Baurecht

Heranziehung zur Zahlung eines Erschließungsbeitrags

Aktenzeichen  AN 3 K 18.00258

Datum:
12.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23057
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 127, § 129 Abs. 1, § 132 Nr. 4
BayKAG Art. 5a Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Bei Grundstücken in (qualifiziert) beplanten Gebieten ist grundsätzlich die gesamte im Plangebiet liegende Fläche als erschlossen im Sinne von § 131 Abs. 1 S. 1 BauGB anzusehen; sie ist daher bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands in vollem Umfang zu berücksichtigen.  (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. 
3.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung  in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig  vollstreckbar.

Gründe

Bei der Niederlegung des am 12. September 2019 unterschriebenen Entscheidungstenors wurden in Ziffer 3 nach dem Wort „ist“ versehentlich die Worte „hinsichtlich der Kosten“ weggelassen. Hierbei handelt es sich um ein offensichtliches Versehen im Sinne von § 118 Abs. 1 VwGO, welches vom Gericht mit der Zustellung des Urteils und der hier erfolgten Begründung von Amts wegen berichtigt wird. Ein gesonderter Berichtigungsbeschluss ist entbehrlich, da der Urteilstenor nicht verkündet wurde und somit das Urteil ohnehin erst mit der Zustellung der Urteilsausfertigung mit dem hierin enthaltenen Urteilstenor wirksam wird (vgl. VG Bayreuth, U.v. 13. Dezember 2005, B 1 K 04.1349 – juris).
Streitgegenstand vorliegender Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2018, mit welchem der Kläger als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …, Gemarkung …, für die Herstellung der Erschließungsanlagen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „Gewerbegebiet …“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 89.089,89 EUR herangezogen wurde.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Erschließungsbeitragsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der streitgegenständliche Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in Art. 5 a KAG, §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 18. Mai 1998 (EBS).
Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit dieser Erschließungsbeitragssatzung sind weder klägerseits vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Die rechtmäßige Abrechnung der an der streitgegenständlichen Anlage durchgeführten Baumaßnahmen im Wege der Erhebung eines Erschließungsbeitrages setzt unter anderem voraus, dass die Erschließungsanlage nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt erstmals endgültig hergestellt war.
Der in diese Richtung zielende klägerische Einwand, die streitgegenständliche Anlage sei bereits in den 1970er-Jahren erstmalig hergestellt worden, erweist sich als nicht haltbar.
Aus dem Blickwinkel des Erschließungsbeitragsrechts liegt eine nach den §§ 127 ff. BauGB abrechenbare Straße vor, wenn diese zu irgendeinem Zeitpunkt Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war.
Vorliegend besaß die streitgegenständliche Straße vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. … „Gewerbegebiet …“ in der Fassung der ersten Änderung vom 11. April 2012 keine Erschließungsfunktion im Sinne der §§ 127 ff. BauGB.
Zu beachten ist hierbei insbesondere, dass die baurechtliche Erschließung, welche Voraussetzung für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens ist, nicht gleichzusetzen ist mit dem Vorliegen einer Erschließungsanlage nach den §§ 127 ff. BauGB.
Insoweit geht das Vorbringen des Klägers, dass das klägerische Grundstück bereits seit den 1970er-Jahren erschlossen sei, fehl. Zumal § 35 Abs. 1 BauGB – anders als die baurechtlichen Erschließungsanforderungen in Gebieten mit qualifizierten Bebauungsplänen sowie im nichtbeplanten Innenbereich (vgl. § 30 Abs. 1, § 34 BauGB) – lediglich eine „ausreichende Erschließung“ verlangt, so dass hierfür – wie im vorliegenden Fall – bereits das Vorhandensein eines Feldweges als ausreichend erachtet werden kann.
Unabhängig davon, dass der zunächst vorhandene Feldweg offensichtlich bereits die erforderlichen Voraussetzungen der „endgültigen Herstellung“ sowohl nach § 132 Nr. 4 BauGB i.V.m. § 8 EBS der Beklagten als auch nach dem zuvor geltenden BBauGB zu keiner Zeit aufgewiesen hat, war dieser vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. … keine „zum Anbau bestimmte Straße“ im Sinne des Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG bzw. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB und damit bereits aus diesem Grund keine abrechenbare Erschließungsanlage.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes erhält eine Straße in einem unbeplanten Gebiet – wie es hier vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten vorlag – die Funktion einer Erschließungsanlage dann, wenn an ihr eine gehäufte Bebauung einsetzt, das heißt – zumindest für eine Straßenseite – bauplanungsrechtlich Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB zu bejahen ist (vgl. etwa BayVGH, B. v. 18.8.2017, 6 ZB 17.840 – juris, B.v. 3.7.2017, 6 ZB 16.2272 – juris, B.v. 9.8.2016, 6 CS 16.1032 – juris, B.v. 27.1.2015, 6 ZB 13.1128 – juris, B.v. 7.3.2002, 6 B 97.3737 – juris). Das verlangt, dass die maßgeblichen Grundstücke in einem Bebauungszusammenhang liegen, der einem Ortsteil angehört (BayVGH, B. v. 21.11.2013, 6 ZB 11.2973 – juris, B.v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1032 – juris). Eine Außenbereichs straße kann somit keine „zum Anbau bestimmte Straße“ darstellen.
Vorliegend lag erst mit Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten, mit welchem auch das klägerische Grundstück erstmals Bauland wurde, sowie mit dem Vorliegen sämtlicher entsprechend § 132 Nr. 4 BauGB von der Beklagten in § 8 EBS festgelegten Herstellungsmerkmale durch die vollständige Errichtung der abgerechneten Straße im Jahr 2015 eine erstmals endgültig hergestellte und zum Anbau bestimmte Straße im Sinne des Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG bzw. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB und damit eine abrechenbare Erschließungsanlage vor.
3. Das klägerische Grundstück wird zweifelsfrei durch die streitgegenständliche Anlage erschlossen, da es mit dem als Zufahrt ausgebildeten Grundstücksteil und auch im Übrigen mit seiner östlichen Grundstücksgrenze in vollständiger Breite an der streitgegenständlichen Erschließungsanlage anliegt.
4. Der angefochtene Bescheid ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, insbesondere wurde zu Recht die gesamte Buchgrundstücksfläche mit dem Nutzungsfaktor 1,0 herangezogen.
a) Von – hier nicht vorliegenden – Ausnahmen abgesehen, ist im Erschließungsbeitragsrecht auf den Begriff des Grundstücks im bürgerlich-rechtlichen Sinne abzustellen. Danach ist ein Grundstück als solcher Teil der Erdoberfläche zu verstehen, der auf einem besonderen Grundbuchblatt oder auf einem gemeinschaftlichen Grundbuchblatt unter einer besonderen Nummer im Verzeichnis der Grundstücke eingetragen ist (BVerwG, U.v. 1.4.1981, 8 C 5.81 – juris).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ist bei Grundstücken in (qualifiziert) beplanten Gebieten grundsätzlich die gesamte im Plangebiet liegende Fläche als erschlossen i.S. des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB anzusehen und dementsprechend bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwandes in vollem Umfang zu berücksichtigen. Öffentlichrechtliche Baubeschränkungen vermindern den Umfang der erschlossenen Fläche grundsätzlich nicht (vgl. etwa BVerwG, B.v. 3.2.1989, 8 C 66.87 – juris; U.v. 10.10.1995, 8 C 12.94 – juris; U.v. 12.11.2014, 9 C 7.13 – juris; BayVGH, B.v. 9.2.2010, 6 ZB 08.393 – juris). Das gilt für Nutzungsverbote im Interesse des Umweltschutzes – wie vorliegend etwa die kartierte Biotopfläche oder die zu erhaltenen Gehölzbestände – ebenso wie für Anbauverbote im Interesse der Belange des Verkehrs – wie hier die Bauverbotszone zur Staats straße … – oder bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO (Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen) sowie für Abstandsgebote aller Art (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2015, 6 ZB 13.2092 – juris sowie B.v. 12.8.2016, 6 ZB 15.461 – juris).
Der Umfang der erschlossenen Fläche ist selbst dann nicht zu verringern, wenn eine solche Baubeschränkung die Ausschöpfung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks verhindert (BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 12.94 – NVwZ 1996, 800/802). Denn sie soll lediglich auf den Standort der baulichen Anlagen Einfluss nehmen, ändert aber nichts an der baulichen Ausnutzbarkeit und damit am Erschlossensein des Grundstücks. Als bloße Ausnutzungsbehinderung wirkt sie sich bei der Aufwandsverteilung daher nur dann aus, wenn das durch die Baubeschränkungen betroffene Nutzungsmaß neben der Grundstücksfläche eine weitere Komponente der satzungsmäßigen Verteilungsregelung ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2015, 6 ZB 13.2092 – juris sowie B.v. 12.8.2016, 6 ZB 15.461 – juris; BVerwG, B.v. 29.11.1994, 8 B 171.94 – NVwZ 1995, 1215; U.v. 12.11.2014, 9 C 7.13 – juris; U.v. 10.10.1995, 8 C 12.94 – NVwZ 1996, 800/802; BayVGH, B.v. 3.3.2015, 6 ZB 13.2092 – juris).
Die Erstreckung auf die gesamte Grundstücksfläche rechtfertigt sich, obgleich planungsrechtlich im Regelfall nicht die gesamte Fläche der baulichen (oder sonst erschließungsbeitragsrechtlich relevanten) Nutzung zugeführt werden darf, das heißt, auf diese Weise auch nicht bzw. nicht relevant nutzbare Flächenteile als erschlossen behandelt werden. Denn der Erschließungsbegriff in § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann nicht an der Rechtstatsache vorbeigehen, dass das Baurecht fast nie die volle Überbauung eines Grundstücks zulässt, sondern die Zulässigkeit einer Bebauung meist die Freihaltung erheblicher Grundstücksteile voraussetzt, mithin für die Ausführbarkeit eines Bauvorhabens durchweg mehr an Fläche zur Verfügung stehen muss, als für die bauliche Anlage als solche benötigt wird. Deshalb ist es für den Umfang der im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Fläche grundsätzlich ohne Einfluss, wenn die überbaubare Fläche eines beplanten Baugrundstücks – wie hier – durch Festsetzungen im Bebauungsplan beschränkt ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2016, 6 ZB 15.461 – juris).
Es ist vorliegend auch nicht ersichtlich, dass mit den Satzungsbestimmungen der Beklagten der gesetzlich vorgegebene Umfang des Erschlossenseins eines Buchgrundstücks verkleinert werden soll. Nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 EBS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken im Bereich eines Bebauungsplans die Fläche, die der Ermittlung der zulässigen Nutzung zu Grunde zu legen ist. Eine Berücksichtigung der baurechtlich sich ergebenden flächenmäßigen Begrenzung der Bebaubarkeit des klägerischen Buchgrundstücks ist bei dem vorliegend nach der Erschließungsbeitragssatzung anzuwendenden Vollgeschossmaßstabs (§ 6 Abs. 2 EBS), der allein auf die Grundstücksfläche und die auf dem gesamten Buchgrundstück höchstzulässige Zahl von Vollgeschossen abstellt, nicht möglich.
Vorliegend ist für das Grundstück des Klägers eine bauliche Nutzung festgesetzt. Da es in einem qualifiziert beplanten Gebiet liegt, ist unter Zugrundelegung der eben erörterten Maßstäbe mithin die gesamte vom Bebauungsplan erfasste Fläche des Grundstücks als erschlossen im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu qualifizieren und nicht lediglich die als bebaubar gekennzeichnete Grundstücksfläche.
b) Entgegen dem Klägervorbringen liegt vorliegend auch kein Fall des § 6 Abs. 4 EBS vor.
Danach werden beitragspflichtige Grundstücke, die ohne bauliche Nutzungsmöglichkeit oder die mit einer untergeordneten baulichen Nutzungsmöglichkeit gewerblich oder sonstig genutzt werden oder genutzt werden dürfen, lediglich mit 0,5 der Grundstücksfläche in die Verteilung einbezogen. Die EBS der Beklagten stellt somit explizit gerade nicht auf die bebaute oder bebaubare Fläche eines Grundstücks ab, sondern vielmehr auf die bloße Möglichkeit der baulichen Nutzung, welche bei dem klägerischen Grundstück ganz evident nicht lediglich untergeordneter Natur ist, wie es beispielsweise bei Kleingärten, Friedhöfen, Schwimmbädern oder Sportplätzen regelmäßig der Fall ist.
Die Verwirklichung der baulichen Nutzbarkeit wird durch die planungsrechtlich gegebene teilweise Nichtbebaubarkeit bestimmter Teile des klägerischen Grundstücks nicht berührt. Somit geht der Vortrag des Klägers, dass die bauliche Nutzungsmöglichkeit von untergeordneter Art sei, da lediglich eine Fläche von 2.300 m² auf die auf dem klägerischen Grundstück vorhandene Lagerhalle entfalle, fehl.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2, 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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