Baurecht

Nachbarantrag, Aufstockung einer Gewerbehalle, Erweiterung für eine Betriebsleiterwohnung und einen Ausstellungsraum, Bestimmtheit der Baugenehmigung, Fehlende Zuordnung zu einem Gewerbebetrieb

Aktenzeichen  1 CS 21.2776

Datum:
10.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 199
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 SN 21.5422 2021-10-19 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die „Aufstockung einer Gewerbehalle“.
Er ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …4, Gemarkung F* …, das mit einer Gewerbehalle bebaut ist. Die Beigeladenen sind Eigentümer des südlich anschließenden Grundstücks FlNr. …8, das ebenfalls mit einer Gewerbehalle bebaut ist. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 27 B der Gemeinde B* … „Gewerbegebiet F* … Ost“, der am 22. November 2004 bekannt gemacht worden ist und für die Flächen ein Gewerbegebiet festsetzt. In dem zeitgleich mit dem Bauantrag gestellten Antrag auf Befreiung u.a. für den Einbau einer „Betriebswohnung“ wird ausgeführt, dass das Gebäude mit wertvollen Maschinen und Geräten sowie Zubehörmaterialien einschließlich Ausstellungsraum bestückt sei. Eine weitere Beschreibung ergibt sich aus der in den Akten befindlichen Betriebsbeschreibung, die nicht mit einem Genehmigungs- oder Prüfvermerk versehen ist. Danach handelt es sich bei den Maschinen und Geräten um Drucker, Plotter, Computer; in den Lagerräumen sollen Mörtelsäcke, Acrylglas und Aluminiumplatten gelagert werden. In einem weiteren Befreiungsantrag wird u.a. ausgeführt, dass durch die Aufstockung des Gebäudes die Herstellung einer „Betriebswohnung mit Ausstellungsraum“ ermöglicht werden soll.
Mit Bescheid vom 17. September 2019 erteilte das Landratsamt den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung, die u.a. immissionsschutzrechtliche Auflagen betreffend den Lärmschutz der Gewerbeerweiterung und der Betriebsleiterwohnung enthielt und die schalltechnische Untersuchung vom 14. Dezember 2018 zum Bestandteil der Genehmigung erklärte. Über die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Auf den erhobenen Eilantrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. Oktober 2021 die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Baugenehmigungsbescheid angeordnet. Die Klage werde voraussichtlich Erfolg haben. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimme sich nach § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 BauGB. Die Baugenehmigung sei in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt. Der Bescheid lasse keine räumliche oder funktionelle Zuordnung der ausnahmsweise genehmigten Wohnung zu einem in dem Gewerbegebiet vorhandenen oder geplanten Betrieb zu. Die von den Beigeladenen beabsichtigte Betriebsverlagerung ihres Fliesenbetriebs von dem derzeitigen Standort in D* … auf das Vorhabengrundstück sei unbeachtlich, da es hinsichtlich der insoweit allenfalls relevanten Antragsunterlagen (Betriebsbeschreibung, Flächenaufstellung) bzw. des handschriftlichen Aktenvermerks zu einer Betriebsverlagerung in der Behördenakte an den erforderlichen Prüf- und Genehmigungsvermerken fehle. Im Übrigen ließe auch die Betriebsbeschreibung, die auf einen „bestehenden und genehmigten Betrieb“ Bezug nehme, eine solche Einschätzung nicht zu. Der Akte ließe sich eine Genehmigung in Bezug auf die Nutzung der Gewerbehalle oder eines sonstigen Betriebs der Beigeladenen nicht entnehmen; das Erdgeschoss und das Zwischengeschoss seien zudem nicht Gegenstand des Bauantrags, eine Tekturgenehmigung sei weder beantragt noch erteilt worden. Unklar bleibe auch, ob sich der Betrieb auf die bisherige Nutzung des Raums im Erdgeschoss durch die Beigeladenen beziehe oder auf einen noch zu verlagernden Fliesenbetrieb in die Räumlichkeiten der Gewerbehalle und ob die bestehende Gewerbehalle in absehbarer Zeit allein durch den Betrieb der Beigeladenen oder auch weiterhin durch die Werbeagentur genutzt werden solle.
Die Beigeladenen beantragen als Rechtsmittelführer im Beschwerdeverfahren,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2021 aufzuheben.
Die verfahrensgegenständliche Wohnung sei dem Betrieb räumlich und funktionell zugeordnet. Die Wohnung sei dem Betrieb ausweislich der ergänzend vorgelegten Zusammenstellung der Flächen und Baumassen nach Grundfläche und Baumasse untergeordnet. Danach treffe es nicht zu, dass sie (bisher) in der Gewerbehalle nur einen Raum im Erdgeschoss als Lagerraum nutzen würden. Der Beigeladene zu 1 werde alters- und gesundheitsbedingt seine Tätigkeit zunehmend von den Verlegearbeiten in den Vertrieb verlagern. Während er seinen Betrieb zunehmend in die Gewerbehalle verlegen werde, werde die derzeitige Mieterin (Werbeagentur) ihren Betrieb sukzessive reduzieren.
Der Antragsgegner stellt keinen Antrag und sieht von einer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren ab.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Es fehle weiterhin an der erforderlichen funktionalen Zuordnung der genehmigten Wohnung zum Gewerbebetrieb der Beigeladenen. Auch bei Annahme eines Bezugs zum Fliesenbetrieb der Beigeladenen begründe weder die bloße Lagerung von Material noch die abendliche Bemusterung mit Kunden die Erforderlichkeit einer Betriebsleiterwohnung. Soweit auf die „wertvollen Maschinen und Geräte sowie Zubehörmaterialien“ abgestellt werde, die „einen personellen Aufenthalt Tag und Nacht erforderlich machen würden“, handle es sich im Hinblick auf den Betrieb der Beigeladenen um sachfremde Ausführungen. Auch die allgemeingültigen Erwägungen wie die abendliche Bemusterung, die bei jedem Betriebskonzept vorkommen könnten, seien nicht geeignet, eine Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zu begründen. Es handle sich um eine Errichtung aus betriebsfremden Gründen. Im Übrigen fehle es angesichts der Größe der Wohnung mit einer Fläche von 171,38 m² ohne Einbeziehung der Dachterrasse (rd. 88 m²) an der erforderlichen Unterordnung der Betriebsleiterwohnung.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Beigeladenen dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 17. September 2019 zu Recht angeordnet. Die Klage des Antragstellers wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben, sodass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen vorrangig ist.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die im Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Antragsunterlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (vgl. BVerwG, B.v. 20.5.2014 – 4 B 21.14 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3; B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 10).
Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass mit dem Baugenehmigungsbescheid, soweit er auf Antragsunterlagen Bezug nimmt, und auch mit den im Genehmigungsverfahren vorgelegten sonstigen Unterlagen bzw. relevanten Umständen, eine hinreichende räumliche und funktionelle Zuordnung der Wohnung zu einem Betrieb nicht belegt sei, wird mit dem Vortrag im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen.
Soweit die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren erstmals neue Unterlagen vorgelegt haben, insbesondere die Darstellung der anteiligen Nutzung des Gewerbegebäudes auf dem Vorhabengrundstück mit dem gegenwärtigen Mieter sowie die Angaben zu Grundflächen und Baumassen, können diese im Verfahren nicht berücksichtigt werden. Gegenstand des Verfahrens ist die angegriffene Baugenehmigung, die aufgrund der fehlenden hinreichenden Bestimmtheit unwirksam ist. Die neu vorgelegten Unterlagen sind – ggf. ergänzt um die erforderlichen Nachweise – auf Antrag der Beigeladenen von der Baugenehmigungsbehörde in einem (erneuten) Baugenehmigungsverfahren zu überprüfen. Denn über die Frage der Zulässigkeit einer Betriebsleiterwohnung kann erst nach Vorlage der maßgeblichen Unterlagen und bei einem tatsächlichen Bedarf des Betriebsinhabers – hier nach einer Betriebsverlagerung – entschieden werden. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob bzw. welche Flächen nach der angekündigten Aufgabe der Verlegearbeiten und Fokussierung des Betriebs der Beigeladenen auf den Vertrieb in der Gewerbehalle auf dem Vorhabengrundstück noch benötigt werden und ob die Anwesenheit des Betriebsinhabers objektiv sinnvoll ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1984 – 4 C 50.80 – NVwZ 1984, 511). Die (lediglich) behauptete Anwesenheit des Beigeladenen zu 1 aufgrund von in den Abendstunden stattfindenden Kundengesprächen dürfte dafür ebenso wenig ausreichen wie die Lagerung von Material ohne nähere Darlegung der Umstände des Einzelfalls.
Die fehlende Bestimmtheit führt nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren zur Annahme einer subjektiven Rechtsverletzung des Antragstellers. Eine Baugenehmigung kann durch den Eigentümer des benachbarten Grundstücks grundsätzlich mit Erfolg angefochten werden, wenn diese hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und infolge des Mangels eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3; B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 10). Der Antragsteller wird in seinem Anspruch auf Wahrung des Gebietscharakters verletzt. Er kann die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – NVwZ 2008, 427).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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