Aktenzeichen M 8 K 20.6692
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags, für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die streitgegenständliche Baugenehmigung keine drittschützenden Rechte der Klägerin verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist insbesondere klagebefugt, § 42 Abs. 2 VwGO.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) grundsätzlich baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG geltend machen kann, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht (BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – juris; B.v. 1.3.2018 – 1 CS 17.2539 – juris Rn. 3). Rechte, die das Gemeinschaftseigentum betreffen‚ können nur von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und nicht von den einzelnen Wohnungseigentümern beansprucht werden (BayVGH‚ B.v. 27.7.2017 – 1 CS 17.918 – juris Rn. 3; B.v. 1.3.2018 – 1 CS 17.2539 – juris Rn. 3).
Das Sondereigentum der Klägerin liegt dem Bauvorhaben gegenüber, sodass eine Verletzung drittschützender Rechte, zumindest im Hinblick auf den von der Klagepartei geltend gemachten Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot, nicht von vornherein ausgeschlossen ist.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20; B.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 21). Die Rechtswidrigkeit der Genehmigung muss sich zudem aus einer Verletzung von Vorschriften ergeben, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
Die Klägerin kann sich weder auf die Verletzung drittschützenden Abstandsflächenrechts berufen (Ziffer 2.1.), noch ist das Gebot der Rücksichtnahme verletzt (Ziffer 2.2.).
2.1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt nicht zu Lasten der Klägerin gegen drittschützendes Abstandsflächenrecht. Die Beigeladene durfte insbesondere die Privilegierung für Giebelflächen des Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO in Anspruch nehmen.
2.1.1. Soweit eine Baugenehmigung die Abstandsflächenvorschriften nicht einhält, kann der Nachbar in seinen Rechten verletzt sein. Die Regelungen des Art. 6 BayBO sind in ihrer Gesamtheit auch dem Schutz der angrenzenden Nachbarn zu dienen bestimmt, da sie auch die ausreichende Belichtung, Besonnung, Belüftung und den Brandschutz der vorhandenen und zukünftigen Nachbargebäude gewährleisten sollen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.1991 – 2 CS 91.2446 – BeckRS 1991, 9074; B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.2535 – BeckRS 2005, 17740; Dirnberger in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 66 Rn. 258 m.w.N.).
2.1.2. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten. Die Abstandsflächen müssen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Grundstück selbst liegen. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe, die senkrecht zur Wand zu messen ist (vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO). Die Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand (vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO). Die Höhe der Giebelflächen im Bereich des Dachs wird bei Dachneigung von mehr als 70 Grad voll, im Übrigen zu einem Drittel angerechnet, vgl. Art. 6 Abs. 5a Satz 3 BayBO. Weist die Außenwand eines Gebäudes auf verschiedenen Geschossen Vor- und Rücksprünge auf, muss für diesen versetzten Wandteil eine Außenwand, fiktiv nach unten bis zum Schnitt mit der Geländeoberfläche konstruiert werden. Von diesem fiktiven Schnitt mit der Geländeoberfläche ist dann die Abstandsfläche zu messen (vgl. BayVGH, U.v. 20.12.1988 – 20 B 88.00137 – BayVBl. 1989, 721; B.v. 11.11.2015 – 2 CS 15.1251 – juris Rn. 4). Abweichend von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsfläche gem. Art. 6 Abs. 5a Satz 1 BayBO in Gemeinden mit – wie hier – mehr als 250.000 Einwohnern außerhalb von Gewerbe-, Kern- und Industriegebieten sowie festgesetzten urbanen Gebieten 1 H, mindestens jedoch 3 m. Vor zwei Außenwänden, die jeweils nicht länger als 16 m sind, genügt nach Art. 6 Abs. 5a Satz 2 BayBO 0,5 H, mindestens 3 m, sog. 16 m – Privileg.
2.1.3. Die der Baugenehmigung zugrundeliegende Abstandsflächenberechnung für die dem Grundstück der Klägerin gegenüberliegende westliche Außenwand ist nicht zu beanstanden. Ausweislich der genehmigten Bauvorlagen sieht die Planung vor, dass zu der westlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks eine Abstandsflächentiefe von 1 H eingehalten wird. Die von der Beigeladenen angesetzte Abstandsflächentiefe von 7,19 m ergibt sich aus der Höhe des Traufpunkts 6,11 m (vermaßt) und dem Gelände, das diese Außenwand schneidet, mit einer Höhe von + 0,11 m (vermaßt) und einem Drittel der Höhe des Wandteils im Bereich des Dachgeschosses [1/3 x 3,57 m (vermaßt) ]. Die am weitesten vor die Gebäudeaußenwand ragende Einzelabstandsfläche ist die für den Wandteil maßgebliche Abstandsfläche. Dies führt vorliegend dazu, dass die maßgebliche Abstandsfläche der westlichen Außenwand des Bauvorhabens die von der im Dachgeschoss zurückgesetzten, übergeordneten Wandfläche gebildete, fiktiv bis zur Geländeoberfläche konstruierte Außenwand, ist. Der Abstand zur westlichen Grundstücksgrenze beträgt hier 7,37 m [6,22 m (vermaßt) + 1,15 m (Rücksprung der Dachgeschossebene) (vermaßt) ].
Der Wandteil im Bereich des Dachgeschosses erfüllt die Voraussetzungen an eine Giebelfläche i.S.d. Privilegierung nach Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO. Die Höhe von Giebelflächen im Bereich des Dachs kann gem. Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO bei einer Dachneigung bis 70 Grad zu mit dem Drittel angesetzt werden. Unter einem Giebel versteht man den meist dreieckigen Teil der Wand, in der Regel auf der Schmalseite des Gebäudes, der auf zwei Seiten von Schnittlinien der Wand mit den Dachflächen eines Satteldachs begrenzt wird (Kraus in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 6 Rn. 385; BayVGH, B.v. 9.2.1994 – 26 CS 93.3437 – juris Rn. 18). Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Wand mit den Dachflächen eines Satteldachs begrenzt wird, das auf Höhe von 3,57 m (vermaßt) ab Traufhöhe abgeschnitten (bzw. auf eine Dachneigung von 7 Grad abgeflacht) wurde, sodass die Dachfläche zumindest nicht der herkömmlichen Form einer Giebelfläche entspricht.
In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, die Regelung des Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO auch auf Wandteile anzuwenden, die zwar nicht durch die Dachschrägen eines Satteldaches begrenzt werden, aber durch Dachflächen, die sich nicht wesentlich von dieser Dachform unterscheiden oder die sich von ihr ableiten lassen (insoweit noch zu Art. 6 Abs. 3 Satz 5 BayBO 1982: BayVGH, B.v. 9.2.1994 – 26 CS 93.3437 – juris Rn. 20, zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der Drittelregelung bei Krüppelwalmdächern: OVG NRW, B.v. 23.11.1995 – 7 B 2752/95 – juris Rn. 7 mit dem Argument, dass sich Krüppelwalmdächer normalerweise auf die nachbarlichen Belange bezogen kaum anders auswirken als eine echte Giebelfläche). Sowohl nach der bisherigen Rechtsprechung als auch nach Auffassung der erkennenden Kammer muss die Anwendung der Privilegierung nur ausscheiden, wenn der Wandteil nicht mehr als Giebelfläche erscheint, weil er in einem nennenswerten, deutlich in Erscheinung tretenden Bereich nicht durch die Flächen eines Satteldaches begrenzt wird, also das den Giebel kennzeichnende Element nicht gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.1994 – 26 CS 93.3437 – juris Rn. 20, VG München, B.v. 11.11.2014 – M 8 E1 14.4665 – juris; B.v. 19.12.2014 – M 8 SN 14.4760 – juris). Wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Giebelfläche nicht gegeben sind, ist für den mit einem flachgeneigten Satteldach abgeschlossenen Mittelteil und die zwei mit einem Pultdach abgeschlossenen Seitenteile jeweils das abstandsflächenrechtlich relevante Maß i.S.d. Art. 6 Abs. 4 Satz 1, 2, Abs. 5a Satz 3 BayBO zu ermitteln und eine entsprechende Abstandsflächentiefe zur Grundstücksgrenze einzuhalten (hierzu: VG München, U.v. 28.10.2020 – M 29 K 19.1094 – n.v.).
Die Privilegierung der Giebelfläche beruht auf dem Vorhandensein einer grundsätzlich dreieckigen, sich nach oben verjüngenden Fläche. Giebelflächen wirken sich wegen ihrer nach oben verjüngenden Form in deutlich geringerem Maße auf die auch mit dem Abstandsflächenrecht bezweckten Schutz von Belichtung und Besonnung aus als eine etwa gleich hohe, aber die volle Wandbreite einnehmende Fläche (vgl. VG München, B.v. 11.11.2014 – M 8 E1 14.4665 – juris). Dieser Annahme liegt die Überlegung zugrunde, dass die Giebelfläche aus zwei Teilflächen, eine obere (objektiv weniger beeinträchtigende) Dreiecksfläche mit ca. 25% und eine untere Trapezfläche mit ca. 75%, besteht. Die Anwendung der Drittelberechnung auf den unteren Giebelteil, ist deswegen nicht gerechtfertigt, wenn dieser Wandteil keine Giebelwand im Wortsinn darstellt und der „Verjüngungseffekt“ nicht mehr vorhanden ist, weil der obere („abgeschnittene“) Teil der Giebelfläche fehlt, auf dem die Privilegierung für Giebelflächen großteils beruht. Dies würde sonst dazu führen, dass Giebelteile, die in ihrer Wirkung einer Außenwand nahezu entsprechen und sich hinsichtlich Belichtung und Belüftung am stärksten auf die Nachbarschaft auswirken, durch die Drittelregelung näher an die Grundstücksgrenze heranrücken können.
In der Rechtsprechung wurde zur Bestimmung, wann bei Krüppelwalmdächern oder „abgeschnittenen“ Satteldächern noch von einer Giebelfläche i.S.d. Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO auszugehen ist, vertreten, dass von einer Giebelfläche jedenfalls nicht mehr bei einem in halber Höhe abgeschnittenen Satteldach auszugehen ist, bei dem die obere waagrechte Begrenzungslinie die halbe Länge der unteren Begrenzungslinie hat und ein giebelähnlicher Verjüngungseffekt so kaum noch feststellbar ist. Auch ein Krüppelwalmdach mit einer entsprechend proportionierten Giebelfläche müsse im mittleren Giebelteil als höhenmäßig versetzter Wandteil beurteilt werden (vgl. VG München, B.v. 11.11.2014 – M 8 E1 14.4665 – juris Rn. 35, so auch: OVG NRW, B.v. 23.11.1995 – 7 B 2752/95 – juris Rn. 9 m.w.N.). Dieser Beurteilung schließt sich die Kammer an. Der dargestellte Ansatz stellt sicher, dass ein gewisser „Verjüngungseffekt“ und damit eine Rechtfertigung für die Anwendung der Drittelregelung vorliegt. Damit wird zudem gewährleistet, dass berechenbar bleibt, ob einer Giebelfläche die Vergünstigung des Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO zugute kommt. Die so erreichte Planungssicherheit spricht gegen eine Beurteilung der Eigenschaft als Giebelfläche in jedem Einzelfall.
Dies zugrunde gelegt, stellt der Wandteil im Bereich des Dachgeschosses eine Giebelfläche i.S.d. Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO dar. Die Wandbreite beträgt 12,4 m (vermaßt), die obere Begrenzungslinie ca. 6 m (abgegriffen). Das vorgesehene Trapez ist ca. 3,7 m hoch (abgegriffen) und beläuft sich damit auf weniger als die Hälfte der Höhe des fiktiven Giebeldreiecks, wenn man die beiden äußeren Dachhälften zu einem First verlängern würde, (ca. 6,5 m (abgegriffen) / 2 = 3,25 m).
2.1.4. Nicht entscheidungserheblich kommt es vorliegend darauf an, dass sich die Klägerin nach Auffassung der Kammer – unterstellt das Vorhaben würde die Abstandsflächenvorschriften nicht einhalten – hierauf als Sondereigentümerin nicht berufen könnte, da die Abstandsfläche nicht auf ihr Sondereigentum, sondern nur das Gemeinschaftseigentum fallen würde. Die Rechtsprechung beantwortet die Frage, wann bei der Verletzung von Abstandsflächenvorschriften eine Beeinträchtigung des Sondereigentums vorliegt, uneinheitlich. Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass ein Wohnungseigentümer Abwehrrechte wegen einer Beeinträchtigung des Sondereigentums geltend machen kann, wenn die Abstandsflächen nur auf im Gemeinschaftseigentum stehende Flächen fallen, vorausgesetzt die fragliche Wand liegt Fenstern gegenüber, die zu der im Sondereigentum stehenden Wohnung gehören (so BayVGH, B.v. 21.1.2009 – 9 CS 08.1330 – juris Rn. 2). Nach anderer Auffassung ist bei einer solchen Fallgestaltung nur das Gemeinschaftseigentum betroffen, sodass der entsprechende Verstoß nur durch die Wohnungseigentümergemeinschaft selbst gerügt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris). Der Sondereigentümer kann sich nach dieser Auffassung nur auf die Verletzung von Abstandsflächenvorschriften berufen, wenn die Abstandsflächen auf sein Sondereigentum fallen. Die Kammer ist der Auffassung, dass der Sondereigentümer eine Verletzung von Abstandsflächenvorschriften nur rügen kann, wenn das Sondereigentum direkt betroffen ist (vgl. VG München, U.v. 3.5.2010 – M 8 K 09.2304 – juris Rn. 38). Fallen die Abstandsflächen auf das Gemeinschaftseigentum, ist der Betroffene nur in seinem ideellen Anteil am Gemeinschaftseigentum tangiert, sodass klagebefugt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder in engen Grenzen der Wohnungseigentümer im Rahmen der Notgeschäftsführung ist (BayVGH, B.v. 6.11. 2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 13; B.v. 12.9.2005 – 1 ZB 05.42 – juris Rn. 23). Vorliegend würden die Abstandsflächen, selbst wenn man den Wandteil im Bereich des Dachgeschosses nicht als Giebel i.S.d. Art. 6 Abs. 5a Satz 4 BayBO qualifizieren würde, nur auf den im Gemeinschaftseigentum stehenden Zugangsweg fallen, sodass die Klägerin einen Verstoß gegen die Abstandsflächen nicht rügen könnte [Abstand des zurückgesetzten Wandteils im Bereich des Dachgeschosses und Gebäude der Klägerin: ca. 10 m (abgegriffen) ].
2.2. Das Rücksichtnahmegebot wird nicht verletzt. Es kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat.
Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbar als objektiv-rechtliche Anforderung nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn dieser qualifiziert und individualisiert betroffen ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 28). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Dabei ist darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328). Das Rücksichtnahmegebot ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22).
Nach der Rechtsprechung kommt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme dann in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (so beispielsweise in BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnanwesen). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens, seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
Dies zugrunde gelegt, scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen der Größe und Situierung des geplanten Baukörpers aus. Sowohl das Gebäude der Klägerin als auch das Bauvorhaben sind zweigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss. Das Bauvorhaben weist eine Wandhöhe von 6,11 m und eine Firsthöhe von 9,68 m auf und ist – nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins – schon nicht wesentlich höher als das Gebäude der Klägerin. Das Bauvorhaben hält zur gemeinsamen, westlichen Grundstücksgrenze eine Abstandsflächentiefe von 1 H ein. Die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften indiziert, dass ein Bauvorhaben nicht rücksichtslos ist (BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 26). Von einer einmauernden oder erdrückenden Wirkung kann keine Rede sein. Auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen einer durch das Bauvorhaben entstehenden Verschattung ist ausgeschlossen. Hierbei gilt es zu beachten, dass das Gebot der Rücksichtnahme den Nachbarn nicht von jeder (weiteren) Verschattung und jeder Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung auf seinem Grundstück schützt, sondern eine Rechtsverletzung ist erst dann anzunehmen, wenn von dem der Planung zugrundeliegenden Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7).
Im Übrigen gibt das Rücksichtnahmegebot dem Nachbarn insbesondere nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben (vgl. BayVGH, U.v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris Rn. 30 m.w.N.). Das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist – als nicht städtebaulich relevant – davon nicht umfasst (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89, NVwZ 1989, 1060; BayVGH, B.v. 14.4.2022 – 1 CS 22.622 – juris Rn. 14; B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris Rn. 6). Ein Ausnahmefall, in denen von Teilen der Rechtsprechung ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme angenommen wird, weil ein die Privatsphäre besonders beeinträchtigende, drangvolle Nähe geschaffen werden würde (BayVGH, B.v. 25.8.2015 – 1 CS 15.1411 – juris Rn. 4 m.w.N.), liegt aufgrund des Abstands der Baukörper von über 9 m und der Einhaltung der Abstandsfläche von 1 H zur gemeinsamen Grundstücksgrenze offensichtlich nicht vor.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.