Baurecht

Keine geordnete städtebauliche Entwicklung bei unterschiedlicher Bebauungsdichte

Aktenzeichen  1 N 14.2107

Datum:
26.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 855
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 1 Abs. 3, Abs. 7
VwGO VwGO § 47 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Im Rahmen einer Änderungsplanung kann die Nachverdichtung grundsätzlich eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 BauGB entsprechende planerische Konzeption darstellen. Die Intensivierung der Bebauung auf einem Grundstück bei gleichzeitigem Festhalten an den Regelungen für die übrigen Grundstücke lässt ein auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtetes Gesamtkonzept nicht erkennen.

Tenor

I. Die 6. Änderung des Bebauungsplans Nr. … „D…“ ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig (1) und begründet (2).
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere bestehen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keine Bedenken gegen die Antragsbefugnis der Antragsteller.
a) Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Bei einer Änderung des Bebauungsplans ist im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB das Interesse des Planbetroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes nicht nur dann abwägungserheblich, wenn durch die Planänderung ein subjektives öffentliches Recht berührt oder beseitigt wird. Abwägungsrelevant ist vielmehr jedes mehr als geringfügige private Interesse am Fortbestehen des Bebauungsplans in seiner früheren Fassung, auch wenn es lediglich auf einer einen Nachbarn nur tatsächlich begünstigenden Festsetzung beruht (BVerwG, B.v. 18.10.2006 – 4 BN 20.06 – BauR 2007, 331; BVerwG, B.v. 20.8.1992 – 4 NB 3.92 – NVwZ 1993, 468).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Antragsbefugnis der Antragsteller zu bejahen. Die Antragsgegnerin hat das Interesse der Antragsteller an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes in ihre Abwägungsentscheidung einzustellen. Die Antragsteller können geltend machen, dass die bisherige Festsetzung eines Einzelhauses mit einer zulässigen Grundflächenzahl von 0,3 und einer Geschossflächenzahl von 0,35 sie im Vergleich zur jetzigen Festsetzung eines Doppelhauses mit einer zulässigen Grundflächenzahl von 0,4 und einer Geschossflächenzahl von 0,45 begünstigte. Dies gilt insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass durch die Änderungsplanung zwei Wohneinheiten pro Doppelhaushälfte zugelassen werden. Damit können infolge der Überplanung statt bisher zwei bis zu vier Wohneinheiten entstehen. Zudem ermöglicht die streitgegenständliche Änderung des Bebauungsplans die Errichtung von insgesamt acht Stellplätzen und stellt damit eine nachteiligere Festsetzung für die Antragsteller dar.
b) Auch fehlt entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin den Anträgen nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Es genügt, dass die gerichtliche Entscheidung die Rechtsstellung der Antragsteller verbessern kann, wobei es nicht erforderlich ist, dass die begehrte Nichtigerklärung unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt (BVerwG, U.v. 23.2.2002 – 4 CN 3.01 – NVwZ 2002, 1126). Daher ist es ausreichend, dass die Antragsteller mithilfe ihres Normenkontrollantrags die Unwirksamkeit der Änderungsplanung und damit der für sie nachteiligeren Festsetzungen erreichen können. Eventuell darüber hinausgehende Ziele oder Vorstellungen der Antragsteller sind insoweit unerheblich.
2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, da die angegriffene Änderung des Bebauungsplans städtebaulich nicht erforderlich im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB ist.
Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden Bebauungspläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist, was sich nach der der Bebauungsplanung zugrunde liegenden planerischen Konzeption der Gemeinde bestimmt (BVerwG, U.v. 7.5.1971 – IV C 76.68 – NJW 1971, 1626). Dabei steht der Erforderlichkeit grundsätzlich nicht entgegen, dass sich der Bebauungsplan nur auf ein Grundstück beschränkt (BVerwG, B.v. 16.8.1993 – 4 NB 29.93 – ZfBR 1994, 101). Auch wenn das Merkmal der Erforderlichkeit für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nur bei groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen eine wirksame Schranke der gemeindlichen Planungshoheit darstellt, bleibt doch die Forderung unberührt, dass jede Bauleitplanung auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtet zu sein und diese zu gewährleisten hat (BVerwG, U.v. 22.1.1993 – 8 C 46.91 – BVerwGE 92, 8).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist hier die städtebauliche Erforderlichkeit der Änderungsplanung zu verneinen, da mit der von der Antragsgegnerin gewählten punktuellen Änderung eine auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtete schlüssige Gesamtkonzeption der Antragsgegnerin fehlt. Mit dem ursprünglichen Bebauungsplan hat die Antragsgegnerin ersichtlich eine planerische Konzeption verfolgt, die innerhalb des Geltungsbereiches des Bebauungsplans unterschiedliche Bebauungsmöglichkeiten vorsah, wobei das Maß der baulichen Nutzung je nach Haustyp bestimmt wurde. Bei Einzelhäusern wurden durchgängig eine zulässige Grundflächenzahl von 0,3 und eine Geschossflächenzahl von 0,35, bei Doppelhäusern eine zulässige Grundflächenzahl von 0,35 und eine Geschossflächenzahl von 0,45 festgesetzt. Zudem wurde bei Einzel- und Doppelhäusern die maximale Anzahl der Wohneinheiten auf zwei pro Grundstück begrenzt. In dem Straßengeviert innerhalb des Geltungsbereiches des Bebauungsplans, in dem sich das Grundstück der Antragsteller sowie die von der 5. und 6. Änderung betroffenen Grundstücke befinden, wurde ausschließlich eine Bebauungsmöglichkeit mit Einzelhäusern festgesetzt. Infolge der 5. Änderung des Bebauungsplans wurde die ursprüngliche Konzeption in diesem Geviert erstmalig durchbrochen. Statt eines Einzelhauses wurde ein Doppelhaus mit einer zulässigen Grundflächenzahl von 0,35 und einer Geschossflächenzahl von 0,4 festgelegt. Die maximal mögliche Anzahl von zwei Wohneinheiten wurde beibehalten. Infolge der im Rahmen der 6. Änderung erfolgten Festsetzung eines Doppelhauses erstmals mit der Möglichkeit der Schaffung von bis zu vier Wohneinheiten und der Festsetzung einer zulässigen Grundflächenzahl von 0,45 und einer Geschossflächenzahl von 0,4 hat die Antragsgegnerin ihre ursprüngliche planerische Konzeption für einzelne Grundstücke offensichtlich nicht mehr fortgeführt.
Zwar ist es der Antragsgegnerin nicht verwehrt, ihre ursprüngliche planerische Konzeption aufzugeben und für die Zukunft im Wege der Änderungsplanung eine neue Konzeption zu entwickeln und umzusetzen. Die Ermöglichung einer intensiveren Bebauungsmöglichkeit lediglich auf einem einzelnen Grundstück im Plangebiet lässt aber eine auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtete planerische Konzeption auch nicht unter dem Gesichtspunkt des von der Antragsgegnerin verfolgten Ziels der Nachverdichtung erkennen. Insoweit hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung konkretisiert, dass die Änderungsplanung auf der Grundlage eines Auftrages des Stadtrats an die Stadtverwaltung beruhe, anhand eines erstellten Baulückenkatasters Grundstücke im Innenbereich einer Bebauung zuzuführen. Zwar kann die Nachverdichtung grundsätzlich eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 BauGB entsprechende planerische Konzeption darstellen, wie zum Beispiel hier im Wege der Zulassung von zusätzlichen Wohneinheiten und intensiveren Bebauungsmöglichkeiten. Bei der Umsetzung dieser Zielvorstellung genügen aber punktuelle Änderungen eines bisher verfolgten und in den nach wie vor geltenden Festsetzungen des Bebauungsplans zum Ausdruck kommenden Konzepts nicht. Vielmehr hätte die Antragsgegnerin zumindest auch den näheren Umgriff des überplanten Grundstücks, hier vor allem die Grundstücke im Straßengeviert, in dem sich das Grundstück des Beigeladenen befindet, in den Blick nehmen und auch für diesen ein schlüssiges Plankonzept mit intensiveren Bebauungsmöglichkeiten entwickeln müssen. Dies gilt umso mehr, als für die Grundstücke in diesem Straßengeviert nach dem ursprünglichen Bebauungsplan dieselben Festsetzungen bestanden haben.
Dabei kommt der Tatsache, dass die übrigen Grundstücke im Straßengeviert bereits bebaut sind, keine entscheidende Bedeutung zu, da eine Nutzungsintensivierung durch eine Erhöhung der Wohneinheiten oder einen Dachgeschossausbau auch im Bestand zu erreichen ist. Ebenso wenig vermag der Umstand, dass das Grundstück des Beigeladenen an mehreren Seiten straßenmäßig erschlossen ist, das Fehlen einer erforderlichen planerischen Gesamtkonzeption der Antragsgegnerin zu rechtfertigen. Der Mangel einer planerischen Gesamtkonzeption zeigt sich auch insoweit, als die Antragsgegnerin im Hinblick auf die zulässige Anzahl der Wohneinheiten und der Geschossflächenzahl im Rahmen der streitgegenständlichen Änderungsplanung wiederum abweichende Festsetzungen zur 5. Änderung des Bebauungsplans getroffen hat, obwohl das betroffene Grundstück in dem gleichen Straßengeviert liegt.
b) Daher kann dahin gestellt bleiben, ob die Änderung des Bebauungsplans an durchgreifenden Abwägungsmängeln leidet, insbesondere ob das Abwägungsergebnis im Hinblick auf das Interesse der Antragsteller am Fortbestand des Bebauungsplans in seiner früheren Fassung sachgerecht ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die Kostentragung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dient der Klarstellung, da der Beigeladene ohne Prozessbevollmächtigten keinen eigenen Antrag stellen konnte (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ist Nummer I der Entscheidungsformel nach Rechtskraft des Urteils ebenso zu veröffentlichen wie der angegriffene Bebauungsplan.


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