Baurecht

Keine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch Schweinestall mit Massentierhaltung

Aktenzeichen  M 9 K 15.4998

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 5
BayBO BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 71

 

Leitsatz

1 Bei privilegierten Vorhaben (hier ein Schweinestall mit Massentierhaltung) ist eine Abwägung zwischen dem Zweck des Vorhabens und den öffentlichen Belangen erforderlich, wobei das Gewicht, das der Gesetzgeber der Privilegierung von Vorhaben im Außenbereich beimisst, besonders zu berücksichtigen ist. Die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswerts sowie die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbilds im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB liegt u.a. dann vor, wenn alternativ eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft oder eine Verunstaltung des Landschaftsbilds vorliegt.    (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Verunstaltung der Landschaft setzt voraus, dass das Vorhaben in seiner Umgebung grob unangemessen ist, als Blickfang für den Betrachter störend den Eindruck von der Landschaft beeinträchtigt und an einem exponierten Standort liegt. Eine Verunstaltung kann auch die Gestaltung des Vorhabens im Einzelnen sein. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Anforderungen an die Maße eines Stalles als Zweckbau führen nicht zur Verunstaltung. Stallgrößen sind abhängig von Art und Umfang des Tierbestands und regelmäßig lang und breit. Dieser typischen Gestaltung, die funktionsbedingt ist, kann im Falle einer Privilegierung nicht der öffentliche Belang einer Beeinträchtigung oder Verunstaltung der Landschaft entgegengehalten werden, wenn keine besonders schutzwürdige Umgebung vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom … Oktober 2015 verpflichtet, der Klägerin einen positiven Vorbescheid nach Maßgabe des Vorbescheidsantrags vom … September 2012 in der Fassung des Änderungsantrags vom … April 2015 zu erteilen.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollsteckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom … Oktober 2015 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Erlass des beantragten Vorbescheids für den geplanten Mastschweinestall, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Nach Angaben der Beklagten, der Beigeladenen und der Klägerseite ist das Verfahren spruchreif, da weitere fachliche Prüfungen nicht erforderlich sind.
Nach Art. 71 BayBO ist vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind, Art. 71 Satz 1 und Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Im Vorbescheidsantrag hat die Klägerin unter Vorlage genauer Pläne nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Stalls für 600 Mastschweine im Außenbereich gefragt.
Das geplante Bauvorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Außenbereich zulässig. Die Klägerin ist ein gewerblicher Betrieb und ihr Inhaber ist kein Landwirt. Er bewohnt zwar die ehemalige Hofstelle in …, die verbleibenden landwirtschaftlichen Flächen sind jedoch verpachtet. Das Vorhaben ist als Schweinestall mit Massentierhaltung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Außenbereich privilegiert. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB sind im Außenbereich Vorhaben zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und es sich um ein Vorhaben handelt, das wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Ausgenommen sind bauliche Anlagen zur Tierhaltung, die nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb i. S. des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dienen und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen. Der Mastschweinestall für 600 Tiere ist eine gewerbliche Tierhaltungsanlage der Intensivhaltung und Aufzucht, die nicht nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vorprüfungspflichtig ist; die §§ 3b f. UVPG i. V. m. Anlage 1 Nrn. 7.1 bis 7.11, Anlage 2 gelten für Neuvorhaben mit mehr als 1.500 Plätzen für Mastschweine. Wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung und wegen der nachteiligen Wirkung durch die Geruchsimmissionen auf die Umgebung ist das Vorhaben im Außenbereich deshalb privilegiert zulässig. Nach dem Ergebnis des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung scheiden Alternativstandorte in der Nähe der ehemaligen Hofstelle und auf der Fläche zwischen … und dem westlich angrenzenden Hauptort aus. Sonstige Alternativstandorte, für die die Klägerin auch tatsächlich verfügungsberechtigt ist und die sich in zumutbarer Entfernung von der Wohnung des Betriebsleiters befinden, stehen nach Aktenlage und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung trotz des vier Jahre dauernden Verfahrens nicht zur Verfügung.
Ein im Außenbereich privilegiertes Vorhaben ist ferner nur dann zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Bei privilegierten Vorhaben ist eine Abwägung zwischen dem Zweck des Vorhabens und dem öffentlichen Belang erforderlich, wobei das Gewicht, das der Gesetzgeber der Privilegierung von Vorhaben im Außenbereich beimisst, besonders zu berücksichtigen ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB, § 35 Rn. 60 m. w. N.). Als einziger, nach umfangreicher Prüfung des Vorhabens entgegenstehender Belang nennt der Ablehnungsbescheid die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswerts sowie die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbilds, § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB. Nach dieser Vorschrift liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange, die auch einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB entgegenhalten werden kann, u. a. dann vor, wenn alternativ eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft oder eine Verunstaltung des Landschaftsbilds vorliegt. Im vorliegenden Fall ist das Vorhabensgrundstück nicht förmlich unter Schutz gestellt, so dass es auf eine konkrete Beeinträchtigung und Verunstaltung der Landschaft und des herausragenden Landschaftsbildes ankommt. Eine Beeinträchtigung des Ortsbilds ist ausgeschlossen, da vom nächstgelegenen Weiler … aus wegen der Lage in einer Senke entlang der Staatsstraße im Kreuzungsbereich zur Zufahrtsstraße nach … das Gebäude vom Ort aus nicht zu sehen sein wird. Da keine besonders geschützte Landschaft vorliegt, setzt eine Beeinträchtigung oder Verunstaltung der Landschaft voraus, dass das Vorhaben in seiner Umgebung grob unangemessen ist, als Blickfang für den Betrachter störend den Eindruck von der Landschaft beeinträchtigt und an einem exponierten Standort liegt (OVG Münster, B. v. 4.7.2000 – 10 A 3377/98 – zu einer unbebauten Flusslandschaft). Eine Verunstaltung kann auch die Gestaltung des Vorhabens im Einzelnen sein, wobei die Anforderungen an die Maße eines Stalles als Zweckbau nicht zur Verunstaltung führen. Stallgrößen sind abhängig von Art und Umfang des Tierbestands und regelmäßig lang und breit. Dieser typischen Gestaltung, die funktionsbedingt ist, kann im Falle einer Privilegierung nicht der öffentliche Belang einer Beeinträchtigung oder Verunstaltung der Landschaft entgegengehalten werden, wenn keine besonders schutzwürdige Umgebung vorliegt (VGH Mannheim, U. v. 28.9.2011 – 8 S 1947/11). Immer Voraussetzung ist, dass ein Vorhaben in einem schutzwürdigen Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist, so dass dieser Belang nicht anzunehmen ist, wenn eine optisch nachteilige Wirkung des Gebäudes durch eine angepasste Farbgestaltung oder Eingrünung verhindert werden kann (OVG Koblenz, U. v. 4.7.2007 – 8 A 10260/07; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB, § 35 Rn. 92). Als genereller Maßstab gilt, ob das Vorhaben die Landschaft grob unangemessen verunstaltet und in ästhetischer Hinsicht auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als grob unangemessen und belastend empfunden wird (BVerwG, B. v. 15.10.2001 – 4 B 69.01 – zu Windkraftanlagen).
Gemessen an diesen Maßstäben steht dem Bauvorhaben der Klägerin weder eine Beeinträchtigung der Landschaft noch eine Verunstaltung des Landschaftsbilds i. S. des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB entgegen. Das Bauvorhaben liegt am Rande von zwei Straßen in einer Senke, von der aus das Gelände sowohl zum Weiler … nach Westen als auch auf den gegenüberliegenden Straßenseiten zu einem bewaldeten Hang ansteigt. Das Vorhabensgrundstück und die Umgebung sind geprägt durch Flächen für Landwirtschaft. Die Staatsstraße ist nach dem Ergebnis des Augenscheins wenig befahren und verläuft in der näheren Umgebung des Bauvorhabens in einer Kurve im Tal. Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist der geplante Stall vor allem von der Staatsstraße und dem gegenüberliegenden bewaldeten Hang deutlich zu sehen, wobei von dort aus auch die Wohn- und landwirtschaftlichen Gebäude des Weilers … zu sehen sind. Die Gestaltung des Stalles entspricht den üblichen landwirtschaftlichen Stallgebäuden. Nach den vorgelegten Plänen wird er verkleidet und eingegrünt. In der weiteren Umgebung entlang der Staatsstraße stehen entsprechende landwirtschaftliche Gebäude, teilweise in Hanglage. Die Stellung des Vorhabens ist in keiner Weise exponiert. Die Landschaft ist mit landwirtschaftlichen Gebäuden vorbelastet. In ästhetischer Hinsicht ist das Gebäude weder aufgrund seiner Gestaltung noch aufgrund seiner Lage grob unangemessen. Die Umgebung ist malerisch, aber nicht wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig. Ein grober Eingriff in das durch Straßen, Wiesen und Wald geprägte Landschaftsbild ist nicht erkennbar; die Tatsache eines störenden Eindrucks großer landwirtschaftlicher Gebäude in malerischer Umgebung genügt dafür nicht. Weniger störende Alternativstandorte, die nicht zu einer Beeinträchtigung durch Geruchsimmissionen führen, in der Nähe zu einer Betriebsleiterwohnung liegen und der Klägerin zur Verfügung stehen, sind weder nach Aktenlage noch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung erkennbar.
Sonstige öffentliche Belange stehen dem Vorhaben nicht entgegen. Der Beklagte war daher zu verpflichten, den beantragten Vorbescheid zu erlassen, der mit geändertem Antrag vom … April 2015 auf das Stallgebäude reduziert wurde.
Der Beklagte war gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zur Kostentragung verpflichtet.
Die Beigeladene hat sich nicht durch Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko begeben und trägt daher ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 f. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 20.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Streitwertkatalog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben