Baurecht

Keine Baugenehmigung für beleuchtete Werbetafel im Verknüpfungsbereich einer Ortsdurchfahrt

Aktenzeichen  2 B 18.563

Datum:
30.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15260
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FStrG § 5 Abs. 4, § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 6
BayBO Art. 59 S. 1

 

Leitsatz

1 Befindet sich der Aufstellungsort einer Werbeanlage außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt und damit im sog. Verknüpfungsbereich der Bundesstraße, besteht ein Anbauverbot nach § 9 Abs. 6 iVm Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FStrG. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Laut § 5 Abs. 4 S. 1 FStrG ist eine Ortsdurchfahrt der Teil einer Bundesstraße, der innerhalb der geschlossenen Ortslage liegt und auch der Erschließung der anliegenden Grundstücke oder der mehrfachen Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dient. Es ist im Einzelfall aus den tatsächlichen Gegebenheiten auf eine bestimmte Funktion der Bundesfernstraße zu schließen. Tatsächliche Umstände von indizierendem Gewicht für eine Erschließungsfunktion der Straße sind neben der vorhandenen Bebauung auch der Ausbauzustand der Bundesfernstraße und die Zugänglichkeit zu den anliegenden Grundstücken. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 16.445 2016-11-16 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO liegen nicht vor, da die Ablehnung der beantragten Baugenehmigung rechtmäßig ist und deshalb die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 59 Satz 1 BayBO darf die Baugenehmigung versagt werden, wenn dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 6 Satz 1, Abs. 8 Satz 1 FStrG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2c der Verordnung zur Übertragung der Befugnisse der obersten Landesstraßenbaubehörde nach dem Bundesfernstraßengesetz werden die Befugnisse der obersten Landesstraßenbaubehörde für Bundesstraßen auf die unteren Bauaufsichtsbehörden (Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BayBO) übertragen, die im Einvernehmen mit den Staatlichen Bauämtern entscheiden. Deshalb kann im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens über die Vorgaben des Bundesfernstraßenrechts mit entschieden werden (a.A. BayVGH, U.v. 17.11.2008 – 14 B 06.3096 – juris). Selbst wenn man dies anders sehen wollte, darf die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO). Hier hat die Baugenehmigungsbehörde dies getan.
Der Beklagte hat seine Ablehnung damit begründet, dass die beantragte Werbeanlage in der Anbauverbotszone der Bundesstraße liegt. Dies ist von Seiten des Gerichts nicht zu beanstanden. Das Vorhaben verstößt gegen das fernstraßenrechtliche Anbauverbot des § 9 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme gemäß § 9 Abs. 8 FStrG zu.
Der Aufstellungsort der Werbeanlage befindet sich außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt und damit im sog. Verknüpfungsbereich der Bundesstraße. Es besteht daher ein Anbauverbot nach § 9 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG dürfen Hochbauten jeder Art in einer Entfernung bis zu 20 m bei Bundesstraßen außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten, jeweils gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn, nicht errichtet werden (Anbauverbot). Nach § 9 Abs. 6 Satz 1 FStrG stehen Anlagen der Außenwerbung außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten in Hochbauten und des Absatzes 1 gleich (dazu auch Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 9 Rn. 40).
§ 5 Abs. 4 FStrG enthält die Kriterien, die die Ortsdurchfahrt von der freien Strecke abgrenzen. Nach dessen Satz 1 ist eine Ortsdurchfahrt der Teil einer Bundesstraße, der innerhalb der geschlossenen Ortslage liegt und auch der Erschließung der anliegenden Grundstücke oder der mehrfachen Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dient. Es ist im Einzelfall aus den tatsächlichen Gegebenheiten auf eine bestimmte Funktion der Bundesfernstraße zu schließen (vgl. Müller/Schmitz, FStrG, 2. Aufl. 2013, § 9 Rn. 28). Tatsächliche Umstände von indizierendem Gewicht für eine Erschließungsfunktion der Straße sind neben der vorhandenen Bebauung auch der Ausbauzustand der Bundesfernstraße und die Zugänglichkeit zu den anliegenden Grundstücken. Hierzu zählen etwa Zufahrten oder Zugänge (vgl. § 8a Abs. 1 FStrG). Der Ausbau von Geh- und Fahrradwegen dürfte bedeutsam sein. Leitplanken können andererseits die Zugänglichkeit ausschließen. Ähnliches gilt für Grünstreifen, Zäune und Buschwerk. Derartige tatsächliche Gegebenheiten können den Eindruck vermitteln, dass auch innerhalb der geschlossenen Ortslage und trotz eines Bebauungszusammenhangs im Sinn von § 34 BauGB nach wie vor eine freie Strecke besteht. Eine Indiz kann auch sein, dass die anliegenden Grundstücke bereits rückwärtig erschlossen sind (vgl. BVerwG, U.v. 30.11.1984 – 4 C 2.82 – juris).
Das Staatliche Bauamt K… hat mit Schreiben vom 28. Mai 2018 dahingehend Stellung genommen, dass die beleuchtete Werbeanlage im Verknüpfungsbereich der Ortsdurchfahrt S…, innerhalb der Anbauverbotszone errichtet werden soll. Der Verknüpfungsbereich sei im Straßenverzeichnis als solcher geführt und ausgewiesen. Die entsprechenden Pläne wurden den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung des Senats am 29. Mai 2018 übergeben. Weiter führt das Staatliche Bauamt K… im oben genannten Schreiben aus, dass die B … in diesem Abschnitt seinerzeit als Ortsumfahrung ausgebaut worden sei, welche eine reibungslose Abwicklung des überregionalen Bundesstraßenverkehrs ermöglichen soll. Im fraglichen Bereich diene die B … grundsätzlich aber auch der Anbindung städtischer Straßen. Vor Ort sei erkennbar, dass die einmündenden, städtischen Straßen im Wesentlichen mit Lichtsignalanlagen verkehrssicher angeschlossen seien. Der Erschließungsverkehr werde zwischen G…straße und B… Straße über eine zur B … parallel verlaufende Straße abgewickelt. Auch seien verkehrlich relevante Anlieger, wie beispielsweise der OBI Markt nur mittelbar über städtische Straßen an die B … angeschlossen. Eigene, direkte Zufahrten seien weder für die direkt an der Bundesstraße gelegene Apotheke, noch für einen Textilverkauf (World of Outdoor) genehmigt.
Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände ist der Senat auch aufgrund des beim Augenschein gewonnenen Eindrucks zu der Überzeugung gelangt, dass der betroffene Streckenabschnitt der B … als Ortsdurchfahrt anzusehen ist und auch der mehrfachen Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dient, aber im maßgeblichen Bereich keine die anliegenden Grundstücke erschließende Funktion besitzt. Wie sich auf den im Augenscheinstermin gefertigten Fotos erkennen lässt, ist die B … im näheren Bereich des Baugrundstücks mit grundsätzlich ununterbrochener Mittellinie angelegt. Wer ein Fahrzeug führt, darf die Linie nicht überfahren (§ 41 Abs. 1 StVG i.V.m. Anl. 2 lfd. Nr. 68). Der auf beiden Seiten der Bundesstraße vorhandene Geh- und Radweg ist im fraglichen Bereich durch einen Grünstreifen von der Fahrbahn abgetrennt, wobei allerdings Richtung Ampel der Grünstreifen auf beiden Seiten endet. Von der Gesamtanlage her erweckt die Bundesstraße – unab-hängig von der Frage, auf welchen räumlichen Umgriff es hier genau ankommt – hier den Eindruck, dass sie nicht die Zugänglichkeit zu den einzelnen anliegenden Grundstücken vermittelt, sondern der Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dient. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Grundstück FlNr. … lediglich über die Bundesstraße erschlossen wird und sich vor dem Apothekengebäude drei Stellplätze mit Zufahrt von der Bundesstraße aus befinden. Denn die Verkehrsfunktion der Straße wird durch diese Zufahrt nicht erkennbar zugunsten der Erschließung eingeschränkt. Sie nimmt dem Streckenabschnitt nicht den Charakter der anbaufreien Strecke. Das Grundstück FlNr. … besitzt keine andere Erschließungsmöglichkeit. Die Zufahrt ist im fraglichen Bereich als atypisch anzusehen. Gleiches gilt für die drei Stellplätze vor dem Apothekengebäude. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass sogar beim Vorhandensein von vier atypischen Zufahrten ein Streckenabschnitt den Charakter einer anbaufreien Strecke nicht verlieren muss (vgl. BVerwG, U.v. 30.11.1984 – 4 C 2.82 – juris). Im Übrigen werden die anliegenden Grundstücke rückwärtig erschlossen.
Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 9 Abs. 8 FStrG zu. Eine Ausnahme vom Verbot des § 9 Abs. 6 FStrG kann nach dessen Abs. 8 Satz 1 zugelassen werden, wenn die Durchführung der Vorschriften des Bundesfernstraßengesetzes im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist oder wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Abweichung erfordern. Im vorliegenden Fall wurden von der Klägerin bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer Ausnahmesituation nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die vom Gesetz geforderte nicht beabsichtigte Härte für die Klägerin bei Durchführung der Vorschrift im Einzelfall gegeben wäre. Darüber hinaus erfordern keine Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Abweichung. Es fehlt ebenso an Anhaltspunkten dafür, dass die notwendige Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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