Baurecht

Grundstücksrechtlicher Grundstücksbegriff im öffentlichen Baurecht

Aktenzeichen  Au 5 K 20.1702

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22889
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 19 Abs. 2, § 30 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Das Baugrundstück im bauplanungsrechtlichen Sinne ist grundsätzlich mit dem bürgerlich-rechtlichen (grundbuchrechtlichen) Grundstück gleichzusetzen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Annahme einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise reicht es nicht aus, dass der aktuelle Grundstückseigentümer zweier Grundstücke identisch ist, wenn eine tatsächlich getrennte wirtschaftliche Nutzung der beiden Grundstücke unproblematisch möglich und im Übrigen auch beabsichtigt ist. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Baugenehmigung des Beklagten mit Bescheid vom 13. August 2020 (2-894-2020-BA-110) für das Vorhaben “Neubau eines Einfamilienhauses” auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
1. Die als Anfechtungsklage statthaft erhobene Klage ist zulässig, insbesondere angesichts des Eingangs des streitgegenständlichen Bescheids beim Kläger am 19. August 2020 (Eingangsstempel) am Montag, den 21. September 2020 auch fristgerecht erhoben worden. Der Kläger ist zudem nach § 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes – GG -, Art. 83 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung – BV – klagebefugt, da er sich zutreffender Weise darauf berufen kann, die gemeindliche Planungshoheit werde möglicherweise dadurch verletzt, dass in der streitgegenständlichen Baugenehmigung die Vorgaben des Bebauungsplans des Marktes …nicht eingehalten würden (vgl. VG Neustadt (W.straße), B.v. 7.11.2016 – 4 L 853/16.NW – juris Rn. 37; VG Ansbach, U.v. 17.9.2013 – An 3 K 13.00890 – juris Rn. 53).
2. Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt, insbesondere verstößt das mit der Baugenehmigung zugelassene Vorhaben nicht gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans “…” des Klägers. Die Frage der bauplanungsrechtlichen Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung (§ 30 Abs. 1 BauGB) zu Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … ist dabei ausgehend vom grundbuchrechtlichen Grundstücksbegriff zu beurteilen. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zum Grundstücksbegriff ist vorliegend nicht angezeigt.
a) Das Baugesetzbuch – BauGB – definiert oder bestimmt den Begriff des Grundstücks nicht. Eine Begriffsbestimmung ergibt sich jedoch aus grundbuchrechtlichen und städtebaurechtlichen Zusammenhängen. Nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte ist Grundstück im Sinne des Grundbuchrechts ein räumlich abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblattes unter einer Nummer eingetragen ist. Dieser grundbuchrechtliche Begriff ist vom Bundesverwaltungsgericht für die Begriffsbestimmung eines Grundstücks nach dem Baugesetzbuch für die Zwecke der Teilungsgenehmigung übernommen worden (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 139. EL August 2020, § 19 Rn. 26 m.w.N.). Der vom Baugesetzbuch verwendete Begriff “Grundstück” deckt sich somit grundsätzlich mit dem Begriff des Grundstücks im grundbuchrechtlichen Sinn (Rieger in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 19 Rn. 2). Das Baugrundstück im bauplanungsrechtlichen Sinne ist damit grundsätzlich mit dem bürgerlich-rechtlichen (grundbuchrechtlichen) Grundstück gleichzusetzen. Ausnahmen hiervon sind nur dort vertretbar, dann allerdings auch geboten, wo bei Verwendung des grundbuchrechtlichen Begriffs die Gefahr entstände, dass der Sinn einer bestimmten bau- und bodenrechtlichen Regelung handgreiflich verfehlt würde (VG München, U.v. 14.7.2008 – M 8 K 07.5350 – juris Rn. 30).
Der Grundstücksbegriff ist auch relevant in Bezug auf die Vorschrift des § 19 BauGB, der für das Baugesetzbuch die Frage der Teilung von Grundstücken regelt. Insoweit hatte der Regierungsentwurf des EAG Bau (BR-Drs. 756/03, 145 f.) in einem Art. 19 Abs. 3 neu BauGB zwar zunächst noch eine baurechtliche Bestandsfiktion (im Sinne einer Betrachtung des Gesamtgrundstücks) vorgesehen. Danach sollten für die Zulässigkeit von Vorhaben auf dem abgeteilten “Tochtergrundstück” bzw. “Trenngrundstück” die Grundstücksverhältnisse vor der Grundstücksteilung maßgebend sein. Die Entwurfsbegründung ging weitgehend davon aus, dass für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens generell von dem Grundstück vor der Teilung auszugehen wäre. Danach wären auch für die baurechtlichen Zustände auf dem “Muttergrundstück” bzw. “Stammgrundstück” ebenfalls die Verhältnisse vor der Teilung maßgeblich gewesen. Diese Regelung hätte auch für die zivilrechtliche Lage, insbesondere bei einem Teilflächenverkauf, Bedeutung gehabt. Diese Fehlerfolgenlösung ist jedoch gerade nicht Gesetz geworden. Es gibt deshalb auch keine Grundlage, entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, von einem anderen baurechtlichen Grundstücksbegriff als dem des Buchgrundstücks auszugehen (Grziwotz in BeckOK BauGB, Spannowsky/Uechtritz, 52. Edition Stand 1.2.2021, § 19 Rn. 14 ff.).
b) Die ausnahmsweise Anwendung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zum Grundstücksbegriff mit der Folge, dass die erfolgte Grundstücksteilung von Fl.Nr. … (alt) in das “Stammgrundstück” Fl.Nr. … (neu) und das “Trenngrundstück” Fl.Nr. … unberücksichtigt bliebe, ist vorliegend nicht geboten und scheidet nach Auffassung der Kammer aus. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom grundbuchrechtlichen Grundstücksbegriff aufgrund handgreiflicher Verfehlung planungsrechtlicher Regelungen oder missbräuchlichen Berufens auf die rechtliche Eigenständigkeit eines (Buch-) Grundstücks liegen nach Auffassung der Kammer hier nicht vor.
aa) Die Trennung der beiden Grundstücke ist grundbuchrechtlich vollzogen und rechtlich eindeutig. Sie ist durch Darstellung in den Bauvorlagen, versehen mit entsprechendem Genehmigungsvermerk des Beklagten, abgebildet und damit Grundlage bzw. Gegenstand der Baugenehmigung mit Bescheid vom 13. August 2020 (Geschäftszeichen 2-849-2020-BA-110) geworden. Dass, wie von Klägerseite bemängelt, die Realteilung im Bereich der Nebenanlage “Garage” bislang (noch) nicht baulich vollzogen wurde, steht dem nicht entgegen. In den Plänen “Grundrisse, Ansichten, Schnitte” sowie “G. KG, Schnitt”, jeweils vom 28.01.2020 ist zwar die ursprüngliche Dreifachgarage als Bestand benannt, die neu zu errichtende Trennmauer aber sowohl im Erdgeschoss wie auch im Kellergeschoß deutlich erkennbar und insbesondere auch vermaßt. Dass bei der Augenscheinnahme im nichtöffentlichen Termin tatsächlich noch keine Trennwände – wie in den Planunterlagen eingezeichnet – im Erdgeschoss bzw. Untergeschoss (Keller) der Garage errichtet waren, steht dem nicht entgegen, da die tatsächliche Abteilung in der Praxis gerade erst Gegenstand der Legitimation durch die Baugenehmigung vom 13. August 2020 war. Zudem stand die Vollziehbarkeit der Baugenehmigung für den Bauherrn zunächst unter der Erfüllung der Bedingung in Ziffer 2. Die getrennte Nutzung ist bereits abgemarkt, wie für die Beteiligten im Augenscheintermin erkennbar war.
bb) Eine getrennte Nutzung beider Grundstücke ist dabei auch tatsächlich möglich. Insbesondere ist eine getrennte Nutzung des Kellers durch einen separaten Zugang mittels Bodenluke der Einfachgarage auf Fl.Nr. … möglich, ohne den bisherigen (gemeinsamen) Zugang in den Kellerbereich über die Außentreppe auf Fl.Nr. … nutzen zu müssen. Auch Zufahrt und Einfahrt in die Einfachgarage sind räumlich gewährleistet.
cc) Für die Annahme einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise reicht nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht aus, dass der aktuelle Grundstückseigentümer von Fl.Nr. … und … (neu) identisch sind. Denn eine tatsächlich getrennte wirtschaftliche Nutzung der beiden Grundstücke ist – wie dargelegt – unproblematisch möglich und im Übrigen auch beabsichtigt, eine künftig einheitliche Nutzung ist gerade nicht vorgesehen (so aber: VG Köln, U.v. 25.05.2012 – 2 K 3636/11 – juris Rn. 22). Auch geht es gerade nicht um eine Konstellation der nachträglichen Legalisierung bereits errichteter Gebäude, in der das Berufen auf eine Grundstücksteilung missbräuchlich sein kann (vgl. VG Gießen, U.v. 7.1.2008 – 1 E 2374/07 – juris).
dd) Der fraglos gegebene zeitliche Zusammenhang der Grundstückstrennung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bauvorhaben allein reicht nach Auffassung der Kammer vorliegend für die Annahme einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht aus.
ee) Gegen die vom Kläger angeführte Abkehr vom grundbuchrechtlichen Grundstücksbegriff hin zu einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise spricht nach Auffassung der Kammer weiterhin, dass vorliegend gerade keine baurechtswidrigen Umstände im Hinblick auf § 19 Abs. 2 BauGB auf dem maßgeblichen “Trenngrundstück” Fl.Nr. … entstanden sind.
– Nach § 19 Abs. 2 BauGB dürfen durch die Teilung eines Grundstücks im Geltungsbereich eines Bebauungsplans keine Verhältnisse entstehen, die den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen. Bei einer Verletzung des § 19 Abs. 2 BauGB könnte der Beklagte als Bauaufsichtsbehörde gegen diese, durch eine Grundstücksteilung entstehenden, baurechtswidrigen Umstände einschreiten. Dies ist allerdings nur repressiv, nicht präventiv möglich. Eine präventive Kontrolle findet nicht (mehr) statt. Eine bauplanungsrechtswidrige Teilung beim “Stammgrundstück” kann also dazu führen, dass eine vorhandene Bebauung rechtswidrig wird. Nach Landesbauordnungsrecht kann dann gegen den Eigentümer vorgegangen werden. Dieser kann verpflichtet werden, (wieder) rechtmäßige Zustände auf seinem Grundstück zu schaffen. Nicht möglich ist es dagegen, das baurechtswidrige Gebäude auf dem “Stammgrundstück” zu dulden und zu Lasten des “Trenngrundstücks” dessen bauliche Nutzbarkeit einzuschränken. Insoweit stehen der Bauaufsichtsbehörde nebeneinander die Maßnahmen bauaufsichtlichen Einschreitens nach Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO i.V.m. Art. 76 ff. BayBO wie auch gleichermaßen das Verlangen nach Rückgängigmachung der Teilung nach § 19 Abs. 2 BauGB hinsichtlich des Stammgrundstücks zur Verfügung. Die Entscheidung hierüber hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.
– Auf dem hier streitgegenständlichen “Trenngrundstück” Fl.Nr. … entstehen aber durch die streitgegenständliche Baugenehmigung gerade keine baurechtswidrigen Zustände. Hierzu besteht zwischen den Beteiligten auch Einigkeit. Vielmehr werden die Vorgaben des Bebauungsplans “…” des Klägers als Maßstab der materiellen Rechtslage des § 30 Abs. 1 BauGB (i.V.m. Art. 59 Satz 1 Nr. 1b BayBO) im Hinblick auf sämtliche Festsetzungen eingehalten. Das Vorhaben ist der Art “Wohnen” nach im festgesetzten allgemeinen Wohngebiet (WA) unproblematisch zulässig. GRZ I (0,35) sowie GRZ II (0,525) werden mit hier 0,315 bzw. 0,512 unproblematisch eingehalten. Die maximal mögliche Höhe von 10 m wird mit 8,15 m Höhe nicht ausgeschöpft, der Gebäudetyp 1+D ist zulässig, ebenso die offene Bauweise. Eine Festsetzung von Mindestgrößen ist im Bebauungsplan nicht erfolgt, das Grundstück Fl.Nr. … weist jedoch mit 290 m² eine Größe auf, die das bei Aufstellung des Bebauungsplans damals vorliegende kleinste Bestandsgrundstück mit 263 m² übertrifft. Auch die nach Festsetzung 6.1 einzuhaltende Stellplatz- und Garagenverordnung des Klägers, zugleich örtliche Bauvorschrift nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1c BayBO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 BayBO, wird erfüllt. Nach Anlage zu § 3 der Stellplatz- und Garagenverordnung errechnen sich gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. 1.1 der Anlage aufgrund der einen Wohneinheit im genehmigten Bauvorhaben 1,5 und damit aufgerundet 2 Stellplätze, die so geplant sind. Auf die Einhaltung der nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1b BayBO i.V.m. Art. 6 BayBO einzuhaltenden Abstandsflächen kommt es vorliegend nicht an, da sich der Kläger auf diese bauordnungsrechtliche Frage nicht berufen kann. Im Übrigen sind Überschreitungen der Abstandsflächen aus den genehmigten Plänen nicht ersichtlich.
– Unzulässig wäre das Vorhaben nur dann, wenn den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprochen würde, was nicht der Fall ist. Das durch den Bebauungsplan gewährte Baurecht, das die grundgesetzlich statuierte Baufreiheit auf ein sozialadäquates Maß beschränkt, wird in Bezug auf das “Trenngrundstück” durch die Grundstücksteilung somit gerade nicht “ausgehebelt”, so dass auch keine handgreiflich verfehlten Umstände (so angenommen bei VG München, U.v. 14.7.2008 – M 8 K 07.5350 – juris Rn. 32) entstanden sind. Ob durch die Grundstücksteilung solche Verhältnisse, die den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen oder gegen § 19 Abs. 2 BauGB verstoßen, auf dem “Stammgrundstück” Fl.Nr. … neu vorliegen, ist für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich und somit auch nicht zu klären (so auch: VG Ansbach, U.v. 17.9.2013 – An 3 K 13.00890 – juris Rn. 57).
Im Ergebnis war die Klage damit abzuweisen.
3. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Mit dem Antrag auf Klageabweisung partizipierte der Beigeladene am Kostenrisiko, so dass auch dessen Aufwendungen der Kläger nach § 162 Abs. 3 VwGO zu tragen hat.
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO, § 711 ZPO.


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