Baurecht

Gemeinsame Abrechnung von Straßen im Erschließungsbeitragsrecht

Aktenzeichen  6 B 20.1619

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 36172
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 125 Abs. 1, § 130 Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1. Grundsätzlich sind alle abzweigenden Straßen als unselbstständig zu qualifizieren, die nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, d.h. (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn die Straße bis zu 100 m lang und nicht abgeknickt ist oder sich verzweigt (vgl. BVerwGBeckRS 9998, 171243). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bildung einer Erschließungseinheit beinhaltet ein Verbot der Mehrbelastung zum Nachteil der Anlieger der Hauptstraße. Eine gemeinsame Abrechnung als Erschließungseinheit scheidet aus, wenn sie für die Anlieger der Hauptstraße im Vergleich zu einer Einzelabrechnung zu einer höheren Belastung führen würde (vgl. BVerwG, BeckRS 2013, 49787 Rn. 13). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 K 18.00258 2019-09-12 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. September 2019 – AN 3 K 18.258 – geändert. Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2018 wird insoweit aufgehoben, als ein Erschließungsbeitrag von mehr als 64.381,39 € festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen haben der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 89.089,89 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der „Straßenerschließung GE F.-weg“.
Der Fischhausweg verläuft – im fraglichen Bereich des gleichnamigen Gewerbegebiets – von der S1.straße 2246 mit einer Länge von ca. 109 m nach Süden (Hauptzug). In der Verlängerung setzt sich ein öffentlicher Feld- und W.weg fort. Nach etwa 85 m führt vom Hauptzug eine S2.straße nach Osten, die nach ca. 140 m mit einer Wendeplatte endet. Das 16.259 m² große, gewerblich genutzte Grundstück des Klägers (FlNr. 465) grenzt westlich an den Hauptzug des Fischhauswegs an. Der F.weg und die umgebenden Flächen, darunter das klägerische Grundstück, liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 14 „Gewerbegebiet F.weg“ (vom 15.6.2010 in der Fassung der 1. Änderung vom 11.4.2012).
Im Jahr 2015 baute die beklagte Stadt den F.weg im Hauptzug auf der Trasse des vorher dort vorhandenen öffentlichen Feld- und Waldwegs endgültig aus und legte die S2.straße neu an. Es wurden ein tragfähiger Unterbau nebst Deckschicht sowie eine Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung errichtet. Die letzte Unternehmerrechnung ging am 22. Dezember 2015 bei der Beklagten ein. Hauptzug und S2.straße wurden am 25. April 2016 als O.straße gewidmet.
Mit Bescheid vom 15. Januar 2018 zog die Beklagte auf der Grundlage ihrer Erschließungsbeitragssatzung (EBS) vom 18. Mai 1998 den Kläger für die erstmalige endgültige Herstellung des Fischhauswegs zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 89.089,89 € heran. Dabei rechnete sie Hauptzug und S2.straße als „Straßenerschließung GE F.weg“ gemeinsam ab, ohne dass sich den Akten eine Entscheidung über die Bildung einer Erschließungseinheit entnehmen lässt.
Gegen den Erschließungsbeitragsbescheid hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und zur Begründung insbesondere darauf verwiesen, dass die Werkshalle auf seinem Grundstück bereits 1972 errichtet worden und durch den damals vorhandenen geteerten Feldweg voll erschlossen gewesen sei. In jedem Fall sei bei der Beitragsveranlagung eine geringere Grundstücksfläche zu berücksichtigen, weil die bauliche Nutzungsmöglichkeit mit lediglich 2.300 m² bebauter Hallenfläche von untergeordneter Art sei.
Mit Urteil vom 12. September 2019 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der zunächst im Außenbereich verlaufende Feldweg habe – unabhängig von den nicht erfüllten Herstellungsmerkmalen nach § 8 EBS – vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 14 „Gewerbegebiet F.weg“ keine Erschließungsfunktion gehabt und sei keine zum Anbau bestimmte Straße i.S. des Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG oder § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB gewesen. Die Beklagte habe zu Recht die gesamte Buchgrundstücksfläche des klägerischen Grundstücks mit dem Nutzungsfaktor 1,0 herangezogen. Öffentlichrechtliche Baubeschränkungen verminderten den Umfang der erschlossenen Fläche grundsätzlich nicht. Das gelte für bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gem. § 23 BauNVO ebenso wie im Fall des Klägers für die kartierte Biotopfläche, die zu erhaltenden Gehölzbestände und die Anbauverbotszone zur S1.straße auf dessen Grundstück.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 13. Juli 2020 die Berufung wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten zugelassen, um insbesondere die Frage zu klären, ob die abgerechnete Straße eine einzige L-förmige Erschließungsanlage darstelle oder aus zwei verschiedenen Anlagen bestehe.
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt: Es handele sich bei den abgerechneten Straßenbaumaßnahmen nicht um die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage. Von dem 2015 verlängerten Hauptast des Fischhauswegs habe er keinen Erschließungsvorteil. Vielmehr sei sein Grundstück durch den damals bis zum Trafohaus reichenden Hauptzug des Fischhauswegs bereits vollständig erschlossen gewesen. Eine Straßenbeleuchtung sei damals nicht erforderlich gewesen. Der Bebauungsplan sei abwägungsfehlerhaft und damit unwirksam, weil der Kläger sein Grundstück – im Unterschied zu den anderen Grundstücken im Gewerbegebiet – jenseits der beiden festgesetzten zu erhaltenden Gehölzbestände nicht gewerblich nutzen könne. Durch die abriegelnde Wirkung der beiden Grünflächen und die dadurch entstehenden Missformen sowie den steilen Geländeanstieg sei das klägerische Grundstück faktisch nur im Umgriff um die bestehende Halle bebaubar. Die Erschließung sei abweichend von den Festsetzungen des Bebauungsplans erfolgt. Statt des vorgesehenen Straßenbegleitgrüns in Gestalt von anzupflanzenden Bäumen habe die Beklagte entlang des klägerischen Grundstücks in südlicher Richtung einen Gehsteig geschaffen. Der Kläger werde hierdurch mehr belastet als bei einer plangemäßen Herstellung. Die ca. 140 m lange östlich abzweigende S2.straße sei eine selbstständige Erschließungsanlage, mit deren Kosten der Kläger nicht belastet werden dürfe.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. September 2019 den Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beruft sich insbesondere darauf, dass die Erschließungsanlage F.weg eine Erschließungseinheit im Sinne von § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB bilde.
Der Senat hat nach Einholung einer Fotodokumentation des Straßenverlaufs und einer Vergleichsberechnung die Beteiligten gemäß § 130a VwGO darauf hingewiesen, dass eine teilweise Stattgabe durch Beschluss in Betracht kommt, weil er aus im Einzelnen erläuterten Gründen die Berufung einstimmig für teilweise begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a VwGO durch Beschluss, weil er sie einstimmig für teilweise begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid vom 15. Januar 2018 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als darin ein Erschließungsbeitrag von mehr als 64.381,39 € festgesetzt wird. Insoweit ist das erstinstanzliche Urteil abzuändern und der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid aufzuheben. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und die Klage daher abzuweisen sowie die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist zwar gemäß Art. 5a KAG i.V.m. §§ 128 ff. BauGB und der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten vom 18. Mai 1998 dem Grunde nach erschließungsbeitragspflichtig, nicht aber in der von der Beklagten festgesetzten Höhe. Denn Hauptzug und S2.straße des Fischhauswegs, die beide durch die abgerechnete Baumaßnahme als A.straße (Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG) erstmalig endgültig hergestellt worden sind, bilden entgegen der Sichtweise der Beklagten weder eine einheitliche Erschließungsanlage noch eine Erschließungseinheit. Sie zerfallen vielmehr in zwei jeweils selbstständige und deshalb getrennt abzurechnende Anlagen. Der Kläger darf deshalb nur an den Kosten des sein Grundstück erschließenden Hauptzugs beteiligt werden. Das verringert die Beitragsforderung von 89.089,89 € auf 64.381,39 €.
1. Die vom Hauptzug des Fischhauswegs nach Osten abzweigende etwa 140 m lange S2.straße bildet eine selbständige Erschließungsanlage (a). Sie hätte mit dem Hauptzug nur dann gemeinsam abgerechnet werden dürfen, wenn die Beklagte vor Entstehen der sachlichen Beitragspflichten wirksam eine Erschließungseinheit gem. § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB gebildet hätte, was nicht geschehen ist (b).
a) Ob eine S2. straße (Sackgasse) schon eine selbstständige A.straße bildet oder noch ein lediglich unselbstständiges Anhängsel und damit einen Bestandteil der (H1.)Straße, von der sie abzweigt, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Anlage vermitteln. Dabei kommt neben der Ausdehnung der S2. straße und der Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke vor allem dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der H2. straße Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund sind grundsätzlich alle abzweigenden Straßen als unselbstständig zu qualifizieren, die nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, d.h. (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn die S2. straße bis zu 100 m lang und nicht abgeknickt ist oder sich verzweigt (vgl. BVerwG‚ U.v. 16.9.1998 – 8 C 8.97 – DVBl 1999‚ 395; U.v. 23.6.1995 – 8 C 30.93 – BVerwGE 99, 23/25 f.; BayVGH, B.v. 17.9.2020 – 6 ZB 20.1501 – juris Rn. 7; U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn 22; U.v. 30.11.2016 – 6 B 15.1835 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 20.4.2012 – 6 ZB 09.1855 – juris Rn. 8).
Nach dieser Regel ist die vom Hauptzug nach Osten abzweigende S2.straße mit Wendeplatte schon wegen ihrer Länge von ca. 140 m eindeutig eine selbstständige Erschließungsanlage, die einer gesonderten Abrechnung unterliegt. Das ergibt sich ohne weiteres aus den Lageplänen und den im Berufungsverfahren vorgelegten Fotos und bedarf keiner weiteren Aufklärung. Aus den Unterlagen ist ebenso eindeutig zu erkennen, dass es sich nicht etwa um einen durchgehenden, L-förmig um eine 90°-Kurve verlaufenden Straßenzug handelt. Denn aus sämtlichen Blickwinkeln ist der abknickende Straßenbereich nicht als Kurve eines durchgehenden Straßenzugs angelegt, sondern als Abzweigung einer neuen (eigenständigen) Straße.
b) Als demnach selbstständige A.straße kann die S2.straße ohne Bildung einer Erschließungseinheit nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB nicht mit dem Hauptzug des Fischhauswegs zusammen abgerechnet werden. Eine solche Erschließungseinheit hat die Beklagte jedoch nicht gebildet und hätte sie auch nicht bilden dürfen.
Nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann der Erschließungsaufwand – abweichend von der gesetzlichen Regel (Einzelabrechnung) – für mehrere Anlagen, die für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden, insgesamt ermittelt werden. Die Entscheidung der Gemeinde für eine solche zusammengefasste Abrechnung mehrerer Erschließungsanlagen erfolgt im Einzelfall durch einen innerdienstlichen Ermessensakt des zuständigen Gremiums. Die Zusammenfassungsentscheidung muss hinreichend bestimmt sein, d. h. die Gemeinde muss ihren Willen deutlich und verbindlich bekunden, bevor die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten entstehen. Sie muss in den Akten, sei es in Vermerken, Niederschriften oder Abrechnungsunterlagen, zum Ausdruck kommen; ihr Vorliegen muss nachweisbar sein (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 10 Rn. 33 ff. m.w.N.). Greifbare Anhaltspunkte für einen derartigen innerdienstlichen Ermessensakt durch das dafür zuständige Gremium ergeben sich weder aus dem Akteninhalt noch wurden sie von der Beklagten in substantiierter Weise vorgetragen. Die bloße gemeinsame Abrechnung der „Straßenerschließung GE F.weg“ im angefochtenen Beitragsbescheid genügt nicht.
Selbst wenn die Beklagte rechtzeitig eine Zusammenfassungsentscheidung getroffen haben sollte, wäre diese unwirksam, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.
Mehrere Anlagen bilden nur dann im Sinn des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB „für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit“, wenn sie in einem besonderen funktionalen Zusammenhang stehen. Eine derartige Erschließungseinheit kann nach ständiger Rechtsprechung aus einer H2.straße und einer von ihr abzweigenden selbstständigen N.straße – Stich- oder R.straße – bestehen (vgl. BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 20; U.v. 10.6.2009 – 9 C 2.08 – BVerwGE 134, 139 Rn. 24 ff.; U.v. 25.2.1994 – 8 C 14.92 – BVerwGE 95, 176/180 ff.). Den tragenden Grund für die Erschließungseinheit bildet insoweit das gemeinsame Angewiesensein aller Anlieger auf die Benutzung der H2.straße. Es bewirkt, dass die durch die H2.straße erschlossenen Grundstücke keinen höheren Sondervorteil genießen als die durch die N.straße erschlossenen Grundstücke. Diese durch die H2.straße vermittelte Vorteilsgemeinschaft rechtfertigt eine gemeinsame Ermittlung und Verteilung des Erschließungsaufwands mit dem Ziel, die Beitragsbelastung zugunsten der Anlieger der regelmäßig aufwändigeren H2.straße zu nivellieren. Dagegen darf die gemeinsame Abrechnung nicht zu einer Mehrbelastung der Anlieger der H2.straße führen. Diese ist nicht vorteilsgerecht, weil die N.straße ihrerseits den von der H2.straße erschlossenen Grundstücken keinen über den Gemeinvorteil hinausgehenden Sondervorteil bieten kann (BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 20). Die Bildung einer Erschließungseinheit beinhaltet somit ein Verbot der Mehrbelastung zum Nachteil der Anlieger der H2.straße. Eine gemeinsame Abrechnung als Erschließungseinheit scheidet aus, wenn sie für die Anlieger der H2.straße im Vergleich zu einer Einzelabrechnung zu einer höheren Belastung führen würde (BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 20; U.v. 30.1.2014 – 9 C 1.12 – BVerwGE 146, 1 Rn. 13; U.v. 10.6.2009 – 9 C 2.08 – BVerwGE 134, 139 Rn. 26; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 10 Rn. 25).
Das wäre hier der Fall. Wie sich aus der von der Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten „Vergleichsberechnung“ für den F.weg ergibt, führt die gemeinsame Abrechnung von Hauptzug und selbstständiger S2.straße für den Kläger als Anlieger der „H.straße“ im Vergleich zu einer Einzelabrechnung zu einer höheren Belastung, was rechtlich unzulässig ist. Nach der Vergleichsberechnung reduziert sich bei einer gesonderten Abrechnung des Hauptzugs die Kostenlast für das klägerische Grundstück auf 64.381,39 €. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte in ihrer Vergleichsberechnung zu Unrecht für das mit einem Lebensmittel-Discounter bebaute Grundstück FlNr. 892/1 eine Eckgrundstücksermäßigung vorgesehen hat. Denn nach § 8 Abs. 11 Nr. 2 EBS scheidet eine derartige Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung für Grundstücke in Gewerbegebieten und für Grundstücke, die überwiegend gewerblich genutzt werden, aus. Das Grundstück des Discounters vergrößert sich hierdurch auf 6.645 m² (4.430 m² +1/3 = 6.645 m²) und das Abrechnungsgebiet des Hauptzugs des Fischhauswegs auf insgesamt 22.932 m². Hieraus ergibt sich ein Beitragssatz von 3,9597387 €/ m². Auf das 16.259 m² große klägerische Grundstück entfällt somit „nur“ ein Erschließungsbeitrag von 64.381,39 € statt der festgesetzten 89.089,89 € bei gemeinsamer Abrechnung.
2. In diesem Umfang (64.381,39 €) ist der Kläger mit seinem 16.259 m² großen und gewerblich nutzbarem Grundstück für die erstmalige endgültige Herstellung des Hauptzugs des Fischhauswegs hingegen erschließungsbeitragspflichtig. Seine Einwände gegen die Beitragspflicht bleiben insoweit ohne Erfolg.
a) Unbegründet ist die Rüge des Klägers, es handele sich nicht um die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage, weil sein Grundstück bereits durch den früher angelegten F.weg, welcher bis zu dem Trafohaus gereicht habe, vollständig erschlossen gewesen sei.
Erschließungsbeiträge werden auf der Grundlage von Art. 5a KAG (i.V.m. §§ 128 ff. BauGB) nicht etwa für die erstmalige Erschließung eines Grundstücks erhoben, sondern allein für die erstmalige und endgültige Herstellung einer Erschließungsanlage (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2020 – 6 ZB 19.2115 – juris Rn. 7). Der „alte“ F.weg mag in seiner früheren Ausgestaltung dem bereits seit geraumer Zeit gewerblich genutzten Grundstück des Klägers eine ausreichende Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz vermittelt haben. Er war jedoch, anders als der Kläger unterstellt, keine beitragsrelevante Erschließungsanlage, weil die gesetzlichen Anforderungen an eine „öffentliche zum Anbau bestimmte Straße“ im Sinn von Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG (früher § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) nicht vorlagen. Die Funktion als A.straße im Sinn des Erschließungsbeitragsrechts hat der – ursprünglich im Außenbereich gelegene – F.weg erst durch Inkraftsetzen des Bebauungsplans Nr. 14 „Gewerbegebiet F.weg“ am 1. September 2010 erhalten, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat.
Bei dem „alten“ F.weg handelte es sich straßenrechtlich um einen gewidmeten öffentlichen Feldweg. Öffentliche Feldwege sind nach Art. 53 Nr. 1 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz Straßen, die der Bewirtschaftung von Feldgrundstücken dienen. Ein öffentlicher Feldweg stellt keine zum Anbau bestimmte Straße im Sinn des Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG oder § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB dar. Eine Widmung als öffentlicher Feld- oder W.weg eröffnet keine allgemeine Anfahrmöglichkeit mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen für ein Grundstück, sondern nur mit Fahrzeugen für land- oder forstwirtschaftliche Zwecke. Eine Lage an einem öffentlichen Feldweg kann damit nicht als Zufahrts- bzw. Zugangsmöglichkeit in rechtlich gesicherter Weise und auf Dauer angesehen werden (BayVGH, B.v. 15.9.2009 – 6 CS 09.1493 – juris Rn. 12; B.v. 27.3.2006 – 6 ZB 03.3369 – juris Rn. 14). Abgesehen davon waren bei dem früher vorhandenen geteerten Feldweg die Herstellungsmerkmale im Sinn des § 8 EBS wie etwa eine Straßenentwässerung und Beleuchtung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS) nicht erfüllt.
Die endgültige technische Herstellung als A.straße erfolgte erst durch die abgerechnete Baumaßnahme im Jahr 2015. Aufgrund seiner Widmung als O.straße erfüllt der F.weg schließlich seit 2016 auch das Merkmal „öffentlich“.
Da das Grundstück des Klägers in angemessener Breite an dieser A.straße anliegt, ist es im Sinne der §§ 131 Abs. 1, 133 BauGB erschlossen und damit beitragspflichtig. Dass neben der alten Zufahrtsmöglichkeit im Norden keine zusätzliche Zufahrt auf das klägerische Grundstück im weiteren Straßenverlauf vorgesehen ist, kann einen beitragsrelevanten Vorteil nicht ausschließen.
b) Ebenfalls ohne Erfolg bleibt der Einwand, es liege kein wirksamer Bebauungsplan vor, weil der Kläger sein Grundstück im Unterschied zu den weiteren Gewerbeflächen östlich des Fischhauswegs nur zu einem ganz geringen Teil baulich nutzen könne, was zumindest zu einer Reduzierung der beitragsrelvanten Grundstücksfläche und damit zu einem niedrigeren Erschließungsbeitrag führen müsse.
Offensichtliche Abwägungsmängel, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinn führen würden (vgl. § 125 Abs. 1 BauGB), sind nicht erkennbar. Das gilt insbesondere für die Abwägung betreffend die Erschließungsanlage F.weg selbst. Aber auch im Übrigen sind erhebliche Mängel im Abwägungsvorgang, die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (vgl. § 214 Abs. 3 BauGB), nicht dargelegt.
Die bauplanerischen Festsetzungen für das klägerische Grundstück führen auch nicht zu einer Ermäßigung des Erschließungsbeitrags.
Die Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands auf die erschlossenen Grundstücke erfolgt gemäß § 6 Abs. 2 und 3 EBS nach dem sog. kombinierten Grundstücksflächen- und Vollgeschossmaßstab (zur Zulässigkeit dieses – üblichen – Maßstabs etwa BVerwG, U.v. 26.1.1979 – IV C 61.75 u.a. – BVerwGE 57, 240; B.v. 13.9.1996 – 8 B 186.96 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 11.11.2016 – 6 ZB 15.787 – juris Rn. 8; B.v. B.v. 17.8.2010 – 6 ZB 09.558 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Buchgrundstück im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 Abs. 1 BauGB) in der Regel – vorbehaltlich besonderer Festsetzungen – mit seiner gesamten vom Bebauungsplan erfassten Fläche als erschlossen anzusehen. Öffentlichrechtliche Baubeschränkungen vermindern den Umfang der erschlossenen Fläche grundsätzlich nicht (BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 7.13 – juris Rn. 20; B.v. 29.11.1994 – 8 B 171.94 – NVwZ 1995, 1215; BayVGH, B.v. 11.11.2016 – 6 ZB 15.787 juris Rn. 6; B.v. 3.3.2015 – 6 ZB 13.2092 – juris Rn. 4 m.w.N.). Das gilt insbesondere für Nutzungsverbote im Interesse des Umweltschutzes, Anbauverbote im Interesse der Belange des Verkehrs, bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO (Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen), Abstandsgebote aller Art oder Bestimmungen, die die Zerstörung erhaltenswerter Bauten untersagen. Der Umfang der erschlossenen Fläche ist selbst dann nicht zu reduzieren, wenn eine solche Baubeschränkung die Ausschöpfung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks verhindert. Denn sie soll lediglich auf den Standort der baulichen Anlagen Einfluss nehmen, ändert aber nichts an der baulichen Ausnutzbarkeit und damit am Erschlossensein des Grundstücks (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 27 m.w.N.).
Solche Ausnutzungsbehinderungen wirken sich bei der Aufwandsverteilung nur dann aus, wenn das durch die Baubeschränkungen betroffene Nutzungsmaß neben der Grundstücksfläche eine weitere Komponente der satzungsmäßigen Verteilungsregelung ist (BVerwG, B.v. 29.11.1994 – 8 B 171.94 – NVwZ 1995, 1215; U.v. 12.11.2004 – 9 C 7.13 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 3.3.2015 – 6 ZB 13.2092 – juris Rn. 4). Ordnet der Verteilungsmaßstab hingegen, wie hier, eine Aufwandsverteilung nach den Grundstücksflächen an, ist das Maß der baulichen Nutzung und in der Folge auch eine Behinderung der Ausschöpfung dieses Nutzungsmaßes ohne Einfluss auf die Aufwandsverteilung. Entsprechendes gilt, wenn die anzuwendende Verteilungsregelung zwar auf ein Nutzungsmaß (Anzahl der Vollgeschosse) abhebt, nicht jedoch die Ausschöpfung dieses, sondern ausschließlich die eines anderen Nutzungsmaßes (Größe der Grundfläche) durch eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung behindert wird (BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 12.94 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 11.11.2016 – 6 ZB 15.787 juris Rn. 6).
Demnach hat die Beschränkung der überbaubaren Grundstücksfläche des klägerischen Grundstücks durch die Festsetzung der beiden zu erhaltenden Gehölzbestände, von denen einer teilweise eine kartierte Biotopfläche umfasst, erschließungsbeitragsrechtlich keine Auswirkung. Insoweit sind die Ausführungen der Klägerseite zur Erforderlichkeit der Festsetzung der zu erhaltenden Gehölzbestände im Verhältnis zum gesetzlichen Biotopschutz der kartierten Biotopfläche und zur Zulässigkeit von naturschutzrechtlichen Ausnahmen nicht entscheidungserheblich. Das ändert nichts daran, dass die gesamte Fläche des Buchgrundstücks an der Aufwandsverteilung, je nach Nutzungsart und Nutzungsmaß gegebenenfalls vervielfacht mit einem Nutzungsfaktor teilnimmt. Eine Ausnahme würde nur dann gelten, wenn durch entsprechende Festsetzungen des Bebauungsplans dem Grundstückseigentümer keinerlei erschließungsbeitragsrechtlicher Sondervorteil mehr zukäme, wie es etwa bei der Festsetzung einer der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden öffentlichen Grünfläche oder öffentlichen Verkehrsfläche der Fall wäre (BayVGH, B.v.11.11.2016 – 6 ZB 15.787 juris Rn. 9; B.v. 14.8.2015 – 6 CS 15.1399 – juris Rn. 13; B.v. 15.1.2009 – 6 CS 08.1760 – juris Rn. 12;). Dies ist hier offenkundig nicht der Fall, weil das Gewerbegrundstück des Klägers jedenfalls im Umgriff der bestehenden Halle gewerblich genutzt werden kann und wird. Der Einnahme eines Augenscheins bedarf es auch insoweit nicht.
c) Nicht durchdringen kann der Kläger schließlich mit seiner Rüge, dass die Erschließung abweichend von den Festsetzungen des Bebauungsplans erfolgt sei.
Für eine nach Maßgabe des § 125 Abs. 3 BauGB beitragsrelevante Abweichung ist nichts ersichtlich. Im Bebauungsplan der Beklagten Nr. 14 „Gewerbegebiet F.weg“ in der maßgeblichen Fassung der 1. Änderung vom 11. April 2012 ist der Hauptzug des Fischhauswegs einheitlich in gelber Farbe als (6,50 m breite) „Straßenverkehrsfläche“ festgesetzt. Eine gesonderte Gehwegfläche wurde nicht ausgewiesen. Auch die Festsetzung eines „Straßenbegleitgrüns in Gestalt von anzupflanzenden Bäumen“, wie vom Kläger vorgetragen, ist nicht erkennbar. Der Bebauungsplan sieht südlich der bestehenden Zufahrt zum klägerischen Grundstück lediglich eine schmale „Grünfläche“ mit vier „zu erhaltenden Bäumen“ vor. Eine Mehrbelastung des Klägers hierdurch ist nicht erkennbar. Weiter in südlicher Richtung ist im Anschluss an den Hauptzug des Fischhauswegs in hellbrauner Färbung ein (3 m breiter) „Fuß- und Rad- oder Wirtschaftsweg“ und damit eine andere Verkehrsanlage als die hier abgerechnete A.straße festgesetzt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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