Baurecht

Heranziehung zu Erschließungsbeitrag – Erschließungsfunktion einer Straße

Aktenzeichen  M 2 K 16.1788

Datum:
8.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 123 Abs. 2, § 125, § 127 Abs. 2 Nr. 1, § 131 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine öffentliche Straße ist nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB “zum Anbau bestimmt”, wenn diese – gemessen an den objektiven Verhältnissen – den anliegenden Grundstücken entweder die Bebaubarkeit oder jedenfalls eine der Bebaubarkeit erschließungsbeitragsrechtlich gleichstehende Nutzung vermittelt.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Festsetzung einer privaten Grünfläche für einen Teil eines (Buch-)Grundstücks in einem Bebauungsplan hat jedenfalls dann keinen Einfluss auf den Umfang der iSd § 131 Abs. 1 S. 1 BauGB erschlossenen Fläche, wenn sie die Verwirklichung der baulichen Nutzbarkeit dieses Grundstücks unberührt lässt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Weder § 125 BauGB noch der Qualität eines Bebauungsplans als Rechtssatz kann ein Grund dafür entnommen werden, eine in einem Bebauungsplan festgesetzte Anbaustraße sei erst dann rechtmäßig hergestellt, wenn auch eine weitere in diesem Bebauungsplan festgesetzte öffentliche Verkehrsfläche ohne eigene Erschließungsfunktion plankonform hergestellt wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Einwendungen der Kläger gegen die Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheids der Beklagten vom 3. Juni 2013 greifen nicht durch (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Beklagte hat das Gebiet zur Verteilung des Erschließungsaufwands für die erstmalige endgültige Herstellung der …straße zutreffend bestimmt, insbesondere waren nicht auch diejenigen Eigentümer heranzuziehen, deren Grundstücke an dem im Wesentlichen auf FlNr. … verlaufenden Teil der Straße Am … anliegen. Obwohl es sich nach natürlicher Betrachtungsweise bei diesem Teil der Straße Am … und der …straße um eine Erschließungsanlage handeln dürfte, wird diese Anlage (an der Grenze der FlNr. … zur FlNr. …*) jedenfalls aus rechtlichen Gründen in zwei Erschließungsanlagen geteilt. Diese konnten (und mussten) zu unterschiedlichen Zeitpunkten – 1991 und 2013 – rechtmäßig erschließungsbeitragsrechtlich abgerechnet werden. Die …straße ist in ihrer Funktion als Anbau Straße eine nachträgliche Verlängerung (dazu: BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 6 ZB 14.2404 – juris Rn. 13 m.w.N.) der Anbau Straße Am … Maßgeblich hierfür ist, dass die im Bebauungsplan festgesetzte und ab den 1990er Jahren tatsächlich auch bestehende – aber unstreitig nicht den satzungsgemäßen Herstellungsmerkmalen der endgültigen Herstellung entsprechende – öffentliche Verkehrsfläche im Bereich der heutigen …straße nicht zum Anbau bestimmt war i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 1, § 131 BauGB. Erschließungsfunktion erlangte diese Verkehrsfläche erst im Zuge der 4. / 6. Änderung des Bebauungsplans Nr. … in den Jahren 2004 und 2006 (hierzu nachfolgend a)). Hieran ändert sich auch nichts unter Berücksichtigung von § 125 BauGB und der Tatsache, dass die heutige …straße bereits in dem 1991 wirksamen Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche festgesetzt war (nachfolgend b)).
a) Die der heutigen …straße entsprechende, im Bebauungsplan Nr. … bereits im Jahr 1991 festgesetzte öffentliche Verkehrsfläche erlangte erst im Zuge der 4. / 6. Änderung des Bebauungsplans Nr. … in den Jahren 2004 und 2006 Erschließungsfunktion, davor war sie nicht „zum Anbau bestimmt“ i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. Erforderlich hierfür wäre – gemessen an den objektiven Verhältnissen, nicht der subjektiven Auffassung der Gemeinde oder der Nutzer – die tatsächliche und rechtliche Eignung zum Anbau an eine Straße, die den anliegenden Grundstücken entweder die Bebaubarkeit oder jedenfalls eine der Bebaubarkeit erschließungsbeitragsrechtlich gleichstehende Nutzung vermittelt (vgl. hierzu: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 12 Rn. 32; BVerwG, U.v. 4.10.1990 – 8 C 1/89 – juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 19.12.2008 – 6 B 06.2751 – juris Rn. 42).
Vorliegend ist die planerische Konzeption des 1991 wirksamen Bebauungsplans ersichtlich davon geprägt, dass eine größere Fläche südlich der Straße Am …, östlich der Verkehrsfläche im Bereich der heutigen …straße und westlich des seinerzeit noch festgesetzten Eigentümerwegs (an dessen Ostseite sich eine Bestandsbebauung anschloss) von Bebauung freizuhalten sein sollte. Die entsprechende Festsetzung im Bebauungsplan („FF“ = „freizuhaltende Flächen, Nutzung als landwirtschaftliche Fläche, Gartenbau, private Grünfläche“) erklärt sich schlüssig aus immissionsschutzrechtlichen Erwägungen des seinerzeitigen Plangebers angesichts des in diesem Zeitraum vorgenommenen (und mit einer deutlichen Verbreiterung einhergehenden) Ausbaus der … Land Straße – Bundesstraße … Östlich der gesamten, im Bebauungsplan festgesetzten und nunmehr der Erschließungsanlage …straße im Wesentlichen entsprechenden Verkehrsfläche war mithin im Jahr 1991 eine bauliche Nutzung ausgeschlossen. Gleiches galt westlich dieser Verkehrsfläche (Festsetzung von Lärmschutzmaßnahmen und Industriegleis). Den an diese Verkehrsfläche anliegenden Grundstücken wurde mithin durch diese Verkehrsfläche jedenfalls keine Bebaubarkeit vermittelt.
Die genannte Verkehrsfläche vermittelte den an der Ostseite anliegenden Flächen aber auch keine der Bebaubarkeit erschließungsbeitragsrechtlich gleichstehende Nutzung. Von den kraft seinerzeitigem Bebauungsplan in Betracht kommenden Nutzungen wäre dies – auch aus Klägersicht – allenfalls im Hinblick auf eine mögliche Nutzung als „private Grünfläche“ in Betracht zu ziehen. Ansatzpunkt hierfür könnte sein, dass die Festsetzung einer privaten Grünfläche für einen Teil eines (Buch-)Grundstücks jedenfalls dann keinen Einfluss auf den Umfang der i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Fläche eines insgesamt von einem Bebauungsplan erfassten Grundstücks hat, wenn sie die Verwirklichung der baulichen Nutzbarkeit dieses Grundstücks unberührt lässt (BVerwG, B.v. 29.11.1994 – 8 B 171/94 – juris Rn. 2 f.).
Es musste in tatsächlicher Hinsicht nicht weiter geklärt werden, ob eines oder mehrere derjenigen Grundstücke östlich der heutigen …straße, für die im Bebauungsplan die Festsetzung „FF“ getroffen wurde, zusammen mit einem oder mehreren der bebaubaren Grundstücke östlich bzw. südöstlich des festgesetzten Eigentümerwegs ein einheitliches Buchgrundstück bildeten. Selbst wenn dies seinerzeit der Fall gewesen wäre, steht die Konzeption des konkret maßgeblichen Bebauungsplans einer Betrachtung entgegen, auf den privaten Grünflächen könne wegen der auf dem – unterstellt – gleichen Buchgrundstück auch gewährleisteten baulichen Nutzung eine der Bebaubarkeit erschließungsbeitragsrechtlich gleichstehende Nutzung erfolgen. Denn aus der seinerzeitigen planerischen Konzeption wird eine klare Trennung derjenigen Flächen, für die durch die Festsetzung eines Dorfgebiets (MD) eine bauliche Nutzung samt Frei- und Grünflächen im jeweiligen Gebäudeumgriff vorgesehen war, von den „freizuhaltenden Flächen“ deutlich. Maßgeblich sind hierfür der das Dorfgebiet von den „freizuhaltenden Flächen“ trennende Eigentümer Weg und die Abgrenzung des Baugrundstücks am südlichen Ende des Eigentümerwegs (FlNr. …*) von den „freizuhaltenden Flächen“ durch eine im Bebauungsplan dargestellte Nutzungsartengrenze. Der Zuschnitt der jeweiligen Baugrundstücke und die dargelegte Abgrenzung lässt in der konkreten örtlichen Situation eine Betrachtung, die von der Festsetzung „FF“ umfassten privaten Grünflächen könnten gleichsam einen „Hausgarten“ zu den östlich angrenzenden Baugrundstücken und damit eine der Bebaubarkeit erschließungsbeitragsrechtlich gleichstehende Nutzung darstellen, nicht zu (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 19.12.2008 – 6 B 06.2750 – juris Rn. 36 ff., wonach die Festsetzung einer privaten Grünfläche in einem Bebauungsplan nach dem im Bebauungsplan in Erscheinung tretenden konkreten städtebaulichen Konzept keine Grünzone innerhalb des Baugebiets, sondern einen beitragsrechtlich nicht relevanten, von den Baugebieten gesonderten Grünzug darstellen kann).
Im Ergebnis war die der heutigen …straße entsprechende, 1991 im Bebauungsplan festgesetzte öffentliche Verkehrsfläche damit nicht „zum Anbau bestimmt“ i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, sondern diente lediglich der Verbindung des nordöstlich davon festgesetzten Baugebiets mit dem weiterführenden Straßennetz (BVerwG, U.v. 23.5.1973 – IV C 19/72 – juris).
b) Auch aus der in § 125 BauGB zum Ausdruck kommenden erschließungsrechtlichen Bedeutung des Bebauungsplans für die Rechtmäßigkeit der Herstellung einer Erschließungsanlage folgt nicht, dass die sachlichen Beitragspflichten für die Erschließungsanlage Am … – soweit sie im Wesentlichen auf FlNr. … verläuft – erst mit der erstmaligen Herstellung der …straße hätten entstehen können, weil letztere bereits in dem 1991 wirksamen Bebauungsplan als öffentliche Verkehrsfläche festgesetzt war.
Wie dargelegt stellte diese bis in das Jahr 2006 unstreitig nicht im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinn tatsächlich endgültig hergestellte Straße lediglich die Fortsetzung einer Anbau Straße und deren Anbindung – ohne eigene Erschließungsfunktion – an das weiterführende Straßennetz dar. Die aus § 125 BauGB folgende Bindung an den Bebauungsplan kann sich jedoch nur auf Anbaustraßen i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB als beitragsfähige Erschließungsanlagen beziehen, wie bereits die Bezugnahme in § 125 Abs. 1 BauGB auf die „Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB“ zeigt. Es kann weder
§ 125 BauGB noch der Qualität eines Bebauungsplans als Rechtssatz ein Grund dafür entnommen werden, eine in einem Bebauungsplan festgesetzte Anbau Straße sei erst dann rechtmäßig – und mit der Folge der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten – hergestellt, wenn auch eine weitere in diesem Bebauungsplan festgesetzte öffentliche Verkehrsfläche ohne eigene Erschließungsfunktion plankonform hergestellt wurde, selbst wenn es sich hierbei – wie vorliegend – gemessen an der natürliche Betrachtungsweise um die „Fortsetzung“ dieser Anbau Straße handelt (vgl. hierzu auch: Ernst/Grziwotz in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2016, § 125 BauGB Rn. 2a). An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass das Baugebiet nach der planerischen Konzeption und den tatsächlichen Verhältnissen nur über eine Anbindung an das weiterführende Straßennetz, nämlich die Verkehrsfläche im Bereich der heutigen …straße, verfügte. Dies könnte allenfalls in Betracht gezogen werden, wenn eine Anbau Straße faktisch über (noch) gar keine Anbindung an das weiterführende Straßennetz verfügen würde, was vorliegend jedoch nicht der Fall war (wobei nach dem vorgenannten Ergebnis der Frage nicht weiter nachgegangen werden musste, wie lange die 1991 abgerechnete und im Wesentlichen auf FlNr. … verlaufende Erschließungsanlage Am … über eine unmittelbar nach Westen verlaufende Anbindung an die … Land Straße – Bundesstraße … verfügte und ab wann nur noch die im Bereich der heutigen …straße verlaufende Anbindung an die Bundesstraße … das Baugebiet erschloss). Ebenfalls keine Änderung dieses Ergebnis kann sich schließlich daraus ergeben, dass die der heutigen …straße entsprechende öffentliche Verkehrsfläche in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … im Jahr 1991 als „Erschließungs Straße“ bezeichnet wurde, da es sich auch bei einer nur der Verbindung mit dem Verkehrsnetz, nicht aber dem Anbau dienenden Straße um eine Erschließungsanlage, nämlich i.S.v. § 123 Abs. 2 BauGB, handelt, nicht jedoch um eine (beitragsfähige) Erschließungsanlage i.S.v. § 127 Abs. 2 BauGB.
2. Der gegen die konkrete Beitragsberechnung für das klägerische Grundstück erhobene Einwand, es sei zu Unrecht keine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung berücksichtigt worden, bleibt erfolglos.
Zwar wird das klägerische Grundstück FlNr. … von mehreren Erschließungsanlagen (nämlich der …straße an seiner Westseite und einem weiteren Teilstück der Straße Am … an seiner Ostseite) erschlossen, für die erstmalige Herstellung des im Wesentlichen auf den FlNrn. … und … verlaufenden Teils der Straße Am … wurde aber von den Klägern kein Erschließungsbeitrag erhoben und wird auch kein Erschließungsbeitrag mehr erhoben werden (was auch die Beklagte bestätigte). Die erstmalige Herstellung dieser – eigenständigen – Erschließungsanlage erfolgte im Jahr 2000, Erschließungsbeitragsbescheide ergingen insoweit im Oktober 2001, also jeweils mehrere Jahre vor dem Zeitpunkt, in dem die Fläche, auf der sich das klägerische Grundstück befindet, überhaupt bebaut werden konnte. Es greift damit die Ausnahme des § 5 Abs. 9 Satz 2 Nr. 1 der Erschließungskostenbeitragssatzung der Beklagten.
3. Schließlich hat sich auch die für die Kläger erstmals im Schriftsatz vom 25. Oktober 2016 vorgetragene Vermutung, die …straße könnte im Bereich der Anbindung an die Bundesstraße … noch nicht vollständig gewidmet sein, angesichts der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 2. November 2016 vorgelegten Widmungsunterlagen nicht bestätigt. Die Klägerseite hat insoweit ihren Einwand auch nicht mehr weiter substantiiert.
Nachdem das Gericht auch keinen Anhaltspunkt für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids aus einem anderen als den von den Klägern vorgetragenen Gründen erkennen konnte, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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