Baurecht

Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus, Abgrenzung Innenbereich, Außenbereich, Hineinragen des Außenbereichs in den Innenbereich, Keine Baulücke, Beeinträchtigung öffentlicher Belange

Aktenzeichen  Au 5 K 21.1001

Datum:
10.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist nicht begründet, weil das genehmigungspflichtige Vorhaben (Art. 55 Abs. 1 Bayerische Bauordnung – BayBO) des Klägers bauplanungsrechtlich nicht genehmigungsfähig ist.
Gemäß Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, sofern dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Gegenstand der Prüfung ist nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO u.a. die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit. Das Vorhaben des Klägers ist bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es im Außenbereich verwirklicht werden soll und es dort als sonstiges Vorhaben i.S. des § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigt.
a) Nach Auffassung des Gerichts ist das Baugrundstück dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich i.S. des § 35 BauGB zuzuordnen, weil es nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, sondern lediglich an einen solchen Ortsteil angrenzt.
aa) Die tatsächlichen Verhältnisse stellen sich, wie sich aus der vorgelegten Behördenakte sowie den Erkenntnissen aus dem Augenscheinstermin am 28. Juli 2021 ergibt, wie folgt dar: Das Baugrundstück bzw. das Baufenster grenzt im Süden an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil an. Hier befindet sich das Wohngebäude des Klägers und seiner Familie (…). Entlang der gesamten westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Fl.Nr. … verläuft die, an deren westlicher Straßenseite ein Bebauungszusammenhang vorzufinden ist. Entlang der gesamten östlichen Grundstücksgrenze schließt an das Grundstück Fl.Nr. … die Fl.Nr. … an. Dieses Grundstück steht nicht im Eigentum des Klägers und wird extensiv als Grasland von einem Betrieb mit Schafhaltung genutzt. Das Grundstück Fl.Nr. … weist auf Höhe des geplanten Baufensters eine Breite von mehr als 30 m auf. Hieran wiederum östlich anschließend liegt eine … auf Fl.Nr., die sich mit ihren Betriebsgebäuden in nördlicher Richtung über die geplante nördliche Gebäudekante des Bauvorhabens hinaus erstreckt. Der nördliche Bereich des Grundstücks Fl.Nr. … ist im Anschluss an die dem Haupthaus zugeordneten Garagen bislang unbebaut und wird als Grünland genutzt. Die Länge des bislang unbebauten Teils des Grundstücks beträgt ab dem Hauptgebäude ca. 135 m, ab den Garagen ca. 125 m. Der unmittelbar südlich an die Bebauung auf Fl.Nrn. … und … angrenzende Grundstücksbereich ist in einer Tiefe von ca. 45 m mit dem Bebauungsplan Nr. … „…“ überplant, der hier ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Eine Bebauung ist dort bislang nicht verwirklicht. Insgesamt umfasst der zusammenhängende, als extensives Grünland genutzte und noch unbebaute Bereich in dem Geviert zwischen,, … und … über die Grundstücksgrenzen hinweg eine Fläche von ca. 2,28 ha.
bb) Grundsätzlich endet der im Zusammenhang bebaute Ortsteil mit der letzten Bebauung. Der Außenbereich beginnt unmittelbar hinter dem letzten Bauwerk. Zudem wird in der Regel gefordert, dass das Baugrundstück auf drei Seiten bebaut ist (Spannowsky in BeckOK, BauGB, Stand: 1.8.2020, § 34 Rn. 25.1; BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris Rn. 3). Das ist vorliegend nicht der Fall. Für den Fall, dass man der … keine trennende Wirkung beimessen wollte, ist das vorgesehene Baufenster auf zwei Seiten, nämlich im Süden und im Westen, bebaut. In nördlicher Richtung findet sich die nächstgelegene, tatsächliche Bebauung erst auf den Grundstücken Fl.Nrn. … und …. Diese Wohnbebauung liegt jedoch deutlich abgesetzt von dem bestehenden Wohnhaus des Klägers in einer Entfernung von ca. 135 m. Selbst wenn man die dem Wohnhaus zugeordneten Garagen dem Bebauungszusammenhang zurechnet, erstreckt sich aktuell der unbebaute, als Grünland genutzte Bereich der Fl.Nr. … von Süden nach Norden über eine Länge von ca. 125 m und eine Breite zwischen 35 und 40 m. Die Bebauung auf den Fl.Nrn. … und … ist demnach zu weit abgesetzt, als dass sie der geplanten Bebauung als „angrenzende“ Bebauung zugeordnet werden könnte (s. hierzu auch BVerwG, Bau 1981, 54 zu einer Distanz von 110 und 135 m; VG München, U.v. 15.10.2019 – M 1 K 17.4328 – juris Rn. 33 zu einer Distanz von 110 m; Spannowsky in BeckOK, Stand: 1.8.2020, § 34 BauGB Rn. 25.1). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der nördliche Grundstücksteil der Fl.Nr., unmittelbar angrenzend an die Fl.Nrn. … und, mit dem Bebauungsplan Nr. … „…“ überplant ist, der hier ein Allgemeines Wohngebiet vorsieht. Denn maßgeblich für die Frage, ob ein Grundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt, ist die maßstabbildende tatsächlich vorhandene Bebauung. Diese setzt aber bestehende bauliche Anlagen voraus, die optisch wahrnehmbar sind und eine gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmen Charakter zu prägen (BVerwG, U.v. 14.9.1992 – 4 C 15/90 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 22.12.2000 – 26 B 99.3606 – juris Rn. 19). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit geklärt, dass zu der maßstabsbildenden „vorhandenen Bebauung“ zwar auch ein qualifiziert geplantes Gebiet gehören kann; soweit dies der Fall ist, sind unbebaute Grundstücke (oder Grundstücksteile) des beplanten Gebiets aber nicht deshalb wie eine bereits vorhandene Bebauung zu behandeln, weil sie nach § 30 Abs. 1 BauGB bebaut werden dürften (BVerwG, B.v. 24.11.2009 – 4 B 1/09 – juris Rn. 5; BVerwG, B.v. 10.7.2000 – 4 B 39/00 – juris Rn. 7). Aber auch in östlicher Richtung grenzt das Baugrundstück nicht an eine Bebauung an. Die dort angrenzende Fl.Nr. … ist unbebaut und wird als Grünfläche im Zusammenhang mit einem Schafzuchtbetrieb genutzt. Es befindet sich dort jenseits des südlich gelegenen Bebauungszusammenhangs lediglich ein kleiner Schuppen, der ebenso wenig maßstabbildend ist wie der auf dem klägerischen Grundstück noch etwas abgesetzt stehende Bauwagen (s. hierzu auch BayVGH, U.v. 22.12.2000 a.a.O. Rn. 20). Die noch weiter östlich auf Fl.Nr. … liegende … mit ihren Betriebsgebäuden ist, wie auch der Augenscheinstermin ergeben hat, bereits deutlich abgesetzt und kann über die großen Freiflächen auf den Fl.Nrn. … und … hinweg keine prägende Wirkung mehr auf das Baugrundstück entfalten. Dies gilt umso mehr, als die Gebäude wegen der topographischen Situation auch etwas tiefer liegen als das Baugrundstück und optisch nur eingeschränkt in Erscheinung treten. Zudem weisen die Betriebsgebäude der … einen Abstand von deutlich über 30 m zur östlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks auf. Damit ist das Baugrundstück nur an zwei Seiten, nämlich im Süden und im Westen, von maßstabbildender Bebauung umgeben.
Allein der Umstand, dass das Baugrundstück nur auf zwei Seiten an den Innenbereich angrenzt, rechtfertigt zwar noch nicht automatisch den Schluss, dass es am Bebauungszusammenhang nicht mehr teilnimmt (Spannowsky, a.a.O. § 34 Rn. 25.1). Entscheidend ist vielmehr eine echte Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts (BVerwG, U.v. 6.12.1967 – IV C 94.66 – juris Rn. 26). Keinen Bestandteil des Bebauungszusammenhangs bilden Grundstücke oder Grundstücksflächen, die wegen ihrer besonderen Grundstücksgröße einer gesonderten städtebaulichen Entwicklung oder Beplanung fähig sind. Bei solchen großen Grundstücken oder Grundstücksflächen kann eine prägende Wirkung der Umgebungsbebauung fehlen (Spannowsky, a.a.O., § 34 Rn. 25.1). Dies gilt insbesondere für große, unbebaute Innenbereichsflächen, die so groß sind, dass ihre Bebauung nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung zu betrachten ist und die als „Außenbereich im Innenbereich“ angesehen werden. Derart große Flächen werden weder durch die vorhandene Bebauung geprägt noch entfalten sie selbst prägende Wirkung auf ihre Umgebung in der Weise, dass sie einen Eindruck der Geschlossenheit vermitteln. Gemessen an diesen Kriterien nimmt das Baugrundstück unter Berücksichtigung der oben dargestellten, tatsächlichen Gegebenheiten, nicht am Eindruck der Geschlossenheit der Umgebungsbebauung teil. Vielmehr endet mit dem bestehenden Wohnhaus samt der dazugehörigen Garagen auf Fl.Nr. … optisch eindeutig der Bebauungszusammenhang östlich der, der sich von der … bis zum bestehenden klägerischen Wohnhaus zieht. Die weiter östlich gelegene Bebauung in Form der Betriebsgebäude der … ist zu weit entfernt und auch nach den tatsächlichen Verhältnissen vom geplanten Vorhaben zu deutlich abgesetzt, als dass hierdurch ein Bebauungszusammenhang mit dem Baugrundstück vermittelt werden könnte. Auch die westlich der … gelegene, aufgelockerte und teils deutlich von der Straße zurückgesetzte Bebauung hat keine derart dominante, prägende Wirkung, dass sie allein dem Baugrundstück die Zugehörigkeit zum Bebauungszusammenhang vermitteln könnte. Vielmehr tritt diese Bebauung, wie der Augenscheinstermin auch gezeigt hat, wegen der teils stark zurückgesetzten Gebäude und der großzügigen Eingrünung optisch nur eingeschränkt in Erscheinung. Zudem liegt die … zwischen diesem Gebiet und dem Baugrundstück, so dass der Bebauung westlich entlang der … nur eingeschränkt prägende Wirkung auf das Baugrundstück zukommt. Dieses wirkt vielmehr, verbunden mit den großen Grünflächen auf den Fl.Nrn. … und, als eine eigenständige, extensiv landwirtschaftlich genutzte Fläche, die allein schon wegen ihrer Größe selbst ihre Umgebung prägt. Auf Grundstücks- oder Parzellengrenzen kommt es hierbei nicht an. Bei der Abgrenzung sind deshalb auch die die Grundstücke umgebenden Einzäunungen nicht beachtlich. Eine klare topographische oder sonstige Zäsur, die das Baufenster zweifelsfrei von dem zusammenhängenden, unbebauten Gebiet abgrenzen würde und dem Bebauungszusammenhang zuordnen würde, ist nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass das Gelände von Norden nach Süden leicht ansteigt und der Bereich des geplanten Bauvorhabens damit etwas tiefer liegt als die sich daran anschließende Freifläche, genügt noch nicht, um eine derartige klare Zäsur darzustellen. Eine markante Hangkante, die das Baugrundstück optisch noch dem Bebauungszusammenhang zuordnen bzw. deutlich von der daran nördlich weiter anschließenden Grünfläche abgrenzen würde, ist nicht ersichtlich. Vielmehr steigt das Gelände ohne erkennbare Brüche von der … beginnend stetig leicht an bis hin zu der Bebauung auf den Fl.Nrn. … und ….
b) Als sonstiges Vorhaben im Außenbereich (§ 35 Abs. 2 BauGB) ist das Bauvorhaben planungsrechtlich unzulässig, weil es öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 BauGB).
(1) Das Vorhaben beeinträchtigt die natürliche Eigenart der Landschaft und deren Erholungswert (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB).
Der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft dient dem Schutz der naturgegebenen Bodennutzung des Außenbereichs vor dem Eindringen einer der freien Landschaft wesensfremden Bebauung. Deshalb sollen bauliche Anlagen abgewehrt werden, die der Landschaft wesensfremd sind oder die der Allgemeinheit Möglichkeiten der Erholung entziehen (BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 1 ZB 18.555 – juris Rn. 5). Mit dem Bauvorhaben würde die bisher auf dem Baugrundstück noch vorhandene, naturgegebene Bodennutzung als Grünfläche mit einer Streuobstbepflanzung durch eine dem Außenbereich wesensfremde Bebauung mit einem Wohngebäude verdrängt. Anhaltspunkte dafür, dass sich das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit nicht mehr für die Bodennutzung eignet oder seine Schutzwürdigkeit eingebüßt hat, gibt es nicht.
(2) Das Bauvorhaben führt auch zu einer städtebaulich zu missbilligenden Entstehung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
Die Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist ein Vorgang der städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang im Sinn des § 35 Abs. 2 BauGB ist (BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – ZfBR 1985, 141; BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 28). Auch im vorliegenden Fall würde die Zulassung des klägerischen Bauvorhabens einen Ansatz für eine derartige unerwünschte Zersiedelung des Außenbereichs bilden. Es ist zu befürchten, dass das Vorhaben als Ansatzpunkt für weitere Bauvorhaben in den bisher unbebauten Bereichen dienen könnte. Die in den Innenbereich ragende Außenbereichsfläche ist vorliegend an drei Seiten von Bebauung umschlossen und könnte sowohl von der … aus als auch von der … aus erschlossen werden. Damit spricht viel dafür, dass mit der Zulassung des klägerischen Vorhabens weiterer Baudruck entstehen könnte. Derartige Siedlungsansätze bedürfen jedoch angesichts der Größe der noch unbebauten Außenbereichsfläche und der verschiedenen, dort angrenzenden Nutzungsarten einer bauplanerischen Bewältigung, wie dies die Beigeladene etwa mit dem Bebauungsplan Nr. … in einem kleineren Teilbereich auch vorgenommen hat.
Nachdem das klägerische Vorhaben als sonstiges Vorhaben im Außenbereich demnach öffentliche Belange beeinträchtigt, kommt eine Zulassung im Einzelfall nicht in Betracht. Die Klage war deshalb als unbegründet abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, sich somit nicht am Prozessrisiko beteiligt und deshalb seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
4. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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