Baurecht

Mangelhaftigkeit des Gewerks – Planungsmangel

Aktenzeichen  27 U 3909/17 Bau

Datum:
9.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 48875
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 286, § 520 Abs. 3, § 529 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Wird die geschuldete Kernfunktionalität eines Gewerks nicht erbracht, so beseitigen einzelne mit dem Gewerk bewusst oder unbewusst verbundene Vorteile nicht die Mangelhaftigkeit des Gewerks. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es entzieht sich jeder typisierenden Betrachtung, wie sich ein Bauherr verhält, der von seinem Architekten pflichtgemäß über die Höhe der zu erwartenden Baukosten aufgeklärt wird. Die Entscheidung des Bauherren ist von vielen unterschiedlichen individuellen Faktoren abhängig (so auch BGH BeckRS 9998, 15479). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

6 O 4952/08 2017-10-19 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19.10.2017, Az. 6 O 4952/08, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten
ist.
Das Urteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Zu den Berufungsangriffen im Schriftsatz vom 31. Januar 2018 (Bl. 713 ff. d.A.) ist Folgendes zu bemerken:

Gründe

1. Planungsmangel – ungenügender Sonnenschutz
Das Landgericht hat auf den Seiten 9 ff. des Ersturteils den Planungsmangel überzeugend herausgearbeitet. Demnach gewähren wie klägerseits geplanten Gitterroste keinen ausreichenden Sonnenschutz.
Der Hinweis der Berufung auf die Baubeschreibung in Anlage K 11, dort S. 5, überzeugt nicht. Die Passage lautet wie folgt:
„Der Sonnenschutz wird den Himmelsrichtungen entsprechend ausgelegt. Nach Süden wird mit einem feststehenden auskragenden Sonnenschutz gearbeitet. Soweit nötig, wird dieser durch einen beweglichen ergänzt.“ (Hervorhebungen durch den Senat)
Die Formulierung entlastet die Klägerin nicht.
a) Vorliegend geht es schon nicht um eine Ergänzung des Sonnenschutzes, sondern um dessen erstmalige funktionstaugliche Herstellung. Das Landgericht hat in seinem Ersturteil nicht nur einzelne kleinere Mängel des geplanten und realisierten Sonnenschutzes festgestellt, sondern dessen fehlende Eignung insgesamt herausgearbeitet. Auf S. 10 des Ersturteils sowie die Feststellungen des Sachverständigen B. in seinem Gutachten vom 10.8.2009 im Verfahren 6 OH 5259/06 (dort insbesondere S. 10 ff. sowie S. 24 f.) kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.
Die zusammenfassende Würdigung der (fehlenden) Funktionstauglichkeit der geplanten und realisierten Gitterroste als Sonnenschutz durch das Erstgericht („oberstes Geschoß in technischer Hinsicht unwirksam; Verstoß gegen DIN 4108; auch unter Annahme günstigster Bedingungen nicht erfüllt; im Hinblick auf den zu erzielenden sommerlichen Wärmeschutz überflüssig; …“) begegnet keinen berufungsrechtlichen Bedenken.
b) Diese schweren Mängel in der Kernfunktionalität der Gitterroste wurden in der fraglichen Passage der Baubeschreibung auch nicht aufgedeckt. Im Gegenteil. Durch die Formulierung „soweit nötig“ sowie „ergänzt“ wurde vielmehr konkludent erklärt, dass die Klägerseite von der grundsätzlichen Funktionalität ihres Gewerks (Gewährleistung von Sonnenschutz) ausgeht.
Da ein geschuldeter und zugesagter Sonnenschutz nicht gewährleistet wird, liegt ein Planungsmangel vor.
2. Beratungsmangel
Neben dem Planungsmangel hat die Klägerin auch fehlerhaft beraten. Die Firma L. hat frühzeitig mit Schreiben vom 23. November 1999 auf die Unzulänglichkeit der klägerischen Planung hingewiesen. In dem Schreiben (Anlage B 42) ist wie folgt ausgeführt:
„Wir merken hierzu an, dass bei Ausführung dieses Lamellenabstandes eine dauerhafte Beschattung der Fassadenfläche nicht gegeben ist und die Sonnenstrahlen teilweise auf die Fassade fallen werden … Dies hat für die spätere Nutzung deutliche Nachteile, da eine zusätzliche Aufheizung der Räume und Blendeinwirkung auf die darunterliegenden Büros zu erwarten sind.“
Im Zuge dieses Schreibens wurde ein Abhilfevorschlag und ein entsprechendes Nachtragsangebot unterbreitet.
Diese Bedenken, die sich im gerichtlichen Verfahren bestätigten, wurden klägerseits verworfen. Mit Schreiben vom 29.11.1999 (Anlage B 43) empfahl die Klägerin sogar ausdrücklich, das fragliche Nachtragsangebot nicht zu beauftragen.
Vor diesem Hintergrund ist die landgerichtliche Annahme, dass die Klägerin die Beklagte fehlerhaft beraten habe, nicht zu beanstanden.
Der Hinweis der Berufung, dass der Sachverständige B. mehrfach die Multifunktionalität der Gitterroste herausgearbeitet habe (gestalterischarchitektonische Wirkung, Nutzungsmöglichkeit als Fluchtweg, Vorteile bei Reinigungskosten, …), beseitigt nicht die Mangelhaftigkeit des klägerischen Gewerks. Die Kernfunktionalität der Gitterroste bestand in der Gewährleistung von Sonnenschutz. Hieran bestehen angesichts der klägerseits selbst zitierten Passage auf S. 5 der Baubeschreibung gemäß Anlage K 11 keine vernünftigen Zweifel.
Wird jedoch diese geschuldete Kernfunktionalität eines Gewerks nicht erbracht, so beseitigen einzelne mit dem Gewerk bewusst oder unbewusst verbundene Vorteile nicht die Mangelhaftigkeit des Gewerks.
Dies mag folgendes Beispiel aus der Praxis verdeutlichen:
Eine auf unzureichenden Fundamenten ruhende Garage, die nicht in der Lage ist, einen handelsüblichen PKW aufzunehmen, bleibt auch dann mangelhaft, wenn die Garage (zumindest noch) als Geräteschuppen genutzt werden kann.
Ein Gewerk, dass seine Kernfunktionalität nicht oder nur völlig unzureichend erbringt, ist und bleibt mangelhaft.
3. Bestehende Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden Der Senat teilt die landgerichtliche Auffassung, dass zugunsten der Beklagten die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greift.
a) Der Einwand der Berufung, dass bei Beratungsfehlern durch Architekten die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens grundsätzlich keine Anwendung findet, überzeugt nicht.
Zum einen ist zu sehen, dass vorliegend gerade nicht nur Beratungsfehler, sondern auch echte Planungsfehler inmitten stehen.
Zum anderen ergibt sich aus der zitierten Rechtsprechung gerade nicht, dass die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens im Architektenhaftungsrecht grundsätzlich keine Anwendung finden würden. Im Gegenteil. Die fraglichen Entscheidungen gehen im Kern um die Problematik der Baukostenüberschreitung. Für diese (begrenzte) Fallgruppe ist eine restriktive Handhabung auch unmittelbar einsichtig. Die Baukostenentwicklung gestaltet sich in der Praxis vielfach dynamisch. Baukosten sind generell ex ante schwierig abzuschätzen. Mögliche Mehrungen können vielfach durch diverse Maßnahmen (Umplanungen, Materialwechsel, …) aufgefangen werden. Bei derartigen Sachverhaltskonstellationen ist kein Raum für die Vermutung für ein „bestimmtes Bauherrenverhalten“. Es entzieht sich vielmehr jeder typisierenden Betrachtung, wie sich ein Bauherr verhält, der von seinem Architekten pflichtgemäß über die Höhe der zu erwartenden Baukosten aufgeklärt wird. Die Entscheidung des Bauherren ist von vielen unterschiedlichen individuellen Faktoren abhängig (vgl. ausführlich BGH VII ZR 171/95).
Geht es jedoch – wie vorliegend – um die Kernfunktionalität eines Gewerkes, so greift die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Bauherr, der über grundlegende Fehlfunktionen des Gewerkes informiert wird, von einer entsprechenden Baumaßnahme absehen würde. Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Kernfunktionalität der geplanten und realisierten Gitterroste war die Gewährleistung ausreichenden Sonnenschutzes. Ein solcher konnte mit der geplanten und realisierten Konstruktionen nicht erbracht werden. Es ist davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher und vernünftiger Bauherr bei Kenntnis dieser Sachlage von der Baumaßnahme (im sechsstelligen Bereich) abgesehen hätte.
Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greift damit.
b) Unbeachtlichkeit, ob Anscheinsbeweis oder Umkehr der Beweislast eintritt Der Streit, ob damit ein Anwendungsfall des Anscheinsbeweises vorliegt oder eine Umkehr der Beweislast eintritt (vgl. zum Streitstand Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Auflage 2018, § 280 Rn. 39 m.w.N.), kann dahinstehen. Die Klägerin hat weder den Anscheinsbeweis erschüttert noch den Gegenbeweis geführt.
aa) Soweit auf S. 9 ff. der Berufungsbegründung nochmals die „weichen Vorteile“ der Gitterroste (zusätzlicher Fluchtweg, Gebäudegestaltung, …) sowie die Feststellung des Sachverständigen B., dass die Gitterroste aus technischer Sicht „nicht überflüssig“ sind, kann auf obige Ausführungen Bezug genommen werden. Die auskragenden Gitterroste wurden zum Zwecke des Sonnenschutzes angebracht. Diese Funktion erbringen sie grob mangelhaft. Ein werkvertraglicher Mangel liegt damit vor. Zufällige und/oder gewollte Nebenvorteile können die Mangelhaftigkeit nicht beseitigen. Dies hat das Landgericht zutreffend herausgearbeitet. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf Seite 14 des Ersturteils Bezug genommen werden. Dort wird wie folgt ausgeführt:
„Das Gebäude der Widerklägerin verfügte bereits anderweitig über Fluchtwege. So ist es nicht nachvollziehbar, warum diese über 500.000 DM für zusätzliche, nicht erforderliche Fluchtwege ausgeben sollte. Auch im Hinblick auf das architektonische Gepräge ist nicht ersichtlich, warum die Widerklägerin aus optischen Gründen diese Gitter gewünscht haben sollte, auch wenn sie weitgehend ohne Sonnenschutzfunktion sind. Vielmehr ist für das Gericht aufgrund der Lichtbilder insbesondere bei den Gitterrosten, die über dem Erdgeschoss, 1. OG und 2. OG auskragen, keine besonders prägenden Wirkung erkennbar.“
Vor diesem Hintergrund kann der grundlegende Mangel des fehlenden Sonnenschutzes nicht durch anderweitige Funktionen des mangelhaften Gewerks ausgeglichen werden. Wirtschaftliche bzw. rationale Gründe dafür, dass die Beklagte in Kenntnis des fehlenden Sonnenschutzes das Gewerk – mit Investitionskosten in sechsstelliger Höhe! – gleichwohl beauftragt hätte, sind nicht ersichtlich.
bb) Dies gilt auch mit Blicke auf die klägerseits angesprochene Fassadengestaltung der Archive. Hieraus können keine verlässlichen oder auch nur nahe liegenden Rückschlüsse auf das Investitionsverhalten der Beklagten gezogen werden. Die Berufung weist selbst zutreffend darauf hin, dass die Archive nicht streitgegenständlich sind. Zudem wird zutreffend ausgeführt, dass die Fassadengestaltung nicht mit der streitgegenständlichen Fassade übereinstimmt. Dort wurden sogenannte Glastec-Lamellen verbaut. Auch die Grundkonzeption des Sonnenschutzes ist nicht vergleichbar. Bei den Archiven sollte der Sonnenschutz entweder ausschließlich durch textilen Sonnenschutz oder Glastec-Lamellen erfolgen. Gitterroste sollten allenfalls hinzu kombiniert werden (vgl. S. 16 der Berufungsbegründung). Die grundlegende unterschiedliche bauliche Konzeption wird durch die instruktive Zeichnung auf S. 15 der Berufungsbegründung illustriert.
Schon vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, aus der Konstruktion und den Auszügen aus dem Schriftverkehr zur Gestaltung der Archive (vgl. Anlage K 18 sowie Seite 14 Ersturteil) seriöse Rückschlüsse zu ziehen bzw. die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens zu erschüttern.
4. Keine Rechtsfehler des Ersturteils im Zuge der Vorteilsausgleichung Das Landgericht hat die Frage des Vorteilsausgleichs sorgsam geprüft und überzeugend auf die ersparten Herstellungskosten einer Monorailanlage sowie ersparte Reinigungskosten beschränkt (vgl. S. 16 ff. des Ersturteils). Soweit die Klägerin Vorteilsausgleichung über die zugebilligten rund 180.000 DM begehrt, geht dies fehl.
a) Ein „merkantiler Mehrwert“ des Gebäudes – aufgrund der Anbringung der Gitterroste, die ihre eigentliche Funktion Sonnenschutz nicht erfüllen – ist nicht feststellbar. Seite 18 des Ersturteils lässt keine Rechtsfehler erkennen. Der in der Berufungsbegründung angedeutete „offene Widerspruch“ zu den Ausführungen des Sachverständigen B. ist nicht erkennbar.
Der Sachverständige hat lediglich Sinn und Zweck sowie die verbleibenden „Nebenfunktionen“ der auskragen Schattierungsvorrichtungen beschrieben. Zudem wurde ausgeführt, dass diese Gebäudeteile „architektonische Wirkung“ entfalten und dies häufig ein wichtiger Installationsaspekt sei.
Der Sachverständige hat aber an keiner Stelle einen konkreten bzw. messbaren Mehrwert des Gebäudes festgestellt. Dies gilt auch und gerade für die hier inmitten stehende architektonische Wirkung. Die architektonische Wirkung wurde vom Landgericht selbst nicht nur abstrakt, sondern auf den konkreten Fall bezogen und unter Zuhilfenahme von Lichtbildern gewürdigt (vgl. bspw. S. 18 unten im Ersturteil sowie Anlage B 33). Widersprüche zu den Ausführungen des Sachverständigen sind nicht ersichtlich. Letzterer hat keine konkrete gebäudebezogene und über das gewöhnliche Maß hinausgehende Aufwertung des Gebäudes beschrieben. Ein besonderer (monetär auszugleichender) Vorteil auf Beklagtenseite ist nicht erkennbar.
Gleiches gilt für das Vorhandensein eines zusätzlichen Fluchtweges. Es mag sein, dass die Gitterroste auch heute nicht gänzlich überflüssig sind (S. 18 der Berufungsbegründung). Ein messbarer merkantiler Mehrwert wurde vom Sachverständigen jedoch auch insoweit nicht festgestellt. Der Ansatz eines solchen ist auch nicht angezeigt, da das Gebäude – unbestritten -über ausreichende Fluchtwege verfügt (vgl. dazu bereits oben).
b) Soweit ein Schaden für die Ausführungen in zwei Schritten (Gitterroste und beweglicher Sonnenschutz) bejaht wurde, begegnet auch dies keinen Bedenken. Der Sachverständige B. hat hierzu in seinem Gutachten vom 10.08.2009 im Verfahren 6 OH 5259/06 (dort S. 25 ff., Bl. 94 d.A.) eingehend Stellung genommen. Diese Ausführungen wurden im Termin vom 20.07.2017 auch nicht zurückgenommen, sondern nur präzisiert. Die Möglichkeit einer Sonnenschutzinstallation „in einem Zug“ wurde nicht für unmöglich gehalten, sondern bei sorgsamer Koordination (Baumanagement) nach wie vor als machbar angesehen. Insoweit ist eine Entlastung der Klägerin, die alle HOAI-Leistungsphasen betreute, nicht angezeigt. Für das Vorliegen von Sowieso-Kosten ist die Klägerin beweisfällig geblieben.
B. Mangel Glastec-Lamellen
1. Keine unzutreffende Tatsachenfeststellung
Der Einwand, dass sich das Erstgericht nicht bzw. völlig unzureichend mit dem Privatgutachten der Klägerseite (u.a. Anlage K 13) auseinandergesetzt habe, geht in mehrfacher Hinsicht fehl.
Das Landgericht hat sich umfassend mit den Einwendungen befasst und unter Mithilfe des Sachverständigen B. sogar die technische Mangelursache herausgearbeitet (Fehler im Herstellungsprozess, S. 21 unten im Ersturteil). Zudem wurde den klägerseits erstinstanzlich vorgebrachten möglichen Versäumnissen auf Beklagtenseite (z.B. angebliche Reinigungsmängel, …) nachgegangen. Diese haben sich aber gerade nicht bestätigt. Im Berufungsverfahren werden sie auch nicht weiterverfolgt.
Soweit es um die Würdigung des privatgutachterlichen Klägervortrags geht, kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 23 ff. des Urteils Bezug genommen werden. Demnach steht für den Senat außer Frage, dass das Landgericht die privatgutachterlichen Vortrag (insbesondere Anlage K 13) sehr wohl zur Kenntnis genommen und im Lichte der Sachverständigenausführungen auch gewürdigt hat. Das Landgericht hat dabei dezidiert seine Überzeugung begründet, dass die fraglichen Mangelerscheinungen bereits bei der streitgegenständlichen Baustellenbegehung am 17.5.2006 erkennbar waren. Die Überzeugungsbildung des Landgerichts wurde ausführlich und lebensnah dargelegt (Lichtbildvergleich, vorliegende eigene Lichtbilder des Sachverständigen, Erkennbarkeit der Schadensbilder, Einordnung auf Augenhöhe, Erkennbarkeit aus verschiedenen Blickwinkeln, …). Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, in die Beweiswürdigung des Landgerichts einzugreifen.
Das Beweisergebnis ist für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich bindend und nicht angreifbar.
Nur wenn Rechtsfehler im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vorliegen, etwa Beweismaß oder Beweislast verkannt werden, einzelne beweiswürdigende Darlegungen nachvollziehbarer Grundlage entbehren, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen wird oder Verfahrensfehler unterlaufen sind, ist dem Senat eine Nachprüfung der Beweiswürdigung möglich. All dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass in der dreiseitigen privatgutachterlichen Stellungnahme auch keine grundlegenden methodischen Versäumnisse des gerichtlichen Sachverständigen B. aufgezeigt werden. Im Gegenteil. In der Zusammenfassung unter C) des Privatgutachtens wird dem gerichtlichen Sachverständigen sogar mehrfach zutreffendes methodisches Vorgehen bescheinigt („Die vom Sachverständigen B. … sind qualitativ in sich richtig.“, „Der mögliche Einfluss auf die Beständigkeit des Verbundglases ist ebenfalls qualitativ beschrieben.“, …). Das Privatgutachten meint letztendlich nur, dass eine genaue Datierung der Schadensentstehung nicht möglich ist. Dies wird aus den letzten zwei Sätzen des Gutachtens deutlich. Diese lauten wie folgt:
„Daher lässt diese Vergrauung keine Rückschlüsse darauf zu, wann die primäre Delamination erfolgt ist. Der genaue Zeitpunkt, zu dem solche primären Delaminationen auftreten, kann aber in der Praxis nicht zurückverfolgt werden.“
Hierum geht es im vorliegenden Sachverhalt bei Lichte besehen jedoch gar nicht. Es geht nicht darum, den Zeitpunkt taggenau festzusetzen, zu dem das Schadensbild erstmals und konkret aufgetreten ist. Es leuchtet ein, dass eine derartige taggenaue Einordnung wissenschaftlich fundiert nur schwerlich möglich ist.
Vorliegend geht es aber darum, ob mit der zur gerichtlichen Überzeugung notwendigen Sicherheit belegt wurde, dass das Schadensbild mindestens sechs Monate vor Anfertigung der vorliegenden Lichtbilder vorhanden bzw. erkennbar war. Eine derartige gerichtliche Überzeugung konnte im vorliegenden Fall in einer Gesamtschau gewonnen werden. Die hierfür maßgeblichen Gründen hat das Landgericht – wie bereits erwähnt – auf S. 23 ff. des Ersturteils eingehend dargelegt.
Die gerichtliche Beweiswürdigung ist damit nicht zu beanstanden.
Soweit die Berufungsbegründung auf S. 22 erwähnt, dass der Zeuge T. ausgesagt hat, dass er bei der Begehung am 17.5.2006 keine Delaminationen erkannt habe, ist dies unbehelflich. Das fehlende Erkennen bzw. die bei Begehung an den Tag gelegte unzureichende Sorgfalt stellt gerade die haftungsbegründende Pflichtverletzung dar (vgl. S. 26 des Ersturteils).
2. Kein höherer Abzug als 25% im Rahmen von „neu für alt.“
Das Landgericht hat bereits einen Abzug in Höhe von 25% zugelassen.
Überzeugende Berufungsangriffe, die einen noch höheren Abzug rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
Auch und gerade im Lichte der jüngeren Rechtsprechung erscheint der Abzug bereits großzügig bemessen.
So hat beispielsweise das Oberlandesgericht Dresden in seinem Urteil vom 16.07.2014, 1 U 600/12, erst kürzlich wie folgt entschieden:
„Ein Abzug „neu für alt“ wegen der verlängerten Lebensdauer ist nicht vorzunehmen, wenn diese auf einer verspäteten Mängelbeseitigung beruht, da sich der Auftraggeber während des Ausbleibens der Nacherfüllung mit einem mangelhaften Werk begnügen musste.“
(OLG Dresden Urt. v. 16.7.2014 – 1 U 600/12, IBRRS 2015, 2091, beckonline)
Auch vorliegend ist zu sehen, dass sich die Mangelbeseitigung maßgeblich aufgrund des Verhaltens der Klägerin verzögert hat. Bis heute wird die Mangelverantwortlichkeit klägerseits in Abrede gestellt.
a) Insoweit geht der Hinweis in der Berufungsbegründung, dass aufgrund der langen Verfahrensdauer bereits ein Großteil der üblichen Nutzungsdauer der Lamellen abgelaufen sei, fehl. Der Abzug „neu für alt“ ist ein Fall der Vorteilsausgleichung. Er greift dann, wenn sich aus dem zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignis neben Nach- auch Vorteile ergeben.
Greifbare Vorteile für die Beklagte sind jedoch nicht ersichtlich. Der Hinweis der Berufung, dass keine echten funktionellen Gebrauchsnachteile hingenommen werden mussten (S. 23 der Berufungsbegründung), begründet keinen auszugleichenden Vorteil. Es handelt sich vielmehr um einen klassischen Fall der „unvermeidlichen Nutzung“, die gerade nicht den vertraglich geschuldeten mangelfreien Gebrauch ermöglicht und deshalb auch keinen Abzug rechtfertigt (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1984, Az.: VII ZR 169/82, BGHZ 91, 206 m.w.N.).
b) Die Mangelerscheinungen sind auch keineswegs völlig untergeordnet. Die (optischen) Beeinträchtigungen sind vielgestaltig (Blasenbildung, Blasengänge, Geweihbildung, Verfärbung, Ablösungen entlang der Scheibenränder), großflächig und durch Lichtbilder eindrucksvoll dokumentiert. Die optischen Mängel betreffen nahezu 300 Einzelscheiben.
Soweit die Berufungsbegründung auf S. 23 ein Aussagefragment des Sachverständigen im Termin vom 20.7.2017 zitiert („immer auch auf den Standpunkt und Lichtverhältnisse ankomme“, Bl. 662 d.A.), stützt dies keineswegs die Ansicht, dass es sich um völlig untergeordnete Mängel handelt, die nur bei besonders (un) günstiger Perspektive wahrnehmbar seien.
Insoweit muss vollständig zitiert werden. Die Ausführungen des Sachverständigen erfolgten ausweislich des Protokolls im Zusammenhang mit der Ermittlung der Anzahl der schadhaften Scheiben, nicht jedoch mit Blick auf die Erheblichkeit des Mangels. Der Aussagebezug erschließt sich bei vollständigem Zitat beider Sätze. Diese lauten wie folgt:
„Ich sehe das jetzt durch einzelne Auszählung ermittelte Ergebnis nicht für genauer an als das durch die damalige Schätzung ermittelte. Weil es immer auch auf Standpunkt und Lichtverhältnisse ankommt.“
c) Ein Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB auf Beklagtenseite, der einen höheren Abzug „neu für alt“ erfordert, ist nicht ersichtlich. Der Hinweis der Berufungsbegründung auf eine einzelne Passage im Gerichtsgutachten hilft nicht weiter.
Der fragliche Passus „… bei diesem Gebäude ein etwa üblicher, eher unterdurchschnittlicher Wert auf das Erscheinungsbild des Gebäudes gelegt wurde“ (S. 33 im Gutachten vom 16.9.2015, Bl. 496 d.A.) ist im Gesamtzusammenhang zu sehen. Auf derselben Seite des Gutachtens führt der Sachverständige wie folgt aus:
„Dies weist auf einen eher laxen Umgang mit dem Erscheinungsbild und dem Werterhalt des Gebäudes hin. Da ich dies aber in vergleichbarer Form aus ähnlichen Gebäudetypen in der Büronutzung kenne, führt dies nicht zu einer schlechteren Beurteilung, sondern nach wie vor in eine Einstufung für übliche Anforderungen an das Erscheinungsbild, wie ich es eben von vergleichbaren Gebäuden kenne.“
Insoweit bestehen auch auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das Gebäude in besonderem Maße vernachlässigt bzw. verkommen hat lassen.
Unbeschadet hiervon besteht kein Rechtssatz dahingehend, dass mögliche Nachlässigkeiten beim Unterhalt des Gebäudes zum (vollständigen) Verlust von Mängelrechten wegen optischer Beeinträchtigungen führen.
Eine (grobe) Vernachlässigung des äußeren Erscheinungsbildes des Gebäudes durch die Beklagte ist weder substantiiert vorgetragen noch bewiesen. Im Gegenteil. Wie das Landgericht auf S. 25 ausführt, handelt es sich um einen kostenintensiven und repräsentativen Neubau aus steuerfinanzierten Mitteln. Da auch der vorliegenden umfangreichen Lichtbilddokumentation keinerlei greifbaren Anhaltspunkte für eine Verwahrlosung des Gebäudes zu entnehmen ist, geht der Berufungsangriff ins Leere.
Eine Vorteilsausgleichung über den vom Landgericht zugebilligten Betrags von 25% hinaus ist nicht angezeigt.
Die Berufung hat insgesamt keine Aussicht auf Erfolg.
Der Senat legt aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 6. März 2018. Binnen gleicher Frist können beide Parteien zum Streitwert Stellung nehmen.


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