Baurecht

Leistungen, Berufung, Mangelbeseitigung, Ersatzvornahme, Vergleich, Technik, Mangel, Beweislast, Auslegung, Leistung, Verfahren, Beurteilung, Besteller, Hinweis, Regeln der Technik, abweichende Beurteilung

Aktenzeichen  28 U 2372/20 Bau

Datum:
17.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 58679
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

5 O 1915/11 2020-03-27 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 27.03.2020, Aktenzeichen 5 O 1915/11 Bau, wird zurückgewiesen.
2. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte zu 1) kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Das Landgericht verurteilte die Beklagte zu 1) u. a. zur Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 65.000 Euro zur Beseitigung diverser Mängel des aufgrund des Werkvertrags vom 20.11.2002 errichteten Dachs des klägerischen Anwesens in G.
Im Hinblick auf unterschiedliche Mängel hätten der Kläger und die Beklagte zu 1) insgesamt drei außergerichtliche Vergleiche (Januar 2006, Juli 2006 und November 2009) geschlossen. Hierin habe sich die Beklagte zu 1) zunächst zur Mangelbeseitigung (Vergleich 1) verpflichtet, sodann sei eine Ersatzvornahme auf Basis eines Schiedsgutachtens (Vergleich 2) vereinbart worden und zuletzt habe die Beklagte zu 1) erneut die Möglichkeit erhalten, auf Basis des zuvor erholten Schiedsgutachtens die Mangelbeseitigung durchzuführen (Vergleich 3).
Aus Sicht des Landgerichts waren die Mangelbeseitigungsarbeiten der Beklagten zu 1) auf Basis des letzten Vergleichs vielfach nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weshalb die Beklagte zu 1) den tenorierten Vorschuss schulde. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München II vom 27.03.2020 Bezug genommen.
Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass Kostenvorschüsse insgesamt nicht zum Tragen käme, da der Kläger bereits nicht die Absicht habe, das Dach tatsächlich reparieren zu lassen. Zudem seien die Arbeiten nicht so mangelhaft, wie die Sachverständige festgestellt habe. Auf die Einzelheiten der Berufungsbegründung der Beklagten zu 1) wird Bezug genommen.
Die Beklagte zu 1) beantragt in Richtung ihrer Berufung:
I. Das Urteil des Landgerichts München II Az: 5 O 1915/11 Bau vom 27.03.2020 wird aufgehoben.
I. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin beantragt in Richtung der Berufung der Beklagten zu 1)
die Zurückweisung der Berufung.
Der Senat hat mit Verfügung vom 10.6.2020 einen umfangreichen Hinweis erteilt, in Richtung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO.
Auf den Hinweis und die Gegenerklärung der Beklagten zu 1) vom 17.7.2020 wird Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 27.03.2020, Aktenzeichen 5 O 1915/11 Bau, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Die Gegenerklärung der Beklagten gibt keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Insoweit ist ergänzend auszuführen:
Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB. Zwischen den Parteien wurde durch Novation in Form des (dritten) Vergleichs im November 2009 der im November 2002 geschlossene Werkvertrag umgestaltet und ersetzt. Der Anspruch ist fällig, da ein Abrechnungsverhältnis vorliegt.
1. Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass der Kläger seine Absicht beweisen muss, die Mängel beseitigen zu lassen.
Mit diesem Einwand hat sich der Senat in seinem Hinweis ausführlich befasst. Soweit die Beklagte zu 1) in der Gegenerklärung auf die Entscheidung des BGH vom 22.2.2018 abstellt (Az. VII ZR 46/17), wurde die Entscheidung von der Beklagten zu 1) ganz offensichtlich missverstanden. Der Bundesgerichtshof hat ausschließlich entschieden, dass ein Besteller neben dem Schadensersatzanspruch auch die Möglichkeit hat, einen Vorschuss für die Mängelbeseitigung zu fordern. Soweit in der Entscheidung die Wendung enthalten ist, „wenn er den Mangel beseitigen will“, ist diese Textpassage keinesfalls als eine Voraussetzung für den zivilrechtlichen Anspruch – den das Gesetz selbst nicht kennt – anzusehen, sondern ein Verweis auf das Motiv des Bestellers für die zu treffenden Wahl der in Betracht kommenden Sekundäransprüche.
Der Senat hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass – lediglich insoweit ist der Beklagten zu 1) zuzustimmen, dass dieser Gesichtspunkt relevant werden kann – für die Fälle, in denen der Besteller nicht die Absicht hat, die Mängel beseitigen zu lassen, der Einwand des § 242 BGB im Raum stehen kann. Hierfür trägt die Beklagte zu 1) die Beweislast; Anhaltspunkte in dieser Richtung bestehen nicht im Ansatz. Das gesamte Verfahren ist geprägt von dem Ansinnen des Klägers ein mangelfreies Dach zu erhalten, was letztlich auch in den dritten (!) Vergleich mündete, mit dem die Beklagte zu 1) erneut die Möglichkeit der Mangelbeseitigung erhielt.
Allein dem Umstand, dass der Kläger nicht in Vorleistung getreten ist, kommt angesichts der hierfür notwendigen Beträge im konkreten Fall keinerlei Indizwert zu.
2. Soweit die Beklagte zu 1) der Ansicht ist, ihre Leistung in Richtung der fehlenden Hinterlüftung der Dacheindeckung und in Richtung der mangelhaft verlegten Unterspannbahn und Sackbildung (Ziff. 1.1.2 des Ersturteils, Mängel 2 und 3), seien nicht mangelhaft, folgt der Senat dem nicht.
Die Beklagten zu 1) ermittelt rechtsfehlerhaft den Inhalt der geschuldeten Werkleistung. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass das Vertragssoll sich im Wege der Auslegung aus dem zwischen den Parteien im November 2009 geschlossenen Vergleich bestimmt, der den ursprünglichen Werkvertrag ersetzt hat. Die Beklagte zu 1) berücksichtigt im Rahmen der Vertragsauslegung im konkreten Fall nicht ausreichend den Wortlaut und die – ungewöhnlichen – Begleitumstände, die letztlich in den Vergleichsschluss gemündet haben:
2. So haben sich die Parteien bereits ausdrücklich darauf verständigt, die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik einzuhalten.
In dem maßgeblichen Vertragstext heißt es u. a. „Der beschriebene Gesamtumfang hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da nach einschlägigen Vorschriften/auch Herstelleranweisungen und dergleichen können die Arbeiten abweichen oder zusätzliche Arbeiten bei Erkennung neuer Mängel erforderlich werden.“
Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass diese Vorschriften etwas anderes sein sollen, als die allgemeinen anerkannten Regeln der Technik.
Auch der weitere Wortlaut des Vergleichs ist davon geprägt, dass die Arbeiten mit äußerster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit auszuführen sind. So heißt es, dass alle Arbeiten „unter erheblicher Sorgfalt auszuführen“ sind und „eine Gewährleistung übernommen“ wird.
Weiter haben die Parteien die von der Beklagten zu 1) geschuldete Leistung beschrieben als „Sanierung“ oder „gewissenhaft“, als „richtig“ oder die Verwendung „geprüfter und zugelassener Schrauben“ gefordert. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Betonungen der zu erbringenden Leistungen der Beklagten zu 1), ergibt sich für einen verständiger Empfänger ohne weiteres das Interesse des Klägers, ein in jeder Hinsicht nicht zu beanstandendes Dach zu erhalten; für einen typischen Besteller ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden.
Eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik ergibt sich auch nicht aus dem Schiedsgutachten. So wurde deutlich gemacht, dass das Sachverständigengutachten, auf dem der Vergleich basiert, nicht – so wie die Beklagte zu 1) meint – als Einschränkung verstanden werden kann, andernfalls der Verweis darauf, dass die Mangelaufzählung „keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat“, sinnentleert wäre.
2. Berücksichtigt man im Rahmen der historischen Auslegung, dass die Leistungen der Beklagten zu 1) den Anlass gegeben haben, sich über einen erheblichen und nennenswerten Zeitraum auseinanderzusetzen, es zu funktionellen Mängeln an einem zentralen Gewerk (Undichtigkeiten am Dach) kam, diese Auseinandersetzung in drei Mängelvergleichen mündete und ein Schiedsgutachten erholt wurde, wird deutlich, dass mit den vorgenannten Wendungen für einen verständigen Empfänger die Enttäuschung des Klägers, aber auch die Erwartung zum Ausdruck gebracht wurde, endlich ein Dach zu erhalten, das den anerkannten Regeln der Technik entspricht.
2. Dass die vom Erstgericht angenommenen Mängel vorhanden sind, ergibt sich nun zwanglos und deutlich aus dem nachvollziehbaren erholten gerichtlichen Gutachten. Die individuelle Einschätzung der Sachverständigen wurde durch die Beklagte zu 1) nicht entkräftet.
3. Soweit die Beklagte zu 1) einwendet, dass das Ersturteil fehlerhaft einen Mangel in Richtung der Dampfsperre (Ziff. 1.1.10 des Ersturteils, Mangel 11) angenommen hat, folgt der Senat auch dem nicht.
Der Senat verweist, was die Ermittlung des vertraglichen Solls angeht, auf die obigen Ausführungen und den zuvor ergangenen Hinweis. Die in der Gegenerklärung betonte Lesart des Vergleichs liegt neben der Sache. Die Beklagte zu 1) kann nicht ernsthaft der Auffassung sein, dass die vorrangig versprochene Luftdichtigkeit dadurch relativiert wurde, dass im Vergleich die Wendung „wenn nicht möglich“ aufgenommen wurde. Hiermit wird allenfalls eine Ausnahme für den Unternehmer statuiert, falls die vorrangig versprochene Luftdichtigkeit technisch unmöglich und nicht herstellbar ist. Die gerichtlich bestellte Sachverständige ist nachvollziehbar zu gegenteiligem Ergebnis gekommen.
4. Soweit die Beklagte zu 1) einwendet, dass das Ersturteil fehlerhaft einen Mangel in Richtung der Dämmung des Dachfirsts (Ziff. 1.1.21 des Ersturteils, Mangel 22), folgt der Senat dem nicht.
Der Senat verweist, was die Ermittlung des vertraglichen Solls angeht, auf die obigen Ausführungen und den zuvor ergangenen Hinweis. Die Ausführungen der Gegenerklärung sind auch insoweit verfehlt. Der Senat hat deutlich gemacht, dass als das vertragliche Soll im Rahmen der Sanierung eine umfassende Tätigkeit der Beklagten zu 1) vereinbart wurde. Das ergibt sich direkt aus dem Wortlaut der Vereinbarung, in dem die Parteien klargestellt haben, dass die Aufzählung sowohl der Mängel als auch der Verweis auf das Gutachten gerade nicht erschöpfend sein soll. Die Parteien haben diesen Aspekt grammatikalisch eindeutig geregelt und insoweit auf Seite 3 formuliert „Der beschriebene Gesamtumfang hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit“.
Die Sachverständige hat nun entsprechende und gravierende Mängel bei der Dämmung des Dachfirsts ermittelt und hierbei nachvollziehbar herausgearbeitet, dass diese Mängel symptomatisch für die Arbeiten der Beklagten zu 1) waren. Bei einer ordnungsgemäßen Sanierung der im Schiedsgutachten festgestellten und im Vergleich übernommenen Mängel in Richtung der Dämmung des Dachfirsts, hat sich für einen verständigen Unternehmer unmittelbar ergeben, dass diese symptomatischen Mängel nicht auf die im Rahmen der punktuellen Untersuchung des Schiedsgutachters ermittelten Mängel beschränkt waren.
III.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Endentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und ist unabhängig vom Erfolg der klägerischen Berufung.
München, 17.09.2020
Verfügung
1. Beschluss vom 17.09.2020 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigter des Berufungsklägers … zustellen Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten zu zustellen
1. … Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten zu zustellen
2. …
2. WV.: 6 Wochen


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