Baurecht

Nachbareilantrag gegen die Baugenehmigung für einen Mobilfunksendemast

Aktenzeichen  1 CS 21.2410

Datum:
16.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41387
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35
BayBO Art. 60 S. 1 Nr. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 80 Abs. 5
BEMFV § 4
UmwRG § 2 Abs. 1, § 3

 

Leitsatz

1. Die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die immissionsfachlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Funkanlage des Mobilfunkmastes auf die Nachbarschaft sind der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 BEMFV unterworfen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Standortbescheinigung stellt einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung dar. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das UmwRG privilegiert die Verbandsklage; nur anerkannte Vereinigungen, nicht aber sonstige Kläger sind von der Geltendmachung einer Verletzung eigener Rechte befreit. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 SN 21.3941 2021-08-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 30. August 2021 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Schleuderbetonmastes mit Stahlaufsatzmast. Das Vorhaben dient der Nutzung als Mobilfunksendeanlage und befindet sich im Außenbereich nach § 35 BauGB.
Der Antragsteller zu 1 ist Landwirt und Eigentümer von benachbarten landwirtschaftlich genutzten Grundstücken sowie eines in rd. 330 m von dem Standort der Mobilfunksendeanlage entfernt liegenden Wohngrundstücks, das er mit den Antragstellern zu 2 bis 4 bewohnt.
Mit Bescheid vom 15. März 2021 wurde der Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Baugenehmigung erteilt. Die Standortbescheinigung für zehn zu installierende Funkanlagen vom 30. Oktober 2020 wurde vorgelegt. Die Antragsteller haben gegen die Baugenehmigung Klage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde, und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Letzterer wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. August 2021 abgelehnt. Die Baugenehmigung verletze die Antragsteller voraussichtlich nicht in ihren Rechten. Es liege weder ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vor noch würden die Antragsteller durch das Vorhaben schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt. Die von der Bundesnetzagentur vor Betrieb der Mobilfunkanlage erteilte Standortbescheinigung stelle sicher, dass die nach der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) geltenden Grenzwerte durch entsprechende Sicherheitsabstände der Anlage zu dem Wohnhaus des Antragstellers zu 1 eingehalten werden. Der Antragsteller zu 1 sei auch weder in seiner Berufsausübungsfreiheit noch in seinem Eigentumsrecht verletzt.
Die Antragsteller beantragen,
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2021 die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 15. März 2021 anzuordnen.
Sie führen unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens aus, dass das Verwaltungsgericht, indem es seine Entscheidung auf unbelegte Aussagen des Bundesamts für Strahlenschutz gestützt habe, gegen den Amtsermittlungsgrundsatz und das Prinzip des rechtlichen Gehörs verstoßen habe. Eine Verletzung in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit könne nicht in Abrede gestellt werden. Die Rechtmäßigkeit der Grenzwerte der 26. BImSchV sei wegen der tumorwachstumsfördernden Wirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern unterhalb der Grenzwerte im Tierversuch widerlegt; bei Kindern bestehe ein erhöhtes Gesundheitsrisiko. Athermische Gesundheitsgefahren von Mobilfunksendeanlagen seien zudem nicht berücksichtigt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe dem angesichts aktuellerer Erkenntnisquellen nicht entgegen. Ihnen stehe auch in Verbindung mit dem Klimanotstand ein Recht zu, sich gegen die fortwährende Verletzung der Umweltvorschriften zur Wehr zu setzen. Zudem liege aufgrund des Eindringens der Mobilfunkstrahlung in die Innenräume des Wohnhauses ein Verstoß gegen Art. 13 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK vor.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Es fehle bereits an der Antragsbefugnis für den Eilantrag. Eine mögliche Verletzung drittschützender Rechte sei angesichts einer Entfernung des Mobilfunkmasts von jedenfalls 330 m zum Wohnhaus der Antragsteller nicht erkennbar. Die vom Mobilfunkmast (vermeintlich) ausgehenden Gesundheitsgefahren seien im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen gewesen. Vielmehr sei der Nachweis der Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV nach Erteilung der Standortgenehmigung durch die Bundesnetzagentur erbracht worden. Auch Art. 60 BayBO sehe ein Prüfung schädlicher Umwelteinwirkungen nicht vor, da eine Konzentrationswirkung zugunsten der Baugenehmigung im Sinn des Art. 60 Abs. 1 Nr. 3 BayBO durch das Immissionsschutzrecht (insbesondere die BEMFV) nicht angeordnet sei. Die Einhaltung der in der 26. BImSchV festgelegten Immissionsgrenzwerte für Hochfrequenz- und Niederfrequenzanlagen sei nach § 4 BEMFV durch die Standortbescheinigung nachzuweisen. Eine Prüfungskompetenz der Baugenehmigungsbehörde für die im Zusammenhang mit § 4 BEMVF stehenden Fragen sei nicht eröffnet, auch nicht im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme. Gesundheitsbezogene Einwendungen sowie die Frage, ob der Bundesgesetzgeber- bzw. verordnungsgeber seiner Pflicht zur Prüfung gegebenenfalls notwendiger weitergehender Schutzmaßnahmen nachgekommen sei, könnten nur im Rahmen einer Klage gegen die Standortbescheinigung geklärt werden.
Die Antragsteller haben mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 22. November 2021 weiter ausgeführt.
Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten des Eilverfahrens und des Hauptsacheverfahrens sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Schleuderbetonmastes mit Stahlaufsatzmast vom 15. März 2021 im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antrag ist bereits wegen fehlender Antragsbefugnis der Antragsteller nach § 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung unzulässig.
Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Ist der Kläger nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritter betroffen, so ist für die Klagebefugnis erforderlich, dass er die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist und die Verletzung dieser Vorschrift zumindest möglich erscheint. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2016 – 4 B 13.16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Prüfungsgegenstand bei einem Nachbarrechtsbehelf sind nur die drittschützenden Normen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren. Diese die Klagebefugnis betreffende Regelung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80, § 80a VwGO entsprechend anwendbar (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 73).
Gemessen an diesen Maßgaben fehlt es an der Antragsbefugnis der Antragsteller, da der Mobilfunkmast in einer Entfernung von rd. 330 m vom Wohnhaus der Antragsteller errichtet wird. Soweit die Antragsteller sich darauf berufen, dass von dem Mobilfunkmast gesundheitsschädigende Wirkungen ausgehen und das Verwaltungsgericht darauf eingeht, machen sie schädliche Umwelteinwirkungen und damit immissionsschutzrechtliche Belange geltend, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen waren. Zwar ist bei dem hier maßgeblichen Prüfungsumfang der Baugenehmigungsbehörde nach Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO auch die Prüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit den §§ 29 bis 38 BauGB vorgeschrieben und damit auch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB hineinzulesende Gebot der Rücksichtnahme. Die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind jedoch aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen. Das Immissionsschutzrecht ordnet eine Konzentrationswirkung zugunsten der Baugenehmigung im Sinn des Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO nicht an. Auch das Bauordnungsrecht selbst enthält keine Vorschrift, die der Baugenehmigung eine Konzentrationswirkung zuweist (vgl. Lechner in Busse/Kraus, BayBO, Stand Mai 2021, Art. 60 Rn. 17). Die immissionsfachlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Funkanlagen des Mobilfunkmastes auf die Nachbarschaft sind daher der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 BEMFV unterworfen (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2017 – 1 ZB 15.2081 – juris Rn. 6; B.v. 8.6.2015 – 1 CS 15.914 – juris Rn. 13). Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung (hier vom 30.10.2020) darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden (§ 4 Abs. 1 BEMFV). Zuwiderhandlungen sind als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen (§ 15a BEMFV). Die von den Antragstellern angenommene Gefahrensituation hat demnach nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern die hierfür ausschließlich zuständige Bundesnetzagentur zu prüfen. Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs; sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 21 CS 03.1053 – BayVBl 2004, 660 m.w.N.).
Nach alledem können die Antragsteller ihre diesbezüglichen gesundheitsbezogenen Einwendungen einschließlich des Vortrags, die Grenzwerte der 26. BImSchV seien rechtswidrig bzw. aufgrund neuer Forschung als überholt anzusehen, nur im Rahmen der von ihnen bereits erhobenen Klage gegen die Standortbescheinigung klären lassen. Auf die von den Antragstellern erhobenen Vorwürfe, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen und ihr rechtliches Gehör verletzt, kommt es daher nicht an. Im Übrigen haben die Antragsteller ihre sachlichen Einwände im Beschwerdeverfahren vortragen können (vgl. BVerfG, B.v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – NJW 2020, 534).
Eine Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht aufgrund der geltend gemachten Verletzung von Art. 13 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. aus dem verfassungsrechtlich verankerten Umweltschutz als Staatsziel oder im Hinblick auf die EG-RL 2003/35/EG. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Soweit die Antragsteller eine mangelhafte Umsetzung der EG-Richtlinie geltend machen und eine Gleichstellung mit einer anerkannten inländischen oder ausländischen Umweltvereinigung nach dem UmwRG fordern, trifft dies nicht zu. Das UmwRG privilegiert nur die Verbandsklage. § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG befreit allein nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigungen, nicht aber sonstige Kläger von der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2019 – 7 C 2.18 – BVerwGE 167, 147).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung. Die Abänderung des Streitwerts erster Instanz beruht auf § 63 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben