dieser jedoch nicht zu, eine in diesem Fall alternative Erschließung über die öffentliche Straße EBE 9 R. Straße durchzuführen, so genügt das bloße Belegensein an einer öffentlichen Straße nicht dem Erfordernis einer gesicherten Erschließung. Denn im vorliegenden Fall erscheint in tatsächlicher Hinsicht die konkrete Situierung des Gebäudes in der Bauvorlage mit einer naturgemäß nicht dargestellten Erschließungsmöglichkeit über die R. Straße nicht vereinbar. Das heißt nicht, dass eine Erschließung über die R. Straße nicht möglich wäre. Es spricht aber alles dafür, dass für eine Erschließung über die R. Straße das Vorhaben, das heißt der geplante Baukörper, möglicherweise gar erheblich, umgeplant werden müsste. Wie aufgrund der im Augenschein festgestellten tatsächlichen Verhältnisse eine Erschließung über die R. Straße mit dem im Vorbescheid gestellten Gebäude ohne Umplanung in Einklang gebracht werden soll, ist schon allein aufgrund des erheblichen Höhenunterschieds – das Baugrundstück liegt drei bis vier Meter höher als die R. Straße – nicht ersichtlich. Da aber immer nur über den konkreten Vorbescheidsantrag entschieden werden kann, wäre eine Verpflichtung, diesen zu erteilen, derzeit nicht möglich.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben