Baurecht

Keine Besorgnis der Befangenheit wegen 25 Jahre zurückliegender Tätigkeit des Kammervorsitzenden bei Genehmigungsbehörde

Aktenzeichen  8 ZB 15.1238

Datum:
31.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 863
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 54 Abs. 1, Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 5
ZPO § 42 Abs. 2, § 48
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Ein Verfahrensmangel in Form der Gehörsrüge, wegen Verletzung der richterlichen Pflicht zur Selbstanzeige gemäß § 54 Abs. 1 VwGO iVm § 48 ZPO liegt vor, wenn kein Ablehnungsgesuch gestellt werden konnte, weil das Vorliegen eines Ausschluss- oder Ablehnungsgrunds den Verfahrensbeteiligten vor Abschluss des Verfahrens aufgrund des Verstoßes gegen die richterliche Offenbarungspflicht nicht bekannt war (hier verneint bei 25 Jahre zurückliegender Tätigkeit des Kammervorsitzenden bei dem für die streitgegenständliche Genehmigung zuständigen Landratsamt). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 K 14.705 2015-04-28 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrages auf wasserrechtliche Planfeststellung zum Zweck der Nassauskiesung (Herstellung eines Baggersees mit 8,77 ha Fläche und einer Abbausohle von 620,00 m ü. NN bei einem mittleren Grundwasserstand von 628,41 m ü. NN).
Der Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung wurde im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Es stehe im Widerspruch zu den im Flächennutzungsplan der Beigeladenen ausgewiesenen Konzentrationsflächen für Kiesabbau und -verarbeitung. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, dass die Beigeladene auf einem benachbarten Grundstück Kies entnehme, da diese – zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme im Jahr 1968 genehmigungsfreie – Kiesentnahme stets nur temporär und in geringem Umfang durchgeführt worden sei.
Die auf Verpflichtung des Beklagten zur Neuverbescheidung gerichtete Klage hat das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 28. April 2015 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung, in dem sich die Klägerin im Wesentlichen darauf beruft, dass der Kiesabbau durch die Beigeladene eine atypische Fallkonstellation im Sinn des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB begründe. Zudem macht sie geltend, der an der Entscheidung mitwirkende Kammervorsitzende sei aufgrund seiner früheren Tätigkeit an dem für die Genehmigung zuständigen Landratsamt U … von der Ausübung seines Richteramts ausgeschlossen gewesen oder hätte diese Tätigkeit zumindest offenbaren müssen. Von den maßgeblichen Umständen habe sie erst nach der Urteilsverkündung aufgrund eines kurzweiligen Gesprächs zwischen dem Kammervorsitzenden und den Behördenvertretern Kenntnis erlangt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Akten verwiesen.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe wurden entweder schon nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die vorgebrachten Zulassungsgründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Abgesehen davon fehlt es weitgehend an einer hinreichenden Durchdringung des Streitstoffs (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechts-sätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838; BayVGH, B.v. 24.2.2006 – 1 ZB 05.614 – juris Rn. 11; B.v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2).
Nach diesem Maßstab bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Es ist nicht fraglich, dass das Verwaltungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.
In ihrem Vortrag beruft sich die Klägerin im Wesentlichen nur darauf, dass nach ihrem Dafürhalten ein atypischer Fall vorliege und daher die gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB anzustellende (nachvollziehende) Abwägung fehlerhaft sei. Sie wendet sich dagegen nicht gegen die ausführliche (inzidente) Prüfung der Wirksamkeit des Flächennutzungsplans. Im Urteil wird (auch unter Berücksichtigung der klägerischen Einwendungen in Bezug auf die Kiesabbaufläche der Beigeladenen) im Einzelnen dargelegt, dass die Darstellung der Konzentrationsfläche wirksam ist, wogegen im Zulassungsvorbringen keine substanziierten Einwendungen erhoben werden.
Die Klägerin setzt sich in ihrem Vorbringen zu § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht hinreichend mit den Urteilsgründen auseinander. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Regelung kein absolutes Zulassungshindernis aufstellt, sondern einen Ausnahmevorbehalt für atypische Einzelfälle beinhaltet. Dies läuft auf eine nachvollziehende Abwägung hinaus, bei der jedoch zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber mit der Regel-Ausnahme-Formel in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zum Ausdruck gebracht hat, dass außerhalb der Konzentrationsflächen grundsätzlich dem Freihalteinteresse der Vorrang gebührt. Im Urteil wurden auch die höchstrichterlichen Maßstäbe für eine Atypik zutreffend dargelegt (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2007 – 4 CN 3/06 – BVerwGE 128, 382 Rn. 17; U.v. 17.12.2002 – 4 C 15/01 – BVerwGE 117, 287 Rn. 48; dazu auch BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 15 ZB 13.1578 – juris Rn. 40 f.; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 2015, § 35 Rn. 128a, jeweils m.w.N.). Voraussetzung ist insofern vor allem, dass der zur Genehmigung gestellte Standort das gesamträumliche Planungskonzept der Gemeinde nicht infrage stellt. Es muss sich um eine vom Plangeber so nicht vorgesehene (atypische) Fallkonstellation handeln (BVerwG, U.v. 26.4.2007 – 4 CN 3/06 – BVerwGE 128, 382 Rn. 17).
Unter Zugrundelegung dieser höchstrichterlichen Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar dargelegt, dass keine derartige atypische Sondersituation gegeben ist und zwar mangels tatsächlicher Umstände, die es nahe legen könnten, einen die Regelvermutung ausschließenden, vom Plangeber so nicht vorgesehenen Sonderfall anzunehmen. Dabei hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf die Entscheidungen in einem vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren verwiesen, wo ausgeführt wurde, dass das konkrete Vorhaben des Kiesabbaus auf den klägerischen Grundstücken von der Ausschlusswirkung erfasst werden sollte (vgl. VG Augsburg, U.v. 30.10.2002 – Au 4 K 01.657 – S. 15 des Entscheidungsumdrucks; zur Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung BayVGH, B.v. 30.11.2004 – 26 ZB 03.52 – juris). Die Klägerin hat nicht substanziiert dargelegt, warum diese Ausführungen unzutreffend sein sollen; sie hat selbst auch keine atypische Sondersituation im genannten Sinn aufgezeigt. Aus ihrem Vorbringen im Zulassungsverfahren wird nicht ersichtlich, dass die Planungsziele der Beigeladenen (deren Wirksamkeit im Zulassungsverfahren nicht in Streit steht, s. oben) durch das konkrete Vorhaben nicht infrage gestellt würden und dass ein vom Plangeber nicht vorgesehener atypischer Fall vorliegen könnte. Ebenso wenig wird hinreichend dargelegt, aufgrund welcher Umstände das Abbauinteresse bei Abwägung aller Belange gewichtiger erscheinen soll, als das grundsätzlich vorrangige Freihaltungsinteresse der Beigeladenen. Gleichermaßen fehlt ein Vortrag dazu, warum sich das Vorhaben der Klägerin aus dem Kreis anderer Vorhaben herausheben sollte, deren Zulassung die Beigeladene hat steuern wollen (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 15 ZB 13.1578 – juris Rn. 40 f.).
Soweit die Klägerin der Beigeladenen im Ergebnis ein widersprüchliches Verhalten vorhält, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den Ausführungen im Urteil. Bei der (inzidenten) Prüfung der Wirksamkeit des Flächennutzungsplans, die von der Klägerin im Zulassungsverfahren nicht substanziiert in Abrede gestellt wurde, hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen erläutert, dass es sich bei der noch gelegentlich stattfindenden Kiesentnahme durch die Beigeladene in der Nachbarschaft des beabsichtigten Vorhabens um eine bereits vor der Gebietsreform im Jahr 1972 begonnene Gewinnung für den Eigenbedarf handelt, die nach Art und Umfang mit dem von der Klägerin beabsichtigten Nassabbau (in einer Größenordnung von 8,7 ha und einem von Klägerseite geschätzten Abbauvolumen von etwa 993.800 m³) nicht vergleichbar ist (s. Entscheidungsgründe, Rn. 74 ff.). Auch dagegen hat die Klägerin keine durchgreifenden Einwendungen in ihrem Zulassungsvorbringen erhoben.
Schließlich fehlt es auch dem weiteren Vortrag, etwa in Bezug auf die Größe der dargestellten Konzentrationsflächen oder auf die Zunahme des Bedarfs an Kies und einer vermeintlich drohenden Rohstoffverknappung, an der erforderlichen Substanziierung und an einer hinreichenden rechtlichen Darlegung. Dass keine Vorrang- oder Vorbehaltsflächen überplant wurden und dass sich bislang keine neuen Erkenntnisse in Bezug auf die Festsetzungen der Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan ergeben haben, hat die Beigeladene im Übrigen mit Schreiben vom 24. Januar 2017 dargelegt. Eine akute Unterversorgung ist danach nicht ersichtlich. Dem ist die Klägerin nicht substanziiert entgegengetreten. Die Hinweise auf eine beabsichtigte Fortschreibung des Regionalplans reichen insofern nicht aus.
2. Die Klägerin hat sich nicht auf den Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderten, berufen und diesen vor allem nicht in einer § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt. Die von ihr aufgeworfenen Fragen können – wie die Ausführungen unter Ziffer 1 deutlich machen – ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren geklärt werden (zum Maßstab vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147/149, m.w.N.).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Ein solcher wäre in tatsächlicher und rechtlicher Sicht konkret zu bezeichnen gewesen.
3.1 Die Klägerin kann sich nicht auf eine Verletzung der Bestimmungen über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§ 54 Abs. 2 VwGO, § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 41 ff. ZPO) oder ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berufen.
3.1.1. Soweit die Klägerin einen Ausschluss des Kammervorsitzenden kraft Gesetzes diskutiert (vgl. zu diesem Verfahrensmangel BVerwG, B.v. 7.3.2017 – 6 B 53/16 – juris Rn. 17), fehlt es bereits an der hinreichenden Darlegung eines Ausschlussgrunds. Ein Richter ist von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen, wenn er bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat (§ 54 Abs. 2 VwGO). Eine derartige Mitwirkung wurde von der Klägerin im Zulassungsverfahren aber nicht hinreichend substanziiert dargelegt. Zwar mag der Begriff des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens weit auszulegen sein (vgl. BVerwG, U.v. 8.2.1977 – V C 071.75 – BVerwGE 52, 47/48 ff.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 54 Rn. 8, m.w.N.). Nicht ausreichend ist es jedoch regelmäßig, wenn ein Richter (zudem wie hier vor längerer Zeit) lediglich bei der Behörde tätig war, deren Entscheidung angegriffen ist (vgl. BFH, B.v. 12.6.2012 – I B 148/11 – juris Rn. 15 ff.; BayVGH, B.v. 27.5.1981 – 20 B 80 D.36 – BayVBl 1981, 723/725; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 54 Rn. 8, m.w.N.).
Die Landesanwaltschaft Bayern hat unwidersprochen vorgetragen, dass der Kammervorsitzende das für die streitgegenständliche Genehmigung zuständige Landratsamt U … bereits in den achtziger Jahren verlassen hat (also gut 25 Jahre vor Verkündung der angefochtenen Entscheidung) und mit dem Vorhaben der Klägerin ebenso wenig befasst war wie mit den planerischen Grundlagen. Dies erscheint bei Berücksichtigung der Gesamtumstände auch ohne Weiteres nachvollziehbar. Es wurden dagegen von der Klägerin keine substanziierten Tatsachen vorgebracht, die eine Mitwirkung im Sinn des § 54 Abs. 2 VwGO begründen könnten.
3.1.2 Soweit die Klägerin darüber hinaus Zweifel an der Objektivität des Kammervorsitzenden geltend macht, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages. Sie kann sich nicht darauf berufen, dieser sei nicht nur selbst an der Genehmigungsbehörde – die zugleich Vertretungsbehörde des Beklagten war – tätig gewesen, sondern habe sich im Anschluss an die Sitzung (in der das Urteil verkündet wurde) mit den anwesenden Behördenvertretern über seine damalige Zeit als Abteilungsleiter angeregt und kurzweilig unterhalten.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann die Besorgnis der Befangenheit der entscheidenden Richter nach Erlass eines Urteils und Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr geltend gemacht werden, so dass ein Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nur vorliegt, wenn ein Ablehnungsgesuch in der Vorinstanz tatsächlich Erfolg gehabt hätte. Dies gilt selbst dann, wenn erst nachträglich Gründe erkennbar werden, die vor dem Urteil eine Ablehnung gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO hätten rechtfertigen können (vgl. BVerwG, B.v. 7.3.2017 – 6 B 53/16 – juris Rn. 19; B.v. 29.6.2016 – 2 B 18/15 – juris Rn. 36 ff.; U.v. 16.4.1997 – 6 C 9/95 – DVBl 1997, 1235 f.; BSG, B.v. 16.12.2008 – B 9 SB 24/08 B – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 28.8.2015 – 9 ZB 13.1876 – juris Rn. 26).
3.1.3 Einen Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat die Klägerin ebenfalls nicht dargelegt. Voraussetzung wäre, dass ein tätig gewordener Richter tatsächlich und so eindeutig die gebotene Distanz und Neutralität vermissen lassen hätte, dass jede andere Würdigung als die einer Besorgnis der Befangenheit willkürlich erschiene (BVerwG, B.v. 7.3.2017 – 6 B 53/16 – juris Rn. 20; B.v. 29.6.2016 – 2 B 18/15 – juris Rn. 38; U.v. 16.4.1997 – 6 C 9/95 – DVBl 1997, 1235 f.; BSG, B.v. 16.12.2008 – B 9 SB 24/08 B – juris Rn. 10; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 54 Rn. 22).
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlt es im Zulassungsverfahren nicht nur an einer rechtlichen Darlegung eines solchen Verfahrensverstoßes, sondern auch an einem hinreichend substanziierten Tatsachenvorbringen. Das von der Klägerin geschilderte Gespräch begründet keinen derartigen Verfahrensfehler, so dass offen bleiben kann, unter welchen Voraussetzungen ein solcher bei einem nach der mündlichen Verhandlung gezeigten Verhalten anzunehmen ist. Die von der Klägerin geschilderte Unterhaltung mit Vertretern einer Behörde über die frühere Tätigkeit bei dieser mag möglicherweise – da überraschend – als nicht ganz angemessen zu bewerten sein. Aus Sicht der Prozessparteien kann bei vernünftiger Betrachtungsweise darin aber jedenfalls keine so eindeutige Verletzung der gebotenen Distanz und Neutralität gesehen werden, dass jede andere Würdigung als die einer Besorgnis der Befangenheit als willkürlich erschiene.
3.1.4 Ein Verfahrensmangel in Form der Gehörsrüge, wegen Verletzung der richterlichen Pflicht zur Selbstanzeige gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 ZPO (vgl. BVerwG, B.v. 7.3.2017 – 6 B 53/16 – juris Rn. 23 ff.; BGH, U.v. 15.12.1994 – I ZR 121/92 – NJW 1995, 1677/1678 f.; BFH, U.v. 10.8.2006 – II R 59/05 – juris Rn. 24 ff.; OLG München, U.v. 26.3.2014 – 15 U 4783/12 – NJW 2014, 3042 Rn. 15, 21, m.w.N.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 54 Rn. 22) wurde nicht substanziiert vorgetragen. Ein solcher liegt vor, wenn kein Ablehnungsgesuch gestellt werden konnte, weil das Vorliegen eines Ausschluss- oder Ablehnungsgrunds den Verfahrensbeteiligten vor Abschluss des Verfahrens aufgrund des Verstoßes gegen die richterliche Offenbarungspflicht nicht bekannt war.
Die Klägerin kann sich jedoch nicht darauf berufen, dass der Kammervorsitzende seine frühere Tätigkeit beim Landratsamt U … hätte anzeigen müssen (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 ZPO). Ein solcher Verstoß gegen prozessuale Verpflichtungen gegenüber den Beteiligten wird aus dem klägerischen Vorbringen nicht ersichtlich. Voraussetzung hierfür wäre, dass ein Verhältnis gegeben gewesen wäre, das entweder den Ausschluss des Richters kraft Gesetzes (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO; § 54 Abs. 2 VwGO) hätte rechtfertigen können oder zumindest dessen Ablehnung nahelegte (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO), wobei die gleichen Maßstäbe gelten würden, wie bei der Fremdablehnung (vgl. BGH, U.v. 15.12.1994 – I ZR 121/92 – NJW 1995, 1677/1679; Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 48 Rn. 2).
Indes handelt es sich bei der ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Tätigkeit des Kammervorsitzenden am Landratsamt U … offensichtlich um kein Verhältnis, das einen Ausschluss gemäß § 54 Abs. 2 VwGO hätte begründen können. Ebenso wenig bestand Veranlassung, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ein Verhältnis vorgelegen hätte, das eine Ablehnung gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO hätte rechtfertigen können. Erforderlich hierfür ist ein Grund, der aus der maßgeblichen Sicht der Prozessparteien bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (vgl. BGH, U.v. 15.12.1994 – I ZR 121/92 – NJW 1995, 1677/1679, m.w.N.). Solche Gründe hat die Klägerin jedoch nicht substanziiert dargelegt. Hierfür reicht regelmäßig weder eine frühere Verwendung eines Richters in einer Behörde, deren Entscheidungen in Streit stehen, noch seine kollegiale Verbindung zu Behördenmitarbeitern, die im konkreten Verwaltungsverfahren tätig waren (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2012 – 6 C 19/11 – NVwZ 2012, 1188 Rn. 18; BayVGH, B.v. 27.5.1981 – 20 B 80 D.36 – BayVBl 1981, 723/725). Vielmehr bedarf es zusätzlicher Umstände. Konkrete Tatsachen, die darauf hindeuteten, dass vorliegend solche besonderen Gegebenheiten vorgelegen hätten, wurden von der Klägerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Sie hat zu den Gründen, die eine Ausschließung rechtfertigen könnten, über allgemeine Eindrücke in Bezug auf das Gespräch nach Abschluss der mündlichen Verhandlung hinaus nichts Näheres dargelegt.
3.2 Soweit die Klägerin geltend macht, das Gericht hätte aufklären müssen, ob die Konzentrationszonen ausreichend bemessen und ob Prognosen überholt seien, wurde dieser Einwand erstmals nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgebracht (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124a Rn. 50). Darüber hinaus wäre eine Aufklärungsrüge jedenfalls nicht hinreichend substanziiert vorgetragen worden (vgl. zu den Erfordernissen BayVGH, B.v. 19.1.2017 – 8 ZB 15.811 – juris Rn. 18 f.; B.v. 7.3.2017 – 8 ZB 15.1005 – juris Rn. 10; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 124a Rn. 56, jeweils m.w.N.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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