Baurecht

Nachbareilantrag, Natürliche Geländeoberfläche i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO, Missbräuchliche Veränderung durch Aufschüttung (verneint), Verstoß gegen das Rücksichtnahmeverbot (verneint)

Aktenzeichen  M 8 SN 21.5061

Datum:
29.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35288
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BauGB § 212a
BayBO Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Der Antragsteller ist Miteigentümer des Grundstücks …weg 22, FlNr. …, Gemarkung … (im Folgenden: Nachbargrundstück), das mit einer zweigeschossigen Doppelhaushälfte (E + I) bebaut ist, die westlich unmittelbar an die zweite Hälfte des Doppelhauses auf dem Grundstück …weg 20, FlNr. …, Gemarkung …, angrenzt und an ihrer östlichen Seite einen erdgeschossigen Anbau aufweist, der sich bis zur Garage erstreckt, die an die östliche Grundstücksgrenze angebaut ist.
Das unmittelbar südlich gelegene Grundstück …weg 21, FlNr. …, Gemarkung … (im Folgenden: Baugrundstück), ist ebenfalls mit einer zweigeschossigen Doppelhaushälfte (E + I), die westlich unmittelbar und profilgleich an die zweite Hälfte des Doppelhauses auf dem Grundstück …weg 19, FlNr. …, Gemarkung …, angrenzt, sowie einer Garage an der östlichen Grundstücksgrenze bebaut. Die Errichtung der auf dem streitgegenständlichen Grundstück bestehenden Doppelhaushälfte beruht auf einer Baugenehmigung vom 7. Juni 1961.
Am 7. Mai 2019 beantragten die Beigeladenen bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung der Doppelhaushälfte auf dem streitgegenständlichen Grundstück nach PlanNr. … Vorgesehen war dabei insbesondere ein zweigeschossiger, im Vergleich zum Bestandsgebäude höhengleicher Anbau an die vorhandene Doppelhaushälfte in Richtung Osten, der sich nach Norden eingeschossig über die bisherige nördliche Außenwand hinaus fortsetzt. Auf dem (Flach-)Dach dieses erdgeschossigen Bauteils soll eine (Dach-)Terrasse entstehen.
Mit Bescheid vom 11. September 2019 erteilte die Antragsgegnerin den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung der Doppelhaushälfte auf dem streitgegenständlichen Grundstück nach PlanNr. …
Nachdem Abweichungen der genehmigten Planunterlagen zu den tatsächlichen Gegebenheiten auf dem streitgegenständlichen Grundstück festgestellt wurden, beantragten die Beigeladenen am 25. Juni 2020 die Genehmigung eines Änderungsantrags zum bisherigen Bauantrag betreffend den Umbau und die Erweiterung der Doppelhaushälfte nach PlanNr. …
Vgl. zum geplanten Bauvorhaben und zu seiner Umgebung folgenden Lageplan im Maßstab 1:1000 (aufgrund Einscannens ggf. nicht mehr maßstabsgetreu):
Mit Bescheid vom 30. Juli 2020 genehmigte die Antragsgegnerin den Änderungsanttrag der Beigeladenen vom 25. Juni 2020 nach PlanNr. … für den Umbau und die Erweiterung der Doppelhaushälfte auf dem streitgegenständlichen Grundstück.
Am 21. August 2020 erhob der Antragsteller Klage gegen diese Änderungsgenehmigung vom 30. Juli 2020 (M 8 K 20.3850). Über diese Klage ist noch nicht entschieden. Auf entsprechenden Antrag des Antragstellers wurde die aufschiebende Wirkung der Klage mit Beschluss vom 19. November 2020 angeordnet (M 8 SN 20.4349), da die dem Antragsteller zugewandte nördliche Außenwand die Vorgaben des Art. 6 BayBO nicht einhalte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos (Beschluss vom 18. März 2021, Az. 2 CS 20.2852). Auf die den Beteiligten genannten Entscheidungen und ihre Begründung wird verwiesen.
Mit Bescheid vom 15. März 2021 genehmigte die Antragsgegnerin Änderungsanträge vom 15. Dezember 2020 und 16. Februar 2021 nach PlanNr. … und erteilte insbesondere eine Abweichung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen zum Nachbargrundstück. Über die hiergegen gerichtete Klage ist noch nicht entschieden (M 8 K 21.1819). Auf entsprechenden Antrag des Antragstellers wurde die aufschiebende Wirkung der Klage mit Beschluss vom 23. April 2021 (M 8 SN 21.1816) angeordnet, da die erteilte Abweichung von Abstandsflächen rechtswidrig sei. Auf den Beschluss und seine Begründung wird verwiesen.
Am 7. Mai 2021 beantragten die Beigeladenen die Genehmigung eines Änderungsantrags zum bisherigen Bauantrag betreffend den Umbau und die Erweiterung der Doppelhaushälfte nach PlanNr. … Die nördliche Außenwand des Bestandsgebäudes wurde nach den zur Genehmigung gestellten Pläne in einer Tiefe von 0,3 m bis zur geplanten Erweiterung eingeschnitten, sodass der Schnittpunkt der Dachhaut mit der Außenwand dort auf einer Höhe von 5,63 m liegt. Nach dem Einschnitt erhöht sich die Außenwand um 0,3 m, sodass hier der Schnittpunkt der Dachhaut mit dieser bei 5,93 m liegt. Außerdem wurden Veränderungen in der Fassadenöffnung aufgenommen.
Mit Bescheid vom 23. August 2021 genehmigte die Antragsgegnerin den Änderungsantrag der Beigeladenen nach PlanNr. …
Am 22. September 2021 erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen die Änderungsgenehmigung vom 23. August 2021 (M 8 K 21.5060). Über diese Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 22. September 2021 wird außerdem beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 23.08.2021 (Az.: …*) anzuordnen.
Der Bevollmächtigte des Antragsstellers führt zur Begründung aus, die Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid würde Erfolg haben, da die Baugenehmigung vom 23. August 2021 wegen Verstoß gegen geltendes Abstandsflächenrecht und wegen Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot rechtswidrig sei. Im Bereich der nördlichen Außenwand des Anbaus werde in den Bauvorlagen das bestehende Gebäude mit – 0,47 angegeben. Aus dem Vermessungsplan des Vermessers der Beigeladenen sei jedoch erkennbar, dass das Urgelände in diesem Bereich -0,8 betragen habe. Bei dem in den Bauvorlagen bezeichneten Gelände handele es sich um eine Aufschüttung. Bei der Berechnung der Wandhöhe hätten Veränderungen des natürlichen Geländes, die zu einer geringeren Wandhöhe führen, unberücksichtigt zu bleiben. Daraus ergebe sich eine Wandhöhe für die nördliche Außenwand des Anbaus von 3,7 m. Der Abstand der nördlichen Außenwand des Anbaus zur Grundstücksgrenze betrage laut Bauvorlagen jedoch nur 3,49 m. Die nördliche Außenwand des Anbaus unterschreite daher die gesetzlich erforderlichen Abstandsflächen zu dem Grundstück um 0,21 m. Das Bauvorhaben sei rücksichtslos. Das Wohngebäude des Antragstellers liege mehr als 1 m tiefer als das Gebäude des Beigeladenen. Das Bauvorhaben erstrecke sich nahezu entlang der gesamten gemeinsamen Grundstücksgrenze. Diese Lageverhältnisse würden zu einer nahezu vollständigen Verschattung führen. Das Bauvorhaben führe zu einem Eingriff in die Privatsphäre des Antragstellers durch die Schaffung neuer Einblickmöglichkeiten durch die entstehende Dachterrasse und neuer Fensteröffnungen. Adäquate Sichtschutzmaßnahmen seien durch die unterschiedliche Höhenlage unmöglich. Durch die Situierung des Hauseingangs auf der Nordseite werde die städtebauliche Konzeption einer zwischen den Häuserzeilen gelegenen Ruhezone durchbrochen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Eilantrag abzulehnen.
Die angefochtene Baugenehmigung verletze keine Normen, die dem Schutz des Antragsstellers zu dienen bestimmt seien. Der Antragsteller könne sich insbesondere nicht auf eine Verletzung der Abstandsflächen berufen.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Er führt zur Begründung aus, die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei rechtmäßig und verstoße insbesondere nicht gegen das geltende Abstandsflächenrecht. Die in dem Bestandsplan festgestellten Höhen würden in keiner Weise die von dem Antragsteller getroffene Annahme, die der streitgegenständlichen Tektur zugrundeliegenden Vermessungen seien unzutreffend, rechtfertigen. Ausweislich des Bestandsplanes sei der nördliche Grundstücksteil der FlNr. … insgesamt uneben. Bei dem vom Antragsteller angeführten Höhenmaß von -0,8 handele es sich um eine punktuelle Messung der Geländehöhe. Hinzu komme, dass der Messpunkt -0,8 keinen Bezugspunkt habe. Schließlich sei auf den Einmessplan des Prüfsachverständigen für Vermessung … … vom 14. Oktober 2020 verwiesen, der die Geländehöhen an der maßgeblichen Wand des Anbaus mit – 0,45 bis -0,46 angebe. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege nicht vor. Die von dem Antragsteller vorgetragenen Unterschiede in der Höhenlage zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Grundstück des Antragstellers seien kein Belang, der im Rahmen des Rücksichtnahmegebots herangezogen werden könne. Das Gebot der Rücksichtnahme erstrecke sich nicht auf Belange ausreichender Belichtung, Besonnung sowie der Einsichtmöglichkeiten, denn diesen Belangen habe der Landesgesetzgeber in den Abstandsvorschriften der Bauordnung Rechnung getragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Verfahrensablaufs wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 21.5060), sowie in den Verfahren M 8 K 20.3850, M 8 SN 20.4349, M 8 K 21.1819 und M 8 SN 21.1816 und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 23. August 2021 ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung hat gem. § 212a Baugesetzbuch (BauGB) keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessungsentscheidung darüber, ob das Interesse des Nachbarn an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung oder das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung höher zu bewerten ist. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache sind als wesentliches, jedoch nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80a Rn. 25f.).
Verletzt die angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten, so besteht kein öffentliches Interesse an deren Vollziehung. Dagegen stellt es ein gewichtiges Indiz für das Überwiegen des Vollzugsinteresses dar, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg verspricht. Sind die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Nachbarn offen, so erfolgt eine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Gesichtspunkte (BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn die Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Vorschriften beruht, die dem Schutz des Nachbars zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
2. Dies zugrunde gelegt, überwiegt das Vollzugsinteresse der Beigeladenen das Suspensivinteresse des Antragstellers, da die Baugenehmigung vom 23. August 2021 nach der im vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen und ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich rechtmäßig ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere hält das streitgegenständliche Vorhaben die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 5a Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ein. Der ursprünglich bestehende Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften durch die nördliche Außenwand des Bestandsgebäudes ist behoben. Die durch die nördliche Außenwand des im Vergleich zum Bestandsgebäude nach Norden vorspringenden erdgeschossigen Anbaus ausgelösten Abstandsflächen liegen auf dem Baugrundstück. Weder der Vortrag des Antragstellers noch der Inhalt der Behördenakten ruft begründete Zweifel dahingehend auf, dass die in der Baugenehmigung zugrundeliegende Höhenangabe des Geländes missbräuchlich durch Aufschüttungen verändert worden ist (2.1.). Das streitgegenständliche Vorhaben ist auch nicht rücksichtslos (2.2.).
2.1. Der Antragsteller kann sich als Nachbar grundsätzlich auf die Verletzung des zum Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gem. Art. 59 Satz Nr. 1 lit. b BayBO gehörenden und dem Schutz des angrenzenden Nachbarn zu dienen bestimmten bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts berufen (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.2535 – juris Rn. 19).
Vor den Außenwänden von Gebäuden sind Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Abstandsflächen müssen gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Grundstück selbst liegen. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe, die senkrecht zur Wand zu messen ist (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Jeder versetzte Wandteil hat eine eigene Abstandsfläche, die unabhängig von der Gesamtlänge der Außenwand selbstständig zu beurteilen ist (vgl. BayVGH, U.v. 25.5.1998 – 2 B 94.2682 – BeckRS 2005, 29052; B.v. 18.8.2004 – 26 ZB 04.995 – juris Rn. 3). Die Wandhöhe ist nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Bei einem Grundstück mit geneigten Grundstücksflächen im Bereich der Grundstücksgrenzen wird die Abstandsfläche und ihre Tiefe nicht in der Schräglinie der Geländeoberfläche des geneigten Geländes gemessen; die Abstandsfläche wird vom Fußpunkt der Außenwand, d. h. von der Schnittlinie mit der Geländeoberfläche, waagrecht ermittelt und von ihren Endpunkten aus senkrecht jeweils auf das geneigte Gelände nach unten oder oben projiziert (vgl. Kraus in Busse/Kraus, BayBO, Stand: Mai 2021, Art. 6, Rn. 163). Als Geländeoberfläche gilt die Schnittlinie, die das Gelände unmittelbar mit der Außenfläche der Gebäudewand bildet (VG München, B.v. 3.7.2020 – M 1 SN 19.5089 – juris Rn. 35). Es können sich somit unterschiedliche Höhenlagen der unteren Fußpunkte der Wand ergeben, wenn das Gelände entlang der Außenwand ansteigt. Das Gesetz unterscheidet seit der Neufassung 2007 nicht mehr zwischen der festgelegten und der natürlichen Geländeoberfläche, sodass grundsätzlich auf das vorhandene Geländeniveau abzustellen ist (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5). Aufschüttungen und Abgrabungen mit und ohne Zusammenhang zum Bauvorhaben bleiben, sofern sie nicht eine längere Zeit zurückliegen, grundsätzlich unberücksichtigt, um ein missbräuchliches Vorgehen zu vermeiden bzw. einem solchen entgegenzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5; B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 – juris Rn. 7; B.v. 23.2 2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 98; OVG RhPf, B.v. 28.9.2005 – 8 A 10424/05 – juris Rn. 22).
2.1.1. Der westlichen Wandteil der nördlichen Außenwand, der durch die nördliche Außenwand des Bestandsgebäudes gebildet wird, hält die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 und Abs. 5 Satz 1 BayBO ein. Die Höhe des westlichen Wandteils der nördlichen Außenwand bemisst sich nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO vom Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut. Durch den Einschnitt in die Außenwand des Bestandes werden zwei solche Schnittpunkte gebildet. Im Schnitt 1-1 ist der erste Schnittpunkt als „Oberkante Traufe 1 neu“ mit 5,63 m vermaßt. Die Höhe der Geländeoberfläche ist dort mit -0,3 m angegeben. H beträgt daher 5,93 m. Der Grenzabstand beträgt hier 5,99 m (vermaßt). Der zweite Schnittpunkt „Oberkante Traufe 2 neu“ liegt bei 5,93 m. Die Höhe der Geländeoberfläche ist dort mit -0,3 m angegeben. H entspricht damit 6,23 m. Der Grenzabstand beläuft sich auf 6,29 m (5,99 + 0,3 m). Die Anforderungen der Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 und Abs. 5 Satz 1 BayBO sind erfüllt.
2.1.2. Die nördliche Außenwand des nach Norden vorspringenden erdgeschossigen Anbaus hat nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO eine Höhe von 3,37 m. Dies ergibt sich aus der Höhe der „Oberkante Traufe“ von 2,9 m (vermaßt im Schnitt 2-2 sowie in der Nordansicht) und dem Gelände, das diese Außenwand schneidet, mit einer Höhe von -0,47 m (Schnitt 2-2 und Nordansicht). Daraus ergibt sich eine Abstandflächentiefe von 3,37 m. Der Grenzabstand beträgt hier 3,49 m (vermaßt im Schnitt 2-2).
Das Vorbringen, das Gelände sei in der Schnittstelle der Außenwand dieses erdgeschossigen Anbaus aufgeschüttet worden, sodass die in den Bauplänen eingezeichneten Höhenangaben zu Lasten des Antragstellers unrichtig sind, verfängt nicht. Das erkennende Gericht legt dabei zunächst zugrunde, dass im Grundsatz – sowohl für die Behörde im Baugenehmigungsverfahren als auch das Gericht – zunächst davon ausgegangen werden kann, dass die tatsächliche und die natürliche Geländeoberfläche identisch sind (vgl. OVG RhPf, B.v. 28.9.2005 – 8 A 10424/05 – juris Rn. 22). Diese Vermutung ist widerlegt, wenn eine nicht längere Zeit zurückliegende Veränderung offenkundig ist oder die Beteiligten eine Veränderung glaubhaft machen. Daran fehlt es vorliegend. Dass die Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück, insbesondere an der Stelle, an der die Außenwand des im Norden anschließenden eingeschossigen Anbaus mit der Geländeoberfläche, im Zusammenhang dem Bauvorhaben oder in sonstiger missbräuchlicher Art und Weise verändert worden wäre, ergibt sich nicht. Der Antragsteller stützt seine Begründung maßgeblich darauf, dass in dem Vermessungsplan des Dipl. Ing. Vermessung … … vom 17. September 2019 das Urgelände in diesem Bereich mit -0,8 angegeben worden sei, sodass das bestehende Gelände mit -0,47 auf einer Aufschüttung beruhen müsse. In dem besagten Vermessungsplan wurde im Bereich zwischen der nördlichen Außenwand des Bestandsgebäudes und der gemeinsamen Grundstücksgrenze zwar punktuell ein Wert von -0,8 gemessen. Der Vermessungsplan trifft jedoch keine Aussage hinsichtlich der für die Tiefe der Abstandsfläche der betroffenen Außenwand maßgeblichen Geländehöhe, da – die Tiefe des geplanten eingeschossigen Anbaus zugrunde gelegt (2,8 m vermaßt, Ostansicht) -, der Punkt ca. 0,8 m weiter nördlich zu liegen kommt (abgegriffen). Vorbringen dazu, dass zwischen Erstellung des Vermessungsplans und der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung Veränderungen beobachtet oder dokumentiert wurden, fehlen. Überdies war ein Vertreter der Antragsgegnerin am 12. Mai 2020 – wie sich aus einer Aktennotiz vom 13. Mai 2020 ergibt – auf dem Baugrundstück (Vermerk: Geländeabfall ca. -0,7 m OKFF). Die Antragsgegnerin kennt somit die Verhältnisse auf dem Baugrundstück; offensichtlich wurden auch keine (missbräuchlichen) Veränderungen festgestellt. Die Antragsgegnerin hat sowohl nach erteilter Baugenehmigung vom 11. September 2019, als fälschlicherweise die Geländehöhe (-0,25 m) aus den Bestandsbaueingabeplänen der Baugenehmigung von 1961 zugrunde gelegt wurde, als auch bei den Baueingabeplänen vom 27. Mai 2020, die wiederum eine Geländehöhe von -0,25 m berücksichtigte, darauf hingewirkt, dass den Bauvorlagen die tatsächliche Höhe der Geländeoberfläche zugrunde gelegt wird. Das Gelände wurde zudem am 14. Oktober 2020 erneut von Dipl.Ing. … … vermessen. Dem Einmessplan lag hierbei die Planung des Tekturantrags nach PlNr. … zugrunde [diese ist hinsichtlich der Maße des nach Norden vorspringenden erdgeschossigen Anbaus identisch mit dem streitgegenständlichen Tekturantrag] und bescheinigt Geländehöhen von -0,45/-0,46 m an den für die Tiefe der Abstandsfläche der betroffenen Außenwand maßgeblichen Punkten.
2.1.3. Rein vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass der Inhalt der Baugenehmigung durch die ihm zugrundeliegende Bauvorlagen bestimmt wird, Art. 64 Abs. 2 BayBO. Dies beinhaltet auch, dass mit der Baugenehmigung nur ein Vorhaben mit den dort angegebenen Geländehöhen genehmigt wurde. Sollten tatsächlich hiervon abweichende Geländehöhen vorliegen, wäre ein solches Vorhaben nicht genehmigt und eine Verletzung von Nachbarrechten insoweit ausgeschlossen.
2.2. Das Vorhaben verstößt auch nicht zu Lasten des Antragstellers gegen das Rücksichtnahmegebot. Die von dem Vorhaben ausgehende Verschattungswirkung ist gegenüber dem Antragsteller nicht rücksichtslos. Zudem entstehen durch das Vorhaben keine unzumutbaren Einsichtsmöglichkeiten.
Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbar als objektiv-rechtliche Anforderung nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn dieser qualifiziert und individualisiert betroffen ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 28). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Dabei ist darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328). Das Rücksichtnahmegebot ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22).
2.2.1. Das Bauvorhaben führt zu keiner unzumutbaren Verschattung zu Lasten des Antragstellers. Das Gebot der Rücksichtnahme schützt den Nachbarn nicht vor jeder Verschattung und jeder Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung auf seinem Grundstück. Eine Rechtsverletzung ist erst dann anzunehmen, wenn von dem der Planung zugrundeliegenden Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet regelmäßig aus, wenn – wie hier- die Abstandsflächen auf dem Baugrundstück liegen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 3.6.2016 – 1 CS 16.747, juris Rn. 7; B.v. 18.6.2018 – 1 ZB 18.696 – juris Rn.7). Eine Ausnahmesituation, die trotz Einhaltung der Abstandflächen einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot rechtfertigen würde, liegt nicht vor. Die streitgegenständliche Planung sieht eine zweigeschossige Erweiterung nach Osten und einen eingeschossigen Anbau nach Norden vor. Wie von einem eingeschossigen Anbau eine unzumutbare Verschattung eines in ca. 15 m Entfernung liegenden Gebäudes ausgehen soll, erschließt sich nicht. Durch die Erweiterung des Gebäudes der Beigeladenen nach Osten kann schon aufgrund des Lichteinfallswinkels und eines Abstands zwischen den Gebäuden von ca. 18 m keine unzumutbare Verschattung erfolgen.
2.2.2. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass mit dem streitgegenständlichen Vorhaben Einblicksmöglichkeiten auf sein Grundstück geschaffen würden, die den sozialen Wohnfrieden erheblich störten, begründet dies vorliegend nicht die Verletzung des Rücksichtnahmegebotes.
Trifft eine Wohnnutzung auf eine vorhandene Wohnnutzung, dann kommt unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2005 – 1 ZB 05.42, BayVBl 2006, 374 – juris Rn. 19). Das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung – speziell vor jeglichen Einblicken – verschont zu bleiben (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2005, a.a.O.; Sächs. OVG, B.v. 23.2.2010 – 1 B 581/09 – juris Rn. 5). Die Möglichkeit, Einblicke in Nachbargrundstücke zu erhalten, liegt in Baugebieten in der Natur der Sache und ist von den Eigentümern und Bewohnern des Gebiets regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerwG vom 24.4.1989 NVwZ 1989, 1060; BayVGH vom 13.7.2005 Az.: 14 CS 05.1102 – juris). Es bleibt dem betroffenen Nachbarn unbenommen, durch die Anbringung eines Sichtschutzes Abhilfe gegen Einblickmöglichkeiten zu schaffen.
Der Abstand zwischen dem Gebäude des Antragstellers und des Gebäudes der Beigeladenen beträgt, auch nach dem Umbau, noch ca. 15 m, sodass nicht von unzumutbaren Einblickmöglichkeiten auszugehen ist.
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Antragsteller aufzulegen, da sie einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko der §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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