Baurecht

Heranziehung zum Straßenausbaubeitrag

Aktenzeichen  6 ZB 19.2057

Datum:
19.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG aF Art. 5 Abs. 1 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

Anders als im Erschließungsbeitragsrecht müssen im Straßenausbaubeitragsrecht auch bei Grundstücken in einem festgesetzten Gewerbe- oder Industriegebiet keine besonderen Erreichbarkeitsanforderungen erfüllt sein.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 K 18.1060 2019-07-31 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Juli 2019 – W 2 K 18.1060 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 71.563,99 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin‚ die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen‚ bleibt ohne Erfolg. Die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO, die die Klägerin innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gegen das erstinstanzliche Urteil dargelegt hat, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid vom 13. Juli 2016, mit dem sie von der beklagten Stadt auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (KAG a.F.) und der Ausbaubeitragssatzung vom 5. Mai 2015 zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 71.563,99 € für die Erneuerung und Verbesserung der H. Straße (Abschnitt Einmündung M.weg bis Kreisverkehrsanlage in Höhe Einmündung S.straße/I. straße) herangezogen worden ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass das klägerische Grundstück zum Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke gehört, auch wenn es von der H. Straße aus nicht unmittelbar befahren werden kann, nachdem der gültige Bebauungsplan auf Höhe des klägerischen Grundstücks ein Verbot von Ein- und Ausfahrten vorsieht.
2. Die von der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Einwände rechtfertigen die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 VwGO nicht.
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
Für Beiträge, die – wie hier – bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, verbleibt es nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage, die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt. In Anwendung dieser (alten) Rechtslage hat das Verwaltungsgericht einen die Beitragserhebung rechtfertigenden Sondervorteil im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG a.F. für das klägerische Grundstück zu Recht bejaht. Die im Zulassungsantrag dargelegten Einwände begründen an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils keine Zweifel, die in einem Berufungsverfahren geklärt werden müssten.
Die Klägerin wendet ohne Erfolg ein, der Betrieb des auf ihrem (Gewerbe-)Grundstück befindlichen Autohauses setze zwingend die Erreichbarkeit mit Fahrzeugen voraus, ohne die eine Beitragspflicht nach dem Ausbaubeitragsrecht nicht entstehen könne. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass im Straßenausbaubeitragsrecht (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 3 KAG a.F.) anders als im Erschließungsbeitragsrecht (Art. 5a KAG i.V.m. §§ 128 ff. BauGB) auch bei Grundstücken in einem festgesetzten Gewerbe- oder Industriegebiet keine besonderen Erreichbarkeitsanforderungen erfüllt sein müssen, um eine Beitragspflicht auszulösen. Zwar besteht der Sondervorteil, der die Auferlegung eines Beitrags rechtfertigt, in beiden Rechtsgebieten verallgemeinernd in der Möglichkeit, die erneuerte oder verbesserte Orts straße (Ausbaubeitragsrecht) bzw. die endgültig hergestellte Anbau straße (Erschließungsbeitragsrecht) in einer Weise zu nutzen, die den Gebrauchswert des Grundstücks erhöht. Die Anforderungen an eine solche beitragsrelevante qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit sind wegen der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung im Erschließungsbeitrags- und Straßenausbaubeitragsrecht aber nicht völlig deckungsgleich.
Die „zum Anbau bestimmten“ Straßen im Sinn der erschließungsbeitragsrechtlichen Vorschrift des Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG dienen ihrer Zweckbestimmung nach dazu, Grundstücken das an verkehrsmäßiger Erschließung zu geben, was für deren Bebaubarkeit bebauungsrechtlich erforderlich ist. Im Erschließungsbeitragsrecht meint daher qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit in Bezug auf Anbaustraßen nicht bloße Zugänglichkeit. Der Erschließungsvorteil besteht vielmehr darin, einem Grundstück die Erreichbarkeit der Erschließungsanlage in einer auf die bauliche (gewerbliche oder vergleichbare) Nutzbarkeit des Grundstücks gerichteten Funktion zu vermitteln, mit anderen Worten darin, dass das Grundstück gerade mit Blick auf die abzurechnende Erschließungsanlage – im Falle einer Zweiterschließung unter Hinwegdenken der Ersterschließung – bebaubar wird (im Einzelnen Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 49 ff m.w.N.). Das Bauplanungsrecht verlangt für die Bebaubarkeit eines Grundstücks regelmäßig dessen Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen (Heranfahrenkönnen)‚ sofern es nicht ausnahmsweise weniger‚ nämlich eine fußläufige Erreichbarkeit (Zugang)‚ genügen lässt oder mehr verlangt‚ nämlich eine Erreichbarkeit dergestalt‚ dass auf das Grundstück mit Kraftfahrzeugen heraufgefahren werden kann (BayVGH, U.v. 28.9.2015 – 6 B 14.606 – BayVBl 2016, 242 Rn. 18 m.w.N.; B.v. 29.4.2016 – 6 CS 16.58 – juris Rn. 9). Für Grundstücke in Gewerbe- und Industriegebieten wird grundsätzlich ein Herauffahrenkönnen erforderlich sein (BayVGH, U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Dem hier inmitten stehenden Straßenausbaubeitragsrecht ist hingegen, wie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG zeigt, eine solche Koppelung zwischen Qualität der Erreichbarkeit des Grundstücks und dessen baulicher Ausnutzbarkeit fremd (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2002 – 6 N 97.2148 – juris Rn. 27 ff.). Es kommt – anders als im Erschließungsbeitragsrecht – nicht darauf an, ob die abzurechnende erneuerte oder verbesserte Straße dem Grundstück diejenige wegemäßige Erschließung vermittelt, die für die zulässige bauliche oder gewerbliche Nutzung erforderlich ist. Für den Sondervorteil im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats vielmehr (nur) zwei Merkmale entscheidend: Zum einen die spezifische Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Orts straße, wie sie bei Anlieger- und diesen gleichzustellenden Hinterliegergrundstücken gegeben ist, und zum anderen eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Orts straße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Den Eigentümern von Flächen, bei denen beide Voraussetzungen vorliegen, kommt der Straßenausbau in einer Weise zugute, die sie aus dem Kreis der sonstigen Straßenbenutzer heraushebt und die Heranziehung zu einem Beitrag rechtfertigt (BayVGH, U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 16; U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 – juris Rn. 15; U.v. 29.11.2018 – 6 B 18.248 – juris Rn. 25 m.w.N.).
Beide Voraussetzungen liegen bei dem Grundstück der Klägerin vor, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat. Zum einen besteht eine ausreichende „spezifische Nähe“ zur H. Straße, weil das Grundstück auf einer Länge von etwa 4 m unmittelbar an die Einrichtung angrenzt und von dort aus ohne weiteres betreten werden kann und darf. Es kann zum anderen in einer beitragsrechtlich sinnvollen Weise, nämlich gewerblich, genutzt werden.
Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung, für den ausbaubeitragsrechtlichen Sondervorteil auf die Inanspruchnahmemöglichkeit als solche ohne Berücksichtigung der Art der Erreichbarkeit abzustellen, begegnet entgegen der Ansicht der Klägerin keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2007 – 6 BV 04.2189 – juris Rn. 20). Der beitragsrelevante Sondervorteil erschöpft sich in der qualifizierten Inanspruchnahmemöglichkeit als solcher, ohne dass es auf besondere Erreichbarkeitsanforderungen, die eine bestimmte bauliche oder gewerbliche Nutzung des Grundstücks ermöglichen, ankäme (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2007 – 6 BV 04.2189 – juris Rn.. 20; U.v. 8.3.2010 – 6 B 09.1957 – juris Rn. 21 m.w.N.). Ob die Klägerin den Straßenausbau subjektiv als vorteilhaft empfindet, ist beitragsrechtlich ohne Belang.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (BayVGH, B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.). Rechtsfragen, die die Auslegung von ausgelaufenen oder in absehbarer Zeit auslaufenden Rechtsvorschriften betreffen, wie hier des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, kommt regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil dieser Zulassungsgrund im Wesentlichen auf die für die Zukunft richtungsweisende Klärung von Rechtsfragen des geltenden Rechts gerichtet ist. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Rechtsvorschrift, etwa aufgrund einer Übergangsregelung, für einen nicht überschaubaren Personenkreis weiterhin Bedeutung hat oder die Nachfolgeregelung dieselben Rechtsfragen aufwirft. Nach § 124a Abs. 4 und 5 VwGO ist es Sache des Antragstellers, einen derartigen Ausnahmefall darzulegen (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, B.v. 25.4.2018 – 6 B 3.18 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Das Vorbringen in der Zulassungsschrift erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Hinsichtlich der im Zulassungsantrag formulierten Frage, ob die Entstehung einer Ausbaubeitragspflicht für ein mit einem Autohaus bebautes Grundstück „die Erreichbarkeit“ mit Fahrzeugen, also eine Zufahrtsmöglichkeit im Sinne eines Herauffahrens, voraussetzt, hat die Klägerin jedenfalls die erforderliche Breitenwirkung und damit ihre Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt, da sie nicht aufgezeigt hat, dass diese Frage noch in einer nennenswerten Zahl von Fällen zum Tragen kommt. Im Übrigen ist die Frage, wie oben dargelegt, in dem vom Verwaltungsgericht entschiedenen Sinn geklärt. Erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf von entscheidungserheblicher Bedeutung ist nicht aufgezeigt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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