Baurecht

Keine Befreiung für Freischankfläche mit Markisenanlage auf festgesetzter privater Grünfläche

Aktenzeichen  2 ZB 17.1656

Datum:
26.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 18347
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebaungsplans darf nie die Grundzüge der Planung berühren, weil sie damit die Grenze zur – erforderlichen – förmlichen Planänderung überschreitet. Ob die Grundzüge der Planung durch das Vorhaben „weiter“ berührt werden (hier durch die beantragte Erweiterung einer Freischankfläche mit Markisenanlage über einer Bestandsterrasse auf einer im Bebauungsplan als private Grünfläche festgesetzten Fläche), ist deshalb in diesem Zusammenhang unerheblich. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 16.1873 2017-05-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung (§§ 124, 124a Abs. 4 VwGO) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Mai 2017 hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass der Beklagte den Antrag zu Recht abgelehnt hat, weil die Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Erweiterung der Freischankfläche mit Markisenanlage über der Bestandsterrasse haben. Das Vorhaben ist nach Bauplanungsrecht unzulässig. Nach den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 44a „D… Straße, 1. Änderung“ befindet sich die Freischankfläche in einem Bereich, der als private Grünfläche festgesetzt ist. Die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für die Freischankfläche und die Markisenanlage liegen nicht vor. Nach Ziffer 3.6 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ist die Versiegelung auf das notwendige Maß zu beschränken. Für den Vorgartenbereich zur D* … Straße sind nach Ziffer 4.3 der Festsetzungen durch Planzeichen private Grünflächen ausgewiesen. Gemäß Ziffer 4.2 der Begründung des Bebauungsplans sollen die bestehenden Grünstrukturen erhalten und weiterentwickelt werden. Die Versiegelung der Flächen soll auf das notwendige Minimum reduziert werden. Die in den Straßenraum wirkenden Vorgärten sollen ansprechender gestaltet werden. Die Versiegelung der Flächen soll auch hier auf das notwendige Minimum reduziert werden. Es ist mithin ein Grundzug der Planung, den Vorgartenbereich zur D… Straße hin von einer Bebauung und Versiegelung freizuhalten.
a) Dies gestehen auch die Kläger zu. Sie bemängeln jedoch, dass keine Auseinandersetzung mit dem Umstand stattfinde, dass der Beklagte im Einvernehmen mit der Beigeladenen mit der Genehmigung einer Freischankfläche (Terrasse) bereits eine Durchbrechung dieser planerischen Konzeption zugelassen habe. Es finde keine Auseinandersetzung mit ihrer Argumentation statt, dass die Grundzüge der Planung nicht „weiter“ berührt würden, wenn die Terrasse erweitert und mit einer Markise überstellt werde. Der Senat hat jedoch keinen Zweifel, dass durch das beantragte Vorhaben die Grundzüge der Planung berührt werden. Eine Befreiung darf nie die Grundzüge der Planung berühren, weil sie damit die Grenze zur – erforderlichen – förmlichen Planänderung überschreitet (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1984 – 4 B 1063.89 – juris; Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 7. Auflage 2013, § 31 Rn. 12). Ob die Grundzüge der Planung durch das Vorhaben „weiter“ berührt werden, ist deshalb in diesem Zusammenhang unerheblich. Das Erstgericht hat zwar in der mündlichen Verhandlung angeregt, dass die Kläger den Grünstreifen – auch entlang der Parkplätze – wiederherstellen sollen und eine Verlängerung der Freischankfläche über die gesamte Hausfront erneut geprüft werden solle. Daraus kann aber entgegen den Klägern nicht gefolgert werden, dass die planerische Konzeption in Bezug auf das klägerische Grundstück bereits aufgeweicht worden sei. Es ist ohnehin fraglich, ob ein „Aufweichen“ einer planerischen Konzeption im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ein entscheidender Gesichtspunkt ist (so aber BayVGH, U.v. 9.8.2007 – 25 B 05.1337 – juris). Denn entweder ist der Bebauungsplan wirksam mit der Folge, dass ein Berühren der Grundzüge der Planung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ausschließt oder der Bebauungsplan ist funktionslos. Dafür, dass der Bebauungsplan funktionslos ist, bestehen keine Anhaltspunkte. Unabhängig davon sind jedenfalls im vorliegenden Fall die die Grundzüge der Planung bestimmenden Lage-, Maß- und Grünflächenfestsetzungen nicht durch die tatsächliche Entwicklung im Baugebiet insgesamt „aufgeweicht“ oder stellenweise sogar konterkariert, weshalb das geplante Erweiterungsvorhaben keine ins Gewicht fallende Verschlechterung der Situation bewirken würde. Insbesondere kann dafür nicht ins Feld geführt werden, dass im verfahrensgegenständlichen Gebäude eine Freischankfläche an der Südseite mit 20 m² genehmigt worden sei. Selbst wenn die Baugenehmigung vom 29. April 2008 so zu verstehen sein sollte, ist eine Freischankfläche von 20 m² nicht geeignet, die bauplanerischen Festsetzungen insgesamt als „aufgeweicht“ erscheinen zu lassen.
b) Die Kläger sind der Ansicht, dass durch ihr Bauvorhaben das planerische Konzept nicht substantiell in Frage gestellt werde. Einer Befreiung käme keine Bezugsfallwirkung zu, weil es sich um eine Freischankfläche für einen Gastronomiebetrieb handle und weitere gastronomische Betriebe im Plangebiet nicht vorhanden seien. Jedoch kommt es nicht darauf an, ob das planerische Konzept substantiell in Frage gestellt wird. Es reicht bereits aus, dass die Grundzüge der Planung berührt werden. Dass dies der Fall ist, wurde oben dargelegt. Im Übrigen erstreckt sich die Gefahr einer Bezugsfallwirkung auch auf angestrebte andersartige Überbauungen der Vorgartenbereiche. Soweit die Kläger darauf hingewiesen haben, dass in die Niederschrift versäumt worden sei aufzunehmen, dass das östlich an das Grundstück der Kläger anschließende Grundstück einen vollständig versiegelten Vorgartenbereich aufweise, hat der Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass das Fehlen eines Grünstreifens auf dem östlich angrenzenden Grundstück hier nicht ins Gewicht falle, da diese Bebauung bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplans realisiert worden sei.
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Kläger rügen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Ihre Rechtsauffassung des Berührtseins der Grundzüge der Planung sei nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist ein prozessuales Grundrecht und außerdem ein rechtsstaatliches konstitutives Verfassungsprinzip, das mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in funktionalem Zusammenhang steht. Es sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1.02 – BVerfGE 107, 395). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986.91 – BVerfGE 86, 133). Die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder der Richter habe einem Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen, vermag hingegen grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, E.v. 19.7.1967 – 2 BvR 639.66 – BVerfGE 22, 267).
Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 8f.) hat sich das Erstgericht damit auseinandergesetzt, ob im vorliegenden Fall die Grundzüge der Planung berührt werden. Im Tatbestand hat das Verwaltungsgericht auf die Gerichtsakte Bezug genommen (UA S. 6). Daher ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht die Argumentation der Kläger zur Kenntnis genommen hat und lediglich zu anderen Schlussfolgerungen als die Kläger gelangt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 – 8 ZB 01.1789 – BayVBl 2002, 378). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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