Baurecht

Keine Störereigenschaft des Eigentümers eines Grundstücks durch Zurechnung von Verhalten der Pächter

Aktenzeichen  M 2 K 19.5443

Datum:
17.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18799
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayLStVG Art. 9
BayStrWG Art. 18, Art. 18a, Art. 18b

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2019 (Aktenzeichen: …*) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 10. Oktober 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Voraussetzungen von Art. 18b Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) liegen gegenüber dem Kläger nicht vor.
1. Die im Bestandsverzeichnis der Gemeinde als Orts straße eingetragene B-Straße erfährt durch die Errichtung der Sperranlage (in Gestalt mehrerer Bauzaunfelder) eine Sondernutzung. Hierfür gibt es keine Erlaubnis. Wird eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt, ist die Beklagte als Straßenbaubehörde nach Art. 18b BayStrWG berechtigt, die erforderlichen Anordnungen zu erlassen. Sind solche Anordnungen nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgversprechend, so kann sie den rechtswidrigen Zustand auf Kosten des Pflichtigen beseitigen oder beseitigen lassen.
2. Adressat einer solchen Anordnung darf nur der Pflichtige sein. Pflichtige ist derjenige, der die Sondernutzung zu verantworten hat. Mangels spezialgesetzlicher Regelung ist insoweit ein Rückgriff auf den Störerbegriff des Art. 9 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 8 ZB 12.562 – juris Rn. 15).
a) Nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG ist, wenn das Verhalten oder der Zustand einer Person Maßnahmen notwendig macht, die entsprechende Maßnahme gegen die Person zu richten, die die Gefahr oder die Störung verursacht hat (sog. Handlungsstörer). Die rechtsstaatliche gebotene normative Begrenzung des Verursacherbegriffs erfolgt durch das Kriterium der Unmittelbarkeit. Handlungsstörer ist hiernach jeder, der eine Gefahr unmittelbar verursacht, also bei einer wertenden Zurechnung die Gefahrenschwelle überschritten hat. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Handeln die letzte Ursache für die Gefahr setzt. Personen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg gesetzt, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere gegeben haben, sind in diesem Sinn keine Verursacher (vgl. BVerwG, B.v. 12.4.2006 – 7 B 30/06 – juris Rn. 4; zum Landesrecht vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2020, Art. 9 LStVG Rn. 29 und Art. 7 PAG Rn. 25; Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 17 ff.). Nach der gebotenen wertenden Betrachtungsweise kann allerdings auch ein als „Veranlasser“ auftretender Hintermann (mit) verantwortlich sein, wenn dessen Handlung zwar nicht die Gefahrenschwelle überschritten hat, aber mit der durch den Verursacher unmittelbar herbeigeführten Gefahr oder Störung eine natürliche Einheit bildet, die die Einbeziehung des Hintermanns in die Polizeipflicht rechtfertigt. Eine derartige natürliche Einheit besteht typischerweise beim „Zweckveranlasser“ als demjenigen, der die durch den Verursacher bewirkte Polizeiwidrigkeit gezielt ausgelöst hat (vgl. BVerwG, B.v. 12.4.2006 – 7 B 30/06 – juris Rn. 4; Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 30).
aa) Vorliegend hat der Kläger die Straßensperre nicht selbst errichtet. Er hat die früheren Pächter, die die Anlage wohl errichtet haben, hierzu auch nicht beauftragt (Art. 9 Abs. 1 Satz 4 LStVG).
bb) Der Kläger ist auch nicht Handlungsstörer durch Unterlassen. Durch Unterlassen verursacht eine Gefahr, wer aufgrund einer öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Rechtspflicht eine Handlung vornehmen müsste, diese aber unterlässt und dadurch eine Gefahr hervorgerufen wird. Eine Handlungspflicht zur Beseitigung allein aus einer (möglichen) Eigentümerstellung abzuleiten, scheidet aus, da der Eigentümer durch Entscheidung des Gesetzgebers als Zustandsstörer anzusehen ist (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG). Eine andere, pflichtenbegründende Garantenstellung, die den Kläger treffen könnte, ist nicht ersichtlich.
cc) Der Kläger ist auch nicht „Zweckveranlasser“ im oben genannten Sinn. Er hat das Verhalten der gegenwärtigen Pächter, die durch die fortgesetzte Nutzung auch des sich innerhalb der Zaunanlage befindlichen Straßengrundstücks als Verursacher der hierin und in der Errichtung und Nutzung der Zaunanlage liegenden Sondernutzung anzusehen sind, in wertender Betrachtung nicht in störungsrechtlicher Hinsicht gezielt ausgelöst. Richtig ist zwar, dass der Kläger seine beiden Grundstücke im Jahr 2018 in Kenntnis der errichteten Anlage und der faktischen „Fusion“ seiner beiden Grundstücke durch Abtrennung und Inkorporation von Teilen des Straßengrundstücks verpachtet hat. Unklar ist indes bereits, ob er hierdurch gegenüber einer Verpachtung „nichtfusionierter“ Grundstücke einen geldwerten Vorteil erwirtschaftet hat. Jedenfalls kommt dem Argument der Beklagten, die gegenwärtigen Pächter hätten andernfalls das Grundstück nicht gepachtet, keine rechtliche Relevanz zu. Denn damit ist nicht gesagt, dass das Grundstück nicht zu gleichen Konditionen an andere Interessenten hätte verpachtet werden können. Ohnehin unterbricht jedenfalls die konkrete Ausgestaltung des Pachtvertrags die Zurechnung des „störenden“ Pächterverhaltens an den Kläger; eine natürliche Einheit im oben genannten Sinne liegt nicht vor. Ausweislich des vorgelegten Vertrags hat der Kläger ausschließlich seine beiden Grundstücke verpachtet und auf das Bestehen der Orts straße, die seine Grundstücke voneinander trennt – und deren Nichtverpachtbarkeit – hingewiesen. Ob der Kläger im Rahmen der Vertragsverhandlungen – wie es die Beklagte durch ihren Vortrag insinuiert – gegenüber den Pächtern zum Ausdruck gebracht hat, dass seitens der Beklagten Einverständnis mit der Straßensperre besteht, oder ob er jedenfalls auf das seit vielen Jahren faktische Dulden der Beklagten hingewiesen hat und seine Geschäftspartner damit zum Vertragsschluss motiviert hat, kann offenbleiben. Selbst wenn ein solches Verhalten nachgewiesen werden könnte, machte ihn das in wertender Betrachtung nicht zum Störer. Denn er hat sich ausweislich der Vertragsurkunde keiner Verfügungsmacht berühmt, sondern im Gegenteil den Vertrag strikt auf seine eigenen Grundstücke beschränkt (§ 1 Abs. 1 des Vertrags) und die Orts straße (als Weg bezeichnet) ausgenommen (§ 18 Abs. 1 des Vertrags). Mögen sich die Pächter auch wegen der faktischen Verhältnisse zum Vertragsschluss entschlossen haben, so haben sie gegen den Kläger keinerlei Ansprüche hinsichtlich des Straßengrundstücks und hat sich dieser insoweit ausreichend vor einer Zurechnung der Sondernutzung geschützt. Ob die Beklagte den Pachtvertrag im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung kannte oder nicht, ist dabei nicht maßgeblich. Zum einen handelt es sich bei einer straßenrechtlichen Beseitigungsanordnung um einen Dauerverwaltungsakt, bei dem auch nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen sind (vgl. VGH München, B.v. 9.2.2009 – 8 CS 08.3321 – juris Rn. 17), zum anderen bestand der Vertrag bereits seit dem Jahr 2018 und mithin vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung. Dass die Beklagte den Vertrag erstmals im Klageverfahren durch den Kläger vorgelegt bekommen hat, schadet jedenfalls deshalb nicht, weil die insoweit wesentlichen Vertragsinhalte im Rahmen des (trotz seiner Abschaffung durch die Beklagte noch durchgeführten) Widerspruchsverfahrens vorgetragen wurden. Es hätte der Beklagten oblägen, im Rahmen der Amtsermittlung nach Art. 24 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) zumindest um die Vorlage der Vertragsurkunde zu ersuchen, zumal die Beklagte auch im Übrigen auf die – durch die Pächter mitgeteilten – individuellen (vermeintlichen) Vertragsumstände zur Begründung der Störereigenschaft rekurriert.
b) Der Kläger ist auch nicht Zustandsstörer. Er ist weder Inhaber der tatsächlichen Gewalt (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG) noch Eigentümer der die Straßensperre bildenden Zaunelemente (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG).
aa) Macht der Zustand einer Sache Maßnahmen notwendig, so sind diese nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG gegen den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten (sog. Zustandsstörer). Inhaber der tatsächlichen Gewalt ist jeder, der die tatsächliche Sachherrschaft über und die damit verbundene unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die störende Sache hat (vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2020, Art. 9 LStVG Rn. 33 und Art. 8 PAG Rn. 17; Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 46). Der Kläger hat in diesem Sinne keine Sachherrschaft über die auf dem Grundstück der Beklagten errichteten Sperre; insoweit fehlt jede tatsächliche Beziehung des Klägers zu den Zaunelementen. Auch soweit diese in Teilen auf dem eigenen Grundstück positioniert sind und in die Straße „hineinragen“ fehlt es an der tatsächlichen Gewalt des Klägers. Er ist als Verpächter von vornherein allenfalls mittelbarer Besitzer nach § 868 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ginge man davon aus, dass die Zaunelemente mitverpachtet sind. Als solcher hat er jedoch gerade keine tatsächliche Gewalt inne (vgl. Lindner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 12. Edition, Stand: 1.2.2020, Art. 8 PAG Rn. 17.2).
bb) Der Kläger ist schließlich auch nicht Eigentümer der die Straßensperre bildenden Zaunelemente. Er kann daher nicht nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden. Der Kläger hat die Zaunelemente nicht erworben. Er ist auch nicht nach anderen sachenrechtlichen Vorschriften Eigentümer geworden. Aus dem vorgelegten Bildmaterial ist ersichtlich, dass die die Straßensperre bildenden Bauzaunelemente mit dem Erdboden (sei es auf dem Straßengrundstück, sei es auf dem klägerischen Grundstück) durch das Einstecken in dort liegende Betonstandfuß verbunden sind. Diese Verbindung ist ersichtlich nur loser Natur und auch die Betonstandfüße sind klein und ohne weiteres zu entfernen. Seitlich sind die Zaunelemente offenbar teilweise locker mit der (unstreitig legalen) Zaunanlage auf dem klägerischen Grundstück verbunden. Die Bauzaunelemente sind – soweit sie überhaupt (auch) auf dem klägerischen Grundstück stehen – angesichts der mobilen Verankerung auf dem Boden ersichtlich nicht wesentlicher Bestandteil des Grundstücks des Klägers nach § 94 BGB. Sie sind auch nicht – vermittelt über die mit dem Grundstück fest verbundene (legale) Zaunanlage – wesentlicher Bestandteil des Grundstücks des Klägers. Sie können ohne weiteren Aufwand von der legalen Zaunanlage getrennt werden, ohne dass sie oder diese zerstört oder im Wesen verändert wird (§ 93 BGB). Auf § 97 BGB kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht an. Der Kläger ist damit nicht Eigentümer der Bauzaunelemente, die die Straßensperre bilden. Insoweit kann offenbleiben, ob er – was Voraussetzung für einen Eigentumserwerb nach § 946 BGB ist – überhaupt Eigentümer der legalen Zaunanlage ist, die nach Angaben in der mündlichen Verhandlung wohl auch von den ursprünglichen Pächtern errichtet worden ist (für einen Übergang des Eigentums gemäß § 946 BGB und gegen die Annahme eines bloßen Scheinbestandteils nach § 95 BGB sprechen die tatsächlichen Gegebenheiten, wonach offenbar die damals obligatorisch Berechtigten den Willen hatten, den mit dem Boden festverbundenen Zaun nach Vertragsende auf dem Grundstück zu belassen und deshalb § 95 BGB entfällt; vgl. hierzu Mauch in Ring/Grziwotz/Keukenschrijver, BGB Sachenrecht, 4. Aufl. 2016, § 946 Rn. 14 m.w.N.).
d) Der Kläger kann auch nicht nach Art. 9 Abs. 3 LStVG als Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 LStVG liegt ersichtlich nicht vor. Eine besondere Eilbedürftigkeit wird ohnehin auch von der Beklagten nicht angenommen, wie die gesetzte Frist (vier Monate nach Bestandskraft) verdeutlicht.
3. Selbst wenn der Kläger als Störer anzusehen wäre, läge ein Ermessensfehler vor (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Pächter sind als Verhaltensstörer anzusehen. Ihre vorrangige Inanspruchnahme ist nicht nur geboten, weil auch nach der gesetzlichen Wertung in Art. 9 LStVG ein grundsätzlicher Vorrang zulasten des Verhaltensstörers besteht (vgl. Koehl in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: Oktober 2019, Art. 9 Rn. 7), sondern auch, weil eine Beseitigung der Sondernutzung wegen der intensiven Hundehaltung durch die Pächter deren Mitwirkung erfordert. Andernfalls wäre möglicherweise die Beseitigung der Sondernutzung mit der Erzeugung einer anderen Gefahr durch freiherumlaufende Hunde verbunden. Insoweit verlangt die Effektivität der Gefahrenabwehr eine Inanspruchnahme der Pächter.
4. Da die Inanspruchnahme des Klägers rechtswidrig ist, sind auch die übrigen Regelungen des Bescheids aufzuheben. Auf die Untersuchung eines möglichen, den Bescheiderlass nur in Ausnahmenfällen hindernden (Duldungs-)Verhaltens der Beklagten kommt es daher vorliegend nicht an.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).


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