Baurecht

Leistungen, Behinderung, Vorhaben, Pflegeversicherung, Jugendhilfe, Vergabeverfahren, Vergabeunterlagen, Eingliederungshilfe, Antragsgegner, Beteiligung, Unterkunft, Frist, Finanzierung, Kosten des Verfahrens, juristische Person, Gewinn und Verlustrechnung

Aktenzeichen  3194.Z3-3_01-21-70

Datum:
30.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17006
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 98, 99 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Ein e.V., der soziale Leistungen nach den Regelungen des SGB wie den Betrieb von Pflegeheimen erbringt, erfüllt im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art, auch wenn er von der evangelischen Kirche gegründet wurde und sich selbst als Teil dieser Kirche sieht.
2. Leistungsentgelte der Träger der Sozialhilfe für stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungen z.B. nach dem SGB IX oder XI sind nicht als reine Unterstützungsleistung, sondern als Vergütung einer spezifischen Gegenleistung anzusehen. Sie bleiben bei der Frage einer überwiegenden öffentlichen Finanzierung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB außer Betracht.
3. Aufsichtsbefugnisse wie diejenigen nach dem PfleWoqG, die den Aufsichtsbehörden allenfalls beim Auftreten von Missständen bzw. Verstößen gegen öffentliches Recht durch den Auftraggeber und auch dann nur in besonderen, seltenen Konstellationen die Möglichkeit ergeben, auf die Vergabe öffentlicher Aufträge einen konkreten Einfluss zu nehmen, können keine gleichwertige Verbindung zum Staat schaffen, wie es die anderen beiden Alternativen des § 99 Nr. 2 GWB vermögen.

Tenor

1. Der Nachprüfungsantrag wird als unzulässig verworfen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner war notwendig.

Gründe

I.
Der Antragsgegner veröffentlichte am 26.05.2021 die Bekanntmachung für den Planungswettbewerb „Neubau Evangelisches Pflegezentrum H… (…). Im Rahmen des Wettbewerbs erzielte die Antragstellerin den ersten Preis.
Mit E-Mail vom 15.10.2021 erhielt die Antragstellerin eine „Einladung zur Verhandlung mit Aufforderung zur Präsentation am 08.11.2021“.
Mit Schreiben vom 18.10.2021 rügte die Antragstellerin, dass die Fristen zur Einreichung der Grobkostenschätzung und des Grobterminplans zu kurz seien und damit gegen § 17 Abs. 6 VgV verstießen. Ferner seien diese als Unterkriterien untauglich, da sie unmöglich zu realisieren seien und der Bewertungsmaßstab unklar sei. Auch sei die Gewichtung mehrerer Zuschlagskriterien unangemessen, insbesondere die Platzierung im Realisierungswettbewerb. Außerdem fehle bei der Punktevergabe die Darstellung des vom Bieter erwarteten Erfüllungsgrades.
Am 27.10.2021 versandte der Antragsteller daraufhin ein korrigiertes Einladungsschreiben.
Mit E-Mail vom 28.10.2021 hat die Antragstellerin auf ihrer Ansicht nach weiterhin bestehende Unklarheiten in der korrigierten Einladung hingewiesen. Daraufhin wurde ihr vom betreuenden Büro … Projektmanagement … mitgeteilt, dass der Verhandlungstermin am 08.11.2021 nicht stattfinden werde und die Vergabeunterlagen noch einmal überarbeitet würden.
Am 11.11.2021 veröffentlichte der Antragsgegner die überarbeiteten Vergabeunterlagen auf der Vergabeplattform.
Mit Schreiben vom 13.11.2021 rügte die Antragstellerin erneut, dass die Frist zur Abgabe eines indikativen Erstangebots zu kurz bemessen und dass die Gewichtung einzelner Zuschlagskriterien, insbesondere des Wettbewerbsergebnisses noch immer zu gering sei. Ferner seien die Zuschlagskriterien Ausführungskonzept und Honorar gemäß Leistung- und Vergütungskatalog völlig unklar und das Zuschlagskriterium persönliche Erfahrung der Projektleitung sei unangemessen. Weiter scheine die Angebotspräsentation überflüssig, da sie nicht als Zuschlagskriterium vorgesehen sei.
Der Antragsgegner erwiderte mit Schreiben vom 17.11.2021, dass die Vergabeunterlagen präzisiert worden seien und in ihrer neuen Form allen Bietern bereits zur Verfügung gestellt worden seien. Dadurch sei insbesondere der in Bieterfrage Nr. 2 zum Thema Handskizzen enthaltenen Rüge abgeholfen worden. Der Antragsgegner werde den weiteren Rügen, die sich aus den Bieterfragen ergeben, und der Rüge vom 13.11.2021 ansonsten nicht abhelfen. Die Abgabefrist sei angemessen und die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung würden einen wirksamen Wettbewerb mit einem Zuschlag auf das tatsächlich wirtschaftlichste Angebot ermöglichen. Die Kriterien seien auch nicht unklar, insoweit werde auf die Erläuterungen in den Vergabeunterlagen hingewiesen. Das Zuschlagskriterium persönliche Erfahrung des Projektleiters sei ferner auch angemessen, da eine höhere Qualität beim Personal zu einer höheren Qualität bei der Auftragsausführung führe. Vorsorglich wies der Antragsgegner noch darauf hin, dass er kein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB sei und deshalb auch nicht an dessen Rechte und Pflichten gebunden sei.
Mit Schreiben vom 17.11.2021 rügte die Antragstellerin erneut. Sie führte an, dass die Gewichtung der Zuschlagskriterien und deren Wertung jetzt zwar klar sei, sie bleibe dennoch fehlerhaft. Unklar sei jedoch weiterhin anhand welcher Maßstäbe die Plausibilität der Grobkostenschätzung überprüft werde und welche Konsequenzen bei einer fehlerhaften Grobkostenschätzung drohen würden. Eine Vergleichbarkeit der Angebote sei daher nicht herzustellen. Auch würden die Vergabeunterlagen weitere Unklarheiten aufweisen.
Mit Schreiben vom 18.11.2021 erwiderte der Antragsgegner, dass durch die neue Version der Vergabeunterlagen und die Bieterfragen alle Unklarheiten beseitigt worden wären und dass der Rüge nicht abgeholfen werde.
Mit Schreiben vom 25.11.2021 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin gemäß § 134 GWB, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, da der in den Vergabeunterlagen als zwingend geforderte Grobterminplan fehle.
Mit Schreiben vom 26.11.2021 rügte die Antragstellerin den Ausschluss ihres Angebots als vergaberechtswidrig. In den Vergabeunterlagen sei nicht geregelt, dass fehlende Unterlagen nicht nachgefordert werden würden und die Erstellung des Grobterminplans sei in der unangemessen kurzen Frist nicht möglich gewesen.
Dieses Schreiben beantwortete der Antragsgegner noch am selben Tag und teilte mit, dass er der Rüge nicht abhelfen werde.
Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 30.11.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
Die Antragstellerin trägt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei. Der Nachprüfungsantrag sei zulässig, da es sich beim Antragsgegner um einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB handle. Die Antragstellerin bestreite, dass das Bauvorhaben nicht mit mindestens 50% aus öffentlichen Finanzmitteln finanziert werde. Der Antragsgegner erbringe Aufgaben, die im Allgemeininteresse liegen und erhalte dafür Leistungsentgelte. Als Eigenmittel seien jedoch lediglich Zahlungen die auf Grundlage eines gegenseitig verpflichtenden Vertrags geleistet würden anzusehen. Alle anderen Zahlungen, insbesondere Betriebskostenzuschüsse, die eine Finanzhilfe ohne Gegenleistung darstellten, müssten den öffentlichen Finanzmitteln zugerechnet werden. Die Finanzierung sei außerdem auch nach dem Haushaltsplan für das Jahr 2021 zu beurteilen, der Jahresabschluss 2020 dürfe nicht als Beurteilungsgrundlage herangezogen werden.
Ferne unterliege der Antragsgegner dem PfleWoqG welches der Aufsichtsbehörde umfangreiche Aufsichtsbefugnisse einräume, welche den Voraussetzungen nach § 99 Nr. 2 b) GWB genügen würden. Gemäß der EuGH-Rechtsprechung sei die Altenpflege eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe, bei der sich der Staat die entscheidende Einflussnahme vorbehalten habe. Damit könne die Aufgabe der staatlichen Sphäre zugerechnet werden und es sei unerheblich, dass der Antragsgegner diese als karitative Aufgabe erfülle. Insbesondere der Grundsatz der Staatsferne und des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ständen der Erfüllung staatlicher Aufgaben, bei der die kirchliche Tätigkeit an das staatliche Recht gebunden sei, nicht entgegen. Weder die einschlägige Richtlinie noch die Rechtsprechung gingen bei Vorliegen des Beherrschungstatbestandes von einer Unterscheidung zwischen privaten und kirchlichen Einrichtungen aus. Um die Frage der öffentlichen Auftraggebereigenschaft abschließend klären zu können, sei der Antragstellerin Akteneinsicht zu gewähren.
Weiter trägt die Antragstellerin vor, dass der Nachprüfungsantrag auch begründet sei. Zunächst sei die Angebotsfrist unangemessen kurz bemessen gewesen, so dass eine fristgerechte und vollständige Angebotsabgabe nicht möglich gewesen sei.
Die Gewichtung des Kriteriums „Punkte aus dem Wettbewerbsergebnis“ werde den Vorgaben des § 8 Abs. 2 RPW 2013 nicht gerecht. Aus dieser Regelung sei zu schließen, dass es dem Auftraggeber grundsätzlich nicht freistehe, ob und ggf. welchen Preisträger er beauftragt. Wird ein Verhandlungsverfahren mit allen Preisträgern durchgeführt, ergebe sich aus der Verpflichtung des Auslobers, im Regelfall den 1. Preisträger zu beauftragen, eine Pflicht, den Preisrang bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien angemessen zu berücksichtigen. Diesen Anforderungen werde die vorliegend vorgenommene Gewichtung nicht gerecht. Der Gewinn des 1. Preises werde lediglich mit 50 von 200 Wertungspunkten gewertet, d.h. er ist nur mit 25% der möglichen Gesamtpunktzahl gewichtet. Der Wettbewerbsgewinner erhalte zudem – gleiche Punktzahl im Übrigen unterstellt – lediglich 10 von 200 Punkten (5%) mehr als der Zweitplatzierte und nur 20 von 200 Punkten (10%) mehr als der Drittplatzierte.
Den Vergabeunterlagen sei zudem nicht zu entnehmen, was im Rahmen des geforderten „Ausführungskonzepts“, das im Rahmen der Zuschlagskriterien berücksichtigt werden solle, erwartet werde. Die Ausgestaltung des Kriteriums „Persönliche Erfahrung der Projektleitung“ verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB sowie gegen die Vorgaben für die Zuschlagskriterien nach § 127 Abs. 4 GWB. Dabei richte sich die diesbezügliche Rüge der Antragstellerin nicht gegen das Kriterium der persönlichen Erfahrung der Projektleitung als solche, sondern gegen den sachwidrigen und willkürlichen Bewertungsmaßstab, wonach bewertet werden soll, inwieweit die persönliche Erfahrung dieser Personen Gewähr für die Umsetzung von Vorgaben aus dem PfleWoqG und der AVPfleWoqG biete. Auch das Kriterium „Honorar gemäß Leistungs- und Vergütungskatalog“ sei unklar und verstoße gegen § 127 Abs. 4 GWB, weil nicht ersichtlich sei, dass und wie die für das Honorarangebot zugrunde liegenden anrechenbaren Kosten vom Antragsgegner überprüft werden könnten.
Der Hilfsantrag sei darauf gerichtet, dem Antragsgegner zu untersagen, das Angebot der Antragstellerin wegen des fehlenden Terminplans nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV auszuschließen und ihn dazu zu verpflichten, die Antragstellerin zu einer Angebotspräsentation bzw. einem Verhandlungsgespräch einzuladen und zur Abgabe eines finalen Angebots aufzufordern.
Die Antragstellerin beantragt
1. Das Vergabeverfahren wird in den Stand vor Versendung der Aufforderung zur Abgabe eines Erstangebots zurückversetzt. Bei forstbestehender Beschaffungsabsicht sind die Vergabebedingungen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu fassen.
2. Hilfsweise: Das Vergabeverfahren wird in den Stand vor Durchführung der Präsentation/Verhandlungsgespräche zurückversetzt. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zur Präsentation/ zum Verhandlungsgespräch einzuladen.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin notwenigen Auslagen.
4. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Der Antragsgegner beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahren einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner wird für notwendig erklärt.
Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei. Der Antragsgegner sei kein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB. Insbesondere werde das Bauprojekt nicht zu mehr als 50% aus öffentlichen Mitteln finanziert. Bei der Beurteilung der Finanzmittel seien lediglich Finanzmittel ohne spezifische Gegenleistung zu berücksichtigen, ein gegenseitig verpflichtender Vertrag sei nicht notwendig. Insbesondere staatliche Geldleistungen zur Unterstützung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben seien nicht als öffentliche Finanzierung anzusehen, da hier eine Gegenleistung gegenüberstehe.
Der Antragsgegner sei ferner Teil der Evangelisch-Lutherischen Kirche und damit nach gängiger Rechtsprechung kein öffentlicher Auftraggeber. Der e.V. sei gerade nicht zur Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art gegründet worden. Er erfülle karitative Aufgaben außerhalb des staatlichen Aufgabenkreises.
Die Befugnisse der Aufsichtsbehörde aus dem PfleWoqG würden nicht ausreichen, um eine besondere Staatsnähe im Rechtssinn zu schaffen. Die vereinzelten staatlichen Eingriffs- und Überwachungsbefugnisse qualifizierten den Antragsgegner gerade nicht zu einer staatlichen Behörde, insbesondere, da sie nur in Extremfällen als Ausnahme vorgesehen seien, es fände gerade keine ständige aktive staatliche Kontrolle statt. Weitergehende als die bestehenden Befugnisse der Aufsichtsbehörden seien auch nicht möglich, da diese gegen den Grundsatz der Staatsferne und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 104 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verstoßen würden.
Ferner sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet, da die Angebotsfrist angemessen gewesen sei und die Zuschlagskriterien so gefasst wurden, dass sie einen wirksamen Wettbewerb gewährleisten. Die Zuschlagskriterien seien ferner angemessen, verhältnismäßig und klar gefasst gewesen.
Mit Schreiben vom 02.02.2022 bat die Vergabekammer den Antragsgegner zu seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB Stellung zu nehmen sowie um Übersendung der Bilanzunterlagen (insbesondere Gewinn und Verlustrechnung) der D… München und Oberbayern – Innere Mission e.V. von 2020 und 2021 sowie um Unterlagen für 2022 aus denen ersichtlich sei, in welcher Höhe und wie sich der Antragsgegner finanziere.
Insbesondere sei im Einzelnen darzustellen, welche staatlichen Mittel dem Antragsgegner zufließen und welche hiervon ohne spezifische Gegenleistung i.S.d. Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 12.09.2013, Rs. C-526/11, Urteil vom 13.12.2007, Rs. C-337/06, Urteil vom 03.10.2000, Rs. C-380/98) gewährt werden.
Dieser Aufforderung kam der Antragsgegner mit Schreiben vom 15.02.2022 nach, indem er Auszüge aus der Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2020 und des Lageberichts übersandte.
In ihrem Schriftsatz vom selben Tag hat der Antragsgegner ausgeführt, dass er nicht „überwiegend … finanziert“ im Sinne des § 99 Nr. 2 a) GWB sei. Auch für die deutschen Nachprüfungsinstanzen sei unter einer „überwiegenden Finanzierung“ durch öffentliche Stellen im Sinne von § 99 Nr. 2 a) GWB ein Transfer von Finanzmitteln zu verstehen, der ohne spezifische Gegenleistung mit dem Ziel vorgenommen werde, die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung zu unterstützen. Da dieser Begriff funktional auszulegen sei, schließe das Kriterium der überwiegenden Finanzierung zwar auch eine mittelbare Finanzierungsweise ein.
Zahlungen der gesetzlichen Kranken- oder Pflegekassen oder sonstiger öffentlicher Träger und Stellen würden aber keine Finanzierung beinhalten, soweit sie spezifische Gegenleistungen für erbrachte Leistungen seien.
Die Antragsgegnerin erhalte Finanzmittel von öffentlichen Stellen, die aber keine „überwiegende Finanzierung“ seiner Tätigkeit im Sinne des § 99 Nr. 2 a) GWB beinhalten würden.
Die in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen „Leistungsentgelte“ seien Entgelte privater oder öffentlicher Kostenträger für spezifische Leistungen u.a. aus stationären Einrichtungen, ambulanten Leistungen, tagestrukturierenden Maßnahmen, Kindergärten, Betreuungsvergütungen. Sie müssten im Rahmen des § 99 Nr. 2 a) GWB außer Betracht bleiben.
Hinter den „Betriebskostenzuschüssen“ durch die „Öffentlich Hand“ stünden (Anteils-) Finanzierungen von konkreten Angeboten des Antragsgegners seitens des Bundes, des Freistaates Bayern, der Regierung von Oberbayern, des Bezirks Oberbayern, des Landkreises München und der Landeshauptstadt München.
Zu diesen Angeboten zählten insbesondere:
– Epilepsie-Beratung, Wohnen für Menschen mit Epilepsie und erlittener Hirnschädigung;
– Angebote der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII (Kindertagesbetreuung, Schulsozialarbeit, Ferienerholung, Vormundschaften, Wohngruppen, Schutz und Clearingstellen usw., z.B. Jugendschutzstelle für Mädchen);
– Migrationsberatung, Interkulturelle Akademie;
– Schuldnerberatung, Beratungsstellen für Wohnungslose, Straffällige usw., Hilfe bei Prostitution, Kleiderkammern;
– Fachakademie für Sozialpädagogik.
Als Finanzierung konkreter Angebote müssten diese Finanzmittel im Rahmen des § 99 Nr. 2 Buchstabe a) GWB ebenfalls außer Ansatz bleiben. Sie seien von anderer Qualität als eine finanzielle Unterstützung der Antragsgegnerin als solche.
„Sonstige Umsatzerlöse“ umfassten im wesentlichen Einnahmen aus Mieten und Pachten von verbundenen Unternehmen und/oder Dritten sowie aus Dienstleistungen für verbundene Unternehmen. Sie würden somit aus der Betrachtung ausscheiden.
Der geprüfte Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2021 liege noch nicht vor. Nach den für das Geschäftsjahr 2021 vorliegenden Zahlen hätten sich jedoch weder das Verhältnis zwischen Leistungsentgelten, Betriebskostenzuschüssen und sonstigen Umsatzerlösen gegenüber dem Geschäftsjahr 2021 noch die Einzelposten wesentlich geändert.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der EU-Auftragsbekanntmachung vom 26. Mai 2021 sei der Antragsgegner somit nicht im Sinne des § 99 Nr. 2 a) GWB überwiegend durch die öffentliche Hand finanziert.
Die für das Geschäftsjahr 2022 bestehende Umsatzprognose schreibe diese Entwicklung fort. Das bedeute zusammenfassend, dass im Jahr 2021 für das Jahr 2022 nicht mit von Finanzmitteln ohne spezifische Gegenleistung in Höhe von mehr als 50% zu rechnen war.
Ebenso sei bereits im Jahr 2020 für das Jahr 2021 nicht mit Finanzmitteln ohne spezifische Gegenleistung in Höhe von mehr als 50% zu rechnen gewesen.
Mit rechtlichem Hinweis vom 13.04.2022 teilte die Vergabekammer Südbayern mit, dass sie zu der vorläufigen Einschätzung gekommen sei, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei. Der Antragsgegner erfülle zwar im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art, sei aber nicht mit mehr als 50% aus öffentlichen Mitteln subventioniert und unterliege auch nicht einer ausreichend weitgehenden Aufsicht durch Stellen nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB. Die Vergabekammer halte insoweit ihre Rechtsauffassung im Beschluss vom 05.09.2017 – Z3-3-3194-1-31-06/17 zur öffentlichen Auftraggebereigenschaft aufgrund der Aussichtsbefugnisse nach dem PfleWoqG nicht mehr aufrecht. Damit sei der Antragsgegner weder gemäß § 99 Nr. 2 noch gemäß § 99 Nr. 4 GWB öffentlicher Auftraggeber.
Mit Schriftsatz vom 28.04.2022 beantragte die Antragstellerin, ihr die vom Antragsgegner vorgelegten Unterlagen (Antrag auf Gewährung einer Zuwendung, Jahresabschlüsse etc.) im Rahmen der Akteneinsicht nach § 165 Abs. 1 GWB zur Verfügung zu stellen.
Sie wies weiter darauf hin, dass es zweifelhaft erscheine, ob allein auf der Grundlage des Förderantrags beurteilt werden könne, ob das Vorhaben zu mehr oder weniger als 50% von anderen öffentlichen Auftraggebern subventioniert werde. Insbesondere sei zu hinterfragen, ob und ggf. inwieweit die vermeintlichen Eigenmittel ihrerseits aus einer öffentlichen Finanzierung der Einrichtung stammen.
Bei der Frage, ob der Antragsgegner überwiegend von Stellen nach § 99 Nr. 1, 2 oder Nr. 3 GWB finanziert werde, dürfe nicht auf den Jahresabschluss des Jahres 2020 abgestellt werden. Der Jahresabschluss des Jahres 2020 sei für die Beurteilung der öffentlichen Auftraggebereigenschaft nach § 99 Nr. 2 lit. a GWB nicht relevant. Maßgebliche Grundlage für die Beurteilung der öffentlichen Auftraggebereigenschaft sei der Haushaltsplan für das Wirtschaftsjahr 2021.
Die angekündigte Abkehr der Kammer von ihrer Rechtsauffassung im Beschluss vom 05.09.2017 Az.: Z3-3-3194-1-31-06/17 sei nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die staatlichen Aufsichtsbefugnisse nach dem PfleWoqG seien nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „OPAC“ als ausreichende Indizien für eine qualifizierte Staatsnähe im Sinne des § 99 Nr. 2 b GWB anzusehen. Der EuGH habe diese Rechtsprechung auch keinesfalls aufgegeben, sondern im Gegenteil in seiner Entscheidung vom 03.02.2021 (C-155/19, Rz. 72) ausdrücklich bestätigt.
Der ehrenamtliche Beisitzerhat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
1. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert erheblich.
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens allerdings nicht zuständig, da der Antragsgegner – abzustellen ist hier auf den D… München und Oberbayern e.V. -weder öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 GWB noch nach § 99 Nr. 2 GWB ist.
1.1 Der Antragsgegner ist für das streitgegenständliche Vorhaben kein projektbezogener öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 GWB, da er für das Vorhaben Ersatzneubau Evangelisches Pflegezentrum H… nicht zu mehr als 50% Subventionen von Stellen erhält, die unter § 99 Nr. 1, 2 oder 3 GWB fallen.
Zwar kann ein Pflegezentrum, als Einrichtung die zumindest auch der stationären medizinischen Versorgung dient, im Rahmen des § 99 Nr. 4 GWB unter den Begriff des Krankenhauses subsumiert werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.01.2014 – Verg 11/13) und damit von der Vorschrift erfasst sein. Aus dem der Vergabekammer Südbayern vorliegenden Antrag auf Gewährung einer Zuwendung gem. der Richtlinie zur investiven Förderung von Pflegeplätzen sowie der Gestaltung von Pflege und Betreuung im sozialen Nahraum (PflegesoNahFöR) vom 22.02.2021 ergibt sich jedoch, dass das Gesamtvorhaben überwiegend aus Eigenmitteln und Bankdarlehen finanziert werden soll und die beantragten Zuwendungen weniger als 50% der Finanzierung des Ersatzneubaus Evangelisches Pflegezentrum H… ausmachen.
1.2 Der Antragsgegner ist auch nicht öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB, da er weder überwiegend von Stellen nach § 99 Nr. 1 oder 3 GWB einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert wird, noch seine Leitung einer ausreichend weitgehenden Aufsicht durch Stellen nach § 99 Nr. 1 oder 3 GWB unterliegt.
1.2.1 Der Auftraggeber erfüllt allerdings nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art.
Der Antragsgegner ist eine juristische Person des privaten Rechts in Form eines nichtwirtschaftlichen eingetragenen Vereins gemäß § 21 BGB. Der gesamten Tätigkeit des Vereins liegt die Verfolgung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke gem. § 3 Abs. 2 der Vereinssatzung (Fassung vom 29.09.2020) zugrunde. Vor diesem Hintergrund liegt auch die streitgegenständliche Vergabe von Planungsleistungen für den Ersatzneubau eines “integrativen Pflegeheimes”, im Rahmen des Gründungszwecks des Vereins. Hierdurch erfüllt der Antragsgegner den in § 3 Abs. 3 und 5 konkretisierten Vereinszweck der “Förderung der Jugend- und Altenhilfe” und “Förderung […] der Hilfe für Behinderte” in Form des Betriebs einer “ambulanten, teilstationären und vollstationären Einrichtung […] und die Erbringung von entsprechenden Diensten”.
Bei der Förderung der Hilfe für alte Menschen und solche mit Behinderungen mittels des Betriebs einer ambulanten, teilstationären und vollstationären Einrichtung handelt es sich um die Erbringung von im Allgemeininteresse liegender Aufgaben.
Der Begriff des Allgemeininteresses ist zwar weder gemeinschaftsrechtlich noch nationalrechtlich definiert oder umschrieben worden. Er ist aber dahingehend zu verstehen, dass im Allgemeininteresse liegende Aufgaben solche sind, welche hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.07.2015 – VII-Verg 11/15; BayObLG, Beschluss vom 10.09.2002 – Verg 23/02, siehe auch EuGH, Urteil vom 22.05.2003, Rs. C-18/01)
Während für juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Vermutung dafür besteht, dass diese im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnehmen, greift eine vergleichbare Vermutung für juristische Personen des Privatrechts nicht. Vielmehr muss hinsichtlich der konkret wahrgenommenen Aufgabe geprüft werden, ob diese im Allgemeininteresse liegt (BayObLG, Beschluss vom 10.09.2002 – Verg 23/02).
Der Antragsgegner nimmt im Rahmen der Daseinsvorsorge auch Belange des Staates wahr. Derartige Belange sind sowohl originär staatliche Hoheitsaufgaben als auch Aufgaben, die im Bereich der Daseinsvorsorge anzusiedeln sind (vgl. Zeiss, in: Heiermann/Zeiss/Summa GWB, § 99 Rn. 43). Leistungen im Rahmen der Pflege alter Menschen und Menschen mit Behinderung sind grundsätzlich vom Staat aufgrund seiner Gewährleistungsverpflichtung aus Art. 68 Abs. 1 AGSG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG zu erbringende Transferleistungen nach dem SGB XI (insbesondere §§ 36 ff. SGB XI).
Anders als der Antragsgegner meint, ist dies auch vor dem Hintergrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 137 WRV, Art. 140 GG nicht anders zu beurteilen. Die Tatsache, dass der Antragsgegner vorliegend aufgrund seines kirchlichen Hintergrunds nach seinen Angaben nicht gegründet wurde, um ein staatlich definiertes Allgemeininteresse zu erfüllen, ist nach der Rechtsprechung des EuGH unerheblich, da es demnach allein darauf ankommt, dass er tatsächlich eine solche, hier einzuordnende Aufgabe, erbringt (EuGH, Urteil vom 12.12.2002, C-470/99; Dörr, in: Burgi/Dreher GWB, § 99 Rn. 90). Eine Einschränkung im Tatbestand der Norm dahingehend, dass der Begriff des Allgemeininteresses bereits kirchlich motivierte Tätigkeiten ausschließt, ist zumindest für einen e.V., der im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erbringt, abzulehnen.
Die Annahme, dass der Antragsgegner im Allgemeininteresse liegende Aufgaben i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB erbringt, stellt auch keine Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG iVm Art. 137 WRV des Antragsgegners dar. Der persönliche Anwendungsbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrecht umfasst nicht nur die organisierte Kirche und deren rechtlich verselbständigten Teile, sondern auch sonstige der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Rechtspersönlichkeiten, unabhängig von ihrer Rechtsform, sofern sie aufgrund ihres kirchlichen Selbstverständnisses und ihrem Zweck entsprechend berufen sind, einen Teil des kirchlichen Auftrags wahrzunehmen und zu erfüllen (BVerfG, Urteil vom 25.03.1980, 2 BvR 208/76; Germann, in: BeckOK GG, Art. 140 Rn. 40). Der Auftrag der evangelischen Kirche umfasst neben dem Glauben und dem Gottesdienst insbesondere auch karitatives Wirken als Ausdruck der Nächstenliebe und wesentliche Aufgabe eines jeden Christen. Diese karitative Tätigkeit schließt auch die Pflege alter Menschen und solcher mit Behinderungen mit ein. Gerade jene Aufgabe erfüllt die Antragsgegnerin, indem sie, ausweislich ihrer Satzung aufgrund des kirchlichen Auftrags, ein integratives Pflegeheim errichten möchte, das anschließend durch ihre 100%ige Tochtergesellschaft betrieben wird.
Allerdings fallen nicht zwingend alle mit der Tätigkeit zusammenhängenden und hierfür erforderlichen Vorfeldmaßnahmen unter den sachlichen Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Vielmehr erstreckt sich jenes nur auf solches Handeln, dem eine besondere religiöse Prägung bzw. Dimension zukommt und bei welchem es ein nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft definiertes Proprium zu wahren gilt (BVerfG, Beschluss vom 12.10.1994, 2 BvR 1339/89; Dörr, in: Burgi/Dreher GWB, § 99 Rn. 19; Korioth, in: Maunz/Dürig GG, Art. 140/Art. 137 WRV Rn. 43). Dem hier streitgegenständlichen Beschaffungsgeschäft, im Rahmen dessen die Religionsgemeinschaft zur Eröffnung des Betriebs mit einem außenstehenden Dritten kontrahieren möchte, um ein Gebäude für den Pflegebetrieb errichten zu lassen, kommt eine solche religiöse Dimension gerade nicht zu. Der Antragsgegner nimmt hier vielmehr wie ein beliebiger Marktteilnehmer am Rechts- und Wirtschaftsverkehr teil (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.10.1994, 2 BvR 1339/89).
Auch das Merkmal der „nichtgewerblichen Art“ im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB liegt vor.
Der Antragsgegner ist nach § 3 Absatz 2 Satz 1 und 2 seiner Satzung zur Verfolgung unmittelbar steuerbegünstigter, gemeinnütziger und mildtätiger Zwecke gegründet, “ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke”. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht ist somit in der Satzung ausdrücklich verankert. Die Gemeinnützigkeit eines Vereins hat dahingegen zunächst nur steuerrechtliche Auswirkungen. Im Rahmen der Prüfung der des § 99 Nr. 2 GWB kommt diesem Umstand jedoch eine Indizwirkung für eine „Nichtgewerblichkeit“ zu (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.07.2015, Verg 11/15).
Nichts anderes ergibt sich aus den konkreten zur Verfügung stehenden Bilanzen. Die Bilanzen für die Jahre 2019 und 2020 weisen einen in etwa ähnlichen Umsatzerlös auf. Im Jahr 2019 wurde ein geringer Jahresüberschuss von ca. 1,2% der Bilanzsumme erzielt, während es im Jahr 2020 zu einem geringen Jahresfehlbetrag kam. Hieraus kann, wenn überhaupt, nur eine nicht bedeutsame Gewinnerzielungsabsicht festgestellt werden (vgl. (OLG Düsseldorf a.a.O.).
Im Ergebnis wird das Tätigwerden des Antragsgegners ausweislich der Zahlen eher vom Kostendeckungsprinzip, wie es charakteristisch für den öffentlichen Sektor ist, bestimmt und unterliegt nicht dem Prinzip der Gewinnmaximierung, wie es in der freien Wirtschaft der Fall wäre. Der ganz überwiegende Anteil des Umsatzerlöses verteilt sich entweder auf öffentlich-rechtliche Zuschüsse oder Leistungsentgelte öffentlich-rechtlicher Kostenträger. Dieses hohe Maß an Zuschüssen spricht gegen einen vorliegenden Wettbewerb und kann sogar als eigenes Indiz für die „Nichtgewerblichkeit“ gewertet werden (Dreher, in: Immenga/Mestmäcker GWB, § 99 Rn. 73). Durch den hohen Anteil von Transferleistungen ist das unternehmerische Risiko jedenfalls erheblich vermindert (OLG Düsseldorf a.a.O.).
1.2.2 Der Antragsgegner wird aber nicht überwiegend von Stellen nach § 99 Nr. 1 oder 3 GWB einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert. Dabei ist „überwiegend“ in einem rein quantitativen Sinne zu verstehen und meint, dass die öffentliche Finanzierung 50% an der Gesamtfinanzierung übersteigt (EuGH, Urteil vom 03.10.2000, Rs. C-380/98; Dörr in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar § 99 Rn. 54).
Maßgeblich für die Betrachtung der überwiegenden Finanzierung im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB ist nicht der konkret zu vergebende Auftrag. Vielmehr ist auf die Finanzierung des Antraggegners als juristische Person und seiner Aktivitäten als Ganzes abzustellen, nicht nur auf das jeweilige Aufgabengebiet. Dabei sind alle Mittel von Stellen, die unter § 99 Nr. 1 – 3 GWB fallen, zu berücksichtigen, über die der Antragsgegner verfügt.
Zur Bestimmung der Finanzierung ist die Gesamtheit der Mittel maßgeblich, über die der betreffende Rechtsträger in dem Haushaltsbeziehungsweise Wirtschaftsjahr verfügt, in dem der fragliche Auftrag ausgeschrieben wird (VK Berlin, Beschluss vom 11.12.2020 – VK – B 2 – 54/20, unter Verweis auf: Dörr in: Burgi/Dreher, § 99 GWB Rn. 54). Die EU-Auftragsbekanntmachung erfolgte am 26. Mai 2021. Maßgeblich wäre demnach der Jahresabschluss 2021.
Da dieser zum Zeitpunkt der Prüfung der Vergabekammer noch nicht vorlag, konnte die Vergabekammer hilfsweise den geprüften Jahresabschluss des Jahres 2020 heranziehen. Zur Beurteilung, dass der Antragsgegner kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB ist, bedurfte es weder einer Heranziehung des Haushaltplans für 2021 noch eines – gegen den Beschleunigungsgrundsatz bei einem bereits überlangen Nachprüfungsverfahren verstoßenden – Zuwartens bis ein geprüfter Jahresabschluss für das Jahr 2021 vorliegt. Nach dem glaubhaften Vortrag des Antragsgegners gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Mittelzuflüsse beim Auftraggeber vom Jahr 2020 zum Jahr 2021 grundlegend geändert hätten, da sich weder das Tätigkeitsfeld des Antragsgegners noch die seiner Finanzierung zugrundeliegenden Rahmenbedingungen erheblich geändert haben.
Bei der Prüfung der überwiegenden Finanzierung im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB ist zu beachten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 12.09.2013, Rs. C-526/11, Urteil vom 13.12.2007, Rs. C-337/06, Urteil vom 03.10.2000, Rs. C-380/98) unter dem Begriff der Finanzierung in § 99 Nr. 2 GWB ein Transfer von Finanzmitteln zu verstehen ist, der ohne spezifische Gegenleistung mit dem Ziel vorgenommen werde, die Tätigkeit der betreffenden Einrichtung zu unterstützen. Zahlungen, die im Rahmen eines Leistungsaustausches gewährt werden, stellen keine öffentliche Finanzierung dar (EuGH, Urteil vom 03.10.2000 – Rs. C-380/98).
Der Umsatzerlös der Antragsgegnerin lässt sich weiter in die Gruppen Leistungsentgelte, Betriebskostenzuschüsse und sonstige Umsatzerlöse untergliedern.
Die Leistungsentgelte betragen ca. 47% des Umsatzerlöses (UE). Diese wiederum verteilen sich auf Umsatzerlöse aus stationären Einrichtungen (ca. 21% des UE), aus ambulanten Leistungen (ca. 10% des UE), aus tagesstrukturierenden Maßnahmen (ca. 13% des UE), Elternbeiträge für den Kindergarten (ca. 2% des UE), Teilnehmerbeiträge, Eigenanteile von Betreuten (ca. 0,3% des UE) und Betreuungsvergütungen (ca. 0,1% des UE).
Die Elternbeiträge, Teilnehmerbeiträge und Eigenanteile der Betreuten sind eindeutig keine Gelder von öffentlichen Stellen. Zusammengerechnet stellen sie ca. 2,4% des gesamten Umsatzerlöses dar. Die auf Basis des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) abgerechneten Betreuungsvergütungen können, je nachdem ob eine Mittellosigkeit beim Betreuten vorliegt, öffentliche Gelder sein oder aus dem Vermögen des Betreuten stammen. Angesichts des sehr geringen Prozentsatzes und mangels einer weiteren Aufschlüsselung in der Bilanz, bleiben diese im Folgenden außer Betracht.
Die Entgelte aus stationären Einrichtungen, ambulanten Leistungen und tagesstrukturierenden Maßnahmen betrugen insgesamt ca. 44% des gesamten Umsatzerlöses.
Die Betriebskostenzuschüsse betrugen ca. 29% des UE und verteilen sich auf drei Posten: Öffentliche Hand ca. 26% des UE, Diakonisches Werk/Kirche ca. 2% des UE und Sonstige ca. 0,3% des UE. Hier kommen nur die Betriebskostenzuschüsse aus öffentlicher Hand als öffentliche Finanzierung in Betracht.
Die sonstigen Umsatzerlöse betrugen ca. 24% des UE. Diese tragen offensichtlich nicht zu einer öffentlichen Finanzierung bei, da sie nicht von öffentlichen Stellen stammen. Es handelt sich größtenteils um Erlöse aus Miete und Pacht sowie Dienstleistungen die in Zusammenhang mit den verbundenen Unternehmen der Antragstellerin stehen.
Der EuGH nennt eine Reihe von Indizien, bei deren Vorliegen anzunehmen ist, dass letztlich eine Staatsverbundenheit zwischen dem Träger der Einrichtung und dem staatlichen Kostenträger gem. § 99 Nr. 2 a) GWB abzulehnen ist. Eine öffentliche Finanzierung liegt dann nicht vor, wenn sie zu einer normalen Geschäftsbeziehung ähnlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn eine Vertragsbeziehung zwischen beiden Parteien besteht, aus welcher ersichtlich wird, dass staatlicherseits ein wirtschaftliches Interesse an der Leistung des Empfängers besteht, weil die staatliche Stelle eine Zahlungsverpflichtung übernimmt, damit der Zahlungsempfänger eine bestimmte Leistung erbringt. Die staatliche Geldleistung muss demnach nach dem Prinzip “do ut des” gerade für die Erbringung einer spezifischen Gegenleistung des Empfängers erfolgen (EuGH, Urt. v. 03.10.2000 – C-380/98).
Hiervon grenzt der EuGH solche Zahlungen ab, die allgemein Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung finanzieren und damit deren Betrieb unterstützen. Darüber hinaus verwendet er als weitere Indizien für eine Ähnlichkeit zu normalen Geschäftsbeziehungen auch, dass der Vertragsinhalt von den Parteien frei ausgehandelt worden ist und der Zahlungsempfänger seine Leistung wie ein auf dem Markt tätiges Unternehmen selbständig im Wettbewerb mit anderen privaten Unternehmen anbietet.
Vor diesem Hintergrund sind die Leistungsentgelte für stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungen nicht als öffentliche Finanzierung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB anzusehen.
Die zu anderen Fallkonstellationen ergangene Rechtsprechung des EuGH, dass Leistungen, die für die Erbringung einer spezifischen Gegenleistung des Empfängers erfolgen, nicht im Rahmen der öffentlichen Finanzierung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB zu berücksichtigen sind, ist auf die vorliegenden Leistungsentgelte für stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungen übertragbar.
Zwischen dem Leistungserbringer und der Pflegeversicherung bzw. dem Sozialhilfeträger besteht eine Vertragsbeziehung. Der Leistungserbringer schließt einen Versorgungsvertrag mit der Pflegeversicherung gem. § 72 SGB XI, auf dessen Abschluss er einen Anspruch hat, sofern er den Anforderungen des § 72 Abs. 3 SGB XI gerecht wird. Darin werden Art, Inhalt und Umfang der Pflegeleistungen geregelt (§ 72 Abs. 1 SGB XI). Aufgrund dieses Vertrags besteht eine Verpflichtung der Pflegeversicherung zur Vergütung der Pflegeleistungen gem. § 72 Abs. 4 Satz 3 SGB XI, zugleich resultiert aus ihm eine Verpflichtung des Leistungserbringers zur Vornahme der Pflegeleistungen gem. § 72 Abs. 4 Satz 2 Hs. 1 SGB XI. Die gegenseitigen Leistungspflichten resultieren zwar direkt aus dem Gesetz (§ 72 Abs. 4 Satz 2, 3 SGB XI), dennoch begründet der Versorgungsvertrag ein gegenseitiges Vertragsverhältnis, denn ob die Leistungspflichten, die hieraus resultieren, gesetzlich typisierend vorgeschrieben sind oder nicht, hat keine Relevanz für die Entscheidung, jedenfalls des Leistungserbringers, ob er diese Verpflichtung eingehen möchte.
Die Leistungsentgelte für stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungen sind nicht als reine Unterstützungsleistung, sondern als Vergütung einer spezifischen Gegenleistung anzusehen. Die Pflegeversicherung zahlt an die Pflegeeinrichtung gem. § 87a Abs. 3 SGB XI pauschalierte Beträge für stationäre (§ 43 Abs. 2 SGB XI), teilstationäre (§ 41 Abs. 2 SGB XI) und ambulante (§ 36 Abs. 3 SGB XI) Pflegeleistungen. Im Rahmen der stationären und teilstationären Pflege werden damit die pflegebedingten Aufwendungen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 SGB XI) einschließlich der Aufwendungen der Betreuung und der Leistungen der medizinischen Behandlungspflege (teil-) vergütet (vgl. § 43 Abs. 2, § 41 Abs. 2 SGB XI). Diese Vergütung erfolgt als Gegenleistung für allgemeine Pflegeleistungen gem. § 82 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI bzw. § 89 Abs. 1 SGB XI sowie bei stationärer Pflege zusätzlich als Entgelt für Unterkunft und Verpflegung gem. § 82 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI (vgl. auch Schütze, in: Udsching/Schütze, § 82 SGB XI Rn. 6). Da durch die Zahlungen lediglich der für die Pflege erforderliche, marktübliche Aufwand abgedeckt wird, lassen sich diese auch nicht aufteilen in einen Gegenleistungsteil und einen Finanzierungsteil (vgl. Dörr, in: Burg/Dreher § 99 GWB Rn. 51).
Damit werden spezifische Leistungen des Leistungserbringers vergütet und nicht die Einrichtung als solche finanziell unterstützt. Dies wird auch vor dem Hintergrund des Vergleichs mit § 82 Abs. 2 SGB XI ersichtlich, der rein einrichtungsbezogene Aufwendungen regelt und festschreibt, dass jene nicht durch die Pflegevergütung zu finanzieren sind. Darüber hinaus zeigt dies auch § 9 SGB XI, der explizit die Möglichkeit einer staatlichen einrichtungs-bezogenen Unterstützungsleistung (§ 9 Nr. 2 SGB XI) eröffnet.
An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass der Leistungserbringer nach § 72 Abs. 3 SGB XI einen Anspruch auf Abschluss des Versorgungsvertrags hat und daher der Vertragsabschluss nicht von der privatautonomen Entscheidung der Pflegeversicherung abhängt, wie dies in gewöhnlichen Geschäftsbeziehungen der Fall wäre.
Ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis führt, dass zwar die Pflegevergütung zwischen Leistungserbringer und Pflegeversicherung bzw. Träger der Sozialversicherung frei ausgehandelt und im Rahmen einer Pflegesatzvereinbarung festgehalten wird, der durch die Pflegeversicherung an den Leistungserbringer gezahlte Betrag aber nur die gesetzlich festgelegte Pauschale umfasst.
Unerheblich ist auch, dass der Zahlungsempfänger im vorliegenden Fall seine Leistung nicht wie ein auf dem Markt tätiges Unternehmen im Wettbewerb mit anderen privaten Unternehmen anbietet. Es besteht zwar nach Ansicht des Gesetzgebers Wettbewerb zwischen den verschiedenen Pflegeeinrichtungen (BT-Drs. 12/5262 S. 3; S. 83). Allerdings zeigt sich der Wettbewerb in dieser speziellen sozialrechtlichen Dreieckskonstellation zwischen Pflegebedürftigem, Pflegeversicherung und Leistungserbringer im Hinblick auf die Beziehung zwischen letzteren nicht wie dies üblicherweise auf dem Markt der Fall wäre. Denn normalerweise spielt die Wettbewerbssituation gerade eine Rolle für den Vertragsinhalt, z.B. für den angebotenen Preis, oder überhaupt die Auswahl des Vertragspartners. Hier jedoch hat die Wettbewerbssituation auf den Inhalt des Versorgungsauftrags keine Auswirkungen und kann sich aufgrund der pauschalierten Leistungen der Pflegeversicherung auch nicht auf die Vergütung ihrerseits niederschlagen. Auch die Auswahl des Vertragspartners liegt, nicht im freien Ermessen der Pflegeversicherung. Aufgrund des dennoch deutlichen Austauschcharakters von Leistung und Gegenleistung führen die genannten Aspekte nicht dazu, dass eine öffentliche Finanzierung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB insoweit anzunehmen wäre.
Damit sind die Leistungsentgelte für stationäre Einrichtungen und ambulante Leistungen nicht als öffentliche Finanzierung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB anzusehen (vgl auch – insoweit übereinstimmend – OLG Celle, Beschluss vom 13.10.2016 – Az. 13 Verg 6/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.07.2015 – Az. VII-Verg 11/15).
Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Erlöse aus den tagesstrukturierenden Maßnahmen. Soll die Eingliederungshilfe durch einen Leistungserbringer erfolgen, schließt der Träger der Eingliederungshilfe grundsätzlich eine Vereinbarung mit diesem gem. § 123 Abs. 1 SGB IX ab. In dieser werden sowohl die zu erbringende Leistung definiert wird als auch die Vergütung festgelegt (§ 125 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB IX). Der Inhalt dieser Leistungs- und Vergütungsvereinbarung wird gemäß § 131 Abs. 1 SGB IX vorab durch einheitliche Rahmenverträge auf Landesebene mit den Vereinigungen der Leistungserbringer konkretisiert. Jedenfalls wenn eine Vereinbarung zwischen dem Leistungserbringer und dem Träger der Eingliederungshilfe vorliegt, sind auch hier gegenseitige Vertragsverpflichtungen gegeben.
Wenn die Vereinbarung geschlossen ist, ist der Leistungserbringer gem. § 123 Abs. 4 SGB IX zur Erbringung der Eingliederungsmaßnahmen verpflichtet, während der Träger der Eingliederungshilfe die Zahlung aller erbrachten Leistungen gem. § 123 Abs. 6 SGB IX vorzunehmen hat. Auch hier werden allein die notwendigen Aufwendungen vergütet, was sich aus § 123 Abs. 2 SGB IX ergibt. Im Rahmen der Vergütungsvereinbarung (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX) werden Leistungspauschalen für die zu erbringenden Leistungen festgelegt gem. § 125 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, die sich wiederum an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gem. § 123 Abs. 2 SGB IX orientieren müssen. Es erfolgt demnach keine alleinige finanzielle Unterstützung der Einrichtung, sondern vielmehr eine Vergütung der erbrachten Leistungen, die auch nicht über das hierzu Erforderliche hinausgeht.
Aus diesem Grund liegt keine überwiegende öffentliche Finanzierung des Antragsgegners i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB vor, da unter diese allenfalls die Betriebskostenzuschüsse durch die Öffentliche Hand in Höhe ca. 26% des Umsatzerlöses subsumiert werden können.
1.3 Die Leitung des Antragsgegners unterliegt auch keiner staatlichen Aufsicht in einer Form, die die erforderliche besondere Staatsgebundenheit i.S.d. § 99 Nr. 4 GWB erfüllen würde.
Dafür ist erforderlich, dass die Leitung einer Aufsicht der öffentlichen Hand untersteht, die es dieser ermöglicht, die Entscheidungen des Antragsgegners auch in Bezug auf öffentliche Aufträge zu beeinflussen (vgl. EuGH, Urteil vom 01.02.2001 – C-237/99 Tz. 48-49; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2013 – Verg 55/12). Auf die traditionellen Kategorien des deutschen Verwaltungsorganisationsrechts mit der Unterscheidung zwischen Fachaufsicht und Rechtsaufsicht, kommt es dabei nicht maßgeblich an (VK Südbayern, Beschluss vom 27.03.2014 – Z3-3-3194-1-01- 01/14).
Die Aufsicht über die Leitung muss im Ergebnis eine gleichwertige Verbindung zum Staat schaffen, wie es auch die anderen beiden Alternativen des § 99 Nr. 2 GWB vermögen (EuGH, Urteil vom 27.02.2003 – Rs. C-373/00; Urteil vom 1.02.2001 – Rs. C-237/99). Eine rein nachträgliche Kontrolle erfüllt dieses Kriterium grundsätzlich nicht, da kein Einfluss auf Entscheidungen im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge genommen werden kann (EuGH, Urteil vom 12.09.2013, Rs. C-526/11). Bejaht hat der EuGH eine staatliche Aufsicht zwar im Fall einer umfassenden Kontrolle der laufenden Verwaltung in Bezug auf die u.a. Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, bei der zusätzlich auch die Berechtigung zur Besichtigung der Räumlichkeiten vorlag. Er nahm die besondere Staatsnähe jedoch im Ergebnis nur an, da die aufsichtführende Gebietskörperschaft gleichzeitig über eine andere Gesellschaft das Kapital der fraglichen Einrichtung hielt (EuGH, Urteil vom 27.02.2003, Rs. C-373/00).
Die gegenüber der Antragsgegnerin einschlägigen Aufsichtsbefugnisse entsprechen den oben dargestellten Kriterien nicht.
Grundsätzlich stehen staatlichen Stellen gegenüber Betreibern von Pflegeheimen weitreichende Kompetenzen zum Erlass von Regelungen zu, bis hin zur Ausgestaltung der Verträge zwischen den Pflegebedürftigen und den Trägern der Pflegeeinrichtungen. Aus den Art. 11 ff. des Gesetzes zur Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (PfleWoqG) ergeben sich – insbesondere im Fall von Missständen – weitreichende Kontroll- und Steuerungsfunktionen gegenüber den Betreibern der Einrichtungen. Die zuständigen Behörden überwachen mittels wiederkehrender Prüfungen mindestens einmal im Jahr die Einrichtungen. Dabei ist die Behörde zur Aufklärung von Missständen verpflichtet und berechtigt alle zu deren Behebung notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Im Rahmen der Prüfungen haben die Aufsichtsbehörden gem. Art. 11 Abs. 2 PfleWoqG Betretungsbefugnisse, das Recht zur Befragung der Mitarbeiter, zur Kontaktaufnahme mit den Pflegebedürftigen und zur Einsichtnahme in die Aufzeichnungen. Bei festgestellten Abweichungen zu den gesetzlichen Anforderungen ist die Aufsichtsbehörde gem. § 13 Abs. 1 und 2 PfleWoqG zu gegebenenfalls sofortigen Anordnungen befugt, um Mängel abzustellen. In Extremfällen kann sie gem. Art. 14 Abs. 1 PfleWoqG ein Beschäftigungsverbot aussprechen oder nach Art. 15 Abs. 1 und 2 PfleWoqG den Betrieb ganz untersagen. Auch die Einsetzung einer kommissarischen Leitung ist gem. Art. 14 Abs. 2 PfleWoqG unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich möglich.
Diese Aufsichtsbefugnisse erfüllen aber im Hinblick auf den Antragsgegner nicht die vom EuGH aufgestellten Anforderungen des § 99 Nr. 2 lit. b) GWB. Zwar hat die Aufsichtsbehörde eine Vielzahl von weitreichenden Befugnissen, um die laufende Tätigkeit der Antragsgegnerin in fachlicher und rechtlicher Sicht zu überwachen. Die Befugnisse beschränken sich – wie § 11 Abs. 1 Satz 4 PfleWoqG zeigt – aber weitestgehend auf die Sicherstellung der Qualitätsstandards im laufenden Betrieb bzw. das Abstellen von Missständen. Im laufenden Betrieb besteht durch die Aufsichtsbefugnisse keine Möglichkeit der staatlichen Behörden zur Einflussnahme auf konkrete einrichtungsbezogene Beschaffungsvorgänge.
Möglichkeiten zur Einflussnahme auf konkrete einrichtungsbezogene Beschaffungsvorgänge bestehen nur im Rahmen von aufsichtlichen Maßnahmen zur Behebung von Missständen, insbesondere im sehr seltenen Fall einer kommissarischen Leitung nach Art. 14 Abs. 2 PfleWoqG. In diesem Fall übernimmt die kommissarische Leitung sowohl Rechte als auch Pflichten der bisherigen Leitung. Je nach Grad der Unabhängigkeit der eingesetzten kommissarischen Leitung von der öffentlichen Hand, kann sich in dieser speziellen Konstellation und bezogen auf diesen Zeitraum die Möglichkeit ergeben, auf die Vergabe öffentlicher Aufträge einen derartigen Einfluss zu nehmen.
Aufsichtsbefugnisse, die den Aufsichtsbehörden allenfalls beim Auftreten von Missständen bzw. Verstößen gegen öffentliches Recht durch den Auftraggeber und auch dann nur in besonderen, sehr seltenen Konstellationen die Möglichkeit ergeben, auf die Vergabe öffentlicher Aufträge einen konkreten Einfluss zu nehmen, können keine gleichwertige Verbindung zum Staat schaffen, wie es die anderen beiden Alternativen des § 99 Nr. 2 GWB vermögen. Der Antragsgegner untersteht damit keiner Aufsicht über seine Leitung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB.
Die Vergabekammer hält insoweit ihre anderweitige Rechtsauffassung im Beschluss vom 05.09.2017 – Z3-3-3194-1-31-06/17 den o.g. Gründen für die Aussichtsbefugnisse nach dem PfleWoqG nicht aufrecht.
Eine andere Rechtsauffassung ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EuGH vom 03.02.2022 – Rs. C- 155/19, da diesem nicht entnommen werden kann, dass die die Ausübung von ggf. weitreichenden Aufsichtsbefugnissen im Falle von Missständen, wie einer kommissarischen Leistung, regelmäßig zu einer Aufsicht über die Leitung i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB führt.
Derartige Aufsichtsbefugnisse sind nach dem Verständnis des Gerichtshofs, nur Teil eines „Bündels von Indizien“, die im Wege einer „Gesamtwürdigung“ zu prüfen sind.
1.4 Aufgrund der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags konnte die Vergabekammer, nachdem sie bereits einen rechtlichen Hinweis erteilt hatte, zu dem die Parteien sich äußern konnten, gem. § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB nach Aktenlage entscheiden.
2. Kosten des Verfahrens
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Aus Gründen der Billigkeit (keine mündliche Verhandlung, keine Beiladung) vermindertsich die Gebühr auf …,00 Euro.
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraftverrechnet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, dahier komplexe und in der Rechtsprechung unterschiedlich bewertete und nicht abschließend geklärte Fragen der Eigenschaft eines Trägers sozialer Leistungen mit kirchlichem Hintergrund als öffentlichen Auftraggeber i.S.d. §§ 98 und 99 GWB zu entscheiden waren. Dies übersteigt die Themenkreise, die ein Auftraggeber mit eigener Sachkunde regelmäßig selbst zu bewältigen hat.


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