Baurecht

Höhe von Vermessungsgebühren und individuelle Kosten der Bauausführung

Aktenzeichen  M 23 K 15.4350

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 128883
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKG Art. 12 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 S. 1
GebOVerm § 6 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Indem der erste Halbsatz des § 6 Abs. 1 GebOVerm durch einen zweiten Halbsatz ergänzt wird, ergibt sich hieraus eine vom Verordnungsgeber (auf Grundlage des Art. 21 Abs. 1 S. 1 KG) eindeutig bezeichnete Relation. Vorrangig sind demzufolge die individuellen Kosten der Bauausführung im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung heranzuziehen, lediglich „hilfsweise“ die gewöhnlichen Herstellungskosten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus der nachträglich erkannten Fehlerhaftigkeit der ursprünglich vorgenommenen Berechnung der Baukosten folgt die Pflicht zur nachträglichen Korrektur. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, über eine Reduzierung der Kostenrechnung vom 31. 8. 2015 in Höhe von 8.064,-EUR (etwa nach Art. 12 Abs. 2 KG) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Das Gericht konnte im Einverständnis mit den Parteien ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Der Beklagte war zu verpflichten, über die Reduzierung der Vermessungskosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO); der Hauptantrag war abzuweisen.
§ 6 Abs. 1 GebOVerm bestimmt, dass den Gebühren für die Vermessung und katastertechnische Behandlung von Gebäudeveränderungen die Baukosten der Gebäudeveränderung gemäß Nr. 2 I 1/ 2.1 der Anlage zum Kostenverzeichnis, hilfsweise die gewöhnlichen Herstellungskosten, zugrunde gelegt werden. Gemäß Nr. 2 I 1/ 2.1. der Anlage zum Kostenverzeichnis sind Baukosten Kosten (inkl. Umsatzsteuer), die am Ort der Bauausführung im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung zur Vollendung des zu genehmigenden Vorhabens erforderlich sind. Einsparungen wegen Eigenleistungen (Material und Arbeit) bleiben unberücksichtigt.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte in seiner Normenkontrollentscheidung vom 12. April 2000 (19 N 98.3739 – juris Rn. 52 f.) insofern (teilweise zur damaligen Rechtslage) ausgeführt:
„(…) Des Weiteren rügt die Antragstellerin, dass der in (…) § 6 Abs. 1 GebOVerm benutzte Begriff der „Baukosten“ für die Wertbestimmung nicht hinreichend bestimmt und die Verordnung deshalb insoweit nichtig sei. Der Antragstellerin ist zwar zuzugestehen, dass dieser Begriff an sich wenig bestimmt ist und innerhalb der GebOVerm nicht definiert wird. Bei der Verordnung über die Benutzungsgebühren der staatlichen Vermessungsämter handelt es sich jedoch um eine kostenrechtliche Regelung, die auf der Ermächtigung im Kostengesetz beruht und auf die die Bestimmungen des Kostenrechts anzuwenden sind. Eine entsprechende Definition des Begriffs „Baukosten“ ist in der kostenrechtlichen Verordnung über den Erlass des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz (KVz) vom 18. Juli 1995 (GVBl S. 454) enthalten. Bei Tarifstelle 2.1.1/2 heißt es: „Soweit die Gebühren nach den Baukosten berechnet werden, ist von den Kosten auszugehen, die am Ort der Bauausführung im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung zur Vollendung des zu genehmigenden Vorhabens erforderlich sind. Einsparungen durch Eigenleistungen (Material und Arbeitsleistungen) sind dabei nicht zu berücksichtigen. Der Betrag wird auf volle Tausend DM aufgerundet.“ Damit ist der in der GebOVerm verwendete Begriff der „Baukosten“ ohne weiteres bestimmbar. Im Vermessungswesen existiert zudem eine Konkretisierung in Form der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 22. Januar 1996 zum Vollzug kosten- und kassenrechtlicher Vorschriften für die staatlichen Vermessungsämter (KVermBek). Dort ist in „Ziff. 12. Gebäudeveränderungen (§ 3 GebOVerm), 12.1 Baukosten“ geregelt, dass „bei den Baukosten grundsätzlich von den Kosten auszugehen ist, die am Ort der Bauausführung im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung zur Vollendung des genehmigten Vorhabens erforderlich sind. … Einsparungen durch Eigenleistungen (Material und Arbeitsleistungen) sind dabei nicht zu berücksichtigen. Nach Möglichkeiten sind die den Baugenehmigungsbehörden vorliegenden Baukosten oder geeignete Nachweise der Gebäudeeigentümer heranzuziehen; im Übrigen genügen einfache Schätzungen, z.B. anhand geeigneter Vergleichsfälle oder auf der Grundlage des umbauten Raumes“. Diese innerbehördliche Bekanntmachung wäre zwar grundsätzlich nicht geeignet, eine eventuell fehlende Bestimmtheit der angefochtenen Verordnung zu ersetzen; sie stellt jedoch sicher, dass die einschlägige Begriffsbestimmung im Kostenverzeichnis bei den Vermessungsbehörden Beachtung findet. Die „Baukosten“ im Sinne der GebOVerm umfassen somit die gesamten tatsächlichen Kosten der Baumaßnahmen (…).“
Da der streitgegenständliche Bescheid für die Klägerin einen belastenden Verwaltungsakt darstellt, bedarf er einer eindeutigen gesetzlichen Eingriffsermächtigung.
Indem der erste Halbsatz des § 6 Abs. 1 durch einen zweiten Halbsatz ergänzt wird, ergibt sich hieraus eine vom Verordnungsgeber (auf Grundlage des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 KG) eindeutig bezeichnete Relation. Vorrangig sind demzufolge die individuellen Kosten der Bauausführung im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung heranzuziehen, lediglich „hilfsweise“ die gewöhnlichen Herstellungskosten. Die Regelung ist nach keiner der gängigen Auslegungsmethoden dahingehend auslegungsfähig, dass sich diese Rangordnung regelmäßig umkehrt und damit die gewöhnlichen Herstellungskosten den individuell erforderlichen Baukosten vorgehen (so wohl aber VG Ansbach, U. v. 18.7.2007 – AN 9 K 06. 3136, juris Rn. 17 ff.).
Der Verordnungsgeber wäre andernfalls gehalten, eine Präzisierung vorzunehmen.
Vorliegend war dem Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt bei Bescheidserlass nicht bekannt, dass es im Vorfeld und im Zuge der Baugenehmigung Gespräche und unterschiedliche Ansichten zur Höhe der Baukosten zwischen Bauherr und Behörde gegeben hatte. Der Vermessungsverwaltung wurde lediglich die Baukostensumme ohne Berechnungsgrundlage mitgeteilt. Zumindest die hieraus errechnete Baugenehmigungsgebühr war mangels Rechtsmitteln hiergegen in Bestandskraft erwachsen. Für den Beklagten bestanden daher keinerlei Anhaltspunkte für eine Nachermittlung.
Aufgrund der Vielzahl von Verfahren im Bereich der Vermessungsverwaltung ist es auch schwerlich praktikabel, wenn der Beklagte in jedem Einzelfall die von der Baugenehmigungsbehörde mitgeteilten Baukosten nochmal vollständig sachlich und rechnerisch zu überprüfen hat, wenn er selbst keinerlei Anhaltspunkte dafür hat, dass die mitgeteilte Baukostensumme von vornherein falsch bzw. auch nur bestritten ist (anders wohl, wenn derartige Anhaltspunkte vorliegen, denen der Beklagte wegen seiner Amtsermittlungspflicht nachzugehen hat).
Die Kostenentscheidung des Beklagten vom 31. August 2015 erweist sich jedoch im Nachhinein als teilweise fehlerhaft, nämlich in Bezug auf einen Betrag von (maximal) 8.064,00 EUR. Von Klageseite wurde im gerichtlichen Verfahren nachgewiesen, dass statt des von dem Beklagten zugrunde gelegten Baukostenrahmens des § 6 Abs. 2 Nr. 8 GebOVerm (dort: 25,0 – 27,5 Mio. EUR) zutreffend der Rahmen von 12,5 Mio. – 15,0 Mio. EUR bzw. der von 15,0 – 17,5 Mio. EUR (vgl. hierzu unten) der Gebührenberechnung zugrunde zu legen gewesen wäre.
Die von der Klageseite im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Schlussrechnung belegt die zumindest grobe Richtigkeit der ursprünglich im Baugenehmigungsverfahren von Klageseite vorgenommenen Schätzung der Baukostensumme nachträglich.
Es trifft zu, dass – und dies ist zwischen den Parteien unstreitig – maßgeblich alleine die Kosten sind, die im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung für die Realisierung des Vorhabens erforderlich erscheinen. Auf die Schlussrechnung für sich kommt es nicht an. Sie erlangt aber – wie hier – Bedeutung, wenn sie geeignet ist, die Richtigkeit der zum Zeitpunkt der Baugenehmigung vom Bauherrn zwangsläufig anzustellenden Prognoseberechnung im Nachhinein zumindest in etwa zu belegen.
Die von der Baugenehmigungsbehörde ermittelten und von dem Beklagten zunächst zulässigerweise übernommenen Baukosten stellen sich daher als fehlerhaft dar, da die Genehmigungsbehörde die Baukosten fehlerhaft unter Zugrundelegung ihres Baukostenindexes ermittelt hat. Sie darf jedoch entsprechend der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U. v. 26.2.2003 – 2 B 00.1313, juris Rn. 23) nur in den Fällen, in denen Angaben des Bauherren fehlen bzw. die Baukosten so niedrig beziffert sind, dass sie unter Zugrundelegung der konkreten Umstände keinen realistischen Bezug mehr zu den objektiv erforderlichen Baukosten aufweisen, von diesen Angaben abweichen bzw. auf den Baukostenindex zurückgreifen (vgl. auch Ziff. 12.1.4 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 14. Oktober 1985, MABl. 22/1985). Bei der Frage, ob kein realistischer Bezug mehr besteht, darf nicht nur auf den Durchschnittswert abgestellt werden, sondern muss auch die gesamte Preisspanne der im Index verwerteten Baukosten in den Blick genommen werden (vgl. VG München, U. v. 30.6.2014 – M 8 K 14.145 – juris Rn. 49).
Im vorliegenden Verfahren vermochte der Beklagte trotz Recherchen hierzu nicht (mehr) darzulegen, aus welchen Gründen die von der Lokalbaukommission im Baugenehmigungsverfahren vorgenommene Berechnung nach Baukostenindex erfolgte, obgleich der Bauherr bzw. dessen Vertreter erforderliche Angaben gemacht hatte. Die vorgetragene Unvollständigkeit bzw. der vorgetragene Realitätsbezug der klägerischen Angaben bewegen sich – was sich nachträglich erwiesen hat – im Bereich von Vermutungen.
Aus nachträglich erkannten Fehlerhaftigkeit der ursprünglich vorgenommenen Berechnung folgt die Pflicht des Beklagten zur nachträglichen Korrektur. Dies gebietet schon der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz. Es mag der Praxis entsprechen, dass sich Bauwerber in der besonderen Situation des Erhalts der Baugenehmigung nicht gesondert gegen die aus der Baukostensumme errechnete Baugenehmigungsgebühr wenden, wie vorliegend für die Klägerin dargelegt. Die Tatsache, dass gegen eine – im vorliegenden Fall im Übrigen gesondert gar nicht ausgewiesene – Baukostenfestsetzung nicht vorgegangen und die Gebührenfestsetzung selbst bestandskräftig wurde, wirkt sich auf die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Rechnung nicht aus.
Der Beklagte war daher zu verpflichten, über eine Reduzierung der Baukosten im tenorierten Umfang zu entscheiden. Allerding erscheint es auch im Rahmen der dem Beklagten obliegenden Amtsermittlung (Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG) sachgerecht – wie im Übrigen für die Klägerin im Ergebnis auch ohne ersichtliche Rechtsnachteile –, den Beklagten „lediglich“ zu verpflichten, auf nachträglich nach Bescheidserlass ihm erstmals bekannt gewordene Tatsachen eine Korrektur der Kostenentscheidung zugunsten der Klägerin vorzunehmen, wie dies etwa auch Art. 12 Abs. 2 KG vorsieht.
Das Gericht erkennt und akzeptiert damit die volle Verantwortlichkeit der Vermessensverwaltung für die Richtigkeit der von außen mitgeteilten Baukosten im Regelfall jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens von substantiierten Zweifeln hieran (vgl. auch VG München, B. v. 6.8.2014 – M 23 K 14.2525 – juris).
Dem Beklagten steht in Bezug auf die Vorgehensweise ein Auswahlermessen zu. In Betracht kommen etwa eine Teilaufhebung des Bescheides vom 31. August 2015 oder aber eine vollständige Aufhebung bei gleichzeitigem Erlass eines Kostenbescheides im reduzierten Maße oder aber eine Entscheidung im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 KG (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
Im Hinblick auf den Umfang der vorzunehmenden Reduzierung wird der Beklagte des Weiteren darüber zu entscheiden haben, ob er die im Baugenehmigungsverfahren angegebene Brutto – Baukostensumme (12.185.600,00 EUR), oder diese Summe unter Hinzurechnung der von Klageseite eingeräumten Steigerung um etwa 30%, oder aber die von Klageseite selbst beanspruchte und demgegenüber erhöhte Summe der Schlussrechnung (15.806.361,94 EUR brutto) zugrunde legt. Entgegen der Berechnung des Klägerbevollmächtigten käme dann aber der „nächsthöhere“ Baukostenrahmen von 15,0 bis 17,5 Mio. EUR zur Anwendung. Der im Tenor genannte und der Antragstellung geschuldete Maximaldifferenzbetrag (§ 88 VwGO schließt eine noch höhere Reduzierung aus), der in Folge eines BruttoBaukostenrahmens von 12,5 bis 15,0 Mio. EUR zustände käme, würde sich in letzterem Fall verringern.
Der Klage war daher lediglich im Hilfsantrag stattzugeben, der Hauptantrag hingegen  sen …
[Die Neb]enentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das (formelle) Unterliegen der Klagepartei wegen Abweisung des Hauptantrages bzw. wegen des dem Beklagten verbleibenden Ermessens wirkt sich nicht bzw. lediglich geringfügig aus.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. .
Die Berufung war zuzulassen (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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