Baurecht

Nachbarklage gegen Abgrabungsgenehmigung für Kiesgrube durch formell illegale Wohnnutzung im Außenbereich

Aktenzeichen  M 1 K 17.395

Datum:
10.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143312
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein Kläger gegen eine Abgrabungsgenehmigung zum Kiesabbau ist klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO, wenn er Eigentümer eines Grundstücks ist, das im Einwirkungsbereich der Kiesgrube liegt. Eine Verletzung in drittschützenden Rechten ist dann jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. (Rn. 17 – 18) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Die Ausübung einer formell illegalen Nutzung (hier: reine allgemeine Wohnnutzung eines Hauses, das ursprünglich als Betriebsleiterwohnhaus für eine Landschaftsgärtnerei genehmigt wurde, nach Aufgabe der Gärtnerei im Außenbereich) kann keine Abwehrrechte begründen. (Rn. 23 – 24) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Ist eine ausgeübte Wohnnutzung im Außenbereich nicht genehmigungsfähig, lässt sich daraus auch keine entsprechende Rechtsposition aus dem materiellen Recht herleiten, die der Rechtmäßigkeit der angefochtenen abgrabungsrechtlichen Genehmigung entgegenstehen könnte. (Rn. 25 – 27) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid vom 20. Dezember 2016 verletzt die Klägerin nicht in drittschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin klagebefugt.
Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Klage nur zulässig, wenn die Klagepartei geltend macht, durch den Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein. Ist sie nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritte betroffen, so ist für die Klagebefugnis erforderlich, dass sie die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die sie als Dritten zu schützen bestimmt ist und die Verletzung dieser Vorschrift zumindest möglich erscheint (BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 9 CS 16.1241 – juris Rn. 17). Die Klagebefugnis ist also dann zu verneinen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die von der Klagepartei behaupteten Rechte bestehen oder ihr zustehen können (vgl. BayVGH, a.a.O.; BVerwG, B.v. 22.12.2016 – 4 B 13.16 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt ist die Klagebefugnis der Klägerin zu bejahen. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 486/1, das im Einwirkungsbereich der Kiesgrube liegt. Eine Verletzung in drittschützenden Rechten ist daher jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die formell baurechtswidrige Wohnnutzung im klägerischen Anwesen vermittelt der Klägerin keine Rechtsposition, aus der sie etwaige Abwehrrechte herleiten kann. Die baurechtswidrige Nutzung der Klägerin ist gegenüber Immissionen einer in ihrer Nachbarschaft rechtmäßigen und privilegierten Anlage nicht schutzwürdig (BVerwG, U.v. 24.9.1992 – 7 C 6/92 – juris Rn. 14).
Ein Nachbar kann sich als Dritter gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2001 – 1 ZS 00.3650 – juris Rn. 5; B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 4; VG München, U.v. 3.11.2015 – M 1 K 15.3173 – juris Rn. 21).
Der Klägerin fehlt eine entsprechende nachbarrechtliche Rechtsposition, da die von ihr ausgeübte allgemeine Wohnnutzung nicht genehmigt und damit formell baurechtswidrig ist (1.). Zugleich ist die ausgeübte Nutzung im Außenbereich materiell rechtswidrig und daher nicht genehmigungsfähig, weshalb die Klägerin auch keine entsprechende Rechtsposition aus dem materiellen Recht herleiten kann, die der Rechtmäßigkeit der angefochtenen abgrabungsrechtlichen Genehmigung entgegenstehen könnte (2.).
1. Die von der Klägerin ausgeübte allgemeine Wohnnutzung ist nicht bestandskräftig genehmigt. Der insoweit maßgebliche Regelungsgehalt der Baugenehmigung vom … Oktober 1972 umfasst nach den Gesamtumständen der Genehmigungserteilung keine allgemeine Wohnnutzung, sondern lediglich ein Betriebsleiterwohnhaus des ehemaligen Gärtnereibetriebs.
Der Bauherr bestimmt durch seinen Bauantrag, was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll (BVerwG, B.v. 20.5.2014 – 4 B 21/14 – juris Rn. 13). Bei der Auslegung sind neben der textlichen Bezeichnung der Baumaßnahmen auch die entsprechenden Bauvorlagen heranzuziehen (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 20.2.2014 – 1 LB 189/11 – juris Rn. 20). In der Baubeschreibung vom … Februar 1972, die der Rechtsvorgänger der Klägerin mit seinem Bauantrag zur Errichtung des klägerischen Anwesens als Bauvorlage eingereicht hat, war das Vorhaben als „Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Landschaftsgärtnereibetrieb“ bezeichnet. Aus der Verknüpfung („mit“) ergibt sich der objektive Erklärungsgehalt des Bauantrags und damit auch der Baugenehmigung vom 23. Oktober 1972, dass das Wohnhaus nicht als allgemeines Wohnhaus, sondern als Betriebsleiterwohnhaus beantragt und genehmigt wurde. Hierfür spricht neben der Bezeichnung in der Baubeschreibung auch der Umstand, dass ein allgemeines Wohngebäude im Außenbereich am maßgeblichen Standort auch nach der Rechtslage im Jahr 1972 nicht genehmigungsfähig war. Eine Genehmigungsfähigkeit konnte nur als Betriebsleiterhaus für den Gärtnereibetrieb herbeigeführt werden. Bauantrag und Baugenehmigung bezogen sich dementsprechend auch auf ein einheitliches Gesamtvorhaben der Landschaftsgärtnerei mit Wohnhaus des Betriebsinhabers. Es sind aus den Genehmigungsvorgängen keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass mit der Genehmigung vom 23. Oktober 1972 trotz materieller Baurechtswidrigkeit eine allgemeine Wohnnutzung genehmigt werden sollte.
Die fortbestehende Wohnnutzung im klägerischen Anwesen seit Aufgabe des Gärtnereibetriebs wird daher formell illegal ausgeübt und kann keine Abwehrrechte begründen.
2. Die durch die Klägerin ausgeübte Wohnnutzung im Außenbereich ist nicht genehmigungsfähig, weshalb die Klägerin auch keine entsprechende Rechtsposition aus dem materiellen Recht herleiten kann, die der Rechtmäßigkeit der angefochtenen abgrabungsrechtlichen Genehmigung entgegenstehen könnte.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Umnutzung eines ehemaligen für einen Gärtnereibetrieb errichteten Betriebsleiterwohnhauses im Außenbereich in eine reine Wohnnutzung beurteilt sich nach § 35 Abs. 2 BauGB. Der Genehmigungsfähigkeit der Umnutzung stehen sowohl die Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) als auch der Belang der Entstehung einer Splittersiedlung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB entgegen. Der Flächennutzungsplan der Gemeinde … sieht für das streitgegenständliche Grundstück eine Fläche für Landwirtschaft vor. Die Zulassung eines nicht-privilegierten Vorhabens im Anwesen der Klägerin würde eine Splittersiedung entstehen lassen. Es kann daher dahinstehen, ob die Wohnnutzung im Anwesen der Klägerin auch in Konflikt mit den Immissionen der im Außenbereich privilegierten Abgrabung der Beigeladenen stünde und daher auch der Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB entgegensteht.
Ein Fall der Teilprivilegierung gemäß § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB scheidet von vornherein deshalb aus, weil sich die Privilegierung von Gartenbaubetrieben wie auf dem auf dem Klägergrundstück genehmigten nicht aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, sondern aus § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ergibt.
III.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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