Baurecht

Kein Erschließungsbeitrag für ein sog. nicht gefangenes Hinterliegergrundstück

Aktenzeichen  M 28 S 17.1964

Datum:
5.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 158867
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 3, Abs. 5
BauGB § 127 Abs. 2 Nr. 1, § 129 Abs. 1 S. 1 und 3, § 131 Abs. 1 Satz 1
BayKAG Art. 5a

 

Leitsatz

1 Ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück, bei dem bezogen auf die abzurechnende Erschließungsanlage (lediglich) eine Zweiterschließung vorliegt, hat bei der Aufwandsverteilung grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben, wenn es aufgrund planungsrechtlicher, sonstiger rechtlicher oder tatsächlicher Umstände eindeutig erkennbar auf die Straße ausgerichtet ist, an die es angrenzt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück nimmt an der Aufwandsverteilung als – ein zweites Mal – erschlossen im Sinn des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur teil, wenn mit einer (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der abzurechnenden Anbaustraße (auch) von dem Hinterliegergrundstück aus gerechnet werden kann. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Erschließungsbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 4. April 2017 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 19.768,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag. Er ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1570 (nachfolgend stets: Gemarkung D. … …).
Das gewerblich genutzte Grundstück FlNr. xxx wird verkehrlich über die L. Straße, die entlang der Ostseite dieses Grundstücks verläuft, erschlossen. An der Westseite des Grundstücks wurde ein Gebäude, durchgehend von der Nord- bis zur Südgrenze des Grundstücks FlNr. 1570, errichtet. Die Fensteröffnungen auf der Westseite dieses Gebäudes sind – nach Aktenlage jedenfalls überwiegend – verschlossen, Türen sind nicht vorhanden. Zwischen der westlichen Grundstückgrenze des Grundstücks FlNr. 1570 und der westlichen Außenmauer des beschriebenen Gebäudes befindet sich ein nur wenige Meter breiter, teils gekiester, teils verwilderter Grundstücksstreifen. Eine vor Ort erkennbare Abgrenzung zwischen dem Grundstück FlNr. 1570 und dem westlich angrenzenden Grundstück FlNr. 1569 besteht nicht. Auf dem letztgenannten Grundstück befindet sich ebenfalls in Nord-Süd-Ausrichtung ein längeres Gebäude, dessen Ostseite (in der Tore vorhanden sind) mit einem schmalen befahrbaren Grundstücksstreifen an das Grundstück FlNr. 1570 angrenzt. Ein Teil dieses Gebäudes auf FlNr. 1569 setzt sich in west-östlicher Richtung auch auf dem Grundstück FlNr. 1570 fort und schließt dort an das bereits beschriebene Gebäude auf FlNr. 1570 an. Ob dieser grenzüberschreitende Gebäudeteil vom Antragsteller oder zusammen mit dem übrigen Gebäude auf FlNr. 1569 genutzt wird, konnte im schriftlichen Verfahren nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden, nach Aktenlage scheint aber ein Durchgang von der Westseite des Grundstücks FlNr. 1570 durch das grenzüberschreitend errichtete Gebäude auf das Grundstück FlNr. 1570 nicht zu existieren. Das Grundstück FlNr. 1569 liegt an der abgerechneten V.Straße an. Die örtliche Situation stellt sich wie folgt dar:
Zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks FlNr. 1570 wurde auf Grund von Bewilligungen aus den Jahren 1982 und 1984 ein Geh- und Fahrtrecht an den Vorderliegergrundstücken FlNrn. 1569 und 1569/4 im Grundbuch eingetragen. Ausweislich des von der Antragstellerseite als Auszug aus der Bewilligungsurkunde vorgelegten Lageplans sichert das Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück FlNr. 1569 den Zugang zum Grundstück FlNr. 1570 an dessen Nord-West-Ecke in einer Breite von wenigen Metern.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 4. April 2017 wurde für die Erschließungsmaßnahme „V.Straße/Nord“ für das Grundstück FlNr. 1570 ein Erschließungsbeitrag in Höhe 79.071,45 € festgesetzt und der Antragsteller zur Zahlung des Beitrags binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids aufgefordert. Dem Bescheid liegt als maßgebliche Erschließungsanlage die V.Straße beginnend auf Höhe der P.straße bis zum Wendehammer im Norden zu Grunde. Für die Berechnung des Beitrags wurde von einem Nutzungsfaktor von 1,9 (vier Vollgeschosse) und einem Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung des Grundstücks ausgegangen.
Gegen den Bescheid vom 4. April 2017 wurde mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. April 2017, beim Antragsgegner eingegangen am 20. April 2017, Widerspruch eingelegt, mit Schriftsatz vom 25. April 2017 ferner die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Der Antragsgegner lehnte den Aussetzungsantrag mit Schreiben vom 3. Mai 2017 ab. Der geforderte Erschließungsbeitrag wurde bislang vom Antragsteller nicht bezahlt.
Am 5. Mai 2017 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 12. April 2017 gegen den Erschließungsbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 4. April 2017 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit dem Widerspruch angefochtenen Beitragsbescheids. Die alleinige Erschließung des Grundstücks FlNr. 1570 erfolge über die L. Straße, eine weitere Erschließung durch das Geh- und Fahrtrecht am Anliegergrundstück FlNr. 1569 erfolge nicht. Das Geh- und Fahrtrecht sei nur eingetragen worden, um für Reparatur- und Sanierungsarbeiten an die Rückwand des die FlNr. 1570 an seiner Westseite vollständig abschließenden Gebäudes zu gelangen. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass im Bescheid keine Mehrfacherschließung berücksichtigt worden sei und dass sich die vierstöckige Bebauung nur auf einen kleinen Bereich von 60 – 65 qm beziehe, im Übrigen eine einstöckige Bebauung vorliege. Beim Antragsteller handle es sich um einen kleinen mittelständischen Betrieb, für den die geforderte Summe existenzgefährdend sei. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2017 wurde ferner ein Auszug aus der notariellen Urkunde zur Bestellung des Geh- und Fahrtrechts mit räumlicher Kennzeichnung des Umfangs des Geh- und Fahrtrechts an der FlNr. 1569 vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2017 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 28. Juli 2017 unter Vorlage von Fotos zur örtlichen Situation im Wesentlichen ausgeführt: Das Grundstück FlNr. 1570 werde als nicht gefangenes Hinterliegergrundstück i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen, da Anhaltspunkte für eine Inanspruchnahme der Erschließungsanlage „V.Straße/Nord“ bestünden. Es bestehe über das Vorderliegergrundstück FlNr. 1569 eine befestigte Zufahrt. Sie ende nicht an der Grundstücksgrenze zur FlNr. 1570, sondern führe auch noch auf das Grundstück des Antragstellers. Vor dem Gebäude auf der Westseite des Grundstücks FlNr. 1570 könnten auf einem ca. fünf Meter breiten Streifen Gegenstände gelagert werden. Im Übrigen bilde auch die dingliche Sicherung des Zugangs- und Zufahrtsrechts ein weiteres Indiz für eine Inanspruchnahme. Mit Blick auf die eingetragene Grunddienstbarkeit unterliege das Grundstück auch einer Beitragspflicht i.S.v. § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Der Nutzungsfaktor sei nicht zu beanstanden, bei mehreren Gebäuden auf einem Grundstück sei auf das Gebäude mit der höchsten Geschosszahl abzustellen.
Am 8. August 2017 erging ein gerichtliches Aufklärungsschreiben. Hierauf teilte der Antragsteller mit, dass er in keiner Weise an der Eigentümerin der Grundstücke FlNrn. 1569 und 1569/4 – einer GmbH & Co. KG – beteiligt sei. Im Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflichten und auch heute habe er keinen Einfluss auf die Eigentümerin dieser Grundstücke. Der Antragsgegner teilte insoweit keine widersprechenden Erkenntnisse mit. Im Übrigen legte der Antragsteller weitere Fotoaufnahmen zu den örtlichen Verhältnissen vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Akte des Antragsgegners verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer Anfechtungsklage anordnen oder wiederherstellen, wenn sie gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO kraft Gesetzes oder durch behördliche Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ausgeschlossen ist. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt im vorliegenden Fall dem eingelegten Widerspruch kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu, weil mit den angefochtenen Bescheiden des Antragsgegners ein Erschließungsbeitrag, also eine öffentliche Abgabe, gefordert wird.
§ 80 Abs. 5 VwGO besagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2007 – 19 CS 07.400 – juris Rn. 30; B.v. 6.2.1996 – 23 CS 94.3550 – juris Rn. 17) ist unter Berücksichtigung der für die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Bestimmung bei öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dann anzuordnen, wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte oder wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sind dann anzunehmen, wenn die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids derart überwiegen, dass ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Unterliegen. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, kann und muss sich das Gericht – vor allem im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung – auf eine geringere Prüfungsdichte als im Klageverfahren beschränken (summarische Prüfung).
2. Gemessen hieran bestehen ernstliche Zweifel daran, das Grundstück FlNr. 1570 als ein von der Erschließungsanlage „V.Straße/Nord“ erschlossenes Grundstück anzusehen und bei der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands für die Maßnahmen des Antragsgegners an dieser Erschließungsanlage zu berücksichtigen.
a) Der Bescheid beruht auf Art. 5a BayKAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erhebung eines Erschließungsbeitrags des Antragsgegners vom 14. Dezember 1992 (EBS).
Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht für bebaubare Grundstücke i.S.v. § 133 Abs. 1 BauGB gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage.
b) Die zwischen den Beteiligten vorrangig streitige Frage, ob das Grundstück FlNr. 1570 des Antragstellers hinsichtlich der abgerechneten Erschließungsanlage zum Kreis der nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Grundstücke gehört, ist nach summarischer Prüfung zu verneinen.
aa) Voraussetzung für die Heranziehung wäre nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 29.4.2016 – 6 CS 16.58 – juris Rn. 8 m.w.N.) im Grundsatz, dass das betreffende Grundstück gerade der abgerechneten Anbau straße wegen – im Fall der Zweiterschließung unter Hinwegdenken der Ersterschließung – bebaubar ist, insbesondere also von dieser Straße aus in einer Weise verkehrlich erreichbar ist, die den einschlägigen Bestimmungen des Bauplanungsrechts und des Bauordnungsrechts genügt. Dass eine Straße von einem Grundstück aus in irgendeiner Form erreichbar ist oder tatsächlich in Anspruch genommen wird, löst demnach noch keine Erschließungsbeitragspflicht aus; erforderlich ist vielmehr eine qualifizierte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Anlage, die auf die erschließungsbeitragsrechtlich relevante – bauliche, gewerbliche oder vergleichbare – Ausnutzbarkeit des Grundstücks ausgerichtet ist.
Vorliegend handelt es sich bei dem Grundstück FlNr. 1570 des Antragstellers – unstreitig – um ein sog. nicht gefangenes Hinterliegergrundstück, da es durch ein eigenständig nutzbares Anliegergrundstück von der abzurechnenden Erschließungsanlage getrennt wird und an seiner der abgerechneten Erschließungsanlage abgewandten Ostseite an eine weitere Anbau straße angrenzt, von der aus auch unstreitig tatsächlich die Zufahrt zu dem gewerblich genutzten Grundstück FlNr. 1570 genommen wird.
Ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück, bei dem bezogen auf die abzurechnende Erschließungsanlage (lediglich) eine Zweiterschließung vorliegt, hat nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 29.4.2016 – 6 CS 16.58 – juris Rn. 10 m.w.N.) bei der Aufwandsverteilung grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben, wenn es aufgrund planungsrechtlicher, sonstiger rechtlicher oder tatsächlicher Umstände eindeutig erkennbar auf die Straße ausgerichtet ist, an die es angrenzt, wenn es also mit anderen Worten im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten an irgendwelchen Anhaltspunkten fehlt, die den Schluss erlauben, die abzurechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine „eigene“ Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen. Als solcher Anhaltspunkt für eine beitragsrelevante Inanspruchnahme durch das nicht gefangene Hinterliegergrundstück kommt insbesondere eine tatsächlich angelegte Zufahrt über das Anliegergrundstück in Betracht (wobei auch bei tatsächlich angelegter Zufahrt stets eine wertende Betrachtung nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls anzustellen ist, vgl. insoweit vergleichbar für das Ausbaubeitragsrecht: BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 33).
Ist die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit für ein Hinterliegergrundstück objektiv wertlos, weil nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, dass von diesem Grundstück aus die hergestellte Anbau straße in einem relevanten Umfang in Anspruch genommen werden wird, hat dieses Grundstück aus einer gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit keinen nennenswerten Vorteil und scheidet deshalb aus dem Kreis der erschlossenen Grundstücke aus. Deshalb nehmen nicht gefangene Hinterliegergrundstücke an der Aufwandsverteilung als – ein zweites Mal – erschlossen im Sinn des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur teil, wenn mit einer (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der abzurechnenden Anbau straße (auch) von dem Hinterliegergrundstück aus gerechnet werden kann (BayVGH, U.v. 20.10.2011 – 6 B 09.2043 – juris Rn. 18; vgl. ferner: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 96 ff.).
Gemessen hieran ist festzustellen, dass es zwar im November 2014 (Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten) für den Antragsteller auf Grund des zu seinen Gunsten bestehenden Geh- und Fahrtrechts rechtlich gewährleistet war, von der V.Straße aus das Grundstück FlNr. 1570 an dessen Nord-West-Eck zu erreichen und auch zu befahren (unbeschadet der Frage, ob diese dingliche Sicherung den bauordnungsrechtlichen Anforderungen genügt, vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2016 – 6 CS 16.58 – juris Rn. 13 m.w.N.). Auch in tatsächlicher Hinsicht war die Erreichbarkeit auf Grund der durchgehend und in hinreichender Breite für eine gewerbliche Nutzung bestehenden und befahrbaren Versiegelung der Grundstücke FlNrn. 1569 und 1569/4 gewährleistet. Dennoch ergeben sich hieraus in der konkreten örtlichen Situation bei summarischer Prüfung keine hinreichenden Anhaltspunkte, welche bei wertender Betrachtungsweise die Schlussfolgerung tragen könnten, die V.Straße werde über das Anliegergrundstück FlNr. 1569 vom Grundstück FlNr. 1570 aus ungeachtet dessen eigener Anbindung an die L. Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen. Denn das in nord-südlicher Ausrichtung auf dem Grundstück FlNr. 1570 wohl seit vielen Jahren bestehende Gebäude, das nach Aktenlage an seiner Westseite entlang der Grundstücksgrenze über keine Fenster, Türen o.ä. verfügt, riegelt das Grundstück des Antragstellers gleichsam nach Westen ab. Die vorliegenden Lichtbilder und der Vortrag der Beteiligten deuten auch nicht darauf hin, dass der zwischen diesem Gebäude und der Grundstücksgrenze verbleibende, wenige Meter breite, teils gekieste, teils verwilderte Grundstücksstreifen in einer Weise genutzt werden würde, aus der sich eine nennenswerte Inanspruchnahme der V.Straße ergeben könnte. Nach den vorliegenden Fotoaufnahmen und Luftbildern dient die tatsächlich vorhandene, baulich an den Grundstücksgrenzen wohl nicht abgegrenzte Asphaltierung rund um das Gebäude auf FlNr. 1569 ganz vorrangig, wenn nicht sogar ausschließlich der verkehrlichen Erreichbarkeit der gewerblich genutzten Hallen und Gebäude auf den Grundstücken FlNrn. 1569, 1569/4 und 1566/19, stellt damit aber ebenfalls keinen tragfähigen Anhaltspunkt für eine nennenswerte Inanspruchnahme der V.Straße (auch) vom Grundstück FlNr. 1570 aus dar.
Hinreichende Anhaltspunkten für eine nennenswerte Inanspruchnahme der V.Straße vom Grundstück des Antragstellers aus ergeben sich nach Aktenlage auch nicht daraus, dass das auf dem Vorderliegergrundstück FlNr. 1569 befindliche Gebäude im südlich-östlichen Grundstücksbereich über einen Gebäudeteil in West-Ost-Ausrichtung verfügt, der – zum Teil auf dem Grundstück des Antragstellers gelegen – an das das Hinterliegergrundstück „abriegelnde“, in Nord-Süd-Ausrichtung errichtete Gebäude unmittelbar angrenzt. Zwar ist die im gerichtlichen Schreiben vom 8. August 2017 aufgeworfene Frage, von wem, wofür und auf welcher rechtlichen Grundlage dieser Gebäudeteil im maßgeblichen Zeitpunkt genutzt wurde, noch nicht zweifelsfrei geklärt. Bei summarischer Bewertung der bislang vorliegenden Erkenntnisse zur tatsächlichen Situation vor Ort spricht aber angesichts der räumlichen Erstreckung des dem Antragsteller eingeräumten Geh- und Fahrtrechts auf FlNr. 1569, das lediglich am Nord-West-Eck ein Heranfahren an und Herauffahren auf das Hinterliegergrundstück gewährleistet, nichts dafür, dass von diesem Gebäudeteil auf FlNr. 1570 aus eine seinem Grundstückseigentümer zuzurechnende, nennenswerte Inanspruchnahme der V.Straße ausgehen könnte.
bb) Im vorliegenden Eilverfahren kann nicht im Einzelnen vertieft werden, ob und ggf. inwieweit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschlossensein i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB bei Hinterliegergrundstücken von den vorgenannten Grundsätzen abweicht und im in Bayern landesrechtlich (Art. 5a BayKAG) geregelten Erschließungsbeitragsrecht zu berücksichtigen ist. Danach zählt ein Hinterliegergrundstück zum Kreis der erschließungsbeitragspflichtigen Grundstücke, wenn es entweder durch eine dauerhafte, rechtlich gesicherte Zufahrt mit der Erschließungsanlage verbunden ist oder wenn die Eigentümer der übrigen Grundstücke seine Einbeziehung nach den bestehenden tatsächlichen Verhältnissen schutzwürdig erwarten können (BVerwG, U.v. 7.3.2017 – 9 C 20/15 – juris Rn. 39 ff.). Für letztere Fallgruppe der schutzwürdigen Erwartung der anderen Beitragspflichtigen bestehen – wie dargelegt – bei den vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen keine hinreichenden Anhaltspunkte (die „ohne weiteres erkennbar“ sein müssten, vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 40). Auch erstere Fallgruppe einer (bei Eigentümerverschiedenheit wie hier grundsätzlich ausreichenden) in rechtlich gesicherter Weise auf Dauer zur Verfügung stehenden tatsächlichen Zufahrt über das Anliegergrundstück zur abgerechneten Erschließungsanlage dürfte nach vorläufiger Auffassung des Gerichts bei wertender Betrachtungsweise nicht gegeben sein. Denn die Heranziehung des Hinterliegergrundstücks und die Belastung von dessen Eigentümer mit einem Erschließungsbeitrag wird auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Kern dadurch gerechtfertigt, dass nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten mit einer erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise von einer Inanspruchnahme der Anbaustraße (auch) durch das Hinterliegergrundstück ausgegangen werden kann (BVerwG, a.a.O., Rn. 39). Dies ist gerade nicht der Fall, wenn nach den tatsächlichen Verhältnisse – wie vorliegend, vgl. oben – diese Inanspruchnahme bei wertender Betrachtungsweise gerade nicht zu erwarten ist und die bestehende Zufahrt tatsächlich aus anderen Gründen besteht.
c) Auf die weiteren, von Antragstellerseite vorgetragenen Argumente (Frage des richtigen Nutzungsfaktors nach § 6 Abs. 2 EBS und einer möglichen Ermäßigung wegen Mehrfacherschließung nach § 6 Abs. 11 EBS) kommt es deshalb in diesem Verfahren nicht mehr an.
Dem Antrag war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs (1/4 des Hauptsachestreitwerts).


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