Baurecht

Kein Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheids – keine Befreiung von der vorgeschriebenen Traufhöhe und der vorgeschriebenen Vollgeschosszahl

Aktenzeichen  AN 3 K 19.01101

Datum:
4.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28555
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1, Abs. 3, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Es liegt keine Funktionslosigkeit vor, wenn anhand der Verhältnisse im Plangebiet mit zwei großen, noch unbebauten Grundstücken die tatsächlichen Verhältnisse noch nicht so massiv und offensichtlich von der Plankonzeption abweichen, dass dadurch eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich gemacht und in Zukunft ausgeschlossen wird. Es kann vorliegend in Zukunft noch auf ca. 50% des Plangebietes die vom Plan vorgegebene Traufhöhe umgesetzt werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird in einem qualifizierenden Bebauungsplan eine Festsetzung funktionslos, so wiederspräche es dem Willen des Plangebers, nach Wegfall einer Festsetzung hinsichtlich dieser völlige Baufreiheit anzunehmen. Vielmehr entspricht es dem Willen des Plangebers, in einem solchen Fall ergänzend zum qualifizierenden Bebauungsplan über § 30 Abs. 3 BauGB (direkt oder analog) § 34 BauGB ergänzend heranzuziehen (vgl. VG Berlin BeckRS 2019, 24270). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids.
Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2019 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Vorhaben des Klägers stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, um deren Prüfung der Kläger im Vorbescheidsverfahren gebeten hatte (vgl. Art. 71 Satz 1 und Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 BayBO).
Die beantragte Befreiung hinsichtlich der Traufhöhe wurde zu Recht von der Beklagten verweigert.
Die streitgegenständliche Festsetzung zu einer maximalen Traufhöhe von 3,00 Metern ist nicht funktionslos geworden (dazu 1.). Es handelt sich bei dieser Festsetzung um einen Grundzug der Planung nach § 31 Abs. 1 BauGB, der durch die beantragte Traufhöhe von 6,66 Meter berührt ist (dazu 2.). Selbst wenn von einer Funktionslosigkeit der Festsetzung ausgegangen werden kann, fügt sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Traufhöhe nicht ein (dazu 3.).
1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die hier inmitten stehende Festsetzung des Plangebiets zur Traufhöhe nicht funktionslos geworden.
Nach der Rechtsprechung kann eine bauplanerische Festsetzung funktionslos sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85/03, VGH München, B.v. 24.5.2018 – 9 ZB 16.321)
Diese Voraussetzungen zur Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Zwar ist richtig, dass auf nahezu allen bisher bebauten Grundstücken im Plangebiet die Traufhöhe von 3,00 Metern nicht eingehalten wird. Allerdings besteht das Plangebiet aus noch unbebauten Grundstücken, deren Fläche ca. 50% des gesamten Plangebietes ausmacht. Die Kammer kommt deshalb zu der Überzeugung, dass die Festsetzung zur Traufhöhe auch weiterhin geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung beizutragen. Anhand der aktuellen Verhältnisse im Plangebiet mit den zwei großen, noch unbebauten Grundstücken, weichen die tatsächlichen Verhältnisse noch nicht so massiv und offensichtlich von der Plankonzeption ab, dass dadurch eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich gemacht wird und in Zukunft ausgeschlossen wird. Es kann eben sogar noch in Zukunft auf ca. 50% des Plangebietes die vom Plan vorgegebene Traufhöhe umgesetzt werden (Zur Annahme einer Funktionslosigkeit bei Abweichen vom Plan bei 80% aller Grundstücke OVG Hamburg U.v. 28.2.2013 – 2 Bf 17/11).
2. Die nicht funktionslos gewordene Festsetzung zur Traufhöhe stellt einen Grundzug der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB dar, der durch eine Traufhöhe von 6,66 Meter statt 3,00 Meter berührt ist.
Als „Grundzüge der Planung“ i.S.d. § 31 Abs. 2 BauGB ist die sog. planerische Grundkonzeption zu verstehen, die den Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplanes zugrunde liegt (BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35/04), mithin also das den Festsetzungen zu entnehmende gemeinsame und diese insoweit miteinander verklammernde Planungskonzept.
Die Kammer schließt sich nicht der Meinung des Klägers an, es handele sich bei der Traufhöhe nicht um einen Grundzug der Planung, da sie alleine aus immissionsschutzrechtlichen Gründen festsetzt worden sei.
Dabei kann dahinstehen, ob in einem Fall, in dem eine Maßfestsetzung nicht aus gestalterischen Gründen, sondern ausschließlich aus zB immissionsschutzrechtlichen Gründen getroffen wurde, ihren Charakter als Grundzug der Planung verliert (wohl verneinend VGH München B.v. 18.8.2017 – 15 ZB 16.940).
Denn vorliegend sind sowohl aus den textlichen Festsetzungen als auch der Begründung zum Bebauungsplan keine Anhaltspunkte erkennbar, dass die Festsetzung zur Traufhöhe (ausschließlich) dem Immissionsschutz dient.
In den textlichen Hinweisen ist unter Ziffer 1 geregelt, dass für die im Geltungsbereich des Bebauungsplanes möglichen Wohnungen zur Abwehr erhöhter Verkehrsimmissionen (vom … geeignete und ausreichende Vorkehrungen für den Schallschutz zu treffen sind (z.B. schalltechnisch günstige Anordnung der Wohn- und Schlafräume, dichtschließende Fenster mit erhöhter Luftschalldämmung). Die Traufhöhe wird hierbei nicht erwähnt.
In der Begründung zum Bebauungsplan ist lediglich erwähnt, dass das Planungsgebiet im Einflussbereich erhöhter Verkehrsimmissionen zwischen der A … und der Bahnlinie …- … liegt. Wiederum wird die Traufhöhe nicht genannt.
Die das gesamte Gebiet umfassende und damit in Zusammenschau mit den anderen Maßfestsetzungen zur Grundkonzeption des Bebauungsplans gehörende Traufhöhe von 3,00 Meter stellt nach Ansicht der Kammer somit einen Grundzug der Planung dar.
Dieser wird durch eine Abweichung von 6,66 Meter statt der festgesetzten 3,00 Meter auch berührt.
Für einen Ausschluss der Befreiungsmöglichkeit reicht es dabei schon aus, wenn lediglich ein „Berührtsein“ vorliegt, d.h. wenn die konkrete Abweichung geeignet ist, die Planungskonzeption derart zu verlassen, dass sich die Planungsfrage neu stellt, mithin es sich qualitativ oder quantitativ nicht mehr nur um eine geringfügige Abweichung handelt (BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 4 B 18/00).
Im vorliegenden Fall kann es auch dahinstehen, ob durch die bisher erteilten Befreiungen die planerische Konzeption „aufgeweicht“ wurde mit der Folge, dass die Schwelle zum „Berührtsein“ nunmehr höher liegt (dem Konzept des „Aufweichens“ sich entgegenstellend BayVGH B.v. 26.7.2018 – 2 ZB 17.1656). Denn mit einer Überschreitung der festgesetzten Traufhöhe um mehr als das Doppelte wird der Grundzug der Planung ohne jeden Zweifel berührt.
Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids.
3. Doch selbst wenn die Festsetzung zur Traufhöhe funktionslos geworden wäre, so würde sich die Traufhöhe über § 30 Abs. 3 BauGB (direkt oder analog) nach § 34 Abs. 1 BauGB richten und ein „Einfügen“ mangels Referenzobjekt in der näheren Umgebung verneint werden.
Wird in einem qualifizierenden Bebauungsplan wie dem hier inmitten stehenden eine Festsetzung funktionslos, so wiederspräche es dem Willen des Plangebers, nach Wegfall einer Festsetzung hinsichtlich dieser völlige Baufreiheit anzunehmen. Vielmehr entspricht es dem Willen des Plangebers, in einem solchen Fall ergänzend zum qualifizierenden Bebauungsplan über § 30 Abs. 3 BauGB (direkt oder analog) § 34 BauGB ergänzend heranzuziehen (VG Berlin, U.v. 18.9.2019 – 19 K 417.17).
Wendet man im vorliegenden Fall § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich der Traufhöhe an, so muss man zu dem Ergebnis kommen, dass sich eine Traufhöhe von 6,66 Meter nicht einfügt. In der näheren Umgebung ist kein Vorhaben ersichtlich, dass eine derartige Traufhöhe auch nur ansatzweise aufweist (zum Referenzobjekt BVerwG U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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