Baurecht

Nachbarklage eines Sondereigentümers – Neubau eines Bürogebäudes

Aktenzeichen  W 5 K 18.1454

Datum:
8.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2020, 28813
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2
GG Art. 14
BauGB § 30 Abs. 1
BGB § 917 Abs. 1 S. 1
WEG § 8, § 15, § 43
BayBO Art. 4 Abs. 1, Art. 59
GaStellV § 2 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz schließt öffentlich-rechtliche Nachbarschutzrechte innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer ein- und desselben Grundstücks grundsätzlich aus. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern erhobene Baunachbarklage wird von den Verwaltungsgerichten wegen fehlender Klagebefugnis abgewiesen und klagende Wohnungseigentümer auf den Zivilrechtsweg verwiesen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Teileigentum als Sondereigentum an einem Gewerbe in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört, ist eine besondere Form des Miteigentums, wobei sich das Miteigentum am Grundstück nicht ohne weiteres in vollem Umfang auf die dort befindlichen Gebäude erstreckt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zwischen den an einer Wohnungseigentümergemeinschaft beteiligten Sondereigentümern, die untereinander einen Nutzungskonflikt austragen, fehlt es an einer Rechtsbeziehung, die der für das baurechtliche  Nachbarverhältnis kennzeichnenden und für die Gewährung öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes maßgeblichen “Dreiecksbeziehung” entspricht. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist unzulässig, weil der Kläger nicht i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt ist.
Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Klagebefugnis setzt voraus, dass es auf der Grundlage des Tatsachenvorbringens des Betroffenen zumindest möglich erscheint, dass dieser durch den angefochtenen Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt wird (sog. Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1993 – 4 B 206/92 – juris). Vorliegend macht der Kläger geltend, durch das Bauvorhaben der Beigeladenen als Sondereigentümer von Sondernutzungseinheiten bzw. Sondernutzungsflächen auf dem Baugrundstück in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Kläger beruft sich insoweit in erster Linie auf eine unzureichende Erschließung und eine daraus resultierende notwegerhebliche Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung, die mit einer (möglichen) Verletzung des Eigentumsrechts (Art. 14 GG) des Klägers einhergehen soll. Zudem macht er eine erdrückende Wirkung des streitgegenständlichen Bauvorhabens gegenüber den Sondernutzungseinheiten 08a, 08b und 14a des Klägers geltend. Mit diesem Vorbringen hat der Kläger die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nicht aufzeigen können. Dies ergibt sich aus den folgenden, in den Beschlüssen des Verwaltungsgerichts vom 15. April 2019 (W 5 S 19.186) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. September 2019 (9 CS 19.967) hervorgehobenen Erwägungen:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs schließt das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz öffentlich-rechtliche Nachbarschutzrechte innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer ein- und desselben Grundstücks grundsätzlich aus (BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1.86 -; U.v. 12.3.1998 – 4 C 3.97 -; BayVGH, B.v. 17.8.2017 – 9 CE 17.1362 – alle juris). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das Wohnungseigentumsgesetz auch für das Verhältnis der einzelnen Sondereigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft zueinander spezielle, den Inhalt des Sondereigentums bestimmende Regelungen sowohl materiell-rechtlicher Art über die Abgrenzung der gegenseitig zustehenden Befugnisse als auch verfahrensrechtlicher Art darüber enthält, wie diese Befugnisse durchzusetzen sind. Gemäß § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen solchen Gebrauch sowohl der in Sondereigentum stehenden Gebäudeteile als auch des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG entscheidet das zuständige Amtsgericht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Antrag eines Wohnungseigentümers auch über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander, also auch über die sich aus § 15 Abs. 3 WEG ergebenden Ansprüche. Der Inhalt dieser gegenseitigen Rechte und Pflichten bestimmt sich in erster Linie nach den zwischen den Wohnungseigentümern geltenden besonderen Vereinbarungen und Beschlüssen (vgl. hier insbesondere Abschnitt III Nr. 1d und Nr. 2 der in der notariellen Teilungserklärung nach § 8 WEG vom 25. Oktober 2012 enthaltenen Gemeinschaftsordnung, wo spezielle Regelungen zur Einschränkung von Sondernutzungsrechten und Benutzungsregelungen des Sondereigentums und des Gemeinschaftseigentums sowie zur Zusammenlegung von Sondereigentumseinheiten enthalten sind). Er wird durch die behördliche Gestattung einer bestimmten Nutzung des Sondereigentums nicht berührt; diese ergeht „unbeschadet der Rechte“ des anderen Sondereigentümers und entfaltet ihm gegenüber keine öffentlich-rechtlichen Wirkungen. Soweit keine speziellen vertraglichen Regelungen bestehen, gelten ergänzend für das Rechtsverhältnis zwischen den Sondereigentümern auch die Normen des öffentlichen Baurechts. Auch diese hat der Amtsrichter bei der ihm übertragenen Entscheidung eines Streits zwischen den Sondereigentümern anzuwenden; dabei kommt es für seine Entscheidung nicht darauf an, ob diese Normen ihrerseits unmittelbar auch Nachbarschutz gewähren (BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1/86 -; B.v. 28.2.1990 – 4 B 32/90 – beide juris).
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach das Sondereigentum nach dem WEG öffentlich-rechtliche Nachbarschutzansprüche innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer desselben Grundstückes ausschließt und Abwehrrechte gegen ein Vorhaben anderer Miteigentümer ausschließlich im Wege einer gegen diese gerichteten Klage vor den Wohnungseigentumsgerichten (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG) geltend zu machen sind, wurde durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt (BVerfG, B.v. 7.2.2006 – 1 BvR – 2304/05 – juris OS 2a). Dass der Wohnungseigentümer die behauptete Unvereinbarkeit des Gebrauchs des Sondereigentums durch einen anderen Miteigentümer auf dem Zivilrechtsweg geltend machen muss, verletzt weder die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG an die Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Bundesverfassungsgericht hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass eine im Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern erhobene Baunachbarklage von den Verwaltungsgerichten in ständiger Rechtsprechung wegen fehlender Klagebefugnis abgewiesen wird, dass die Wohnungseigentümer insoweit auf den Zivilrechtsweg zu verweisen sind und dass diese Rechtsauffassung auch von den Zivilgerichten (so etwa BGH, U.v. 23.4.1991 – VI ZR 222/90 – NJW-RR 1991, 907 m.w.N.; Bayerisches Oberstes Landesgericht, B.v. 19.5.2004 – 2 Z BR 67/04 – juris; B.v. 9.12.1999 – 2 Z BR 101/99 – juris) geteilt wird (BVerfG, B.v. 7.2.2006 – 1 BvR – 2304/05 – juris). Nicht entscheidungserheblich ist vorliegend indessen, ob in Fällen, in denen keine Eigentumsverletzung, sondern eine unmittelbare Gefährdung der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geltend gemacht wird, etwas anderes zu gelten hat (vgl. BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1.86 – juris Rn. 10 a.E. – offen gelassen; OVG Koblenz, U.v. 26.2.2019 – 8 A 11076/18 – juris; BayVGH, B.v. 17.8.2017 – 9 CE 17.1362 – juris; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 121). Eine derartige Rechtsverletzung steht vorliegend nicht im Raum.
In Anwendung dieser Grundsätze fehlt dem Kläger vorliegend die Klagebefugnis. Er ist kein Nachbar im baurechtlichen Sinne, sondern Miteigentümer des Buchgrundstücks, auf dem das Bauvorhaben der Beigeladenen realisiert werden soll (Fl.Nr. …3/1 der Gemarkung Würzburg). Es fehlt damit an der eine baurechtliche Nachbarklage kennzeichnenden Dreiecksbeziehung (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1988 – 4 C 20/85 – juris: keine Klagebefugnis des Sondereigentümers gegen eine der Eigentümergemeinschaft erteilte Baugenehmigung; B.v. 27.4.1988 – 4 B 67.88 – juris: keine Klagebefugnis gegen eine einem Miteigentümer desselben Grundstücks erteilte Teilungsgenehmigung). Der Kläger geht hier gegen eine Baugenehmigung vor, durch die die Beklagte der Beigeladenen als Sondereigentümerin für bestimmte Sondernutzungseinheiten des Baugrundstücks eine öffentlich-rechtliche Gestattung zur Errichtung eines Bürogebäudes erteilt hat. Eine dahingehende Abwehrbefugnis ist nicht Inhalt des Sondereigentums.
Das Teileigentum als Sondereigentum an einem Gewerbe in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört (§ 1 Abs. 3 WEG) ist eine besondere Form des Miteigentums (§ 1008 BGB). Die Besonderheit besteht im Wesentlichen darin, dass – abweichend von §§ 93, 94 BGB – das Miteigentum am Grundstück sich nicht ohne weiteres in vollem Umfang auf die dort befindlichen Gebäude erstreckt, sondern dass durch Vertrag oder Teilung – hier auf Grundlage von § 8 WEG – jedem der Miteigentümer das alleinige („Sonder-“)Eigentum an einer bestimmten Sondernutzungseinheit eingeräumt wird. Rechtlich bleibt das Sondereigentum aber an das Miteigentum gebunden. Dies zeigt sich zum einen daran, dass es ohne den Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört, nicht veräußert oder belastet werden kann, und dass Rechte an dem Miteigentumsanteil sich auf das zu ihm gehörende Sondereigentum erstrecken (§ 6 WEG). Zum anderen kommt die Einbindung des Sondereigentums in die Miteigentümergemeinschaft in § 10 Abs. 1 WEG dadurch zum Ausdruck, dass – vorbehaltlich besonderer Regelungen im Wohnungseigentumsgesetz oder durch Vereinbarung unter den Eigentümern – für das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Gemeinschaft (§§ 741 ff. BGB) Anwendung finden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 4.5.1988 – 4 C 20/85 – juris).
Aus den Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes folgt, dass der Sondereigentümer als Inhaber eines besonders ausgestalteten Miteigentumsrechts in die Gemeinschaft der Eigentümer eingebunden ist und Konflikte im Verhältnis zu einem anderen Sondereigentümer nach besonderen Regeln zu lösen sind. Diese – sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche – Beschränkung wirkt sich – anders als die Klägerseite meint – auch auf das hier zur Entscheidung stehende öffentlich-rechtliche Verhältnis des Klägers zur Beklagten aus: Erteilt die zuständige Bauaufsichtsbehörde für das Sondereigentum der Beigeladenen eine Baugenehmigung, so kann der einzelne Sondereigentümer – hier der Kläger – aufgrund der ihm nach dem Wohnungseigentumsgesetz eingeräumten Rechtsstellung nicht selbst im Verhältnis zur Behörde geltend machen, dadurch werde in sein Sondereigentum eingegriffen. Vielmehr ist der Sondereigentümer nach dem Wohnungseigentumsgesetz darauf verwiesen, in dem dort vorgesehenen Verfahren geltend zu machen, die Beigeladene überschreite (mittels der behördlichen Genehmigung) die ihr zustehenden materiell-rechtlichen Befugnisse zu Lasten der ihm als Sondereigentümer zustehenden Rechtsposition (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 4.5.1988 – 4 C 20/85 – juris).
Auch die von Klägerseite geltend gemachten Grundsätze zur „notwegerheblichen Rechtswidrigkeit“ der Baugenehmigung infolge der geltend gemachten unzureichenden Erschließung begründen vorliegend auch zumindest insoweit nicht die Klagebefugnis des Klägers. Hierzu hat die Kammer im Verfahren W 5 S 19.186 mit Beschluss vom 15. April 2019 bereits ausgeführt:
„Zwar verweist die Bevollmächtigte des Antragstellers in zutreffender Weise darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Nachbar eine Baugenehmigung anfechten kann, wenn diese dazu führt, dass der Bauherr zur – grundsätzlich nicht drittschützenden – wegemäßigen Erschließung ein Notwegerecht über das Grundstück des Nachbars in Anspruch nimmt (grundlegend: BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 -, bestätigt durch BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45/98 – beide juris; vgl. auch Rieger in: Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 30 Rn. 48a). Wird durch eine Baugenehmigung einem Nachbarn rechtswidrig die Duldung eines Notwegerechts aufgezwungen, so liegt darin ein von der Baugenehmigung ausgehender Angriff auf das Eigentum des Nachbarn, der von öffentlich-rechtlicher Qualität ist und gegen den sich dementsprechend auch ein öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Beseitigungsanspruch des Nachbarn richtet, der vor den Verwaltungsgerichten durchzusetzen ist. Die Notwendigkeit, dem Eigentümer einen vor den Verwaltungsgerichten durchsetzbaren öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch zuzubilligen, folgt daraus, dass die Baugenehmigung, sollte sie bestandskräftig werden, wegen der von ihr ausgehenden Feststellungswirkung zu seinem Nachteil auf die im Zivilprozess zu beurteilende Rechtslage von Einfluss wäre. Würde eine notwegerhebliche rechtswidrige Baugenehmigung bestandskräftig, so könnte die Ordnungsmäßigkeit der Benutzung im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB gleichwohl aus diesem Grunde nicht mehr in Frage gestellt werden (BayVGH, B.v. 24.10.1996 – 2 B 94.3416 – BayVBl. 1997, 758, 759 m.w.N.). Darin liegt, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, ein vom öffentlichen Recht ausgehender Eingriff in das Eigentum, gegen den sich der Betroffene mit den Rechtsbehelfen des öffentlichen Rechts wehren kann (BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – juris Rn. 27). Ist aber eine Bebauung nach öffentlichem Recht nicht zulässig, weil es an der Erschließung fehlt oder weil die Bebauung aus sonstigen Gründen des Bodenrechts ausgeschlossen ist, so kann eine derartige bauliche Nutzung nicht gleichwohl eine „ordnungsmäßige Benutzung“ im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB deshalb sein, weil sie den praktischen Bedürfnissen entsprechen würde. Denn was nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts unzulässig ist, kann nicht von der Privatrechtsordnung als „ordnungsmäßig“ gebilligt werden. Freilich treffen diese Überlegungen nicht in jedem Fall der Rechtswidrigkeit einer baulichen Anlage, sondern nur bei „notwegerheblicher“ Rechtswidrigkeit zu: Stehen einem Vorhaben aus dem öffentlichen Recht nur Vorschriften entgegen, die sich – wie es bei Mängeln z.B. der Baugestaltung besonders deutlich ist – auf die Notwegbedürfnisse nicht auswirken, so spricht nichts dagegen, die „ordnungsmäßige Benutzung“ im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB in der insoweit nicht unzulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks zu sehen. Mit Eintritt der Unanfechtbarkeit schneidet eine solche – rechtswidrige – Baugenehmigung demjenigen, der sich im Zivilprozess gegen die Inanspruchnahme aus § 917 Abs. 1 BGB zu wehren sucht, den Vortrag ab, die der Inanspruchnahme zugrunde liegende Benutzung des Nachbargrundstücks sei schon deshalb nicht ordnungsmäßig, weil sie dem öffentlichen Recht widerspreche. Diese Behinderung bedeutet zwar nicht notwendig, dass der mit dem Notweg in Anspruch Genommene im Zivilprozess unterliegen muss. Denn einer Benutzung, die nach öffentlichem Recht zulässig ist oder für die eine Baugenehmigung das in Wahrheit entgegenstehende öffentliche Recht ausschaltet, kann, wie gesagt, die Ordnungsmäßigkeit aus anderen Gründen fehlen. Die sich – gegebenenfalls – daraus für den Betroffenen ergebende Möglichkeit, sich in einem Zivilprozess trotz bestehender Baugenehmigung gegen die Inanspruchnahme des Notwegs erfolgreich zur Wehr zu setzen, ändert jedoch nichts daran, dass ihm die Feststellungswirkung der Baugenehmigung andere – und praktisch häufig ausschlaggebende – Möglichkeiten der Verteidigung nimmt. Darin liegt, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, ein vom öffentlichen Recht ausgehender Eingriff in das Eigentum, gegen den sich der Betroffene mit den Rechtsbehelfen des öffentlichen Rechts wehren kann.
Allerdings kommt ein solcher Fall einer notwegerheblichen Rechtswidrigkeit der erteilten Baugenehmigung infolge unzureichender Erschließung in der vorliegenden Fallkonstellation nicht in Betracht:
Die für Nachbarn im baurechtlichen Sinne entwickelten Grundsätze kommen vorliegend nicht zum Tragen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Vorschrift des § 917 BGB im Verhältnis zwischen zwei Sondereigentümern überhaupt anwendbar ist. Eine direkte Anwendbarkeit dürfte aufgrund des Wortlauts, der von mehreren Grundstücken ausgeht, ausscheiden. Eine analoge Anwendbarkeit der Vorschrift wurde – soweit ersichtlich und vorgetragen – in der Zivilgerichtsbarkeit lediglich vereinzelt angenommen (vgl. OLG München, B.v. 2.6.2008 – 32 Wx 044/08, 32 Wx 44/08 – juris m.w.N.) und im Übrigen offengelassen (BayObLG, B.v. 2.5.1996 – 2Z BR 1/96 – juris). Zudem ist zweifelhaft, ob hier die Voraussetzungen für ein Notwegerecht inhaltlich überhaupt erfüllt sein könnten, namentlich ob mit Blick auf die konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie den Einschränkungen, denen die Sondereigentumsfläche des Antragstellers unterliegt (vgl. insbesondere Ziffer III. 1. lit. d) der Teilungserklärung vom 25.10.2012), das Erfordernis für ein Notwegerecht der Beigeladenen bestehen kann. Ungeachtet dieser Zweifelsfragen droht dem Antragsteller in einem eventuellen zivilgerichtlichen Verfahren um die Duldung eines Notwegerechts jedenfalls kein Rechtsverlust in der Weise, dass er durch den Eintritt der Bestandskraft der Baugenehmigung einen Automatismus hinsichtlich der Entstehung eines Notwegerechts zu befürchten hätte oder dass ihm die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen gegen die materielle Baurechtmäßigkeit des Vorhabens abgeschnitten wäre. Denn da es sich bei dem Sondereigentümer nicht um einen Nachbarn im baurechtlichen Sinne handelt, ist er auch nicht Verfahrensbeteiligter im Baugenehmigungsverfahren. Entsprechend wurde die Baugenehmigung dem Antragsteller nicht im Sinne von Art. 66 BayBO zugestellt, sondern lediglich formlos bekanntgegeben. In einem solchen Fall ist – anders als es etwa bei dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks möglicherweise der Fall sein mag – dem Antragsteller auch im Zivilprozess die Möglichkeit zu eröffnen, eine materielle Baurechtswidrigkeit des Vorhabens geltend zu machen (vgl. auch BVerwG, U.v. 28.2.1990 – 4 B 32/90 -; VGH Mannheim, B.v. 12.9.1995 – 5 S 2334/95 -; BayObLG, B.v. 12.9.1996 – 2Z BR 52/96 -; B.v. 19.5.2004 – 2Z BR 067/04, 2Z BR 67/04 – alle juris). Zudem ist es dem Antragsteller möglich, eine etwaige Unzulässigkeit der Inanspruchnahme seiner Sondernutzungsfläche auf der Zuwegung, aus der seiner Auffassung nach (auch) eine ungesicherte Erschließung des Bauvorhabens resultiert, unmittelbar und in gleicher Weise zivilrechtlich gegen die „ordnungsgemäße Benutzung“ im Sinne von § 917 BGB einzuwenden. Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass – selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen von der Möglichkeit eines vom Antragsteller zu duldenden Notwegerechts ausgeht – ein solches jedenfalls nicht erst durch die Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung entstehen konnte. Vielmehr ist in diesem Fall die „notwendige Verbindung“ im Sinne von § 917 BGB bereits aufgrund der privatrechtlichen Teilungserklärung nach § 8 WEG samt Gemeinschaftsordnung vom 25. Oktober 2012 entfallen, weshalb es an der notwendigen Kausalität zwischen der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung und der Entstehung eines Notwegerechts fehlt (vgl. VG München, U.v. 11.5.2015 – M 8 K 14.841 – juris für den Fall der Aufhebung einer Dienstbarkeit).“
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 30. September 2019 die vorzitierte Entscheidung der Kammer bestätigt und dabei als eine zentrale Erwägung hervorgehoben, dass die Rechtsprechung zur notwegerheblichen Rechtswidrigkeit nicht auf den Fall übertragen werden kann, bei dem sich ein Sondereigentümer – wie hier der Kläger – gegen die Nutzung eines anderen Sondereigentümers auf demselben Grundstück wendet. Bei einer solchen Fallkonstellation ist nämlich nicht davon auszugehen, dass dem Kläger in einem eventuellen zivilgerichtlichen Verfahren um die Duldung eines Notwegerechts die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens des Beigeladenen abgeschnitten wäre und er im Wege einer „Automatik“ die Entstehung eines Notwegerechts zu befürchten hätte. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum ausnahmsweisen Bestehen eines Abwehrrechts eines Nachbarn aus Art. 14 Abs. 1 GG bei einer notwegerheblichen Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung ist allein auf den Nachbarschutz im öffentlichen Baurecht bezogen (BayVGH, B.v. 30.9.2020 – 9 CS 19.967 – juris). Diese Ausgangssituation unterscheidet sich grundlegend von der Situation, in der mehrere Sondereigentümer desselben Grundstücks im Verhältnis untereinander einen Nutzungskonflikt austragen. Zwischen den an einer Wohnungseigentümergemeinschaft beteiligten Sondereigentümern fehlt es nämlich – wie vorerwähnt – an einer Rechtsbeziehung, die der für das baurechtliche Nachbarverhältnis kennzeichnenden und für die Gewährung öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes maßgeblichen „Dreiecksbeziehung“ entspricht (BayVGH, B.v. 30.9.2020 – 9 CS 19.967 – juris m.w.N.). Dass die dem einem Sondereigentümer erteilte, bestandskräftige Baugenehmigung gegenüber einem anderen Sondereigentümer desselben Baugrundstücks keine öffentlich-rechtliche Wirkung entfaltet und sich deshalb auch nicht privatrechtsgestaltend im Verfahren um ein Notwegerecht auswirken kann, ergibt sich aus Sicht der Kammer zudem daraus, dass es sich bei den Sondereigentümern nicht um Nachbarn im baurechtlichen Sinne handelt (vgl. etwa Dirnberger in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 137. EL, Juli 2020, Art. 66 Rn. 96 m.w.N.; Edenharter in Spannowsky/Manssen, 15. Ed., Stand: 1.6.2020, BeckOK, Art. 66 Rn. 22 m.w.N.; Redeker, IMR 2020, 37 – zugleich Anm. zu BayVGH, B.v. 30.9.2019 – 9 CS 19.967; a.A. Fricke/Wolters, ZfBR 2013, 218).
Im Übrigen – nur ergänzungshalber – ist auszuführen, dass die Auflösung eines zwischen den Sondereigentümern bestehenden Nutzungskonflikts – anders als beim Grundstücksnachbarn – vorrangig nach den zwischen ihnen geltenden besonderen Vereinbarungen und Beschlüssen zu erfolgen hat. Insoweit ist die Frage der „ordnungsgemäßen Benutzung“ i.S.v. § 917 BGB (sollte diese Vorschrift im Verhältnis zwischen Sondereigentümern auf demselben Grundstück überhaupt zur analogen Anwendung gelangen) zivilrechtlich überlagert. Sie wird im Verfahren nach § 43 WEG auf Grundlage von § 15 Abs. 3 WEG in erster Linie durch die zwischen den Sondereigentümern getroffenen Vereinbarungen bestimmt. Der Inhalt der zwischen den Sondereigentümern getroffenen Vereinbarungen wird durch die behördliche Gestattung einer bestimmten Nutzung des Sondereigentums nicht berührt. Steht dem Kläger aufgrund der vorliegenden zivilrechtlichen Vereinbarungen keine Abwehrmöglichkeit gegen die Inanspruchnahme seiner Sondernutzungsfläche zu, kommt nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls der Einwand unzureichender Erschließung nicht in Betracht und ein Notwegerecht i.S.v. § 917 BGB kann durch die Baugenehmigung von vornherein nicht ausgelöst werden. Ergibt die zivilgerichtliche Prüfung hingegen, dass eine Inanspruchnahme der Sondernutzungsfläche des Klägers nicht möglich ist, hat der Zivilrichter im nächsten Schritt öffentliches Recht anzuwenden und zu beurteilen, ob öffentlich-rechtliche Anforderungen einschließlich der Erschließung, gewahrt sind (vgl. BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1/86 – juris Rn. 11; B.v. 28.2.1990 – 4 B 32/90 – juris Rn. 5f.). Der betroffene Sondereigentümer kann dann also die materielle Baurechtswidrigkeit der Baugenehmigung – hier den Einwand unzureichender Erschließung – im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gegen einen anderen Sondereigentümer nach § 43 WEG geltend machen (BayVGH, B.v. 30.9.2020 – 9 CS 19.967 – juris m.w.N.). Der „Automatismus“ auf das Notwegerecht – wie er im Fall einer öffentlich-rechtlichen Nachbarklage aufgrund der Feststellungswirkung der Baugenehmigung entsteht – ist in der vorliegenden Fallkonstellation also deswegen nicht gegeben, weil der Einwand unzureichender Erschließung von Wirksamkeit, Inhalt und Reichweite der im Einzelnen getroffenen Vereinbarungen der Sondereigentümer abhängt, worüber das Wohnungseigentumsgericht in vorrangiger und sachnäherer Weise befindet. Unter Berücksichtigung dessen ist für das vorliegende Verfahren weder ein im Wege einer „Automatik“ erwirkter Einwendungsverlust des Klägers noch andere Einbußen an dessen Rechtsschutzmöglichkeiten zu erkennen, die Zweifel an der Einhaltung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auslösen könnten. Dies führt zu dem Ergebnis, dass der Kläger als Sondereigentümer aufgrund der ihm nach dem WEG eingeräumten Rechtsposition Eingriffe in sein Sondereigentum nur im dort vorgesehenen Verfahren geltend machen kann, nicht jedoch im Dreiecksverhältnis gegenüber der Behörde im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nachbarklage. Der Kläger ist deshalb darauf verwiesen, seine geltend gemachten Abwehransprüche gegen die Beigeladene in dem beim Amtsgericht Würzburg anhängigen zivilrechtlichen Verfahren weiter zu betreiben.
2. Im Ergebnis war die Klage damit mangels Klagebefugnis des Klägers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Da sich die Beigeladene durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).


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