Baurecht

Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch eine Werbeanlage

Aktenzeichen  W 5 K 17.64

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 139039
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 14 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Werbeanlage, die rechtwinklig zur Straße und ab einem Meter ab Erdboden errichtet werden soll und nur einen Abstand von 50 cm zum Gehweg bzw. 1,50 m zur Fahrbahnkante einhalten soll, gefährdet die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, weil es nahezu ausgeschlossen ist, dass die Fahrer rückwärts ausfahrender Fahrzeuge eine ausreichende Sicht auf die Staatsstraße haben. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der mit Bauantrag vom 19. August 2016 beantragten Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage auf dem Grundstück Fl.Nr. …2 der Gemarkung Ob2., …Straße 13 in Ob2.. Der ablehnende Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 7. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; die Bauaufsichtsbehörde darf gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt.
Da das Vorhaben keinen Sonderbau i.S.v. Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, unterfällt es dem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Im Zuge dessen prüft die Bauaufsichtsbehörde unter anderem nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO.
1. Das Landratsamt Haßberge hat das streitgegenständliche Vorhaben (auch) deshalb abgelehnt, weil ihm bereits bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Ob dieser Ablehnungsrund rechtlich tragfähig ist, ist durchaus offen.
Ausgangspunkt der bauplanungsrechtlichen Beurteilung ist § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist ein – wie hier – im unbeplanten Innenbereich gelegenes Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der aufgrund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 BauGB).
Die streitgegenständliche, geplante Werbeanlage befindet sich in einem Bereich ohne qualifizierten Bebauungsplan, so dass die Zulässigkeit des Vorhabens seiner Art nach gemäß § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB zu beurteilen ist. Die geplante Anlage der Fremdwerbung ist ihrer Art nach in dem v.g. Umfeld in jedem Fall zulässig. Werbeanlagen, welche als Außenwerbung der Fremdwerbung zu dienen bestimmt sind, sind als ein Fall der gewerblichen Nutzung zu betrachten (vgl. BVerwG, U.v. 3.12.1992 – 4 C 27/91 – juris). Innerhalb eines faktischen Mischgebiets sind Gewerbebetriebe und damit auch Anlagen der Fremdwerbung allgemein zulässig, weil sie das Wohnen nicht wesentlich stören, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 1 BauNVO. Nichts anderes gilt, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein faktisches Dorfgebiet handelt. Denn auch in faktischen Dorfgebieten sind Fremdwerbeanlagen gem. § 34 Abs. 1 und 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO allgemein zulässig.
Fraglich ist allerdings, ob hier – wie das Landratsamt Haßberge annimmt – eine Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB zu befürchten ist. Das im Baugesetzbuch verankerte und damit den Kompetenztitel des Bodenrechts entstammende Beeinträchtigungsverbot des Ortsbildes erfasst nur solche Beeinträchtigungen, die in der Lage sind, bodenrechtliche Spannungen zu erzeugen. Diese ergeben sich jedoch nicht schon aus jeder ästhetisch unschönen Baugestaltung, sondern nur, wenn eine größere Umgebung der Gemeinde tangiert ist, die über den Umgriff der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausreicht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – juris). Bei dem bundesrechtlich geschützten sog. „großen Ortsbild“ kommt es insoweit auf einen zumindest größeren Bereich der jeweiligen Gemeinde an. Entscheidend ist, ob sich das Vorhaben in diese weite Umgebung einpasst. Da die negativen Auswirkungen des Vorhabens den Grad einer Beeinträchtigung erreichen müssen, muss eine Störung eines Gesamtbildes, das durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, vorliegen. Ferner ist zu beachten, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist. Vielmehr muss das Ortsbild, um schützenswert zu sein und die Baugestaltungsfreiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben, einen besonderen Charakter, eine gewisse Eigenheit, die dem Ort oder dem Ortsteil eine über dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, U.v. 11.5.2000, a.a.O.).
Gemessen an diesen Maßstäben spricht zwar einiges dafür, dass das Ortsbild von Ob2. im näheren Umgriff des Baugrundstücks eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit hat. Ob dies aber auch in der größeren Umgebung der Fall ist, könnte allerdings fraglich sein. Ob angesichts der nunmehr geplanten Anordnung der einseitigen Werbeanlage lediglich Richtung Ortsausgang und nicht mehr in Richtung Ortsmitte bodenrechtliche Spannungen auf das gesamte Ortsbild bzw. auf die Umgebung des geplanten Bauvorhabens prägende Bebauung ausgehen können, ist ebenfalls fraglich.
Letztlich muss die Frage der Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB hier auch nicht entschieden werden, denn das Landratsamt Haßberge hat das streitgegenständliche Bauvorhaben zu Recht aus einem anderen Grund abgelehnt.
2. Denn der beantragten Baugenehmigung stehen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO außerhalb des Prüfprogramms im vereinfachten Verfahren entgegen.
Gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO darf die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag auch dann ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Die Beklagte hat sich im streitgegenständlichen Bescheid auf die Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs i.S.d. Art. 14 Abs. 2 BayBO berufen, weswegen dieser Ablehnungsgrund einer gerichtlichen Prüfung zu unterziehen ist.
Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO dürfen bauliche Anlagen die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht gefährden. Eine Gefährdung dieser Sicherheit und Leichtigkeit liegt vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht wird oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Eine hypothetische Ablenkungsmöglichkeit hingegen genügt nicht (BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris). Es ist darauf abzustellen, ob die Werbeanlage bei ordnungsgemäßem Verhalten der Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenquelle für die öffentliche Sicherheit darstellt. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der durchschnittliche Fahrer mittlerweile an Plakatwerbung der vorliegenden Art an hierfür geeigneten Plätzen gewöhnt hat. In belebten Geschäftsstraßen oder Ortsdurchfahrten wird der Kraftfahrer die dort vorhandenen Werbeanlagen jeder Art in der Regel nur nebenbei und unbewusst wahrnehmen, es sei denn, eine Anlage weckt seine Aufmerksamkeit gerade durch ihre besondere Anbringungsart. Eine Werbeanlage kann dann eine Gefährdung der Verkehrssicherheit bewirken, wenn sie für den vorbeifahrenden Kraftfahrer in einer Blickrichtung angebracht ist, in der sie für die Verkehrssituation wichtige Aspekte verdecken oder überlagern würde (BayVGH, B.v. 30.7.1999 – 26 B 96.316 – FSt. 2000, Nr. 222). Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist, oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür ist nicht erforderlich. Es genügt die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahe legt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei – wie hier – um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (BayVGH, B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris; unter Berufung auf BVerwG vom 10.8.1971 – BRS 24, 179).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist hier von einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auszugehen. Die Bedenken der zuständigen Polizeiinspektion wie auch des Staatlichen Bauamtes werden vom Gericht geteilt. Im Einzelnen:
Das Staatliche Bauamt Schweinfurt kommt in seiner Stellungnahme vom 15. September 2016 zu der fachlichen Bewertung, dass die geplante Plakatanschlagtafel an der östlichen Grenze der fünf Parkplätze die Sicht bei der Ausfahrt der Parkplätze behindert und somit Gründe der Verkehrssicherheit dem Vorhaben entgegenstehen.
Die Polizeiinspektion Haßfurt kommt in ihrer Stellungnahme vom 12. Oktober 2016 ebenfalls zu einer negativen Bewertung. Sie kommt zu der Einschätzung, dass sich durch die – gegenüber der polizeilichen Stellungnahme vom 22. Oktober 2015 zu dem früheren Bauantrag vom 28. Juli 2015 – angedachte Standortänderung keine veränderte verkehrsrechtliche Beurteilung ergebe. In dieser früheren Stellungnahme hatte die Polizeibehörde ausgeführt, dass es hier um die stark frequentierte Staats Straße 2276 handele, bei der ein beidseitiges Parken zulässig sei. Dies werde durch die anliegenden öffentlichen Einrichtungen sowie den Gasthof rege genutzt. Bürgerbeschwerden bzgl. überhöhter Geschwindigkeit hätten sich bestätigt. Die Polizeiinspektion kommt zu der fachlichen Bewertung, dass ein gefahrloses rückwärtiges Ausparken durch die deutlich eingeschränkten Sichtverhältnisse Richtung Friedhof, durch die Werbetafel in 90° zur Fahrbahn, nicht mehr gegeben wäre. Diese Einschätzung sei der o.g. Parksituation (parkende Fahrzeuge gegenüber des angedachten Standortes) geschuldet, welche den Verkehr aus Fahrtrichtung Unterschleichach phasenweise zum Wechseln auf die Gegenfahrbahn zwingen würden und somit den Parkplatz tangierten. Nach allem könne die Werbeanlage aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht befürwortet werden. Hieran knüpft die Polizeiinspektion in der aktuellen Stellungnahme an und führt weiter aus, dass die Voraussetzungen in Bezug auf zulässige Höchstgeschwindigkeit und Parkbedingungen nach wie vor unverändert seien. Trotz Standortverschiebung könne der Antrag nicht befürwortet werden. Im Gegensatz zum ersten Aufstellungsort wäre nun ein gefahrloses rückwärtiges Ausparken für keinen der Parkplatzbenutzer mehr möglich. Es könne nicht nachvollzogen werden, wie eine ausreichende Sichtmöglichkeit in Richtung Friedhof unterhalb der Plakattafel erreicht werde, wenn die Tafelunterkante 1 m betragen solle.
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist hier von einer konkreten Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auszugehen. So hat insbesondere die Polizeiinspektion Haßfurt in ihrer Stellungnahme ihre Bedenken umfassend, konkret und für die Kammer nachvollziehbar dargelegt. Diese Bedenken werden durch den beim Augenscheinstermin gewonnenen Eindruck sowie durch eine Einsichtnahme in die in der Bauakte enthaltenen Bauantragsunterlagen noch bestätigt. So lässt sich dem Lageplan und dem Fotoblatt (Bl. 16 f. der Bauakte) entnehmen, dass die geplante Werbeanlage, die rechtwinklig zur Straße und ab einem Meter ab Erdboden errichtet werden soll, nur einen Abstand von 50 cm zum Gehweg bzw. 1,50 m zur Fahrbahnkante einhalten soll. Damit ist es aber nahezu ausgeschlossen, dass die Fahrer rückwärts ausfahrender Fahrzeuge eine ausreichende Sicht auf die Staats Straße haben. Maßgeblich ist mithin für die Kammer, dass jedenfalls Verkehrsteilnehmer, die ortseinwärts von der geplanten Werbetafel parken, durch diese in ihrer Sicht auf den Straßenverkehr beeinträchtigt sind. Es besteht also durch die Errichtung der Werbeanlage im unmittelbaren Sichtfeld eine zusätzliche Gefährdung sowohl für den Verkehrsteilnehmer, der in die Staats Straße einfahren will, als auch für den auf der Staats Straße fahrenden Verkehrsteilnehmer, insbesondere den ortsauswärts fahrenden Verkehrsteilnehmer, aber auch der ortseinwärts fahrenden Verkehrsteilnehmer, wenn diese wegen auf ihrer Straßenseite parkenden Fahrzeuge die Straßenseite wechseln müssen.
3. Nach alldem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit nicht am Kostenrisiko beteiligt hat, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben