Baurecht

kein Anliegen an historischer Straße, Anlagenbildung, natürliche Betrachtung, Gartenmauer auf Grundstück und Pfosten als Durchfahrtshindernis auf Straße hindern Beitragspflicht nicht

Aktenzeichen  B 4 K 19.162

Datum:
16.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46875
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5a
BauGB § 127 ff.
BauGB § 133 Abs. 3 S. 1
BauGB § 242 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 14.01.2019 wird aufgehoben, soweit darin eine höhere Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag als 5.313,62 EUR festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 90 % und die Beklagte 10 %. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Über die Klage kann gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
1. Die zulässige Klage ist überwiegend nicht begründet.
Der Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 21.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 14.01.2019 ist nur im Umfang von 607,52 EUR aufzuheben, weil die festgesetzte Vorausleistung in Höhe von 5.313,62 EUR rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 5a Abs. 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. § 127 ff. Baugesetzbuch (BauGB) und der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 16.03.1990 i.d.F. vom 01.07.1998 (EBS) erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Hierbei können gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB i.V.m. § 11 Abs. 1 EBS für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht entstanden ist, Vorausleistungen verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden ist, sofern die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
1.1 Der Kern der klägerischen Einwendung gegen den Vorausleistungsbescheid besteht darin, dass sie ihre Beitragspflicht dem Grunde nach verneint, weil sie die Ansicht vertritt, ihr Grundstück liege am „historischen Teil“ der …gasse und unterliege daher nicht mehr einer Erschließungsbeitragspflicht. Diese Ansicht teilt die Kammer nicht.
Eine vorhandene (historische) Straße, die gemäß § 242 Abs. 1 BauGB nicht nach den §§ 127ff. BauGB abrechenbar ist, liegt vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30.06.1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (BayVGH, B.v. 21.11.2013 – 6 ZB 11.2973 – juris Rn. 7).
Dass eine Teilstrecke der …gasse als historische Straße i.S.d. § 242 BauGB gilt, ist unstreitig. Dies leitet sich ab von der Regelung in Ziffer V. 7. des Eingemeindungsvertrags vom 28.07.1971 zwischen der Beklagten und der vorher eigenständigen Gemeinde S …, wonach die in dem beiliegenden Plan rot gekennzeichneten inneren Ortsstraßen der Gemeinde als fertige, sogenannte „historische Straßen“ gelten.
Das Grundstück Fl.-Nr. aaa der Klägerin liegt allerdings nicht im Bereich der roten Kennzeichnung dieses Plan; diese endet vielmehr genau an der nordwestlichen Grundstückgrenze der Fl.-Nr. aaa. Dabei kann ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Ungenauigkeit bei der Einzeichnung in den sehr kleinmaßstäblichen Plan handelt. Denn aus den vorliegenden Eintragungsverfügungen vom 29.05.1964 zur Anlegung des Bestandsverzeichnisses der Gemeindestraßen (Art. 67 Abs. 3, Art. 3 Abs. 3 BayStrWG) lässt sich anhand des Wortlauts eindeutig nachvollziehen, dass die …gasse bereits damals aus zwei Teilen bestand, der 65m langen Ortsstraße von der Abzweigung von der …gasse bis zur „Nordwestgrenze Grundstück Fl.-Nr. aaa“ einerseits und dem 80m langen beschränkt öffentlichen Weg von der Kreisstraße … (B … straße) bis zur „Nordwestgrenze Grundstück Fl.-Nr. aaa“. Die Erhebungsniederschrift enthält als Bemerkung zur Beschaffenheit des Wegs: „Widmungsbeschränkung: nur Fußgängerverkehr, Deckenart: unbefestigt, Breite: 1m“. Eine Änderung der Eintragungsverfügung hinsichtlich des Wegs erfolgte durch Vermerk von 05.06.2006, indem seine Länge von 80m auf 85m korrigiert wurde. Diese Korrektur betrifft aber ausschließlich den beschränkt öffentlichen Weg und nicht die Ortsstraße. Die Grenze zwischen Ortsstraße und beschränkt öffentlichen Weg endete also genau an der Grundstücksgrenze der Klägerin, so dass für ihr Grundstück nur eine Punktberührung zur historischen Ortsstraße und kein „Anliegen“ gegeben war. Bestätigt werden die amtlichen Eintragungen durch die vor Beginn der Baumaßnahme gefertigten Fotos vom 19.10.2014 (Bl. 22 – 24, Beiakte II), die zeigen, dass vor der komplett durch eine Mauer eingefriedeten westlichen Grundstücksgrenze der Fl.-Nr. aaa keine befestigte Straße, sondern lediglich eine Gras- bzw. Schotterfläche vorhanden war. Auf diesen Fotos ist auch kein Gully zu sehen, wobei ein solcher allenfalls eine Entwässerungseinrichtung, aber nicht eine hergestellte Erschließungsstraße belegen könnte. Die Klägerin räumt schließlich selbst ein, dass sie ihr Grundstück über das ihrer Schwester gehörende Nachbargrundstück Fl.-Nr. bbb angefahren hat. Dieses Grundstück liegt unstreitig an dem „historischen Teil“ der …gasse an.
Damit unterliegt das Grundstück der Klägerin grundsätzlich dem Erschließungsbeitragsrecht.
1.2 Maßgebliche Erschließungsanlage ist die teils als „…berg“, teils als „…gasse“ bezeichnete Straße, die aus den Fl.-Nrn. eee/23, cc/36, cc/51 und ddd (Teilfläche), Gemarkung S … besteht. An dieser Anlagenbildung bestehen unter dem Gesichtspunkt der „natürlichen Betrachtungsweise“ (vgl. BVerwG v. 09.01.2013 – 9 B 33.12; juris) keine Bedenken, weil diese ca. 80m lange Straße von der Abzweigung der R … straße „…berg“ bis zur westlichen Grundstücksgrenze des klägerischen Grundstücks völlig geradeaus verläuft und dort in einem aufgeweiteten Einmündungstrichter endet. Linksseitig wird die Anlage durch die historische …gasse begrenzt, rechtsseitig durch die private Zufahrt Fl.-Nr. cc/33 (ca. 47m lang, 2m breit) und den parallel dazu verlaufenden 1m breiten öffentlichen Fußweg Fl.-Nr. ddd (Teilfl.). Das Gericht hat sich durch Einsicht in das Grundbuch von S …, Blatt 2639 überzeugt, dass es sich bei der Zufahrt Fl.-Nr cc/33 um eine private Fläche, jeweils versehen mit Grunddienstbarkeiten für die anliegenden Grundstücke Fl.-Nrn. cc/34, cc/44 und cc/46 handelt.
1.3 Für diese im Verhältnis zum Ausgangsbescheid vom 21.06.2018 erweiterte Anlagenbildung hat die Beklagte nach Abzug des Eigenanteils nun einen verteilungsfähigen Herstellungsaufwand in Höhe von 96.215,71 EUR ermittelt (§ 129 Abs. 1 BauGB, § 3 Abs. 1 und 3 EBS).
1.4 An der Aufwandsverteilung (§ 131 Abs. 1 BauGB, § 6 EBS) nimmt auch das Grundstück der Klägerin teil, da es durch die Anbaustraße erstmalig erschlossen wird. Grundsätzlich setzt das Erschlossensein im Sinne des § 131 Abs. 1 BBauG die Erreichbarkeit des Grundstücks in der Form einer (unmittelbaren) Zufahrt voraus. Abzustellen ist insbesondere darauf, ob die Erschließungsanlage geeignet ist, dem anspruchsbegünstigten Grundstück eine vollauf funktionsgerechte Nutzung der vorhandenen Baulichkeiten zu gewährleisten, d.h. eine angemessene, hinreichend gefahrlose Verbindung des Grundstücks mit dem übrigen Verkehrsnetz der Gemeinde und in diesem Sinne eine ausreichende wegemäßige Erschließung zu vermitteln (BVerwG, U. v. 28.10.1981 – 8 C 4/81 -, juris, Rn 25).
Diese Voraussetzung liegt für das Grundstück Fl.-Nr. aaa der Klägerin vor. Die Erschließungsanlage grenzt an die westliche Grundstücksgrenze an. Dass von der Anlage nicht unmittelbar auf das Grundstück Zufahrt genommen werden kann, liegt an der dort befindlichen Gartenmauer. Das Erschlossensein eines Grundstücks im Sinne des § 131 Abs. 1 BBauG als auch des § 133 Abs. 1 BBauG hängt aber nicht davon ab, ob ein ausräumbares Hindernis, das allein in der Verfügungsmacht des jeweiligen Grundeigentümers steht, die Zufahrt verhindert. Es ist erschließungsbeitragsrechtlich ohne Belang, wenn eine Mauer, ein Zaun oder ähnliches das Grundstück gegen eine bestimmte Anbaustraße gleichsam verschließt. Denn es steht nicht im Belieben des Anliegers, auf diese Weise darüber zu entscheiden, ob sein Grundstück an der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für diese Straße teilnimmt und der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht unterliegt (BVerwG, U. v. 29.05.1991 – 8 C 76/89 -, juris, Rn. 17).
Auch der Umstand, dass sich etwa in Höhe der Hälfte der Erschließungsanlage zwei Pfosten befinden, die verkehrsrechtlich ein Durchfahren zur R … straße …berg verhindern sollen, stellt kein beitragsrechtliches Hindernis dar. Das Grundstück der Klägerin ist durch den von ihrem Grundstück aus befahrbaren Teil der Erschließungsanlage über die (historische) …gasse ausreichend mit dem übrigen Verkehrsnetz der Beklagten verbunden.
1.5 Gegen die Bildung des Abrechnungsgebiets bestehen keine Bedenken. Die Summe der Grundstücks- und Geschossflächen beträgt 8.591,05m² (§ 6 EBS) Es ergibt sich ein Beitragssatz von 11,20 EUR/GR,GF (vorher 12,48 EUR/GR,GF). Gegen die Berechnungen selbst hat die Klägerseite keine Einwendungen erhoben. Irgendwelche offenkundigen Mängel sind nicht ersichtlich.
1.6 Die sachliche Beitragspflicht ist auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht entstanden, da es trotz technischer Fertigstellung der Anlage bis heute an der gemäß § 10 Abs. 1 EBS als Merkmal der endgültigen Herstellung erforderlichen Widmung fehlt.
Für das Grundstück der Klägerin reduziert sich der Vorausleistungsbeitrag um 607,52 EUR auf 5.313,62 EUR. In dieser Höhe ist der Vorausleistungsbescheid rechtmäßig. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), weil sie wegen der schwierigen Rechtsmaterie des Abgabenrechts vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 22. Aufl., Rn. 18 zu § 162).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.


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