Baurecht

Nachbarantrag, Festsetzungen im Bebauungsplan, Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  M 1 SN 21.5304

Datum:
10.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40186
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BauGB § 9 Abs. 7
BauNVO § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die vorläufige Vollziehbarkeit einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Grundstücke FlNrn. 2190/20 und 1531/3 Gem. … Unmittelbar südlich an das Grundstück FlNr. 1531/3 grenzt das im Eigentum der Beigeladenen stehende Grundstück FlNr. 1531 Gem. … (Vorhabensgrundstück) an.
Das Vorhabensgrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 89 „Nördlich der E* … straße“. Am 24. November 2020 fasste die Antragsgegnerin einen Aufstellungsbeschluss zur Änderung dieses Bebauungsplans im beschleunigten Verfahren. Der Bebauungsplanentwurf in der geänderten Fassung wurde vom 3. Februar 2021 bis einschließlich 8. März 2021 sowie erneut vom 19. August 2021 bis einschließlich 14. September 2021 öffentlich ausgelegt.
Mit Bauantrag vom 11. März 2021 beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung zum Neubau eines Zweifamilienhauses mit Tiefgarage auf dem Vorhabensgrundstück. Das Zweifamilienhaus soll eine Länge von 23,99 m und eine Breite von 9,99 m aufweisen. Von der Mitte des östlichen Endes des geplanten Zweifamilienhauses ausgehend soll anschließend an die Bebauung in südlicher Richtung eine Tiefgaragenzufahrt mit einer Breite von 3,48 m errichtet werden.
Mit Bescheid vom 23. August 2021, der Antragstellerin zugestellt am 3. September 2021, erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung u. a. mit der Begründung, dass das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans in der Änderungsfassung nicht entgegenstehe.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom *. Oktober 2021, eingegangen bei Gericht am 3. Oktober 2021, erhob die Antragstellerin Klage gegen die Baugenehmigung, die Gegenstand des Verfahrens M 1 K 21.5269 ist. Mit selbem Schriftsatz beantragt sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 23.08.2021 anzuordnen.
Der Bebauungsplan Nr. 89 sei in seiner beabsichtigten Fassung rechtswidrig. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich deshalb nicht nach den zukünftigen Festsetzungen des Bebauungsplans, sondern nach den derzeit geltenden Festsetzungen. Danach sei das Vorhaben unzulässig, da es den dortigen Festsetzungen widerspreche. Der Bebauungsplan verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Die Änderung lasse nicht erkennen, ob die Grundstücke FlNrn. 1531/2 und 1531/3 zum räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans gehören. Es liege zudem Gefälligkeitsplanung vor, da durch die bloße Erhöhung der Grundflächenzahl für Nebenanlagen unter Beibehaltung der Anzahl der Wohneinheiten und der Grundflächenzahl für die Wohnnutzung keine Nachverdichtung stattfinde. Das Vorhaben verstoße gegen den Gebietsprägungserhaltungsanspruch, da durch die Änderungen hinsichtlich der Bauräume, der zulässigen Dacharten, der Tiefgaragen einschließlich Rampen und der maximalen Grundflächenzahl der dörfliche Charakter des Baugebiets verloren gehe. Die Antragsgegnerin habe zudem Fehler bei der Abwägung begangen. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich somit anhand der Planfestsetzungen. Die Antragstellerin werde hinsichtlich des Grundstücks FlNr. 1531/3 vom Geltungsbereich der Änderung des Bebauungsplans erfasst und könne sich deshalb auf dessen drittschützende Festsetzungen berufen. Die Festsetzungen über die Grundflächenzahl, die Abstandsflächen, die zulässigen Baufenster, die Dachform, die Gebäudeklasse und die Anzahl der Stellplätze seien nachbarschützend und allesamt verletzt. Ferner liege ein Verstoß gegen die Stellplatzsatzung vor. Zudem werde die im Bebauungsplan festgesetzte Gebäudebreite überschritten. Die unterlassene Brandschutzprüfung stelle eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften dar. Das Vorhaben verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Die Verletzung der Festsetzungen über die Grundflächenzahl, die Baugrenzen, die Dachgestaltung, die Gebäudebreite und -höhe beträfen Belange, die durch das Gebot der Rücksichtnahme geschützt seien.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Vorschrift des Art. 2 Abs. 3 BayBO über Gebäudeklassen gehöre nicht zum Prüfungsumfang des vereinfachten Genehmigungsverfahrens. Die Prüfung, ob ein Brandschutznachweis gemäß Art. 62 BayBO vorliegt, gehöre ebenfalls nicht zum Prüfungsumfang im Baugenehmigungsverfahren. Der Bebauungsplan sei auch nicht rechtswidrig. Die Grundstücke FlNrn. 1531/2 und 1531/3 gehörten nicht zum Geltungsbereich des Bebauungsplans. Es liege auch keine Gefälligkeitsplanung vor. Der Gebietsprägungserhaltungsanspruch sei nicht verletzt, da durch den Bebauungsplan nur eine moderate Nachverdichtung zugelassen werde. Die Antragstellerin könne sich ohnehin nicht auf diesen berufen, da die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans lägen. Der Bebauungsplan sei auch nicht abwägungsfehlerhaft. Das Vorhaben entspreche den Festsetzungen des neuen Bebauungsplans. Es liege auch bei Beurteilung des Vorhabens nach der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans keine Verletzung in drittschützenden Vorschriften vor. Die Festsetzungen über die Grundflächenzahl seien nicht nachbarschützend. Das Vorhaben halte auch die Baugrenzen und Abstandsflächen der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans ein. Die Festsetzungen über die Dachgestaltung seien ebenfalls nicht drittschützend. Aus der Festsetzung über die Gebäudebreite lasse sich ebenso kein Drittschutz entnehmen, insbesondere nicht für Planfremde. Die Vorgaben des Art. 47 BayBO und der Stellplatzsatzung seien nicht drittschützend. Schließlich sei das Vorhaben auch nicht rücksichtslos. Insbesondere solle das Vorhaben bis auf einen geringen Teil des von der Grundstücksgrenze zurückgesetzten Zwerchgiebels nicht auf der Höhe der Grundstücke FlNrn. 1531/3 und 2190/20, sondern südwestlich von den Grundstücken der Antragstellerin auf der Höhe des Grundstücks FlNr. 2190/19 realisiert werden. Das nordöstliche Hauseck der geplanten Bebauung auf dem Vorhabensgrundstück liege in ca. 20 m Entfernung zum südwestlichen Hauseck der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 2190/20. Bei derart großen Abständen seien keine unzumutbaren Beeinträchtigungen durch das Vorhaben zu befürchten.
Die Beigeladene äußerte sich nicht im Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im zugehörigen Klageverfahren M 1 K 21.5269, und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin hat keinen Erfolg, da er unbegründet ist.
a) Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens ganz oder teilweise anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung darüber, welches der Interessen – das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und das Interesse des Nachbarn an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs – höher zu bewerten ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85 ff.). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Hoppe, a.a.O., § 80 Rn. 85 ff.). Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
b) Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
c) Gemessen daran überwiegt das Vollzugsinteresse dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Die Klage der Antragstellerin bleibt nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos, da sie unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid vom 23. August 2021 – die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung – ist rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
aa) Die Antragstellerin kann sich nicht auf etwaige drittschützende Festsetzungen des Bebauungsplans berufen, da sie selbst nicht Eigentümerin eines Grundstücks im Planbereich ist.
(1) Die Regelung des § 30 BauGB, wonach im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans ein Vorhaben zulässig ist, wenn es dessen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist, ist selbst nicht drittschützend. Jedoch können die Festsetzungen des Bebauungsplans und auch die Vorschrift des § 15 Abs. 1 BauNVO als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots drittschützenden Charakter haben (Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Aufl. 2019, § 30 Rn. 31). Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet; der Hauptanwendungsfall dafür sind die Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung (BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 5). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, U.v. 11.5.1989 – 4 C 1/88 – juris Rn. 43).
Die im Eigentum der Antragstellerin stehenden Grundstücke FlNrn. 1531/3 und 2190/20 liegen nicht im Planbereich, sodass die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 89 ihr gegenüber bereits dem Grunde nach keine nachbarschützende Wirkung entfalten können.
Gemäß § 9 Abs. 7 BauGB setzt der Bebauungsplan die Grenzen seines räumlichen Geltungsbereichs fest. Die Festsetzung des räumlichen Geltungsbereichs darf nicht widersprüchlich sein, und sie muss eindeutig bestimmt oder zumindest bestimmbar sein (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 142. EL Mai 2021, § 9 Rn. 284). Enthält der Bebauungsplan eine zeichnerische Darstellung auf einer Karte mit großem Maßstab, wird sich in der Regel die Grenze des Geltungsbereichs aus der Karte ergeben (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Aufl. 2019, § 9 Rn. 231). Die Festsetzung kann durch Planzeichen in der zeichnerischen Darstellung des Bebauungsplans erfolgen, die sich nach der Verordnung über die Ausarbeitung der Bauleitpläne und die Darstellung des Planinhalts (Planzeichenverordnung – PlanZV) richten. Gemäß § 2 Abs. 1 PlanZV sollen die in der Anlage zur PlanZV enthaltenen Planzeichen verwendet werden. Bereits der Wortlaut der Vorschrift lässt erkennen, dass die Gemeinde nicht an die Vorgaben der PlanZV gebunden ist. Den Gemeinden steht es frei, auch andere Zeichen zu verwenden, wobei die Bedeutung der zeichnerischen Festsetzung durch Auslegung zu ermitteln ist (BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 1 ZB 16.1905 – juris Rn. 6).
Eine derartige Auslegung unter Zugrundelegung der zeichnerischen Darstellung ergibt zweifelsfrei, dass das Grundstück FlNr. 1531/3 der Antragstellerin nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegt. Die Antragsgegnerin hat sich zur Darstellung der Grenze des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans an Ziffer 15.13. der PlanZV orientiert. Insoweit geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Grenze des Geltungsbereichs durch die dünne durchgezogene Linie der Blocklinie beschrieben ist (BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 1 ZB 16.1905 – juris Rn. 8 m.w.N.). Danach bestehen hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die Grundstücke der Antragstellerin zum Planbereich gehören. Die dünne durchgezogene Linie verläuft an der südlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks FlNr. 1531/2 und regelt, dass der Bebauungsplan in nördlicher Richtung mit dem Grundstück FlNr. 1531 enden soll. Die Planlinie nimmt gerade nicht den nach Nordost spitz zulaufenden Grenzverlauf des Grundstücks FlNr. 1531/3 auf.
Das weitere im Eigentum der Antragstellerin stehende Grundstück FlNr. 2190/20 liegt ebenfalls nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans. Ein solches wird auch von der Antragstellerin nicht behauptet.
(2) Damit scheidet auch die Geltendmachung des sog. Gebietserhaltungsanspruchs aus. Danach sind die Festsetzungen von Bebauungsplänen über die Art der baulichen Nutzung generell nachbarschützend, ohne dass es auf die Zumutbarkeit der plangebietswidrigen Nutzung für den Nachbarn ankäme (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris). Der Gebietserhaltungsanspruch besteht indes nur innerhalb des Baugebiets (BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 5). Im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass durch das Vorhaben eine gebietsfremde Nutzung zugelassen würde. Die hier genehmigte Wohnnutzung entspricht vielmehr dem im Plangebiet festgesetzten allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO.
(3) Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Wahrung der typischen Prägung des Gebiets (sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruch). Unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch überhaupt denkbar ist (dahingehend zwar BVerwG, B.v. 13.5.2002 – 4 B 86/01 – juris Rn. 7), kann sich die Antragstellerin auch auf diesen Anspruch schon mangels Eigentum im Baugebiet nicht berufen. Im Übrigen sind gebietsfremde Nutzungen durch das Vorhaben nicht zu besorgen (s.o.).
(4) Schließlich kann sich die Antragstellerin auch nicht auf nachbarschützende Festsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in Form der festgesetzten Grundflächenzahlen, der Baufenster und der Dachform berufen.
Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich nicht drittschützend (BayVGH, B.v. 13.10.2021 – 9 CS 21.2211 – juris Rn. 30). Ob Festsetzungen auf der Grundlage der §§ 16 ff. und des § 23 BauNVO ausnahmsweise auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3). Entscheidend ist, ob der Ortsgesetzgeber mit den Planausweisungen nicht nur städtebauliche Ziele verfolgen, sondern auch (einzelne) Grundeigentümer schützen oder begünstigen wollte (OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 16.6.2016 – 2 A 33/15 – juris Rn. 18).
Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung nach dem Willen des Satzungsgebers ausnahmsweise auch zum Schutz der Bebauung auf dem außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstück der Antragstellerin erfolgt wären, lassen sich den vorgelegten Akten nicht entnehmen.
(5) Auf die Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans Nr. 89 in seiner neuen oder aktuell geltenden Fassung kam es demnach nicht an.
bb) Nach summarischer Prüfung verletzt das Vorhaben auch nicht das Gebot der Rücksichtnahme.
Der Nachbarschutz eines außerhalb der Grenzen des Plangebiets belegenen Grundstückseigentümers bestimmt sich nur nach dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme (BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 1.7.2009 – 14 ZB 07.1727 – juris Rn. 5). Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessenabwägung ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris Rn. 7). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Diese Umstände müssen im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einfließen (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O).
Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann etwa in Betracht kommen, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens das Wohngebäude des Nachbarn „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab. Eine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38).
Danach verletzt das Vorhaben der Beigeladenen nach summarischer Prüfung nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Zulassung des Zweifamilienhauses mit Tiefgarage die Antragstellerin in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würde. Derartiges hat auch die Antragstellerin nicht vorgetragen. Das geplante Vorhaben hat bei einer Außenwandhöhe von 8,08 m und einer Gesamtlänge einschließlich der Terrassen von 23,99 m keine erdrückende oder einmauernde Wirkung. Zudem hält das Vorhaben nach summarischer Prüfung des Abstandsflächenplans die Abstandsflächen ein. Die sich nach der Wandhöhe bemessende Abstandsfläche, Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO, beträgt gem. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 0,4 H, mindestens jedoch 3 m. Das Vorhaben der Beigeladenen muss zum Grundstück der Antragstellerin hin die Mindestabstandsfläche von 3 m einhalten. Denn H=0,4 beträgt lediglich 2,16 m, errechnet aus einer Wandhöhe von 3,75 m zuzüglich einem Drittel der Dachhöhe von 4,99 m, Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO. Der Grenzabstand nach Nordosten beträgt an der schmalsten Stelle (nördliche Kante der ostseitigen Außenwand) ca. 5 m. Im Übrigen hat die Antragstellerin hierzu selbst keine Bedenken vorgebracht. Insoweit gilt für den Fall, dass ein Vorhaben den bauordnungsrechtlich nach Art. 6 BayBO für eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung erforderlichen Abstand zu dem Nachbargrundstück einhält, dass darüber hinaus für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr besteht. Auch wenn die Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht in jedem Fall davon abhängt, ob die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eing,ehalten sind, kommt dem aber durchaus eine indizielle Bedeutung zu und ist bei deren Einhaltung grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt ist (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Im Rahmen der Gesamtbetrachtung ist weiterhin zu berücksichtigen, dass das Vorhaben deutlich versetzt zum Wohngebäude der Antragstellerin geplant ist. Der Abstand zwischen dem nordöstlichen Eck der geplanten Bebauung und dem südwestlichen Eck des Wohnhauses der Antragstellerin beträgt nach dem Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin ca. 20 m. Bei derartigen Abständen kann eine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragstellerin durch das Vorhaben nicht angenommen werden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Dabei entsprach es der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sich diese nicht durch Stellung eines Antrags einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, vgl. § 154 Abs. 3 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs. Es erscheint angemessen, den für die Hauptsache anzunehmenden Streitwert von EUR 10.000,00 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.


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