Aktenzeichen 2 ZB 16.561
Leitsatz
Wenn anstelle der festgesetzten Zahl von fünf Vollgeschossen ein sechstes errichtet werden soll und wenn anstelle der festgesetzten GFZ von 1,2 eine GFZ von 1,46 erreicht wird, werden die Grundzüge der Planung berührt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 8 K 15.1890 2015-11-16 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach § 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet keinen ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Rechtsgrundlage für die Beseitigungsanordnung ist Art. 76 Abs. 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Beseitigungsanordnung vorliegen. Insbesondere widerspricht das streitgegenständliche Terrassengeschoss materiellem Baurecht, weil die Errichtung eines sechsten Terrassengeschosses auf dem Gebäude des Klägers M …str. … bauplanungsrechtlich nicht zulässig und damit nicht genehmigungsfähig ist. Die bau-planungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens beurteilt sich nach den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 71g (§ 30 Abs. 1 BauGB). Das Vorhaben widerspricht Festsetzungen im westlichen Teil des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 71g, weil dieser für das Grundstück des Klägers ein Nutzungsmaß von maximal fünf Geschossen und einer Geschossflächenzahl (GFZ) von 1,2 festsetzt. Das streitgegenständliche Gebäude ist bereits im Bestand fünfgeschossig und erreicht eine GFZ von 1,326. Mit der Errichtung des Terrassengeschosses werden vorliegend sowohl die festgesetzte maximale Zahl der Geschosse als auch die maximal zulässige GFZ überschritten.
Der Kläger ist der Auffassung, dass sich das Erstgericht bei der Prüfung der Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 71g nicht mit der notwendigen Konfliktlösung zwischen der gewerblichen Nutzung entlang der westlichen Seite der M … Straße und der dort im Bereich der F …- und S …straße vorhandenen Wohnbebauung auseinander gesetzt habe. Dies wurde jedoch nicht hinreichend dargelegt. Angesichts dessen ist im vorliegenden Verfahren kein Verstoß gegen das Trennungsgebot des § 50 BImSchG zu erkennen. Im Übrigen beträgt die Distanz des westlichen Gewerbegebiets zur Wohnbebauung im Westen zwischen 80 m und 240 m sowie im Süden zwischen 140 m und 290 m. Somit scheint im Westen und Süden eine ausreichende räumliche Trennung der Nutzungen gegeben zu sein. Durch die räumliche Trennung (vgl. dazu Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 50 Rn. 18) von Gebieten wird § 50 BImSchG hinreichend Rechnung getragen.
Offen bleiben kann, ob der Bebauungsplan Nr. 71g – wie das Erstgericht angenommen hat – insoweit an einem Abwägungsmangel leidet, als im Rahmen der Planung der zwischen den festzusetzenden Gewerbegebieten und der östlich unmittelbar an das Plangebiet angrenzenden Wohnbebauung bestehende Immissionskonflikt nicht hinreichend gelöst und damit dem Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG nicht angemessen Rechnung getragen worden ist. Denn selbst wenn die Festsetzungen des Bebauungsplans östlich der M … Straße unwirksam sein sollten, würde dies nicht zu einer Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 71g führen. Die Ungültigkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung führt dann nicht zu ihrer Gesamtnichtigkeit, wenn die Restbestimmung auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleibt und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.1989 – 4 NB 2.89 – juris; BayVGH, U.v. 18.4.2013 -2 N 11.1758 – juris). Im vorliegenden Fall würde die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen auf Teilbereiche des Plans begrenzt werden können. Der Bebauungsplan Nr. 71g setzt westlich der M … Straße ein von der Bebauung im Osten unabhängiges Gewerbegebiet mit eigenen Maßgaben zur Geschossanzahl und GFZ fest. Das Gewerbegebiet westlich der M … Straße kann unabhängig von den übrigen Festsetzungen des Bebauungsplans bestehen bleiben und würde auch eine sinnvolle Regelung in einem separaten Bebauungsplan darstellen.
Der Kläger bezweifelt zwar, ob der Plangeber tatsächlich die Festsetzungen westlich der M … Straße getroffen hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Festsetzungen östlich der M … Straße unwirksam sind. Das Erstgericht hat aber unter Heranziehung der Bebauungsplanbegründung ausführlich dargelegt, wieso der mutmaßliche Wille des Plangebers dahin ging, dass er in Kenntnis einer Unwirksamkeit der Festsetzung des östlichen Gewerbegebiets den Bebauungsplan auch ohne diese Festsetzung beschlossen hätte (UA S. 16 ff). Nach Auffassung des Klägers ergibt sich aus der Begründung des Bebauungsplans, dass einheitlich entlang der M … Straße eine gewerbliche Nutzung entstehen solle. Deshalb könne der Bebauungsplan nicht teilweise aufrecht erhalten werden. Jedoch hat das Erstgericht den hypothetischen Willen des Plangebers nicht allein aus der Tatsache geschlossen, dass die m … Straße inmitten des Plangebiets verläuft und eine exakte räumliche Trennung zwischen den festgesetzten Gewerbegebieten bildet. Vielmehr hat das Erstgericht zutreffend darauf abgestellt, dass die Teilung des Gewerbegebiets eine abweichende Beurteilung des Störungspotentials im Hinblick auf die östlich gelegene Wohnbebauung erfordert habe. Die Beklagte habe über die Festsetzung der westlichen und östlichen Gewerbegebiete nicht einheitlich entschieden, sondern als Ergebnis einer jeweils selbständigen Abwägungsentscheidung. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht keine Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans angenommen hat.
Der Kläger ist der Meinung, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung habe, weil Grundzüge der Planung nicht berührt seien. Die Voraussetzungen für eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) liegen entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Durch das Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung soll sichergestellt werden, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht beliebig durch Verwaltungsakte außer Kraft gesetzt werden können. Die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 1 Abs. 8, § 2 Abs. 1 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde. Hierfür ist in den §§ 3 ff. BauGB ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter den im Baugesetzbuch normierten Voraussetzungen und nur in der dort bestimmten Weise (vgl. §§ 13, 13a BauGB) abgewichen werden darf (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – BauR 1999, 1280). Steht die Abweichung von einer Festsetzung in Rede, die für die Grundzüge der Planung maßgeblich ist, so wird die Grenze für die Erteilung einer Befreiung deshalb nur dann nicht überschritten, wenn die Abweichung nicht ins Gewicht fällt (vgl. OVG Hamburg, B.v. 17.6.2013 -2 Bs 151/13 – juris; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 1. August 2016, § 31 Rn. 36; Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 1. August 2016, § 13 Rn. 18). Durch das errichtete sechste Terrassengeschoss werden die der Festsetzung und der Zahl der Vollgeschosse und der zulässigen GFZ zugrundeliegenden, erkennbaren planerischen Erwägungen des Plangebers berührt. Diese Maßfestsetzungen des Bebauungsplans bezwecken eine ausgewogene aufeinander sowie auf die jeweilige Grundstücksgröße abgestimmte Bebauung zu erreichen. Festgesetzt wurde eine GFZ von 1,2. Bei der Errichtung des beantragten Terrassengeschosses würde eine GFZ von 1,46 erreicht werden. Diese Abweichung ist mehr als geringfügig und würde die Grundzüge der Planung berühren. Soweit der Kläger auf das unmittelbar angrenzende Grundstück M … Straße … verweist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass es sich hier um eine im Vergleich zu dem geplanten Vorhaben wesentlich geringfügigere Überschreitung der GFZ (1,24) handelt. Im Übrigen begründet eine einzelne Befreiung im maßgeblichen Umgriff noch keinen Anspruch auf Erteilung weiterer Befreiungen. Der Kläger nimmt auch auf das Grundstück M … Straße … Bezug. Diesbezüglich ist zum einen nicht hinreichend dargelegt, dass das festgesetzte Nutzungsmaß dort überschritten wurde, zum anderen liegt dieses Grundstück in einem anderen festgesetzten Gewerbegebiet.
Damit ist nichts dafür ersichtlich, dass im Sinn des Art. 76 Abs. 1 Halbsatz 2 BayBO rechtmäßige Zustände auf andere Weise hergestellt werden können. Wie soeben dargelegt, kommt insbesondere die nachträgliche Erteilung einer Baugenehmigung nicht in Betracht.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 23 ZB 00.643 – juris). Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Im Rahmen dieses Zulassungsgrunds ist nicht die Richtigkeit des Ersturteils Gegenstand der Zulassungsentscheidung, sondern die mögliche „abstrakte“ Fehleranfälligkeit wegen der besonderen Schwierigkeiten der Fallbehandlung (Berkemann, DVBl 1998, 446). Diese ist vorliegend nicht gegeben. Es handelt sich vielmehr um einen durchschnittli chen baurechtlichen Fall, dessen Lösung sich nach den Ausführungen unter Ziffer 1. klar ergibt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, 52 Abs. 1 GKG.