Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung

Aktenzeichen  RN 12 K 16.1329

Datum:
16.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151031
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Nachbar im baurechtlichen Sinne ist nur derjenige, der ein eigenes dingliches Recht an einem Grundstück hat, das von einem Bauvorhaben tatsächlich und rechtlich betroffen sein kann, also insbesondere der Eigentümer des angrenzenden Grundstücks. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem das Rücksichtnahmegebot im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen; für den Anspruch eines Nachbarn ist es dagegen nicht maßgeblich, ob die Baugenehmigung in vollem Umfang und in allen Teilen rechtmäßig ist, insbesondere ob die Vorschriften über das Verfahren eingehalten wurden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Außenbereich besitzt ein gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Betrieb grundsätzlich einen Abwehranspruch gegen ein im Außenbereich unzulässiges Nachbarvorhaben, wenn durch dieses die eigene Privilegierung in Frage gestellt oder zumindest das in § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot verletzt werden würde. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nicht jedes beliebige Erweiterungsinteresse eines Landwirts ist geschützt; vielmehr ergeben sich Einschränkungen daraus, dass das Vorhaben den Anforderungen genügen muss, die sich aus dem Tatbestandsmerkmal des „Dienens“ ergeben und aus dem Gebot, nach Möglichkeit Nutzungskonflikte zu vermeiden (wie BVerwG BeckRS 2000, 30130034). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Landratsamts P. vom 18.7.2016 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, kann damit nur Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung gegen die zu prüfenden nachbarschützenden Vorschriften verstößt. Nachbar ist dabei nur derjenige, der ein eigenes dingliches Recht an einem Grundstück hat, das von dem Vorhaben tatsächlich und rechtlich betroffen sein kann, also insbesondere der Eigentümer des angrenzenden Grundstücks. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme konkret begründet, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Für den Anspruch eines Nachbarn ist es dagegen nicht maßgeblich, ob die Baugenehmigung in vollem Umfang und in allen Teilen rechtmäßig ist, insbesondere ob die Vorschriften über das Verfahren eingehalten wurden.
Unter Beachtung dieser Maßstäbe verletzt die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage keine nachbarschützenden Vorschriften.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die zweite Änderung der Einbeziehungssatzung Ortsteil G. wirksam ist.
Denn weder unter der Annahme, diese Ortsabrundungssatzung sei unwirksam (vgl. hierzu unten 1.) noch unter der Annahme, diese sei wirksam (vgl. hierzu unten 2.), ergibt sich, dass die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme und damit zu einer Verletzung nachbarschützender Rechte des Klägers führt. Schließlich führen auch etwaige Erweiterungsabsichten des Klägers nicht zu einem hiervon abweichenden Ergebnis (vgl. hierzu unten 3.).
1. Unterstellte man die Unwirksamkeit der Ortsabrundungssatzung, befände sich das den Beigeladenen genehmigte Vorhaben im Außenbereich gemäß § 35 BauGB.
1.1 Dort besitzt ein gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Betrieb grundsätzlich einen Abwehranspruch gegen ein im Außenbereich unzulässiges Nachbarvorhaben, wenn durch dieses die eigene Privilegierung in Frage gestellt oder zumindest das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot verletzt werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.1968 – 4 C 13.68 – juris Rn. 11, U.v. 16.4.1971 – 4 C 66.67).
Vorliegend bestehen auch keine ernstlichen Zweifel, dass sich der Kläger als Landwirt, der eine Fahrsiloanlage betreibt, grundsätzlich auf die Privilegierung aus § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB berufen kann.
1.2 Es bestehen jedoch – auch wenn sich das Vorhaben der Beigeladenen nicht auf eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 BauGB berufen kann – keinerlei Anhaltspunkte, dass die vom Kläger betriebene Fahrsiloanlage zu derartigen Immissionen auf dem Grundstück der Beigeladenen führen könnte, dass dies zu einer Einschränkung der ansonsten zulässigen Nutzung der Fahrsiloanlage führen könnte. Insoweit ist nämlich die bereits bestehende Situationsgebundenheit der Fahrsiloanlage des Klägers zu berücksichtigen, die sich in unmittelbarer Nähe zu der südlich angrenzenden Wohnbebauung befindet. Diese Bestandsschutz genießende Wohnbebauung setzt dem Betrieb der Fahrsiloanlage des Klägers bereits jetzt Grenzen, die durch das hinzukommende Vorhaben der Beigeladenen nicht zum Nachteil des Klägers verändert werden.
1.2.1 Es liegt nämlich – ohne dass hierzu die Einholung eines Gutachtens angezeigt gewesen wäre – auf der Hand, dass von den möglichweise von der Fahrsiloanlage ausgehenden Geruchsimmissionen jedenfalls die Wohnhäuser auf den Grundstücken Fl.Nr. … (G. Nr. 45 a) und Fl.Nr….1/3 (G. Nr. 45 b) stärker betroffen wären als das weiter entfernte Wohnhaus der Beigeladenen auf Fl.Nr. …0/1. Dieser Eindruck wird dadurch verfestigt, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen genau entgegengesetzt der Hauptwindrichtung, nämlich im Westen des klägerischen Grundstücks befindet. Im Übrigen wäre selbst wenn eine geringfügig höhere Betroffenheit des Grundstücks der Beigeladenen bestünde, dadurch noch nicht das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Das Wohnhaus der Beigeladenen befindet sich zudem in einem ausreichenden Abstand zur Fahrsiloanlage des Klägers. Der nach dem Bayerischen Arbeitskreis „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ erforderliche Mindestabstand von 25 m zwischen Wohnhaus und Fahrsiloanlage wird – worauf der Beklagte im Verwaltungsverfahren zu Recht hingewiesen hat – bis zum nächstliegenden Eck mit 30 m klar und bis zum ersten Fahrsilo (ca. 40 m) sogar deutlich überschritten.
1.2.2 Nichts anderes kann für etwaige Lärmimmissionen durch die die Fahrsiloanlage anfahrenden Fahrzeuge gelten. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass diese den öffentlichen Feld- und Waldweg als Zufahrt benützen müssen, an dem auch das den Beigeladenen genehmigte Vorhaben liegt, ist dem entgegenzuhalten, dass auch insoweit das Anwesen G. Nr. 45 a auf Fl.Nr. … deutlich stärker betroffen ist als das beabsichtigte Anwesen der Beigeladenen. Denn dieses ist sowohl an seiner Südseite als auch an seiner Westseite, also gleich an zwei Seiten, vom Zulieferverkehr betroffen, während dies beim Anwesen der Beigeladenen nur an einer Seite, nämlich an der Ostseite, der Fall ist.
1.2.3 Schließlich ergibt sich auch kein Abwehranspruch des Klägers aus der von ihm befürchteten Gefahr eines „Umkippens“ des Dorfgebiets in ein allgemeines Wohngebiet. Zwar kann eine Änderung des Gebietscharakters grundsätzlich hinsichtlich Lärm und Geruch zu strengeren Vorgaben für einen landwirtschaftlichen Betrieb führen. Soweit die Ortsabrundungssatzung unwirksam wäre, spielt allerdings der Gebietscharakter schon deshalb keine Rolle, da sich dann sowohl die Fahrsiloanlage des Klägers als auch das Wohnhaus der Beigeladenen im Außenbereich befänden, so dass hinsichtlich Lärm und Geruch ausschließlich die dort geltenden Grenzwerte herangezogen werden müssten.
Im Übrigen liegen nach Auffassung der entscheidenden Kammer keinerlei Anhaltspunkte vor, dass sich der Gebietscharakter von G. durch das Vorhaben der Beigeladenen ändern könnte. In G. bestehen derzeit – wie die Beweisaufnahme bestätigt hat – drei aktive landwirtschaftliche Betriebe. Insofern bleibt es ohne jeden Einfluss auf den Gebietscharakter, wenn hierzu ein einzelnes Wohnhaus hinzutritt, da die landwirtschaftliche Prägung des Ortscharakters nach wie vor überwiegt.
2. Auch wenn man die Wirksamkeit der Satzung unterstellt, ergeben sich aus der Genehmigung des Vorhabens der Beigeladenen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Auch insoweit könnte sich der Kläger im Rahmen des drittschützenden Tatbestandsmerkmals des Einfügens lediglich dann auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen, wenn das Vorhaben der Beigeladenen sich unzumutbaren Immissionen aussetzen würde. Dies ist, wie oben dargelegt, nicht der Fall, weil nicht davon auszugehen ist, dass die das Grundstück der Beigeladenen treffenden Immissionen stärker wären als bei der bereits bestehenden näher gelegenen Bebauung.
3. Ein anderes Ergebnis folgt schließlich auch nicht aus den vom Kläger behaupteten Erweiterungsabsichten. Auch bei diesen ist schon nicht ersichtlich, dass sich das gebotene Maß der Rücksichtnahme auf die vorhandene Wohnbebauung durch das hinzutretende Vorhaben zu Lasten des Klägers ändert. Zudem unterfallen solche Erweiterungsabsichten nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht mehr dem Schutz der Privilegierung aus § 35 BauGB. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass nicht jedes beliebige Erweiterungsinteresse eines Landwirts geschützt ist (BVerwG, B.v. 5.9.2000 – 4 B 56/00 – juris, Rn. 6, 7). Vielmehr ergeben sich Einschränkungen daraus, dass das Vorhaben, den Anforderungen genügen muss, die sich aus dem Tatbestandsmerkmal des „Dienens“ ergeben und aus dem Gebot, nach Möglichkeit Nutzungskonflikte zu vermeiden. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht zwar das Bedürfnis nach einer normalen Betriebsentwicklung, nicht jedoch eine unklare oder unverbindliche Absichtserklärung hinsichtlich der Entwicklung eines landwirtschaftlichen Betriebes als beachtlich angesehen; auf vage Erweiterungsinteressen eines Landwirts brauche nicht Rücksicht genommen zu werden (BVerwG, B.v. 5.9.2000, a.a.O.). Erforderlich ist demnach eine Konkretisierung der Erweiterungsabsichten der Fahrsiloanlage, die vorliegend noch nicht erfolgt ist.
II.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entsprach der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen. Für den Beigeladenen zu 1) folgt dies daraus, dass er durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Für die Beigeladene zu 2) ergibt es sich daraus, dass sie ebenfalls Bauherrin ist.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils im Kostenpunkt findet seine Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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