Baurecht

Heranziehung zum Erschließungsbeitrag

Aktenzeichen  6 B 19.246

Datum:
6.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15134
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a Abs. 1, Abs. 1, Abs. 4
BauGB § 128, § 129 Abs. 1 S. 1, § 131 Abs. 3
EWS § 6 Abs. 10

 

Leitsatz

Im bayerischen Erschließungsbeitragsrecht ist die vertragliche Übernahme erschließungsbeitragsfähiger Aufwendungen im Rahmen von städtebaulichen Verträgen durch Art. 5a Abs. 4 KAG zugelassen. Zahlungen (oder Zahlungsverpflichtungen) aus einem solchen Vertrag stellen grundsätzlich eine anderweitige Deckung im Sinn von Art. 5a Abs. 1 KAG (§ 127 Abs. 1, § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB) dar und sind neben dem gemeindlichen Eigenanteil vom beitragsfähigen Erschließungsaufwand abzuziehen, bevor der verbleibende (umlagefähige) Aufwand auf die erschlossenen Grundstücke verteilt wird. (Rn. 26 – 27)

Verfahrensgang

W 3 K 16.1156 2018-07-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Juli 2018 – W 3 K 16.1156 – geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. November 2015 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 11. Oktober 2016 werden insoweit aufgehoben, als ein Erschließungsbeitrag von mehr als 66.642,63 € festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen haben die Klägerin ein Drittel und die Beklagte zwei Drittel zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der Bescheid vom 16. November 2015, mit dem die Beklagte die Klägerin auf der Grundlage von Art. 5a KAG in Verbindung mit den §§ 128 ff. BauGB und ihrer Erschließungsbeitragssatzung zu einem Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Bert Brecht Straße herangezogen hat, ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nur in Höhe von 66.642,63 € rechtmäßig. Die Festsetzung eines darüber hinausgehenden Beitrags ist dagegen rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beitragsbescheid ist deshalb unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils insoweit aufzuheben. Im Übrigen bleibt die Berufung ohne Erfolg.
1. Die Beitragsforderung ist dem Grunde nach berechtigt.
a) Bei der Bert Brecht Straße handelt es sich um eine nach Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG beitragsfähige Anbaustraße, die planungsrechtlich rechtmäßig (§ 125 BauGB) und endgültig (§ 133 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BauGB) hergestellt sowie für den öffentlichen Verkehr gewidmet ist.
b) Das klägerische Grundstück unterliegt der Beitragspflicht. Es liegt an der Bert Brecht Straße an und wird durch sie erschlossen im Sinn von § 131 Abs. 1 sowie § 133 Abs. 1 BauGB, obwohl der Bebauungsplan Nr. 18/19 vom 22. Oktober 2014 entlang der Grundstücksgrenze zur Straße durchgehend einen „Bereich ohne Ein- und Ausfahrt“ und „Flächen zum Anpflanzen von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen“ festsetzt.
Erschlossen ist ein Grundstück, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlicher Weise, d.h. in einer auf die bauliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichtete Funktion die Zugänglichkeit vermittelt (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 4.13 – juris Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, U.v. 27.7.2016 – 6 B 15.1833 – juris Rn. 21). Die Frage des Erschlossenseins eines Grundstücks hängt in erster Linie davon ab, welche Anforderungen an die Form der Erreichbarkeit zu stellen sind. Dies wird wesentlich vom Bebauungsrecht bestimmt. Liegt das Grundstück – wie vorliegend – in einem durch einen qualifizierten Bebauungsplan als Mischgebiet festgesetzten Bereich, genügt – vorbehaltlich hier fehlender besonderer Festsetzungen im Bebauungsplan – das Heranfahren- und Betretenkönnen (BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 6 ZB 08.393 – juris Rn. 5; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 56). Ein Herauffahrenkönnen ist nicht erforderlich, da der ein Erschlossensein begründende Erschließungsvorteil nicht verlangt, dass die Erschließungsanlage dem Grundstück eine Bebaubarkeit für alle nach § 6 Abs. 2 BauNVO zulässigen Nutzungsarten ermöglicht (BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – juris Rn. 27). Dabei ist es unerheblich, welche dieser zulässigen Nutzungsarten tatsächlich verwirklicht sind; denn für die Frage des Erschlossenseins ist eine normative Betrachtung geboten, die auf die abstrakte Bebaubarkeit abstellt (BayVGH, B.v. 9.2.2010 – 6 ZB 08.393 – juris Rn. 5).
Übertragen auf den Streitfall bedeutet dies: Dass das klägerische Grundstück gewerblich genutzt wird, führt nicht dazu, dass deshalb die erhöhten Anforderungen gelten, die regelmäßig an das Erschlossensein von Grundstücken in Gewerbegebieten zu stellen sind. Es ist vielmehr auch in diesem Fall auf die abstrakte Bebaubarkeit des Grundstücks abzustellen, d.h. es ist danach zu fragen, welche bauliche Nutzung auf dem (hypothetisch bislang nicht bebaubaren) Grundstück durch die Erschließungsanlage abstrakt möglich wird (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.2006 – 9 C 4.05 – juris Rn. 24). Das klägerische Grundstück wird aber schon dadurch (überhaupt) – nämlich für Wohnbebauung (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) – bebaubar, dass es über die Bert Brecht Straße mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen erreicht und von dort aus betreten werden kann. Darin liegt der Vorteil, den die Erschließungsanlage für die bauliche Nutzbarkeit des Grundstücks „hergibt“.
Bezogen auf diese Erreichbarkeitsanforderungen stellen die Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 18/19 vom 22. Oktober 2014 kein beachtliches rechtliches Hindernis dar. Weder das Zu- und Abfahrtsverbot noch das Pflanzgebot schließen das Anlegen eines Zugangs und das Heraufgehen von der Straße auf das Grundstück aus. Sie können nur das Erschlossensein solcher Grundstücke ausschließen, deren Bebaubarkeit von der Herauffahrmöglichkeit abhängt. Dass auf dem Grundstück der Klägerin entlang der Straße ein durchgehender Zaun errichtet ist, kann als selbstgeschaffenes Hindernis eine Beitragspflicht nicht ausschließen (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 61).
Die Annahme eines beitragsrelevanten Erschließungsvorteils scheidet auch nicht deshalb aus, weil das Grundstück der Klägerin bereits an eine andere Verkehrsanlage, nämlich die Lange Straße, grenzt und von aus dort tatsächlich Zufahrt genommen wird. Erschließungsbeiträge werden für die „erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage“ erhoben, nicht für die „erstmalige Erschließung“ eines Grundstücks. Es muss daher bei der Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Anbaustraße die dem betreffenden Grundstück bereits durch eine bestehende Anbaustraße vermittelte Bebaubarkeit hinweggedacht werden (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, U.v. 12.11.2014 – 9 C 4.13 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 28.9.2015 – 6 B 14.606 – juris Rn. 17).
2. Die Beitragsforderung ist allerdings nur in Höhe von 66.642,63 € (statt 180.697,76 €) gerechtfertigt.
Zum einen hätte die Beklagte vom beitragsfähigen Erschließungsaufwand nicht nur ihren satzungsmäßigen Eigenanteil von 10 v.H. (§ 4 EBS) abziehen müssen, sondern auch einen weiteren Kostenanteil von 45 v.H., zu dessen Übernahme sich ein privater Dritter (Investor) im notariellen städtebaulichen Vertrag vom 24. Juni 2008 gegenüber der Beklagten zur Herstellung der „östlichen Querspange“ (der heutigen Bert Brecht Straße) wirksam verpflichtet hat; bei dieser Einnahme(-möglichkeit) der Beklagten handelt es sich – entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts – um eine anderweitige Deckung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands, die insoweit nach Art. 5a Abs. 1 und (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m.) § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB eine Verteilung auf die erschlossenen Grundstücke ausschließt (a). Zum anderen hätte die Beklagte bei Verteilung des verbleibenden umlagefähigen Erschließungsaufwands auf die drei erschlossenen Grundstücke hinsichtlich des in der Erschließungsbeitragssatzung vorgesehenen Artzuschlags (§ 6 Abs. 10 EBS) unterscheiden müssen: Dieser ist bei den Grundstücken FlNrn. 6493/30 und 6493/114 anzusetzen, nicht aber bei dem Grundstück der Klägerin, weil die Bert Brecht Straße letzterem nicht die für eine gewerbliche Nutzung erforderliche Erreichbarkeit vermittelt (b).
a) Der Kostenanteil, zu dessen Übernahme sich der Investor im städtebaulichen Vertrag vom 24. Juni 2008 gegenüber der Beklagten zur Herstellung der Bert Brecht Straße wirksam verpflichtet hat, stellt eine anderweitige Deckung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands dar.
Gemäß Art. 5a Abs. 1 und (Art. 5a Abs. 9 KAG i.V.m.) § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB dürfen Erschließungsbeiträge nur insoweit erhoben werden, als der beitragsfähige Erschließungsaufwand, der nach Abzug des Gemeindeanteils verbleibt, nicht bereits „anderweitig“, d.h. durch Zahlungen von dritter Seite, gedeckt ist. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die Gemeinde von den Eigentümern der erschlossenen Grundstücke keine Erschließungsbeiträge verlangen kann, soweit der nach Abzug ihres (Eigen-)Anteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB) verbleibende beitragsfähige Erschließungsaufwand durch Zahlungen eines Dritten bereits endgültig ausgeglichen ist (BVerwG, U.v. 30.1.1987 – 8 C 10.86 – juris Rn. 18). Anderweitig gedeckt und nach § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht beitragsfähig ist deshalb der Teil des für die erstmalige endgültige Herstellung entstandenen Gesamtaufwands, für den der Gemeinde unabhängig von der erst nach Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes zulässigen Beitragserhebung sonstige Einnahmen zugeflossen sind.
Zu denken ist dabei insbesondere an aus vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtungen herrührende zweckgebundene Mittel, die den durch Erschließungsbeiträge zu deckenden Erschließungsaufwand mindern. Eine anderweitige Deckung im Sinn von § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann auch in einem Anspruch der Gemeinde gegen einen Dritten auf Übernahme von Herstellungskosten bestehen, soweit seiner Durchsetzung keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen (vgl. BVerwG, U.v. 18.9.1981 – 8 C 21.81 – juris Rn. 10; OVG SH, U.v. 4.9.2014 – 4 LB 3/13 – juris; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 12 Rn. 7). Ob die Zuwendung eines Dritten zu einer derartigen anderweitigen Deckung geführt hat, richtet sich ausschlaggebend nach dem Zweck, für den der Dritte seine Leistung bestimmt hat (BVerwG, U.v. 30.1.1987 – 8 C 10.86 – juris Rn. 19; Grziwotz in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 127 Rn. 2). Diese ergibt sich bei einer vertraglich vereinbarten Kostenübernahme durch Auslegung der jeweiligen Vereinbarungen.
In Anwendung dieser Grundsätze ist für die Bert Brecht Straße eine anderweitige Deckung des beitragsfähigen Herstellungsaufwandes in Höhe 45% des beitragsfähigen Erschließungsaufwands eingetreten. In dem städtebaulichen Vertrag vom 24. Juni 2008 hat sich der Investor gegenüber der Beklagten unter der Überschrift „Öffentliche Flächen/Erschließung“ in Nr. 6.5 wirksam verpflichtet, sich in diesem Umfang an den anrechenbaren Kosten für die Herstellung der „östlichen Querspange“ (der heutigen Bert Brecht Straße) zu beteiligen, wobei für die Ermittlung der anrechenbaren Kosten § 128 BauGB maßgeblich sein soll. Bei dieser Vereinbarung handelt es sich nicht um einen „klassischen“ Erschließungsvertrag (bei dem die Gemeinde die Herstellung – und Finanzierung – der Erschließungsanlage einem Unternehmer überträgt), sondern um eine Kostenübernahme im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags, mit dem sich der Vertragspartner gegenüber der Gemeinde „nur“ verpflichtet, die Aufwendungen für die von der Gemeinde durchzuführende Herstellung einer Erschließungsanlage endgültig zu tragen.
Diese Kostenübernahmevereinbarung ist wirksam. Für das bundesrechtliche Erschließungsbeitragsrecht ist zwar strittig, ob das Gesetz den Gemeinden einen solchen (dritten) Weg zur Refinanzierung von Erschließungsaufwendungen neben der Erhebung von Erschließungsbeiträgen oder durch Erschließungsvertrag eröffnet, (ablehnend BVerwG, U.v. 12.12.2012 – 9 C 12.11 – juris Rn. 17 ff.; zum Meinungsstand Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 11 Rn. 314). Der bayerische Landesgesetzgeber hat hingegen in Art. 5a Abs. 4 KAG (ursprünglich Art. 5a Abs. 2 KAG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.7.2002, GVBl. S. 322) eine solche vertragliche Übernahme erschließungsbeitragsfähiger Aufwendungen im Rahmen städtebaulicher Verträge ausdrücklich zugelassen und dabei die entsprechende Geltung des § 11 BauGB angeordnet. Anhaltspunkte dafür, dass die gesetzlichen Grenzen für städtebauliche Verträge (Kausalität, Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung, Verbot der Koppelung) überschritten sein könnten, sind nicht ersichtlich, zumal die Erschließung nach dem Vortrag der Beklagten auf Initiative des Investors durchgeführt worden ist und vorwiegend seinen Grundstücken Vorteile bringt. Insbesondere ist die vom Investor übernommene Kostenbeteiligung in Höhe von 45 v.H. für die Herstellung der Bert Brecht Straße im Verhältnis zum Vertragszweck ersichtlich nicht unverhältnismäßig.
Nach Wortlaut und Zweck des städtebaulichen Vertrags vom 24. Juni 2008 bezieht sich die Kostenübernahmevereinbarung insoweit ausschließlich auf die finanzielle Beteiligung an der Herstellung der Bert Brecht Straße. Diese Vereinbarung mag vor dem Hintergrund getroffen worden sein, die von der Beklagten dafür aufzubringenden Kosten auf etwa die Hälfte zu senken, um diese zu bewegen, die von den Vertragsparteien zunächst nicht als erforderlich angesehene Anlage herzustellen. Letzteres ändert aber nichts daran, dass sie nach dem eindeutigen Willen der Vertragsparteien gerade auf die Herstellung der in Rede stehenden Straße gerichtet ist und den Aufwand der Beklagten insoweit endgültig mindern soll. Die Kostenübernahmevereinbarung zielt schon angesichts des übernommenen Anteils von 45 v.H. offenkundig nicht auf den Ausgleich des gemeindlichen Eigenanteils. Ebenso ist nichts dafür ersichtlich, dass sie wie eine Ablösungsvereinbarung allein auf die Tilgung der künftigen Beitragsforderung für das Grundstück des Investors (FlNr. 6493/30) gerichtet sein sollte. Abgesehen davon, dass die rechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer solchen Ablösungsvereinbarung nicht erfüllt wären, spricht gegen ein solches Verständnis nicht nur der Vertragswortlaut, sondern auch die spätere Umsetzung des städtebaulichen Vertrags insbesondere im notariellen Kaufvertrag vom 22. Juli 2010; denn mit diesem hat der Investor der Beklagten – unter anderem – die für die Herstellung der Bert Brecht Straße benötigte Fläche aus seinem Grundstück verkauft und dabei vereinbart, dass die Differenz zwischen dem Kaufpreis (408.000 €) und dem tatsächlich von der Beklagten auszuzahlenden Betrag (132.600 €) „als A-Konto-Zahlung auf die Anliegerbeiträge, Erschließungsbeiträge nach dem BauGB“ gilt. Diese Vereinbarung wäre unverständlich, wenn bereits die vorangegangene Kostenübernahmevereinbarung im städtebaulichen Vertrag den künftigen Erschließungsbeitrag hätte tilgen sollen.
Handelt es sich demnach um die vertragliche Übernahme von Kosten für die Herstellung einer bestimmten Erschließungsanlage, so spricht grundsätzlich und – so auch hier – eine Vermutung dafür, dass eine Entlastung der Anlieger bezweckt wird (zu denen der Investor selbst gehört) und deshalb der beitragsfähige Erschließungsaufwand im Umfang der Kostenübernahme, also zu 45 v.H. der beitragsfähigen Aufwendungen, anderweitig gedeckt ist (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 12 Rn. 7). Ansonsten hätte die Beklagten den Herstellungsaufwand lediglich zu 55 v.H. zu finanzieren, dürfte ihn aber zu 90 v.H. refinanzieren.
Für den Fall, dass – wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat – der Investor seine vertragliche Zahlungsverpflichtung bisher entgegen der Aktenlage noch nicht erfüllt hat, besteht die anderweitige Deckung in dem vertraglichen Anspruch der Beklagten gegen den Investor auf die vereinbarte Übernahme der anteiligen Herstellungskosten. Denn die Gemeinde ist grundsätzlich verpflichtet, einen den Erschließungsaufwand ganz oder teilweise deckenden Anspruch zu realisieren (BVerwG, U.v. 18.9.1981 – 8 C 21.81 – juris). Rechtliche Hindernisse sind nicht ersichtlich.
b) Bei der Verteilung des verbleibenden umlagefähigen Erschließungsaufwands auf die drei erschlossenen Grundstücke ist zugunsten der Klägerin der in der Erschließungsbeitragssatzung vorgesehene Artzuschlag (§ 6 Abs. 10 EBS) nur bei den fremden Grundstücken FlNrn. 6493/30 (2,5 + 1,25 = 3,75) und 6493/114 (1,9 + 0,95 = 2,85) anzusetzen, nicht aber bei ihrem Grundstück, weil die Bert Brecht Straße letzterem nicht die für eine gewerbliche Nutzung erforderliche Erreichbarkeit vermittelt.
Das Erschließungsbeitragsrecht ist auf einen angemessenen Ausgleich der durch die Inanspruchnahme(möglichkeit) einer beitragsfähigen Erschließungsanlage ausgelösten Vorteile ausgerichtet (vgl. BVerwG, U.v. 23.1.1998 – 8 12.96 – juris Rn. 15). Dementsprechend bestimmt § 131 Abs. 3 BauGB, dass die Verschiedenheit von Art und Maß der baulichen Nutzung – wegen der damit verbundenen unterschiedlichen Intensität der Nutzung der Erschließungsanlage – in den Maßstab der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands einzubeziehen ist, wenn im Abrechnungsgebiet eine unterschiedliche bauliche oder sonstige Nutzung zulässig ist. Dazu sieht die Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten in § 6 Abs. 10 EBS vor, einen gebietsbezogenen Artzuschlag für Grundstücke in einem festgesetzten Kern-, Gewerbe- und Industriegebiet sowie einen grundstücksbezogenen Artzuschlag für Grundstücke zu erheben, die überwiegend gewerblich genutzt werden.
Während für die Grundstücke FlNrn. 6493/30 und 6493/114 ein gebietsbezogener Artzuschlag anzusetzen ist, kommt für das in einem festgesetzten Mischgebiet gelegene Grundstück der Klägerin nur ein grundstücksbezogener Artzuschlag in Betracht. Zwar wird dieses Grundstück tatsächlich überwiegend gewerblich genutzt. Gleichwohl darf ein grundstücksbezogener Artzuschlag für dieses durch zwei Anbaustraßen erschlossene Grundstück ausnahmsweise nicht erhoben werden, weil der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abzurechnende Bert Brecht Straße, sondern ausschließlich über eine andere Anbaustraße, nämlich die Lange Straße, abgewickelt wird und, wie oben ausgeführt (1.b), wegen des im Bebauungsplan festgesetzten Zu- und Abfahrtsverbots auch nur dorthin abgewickelt werden darf. In einem solchen Fall ist die Erhebung eines grundstücksbezogenen Artzuschlages unzulässig (vgl. BVerwG, U.v. 23.1.1998 – 8 C 12.96 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – juris Rn. 37), weil die gewerbliche Nutzung nicht zu einer intensiveren Inanspruchnahme der Erschließungsanlage führen kann. Zu Recht hat die Beklagte hingegen mit Blick auf die gewerbliche Grundstücksnutzung keine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung gewährt (§ 6 Abs. 11 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 EBS).
3. Auf dieser Grundlage errechnet sich für das Grundstück der Klägerin ein Erschließungsbeitrag in Höhe von 66.642,63 €:
Der beitragsfähige Erschließungsaufwand beträgt – unstreitig – 695.792,83 €. Nach Abzug des satzungsmäßigen Eigenanteils von 10 v.H. (69.579,28 €) und des vom Investor übernommenen Anteils von 45 v.H. (313.106,77 €) verbleibt ein umlagefähiger Aufwand von 313.106,77 €, der auf die drei von der abzurechnenden Bert Brecht Straße erschlossenen Grundstücke zu verteilen ist. Das Abrechnungsgebiet umfasst insgesamt 68.164,74 m² Beizugsfläche (FlNr. 6493/114: 6.811 m² x 2,85 = 19.411,35 m²; FlNr. 6493/30: 9.132 m² x 3,75 = 34.245,00 m²; FlNr. 1838: 7.636 m² x 1,9 = 14.508,40 m²). Hieraus errechnet sich für das klägerische Grundstück ein Erschließungsbeitrag in Höhe von 66.642,63 € (statt der festgesetzten 180.697,76 €).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und entspricht dem Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens. Ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10‚ § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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