Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für eine Spielothek

Aktenzeichen  M 8 K 19.243

Datum:
15.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21989
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Mangels eines klar identifizierbaren und zuordenbaren Gebietscharakters in einer Gemengelage besteht kein wechselbezügliches nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, das gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterliegt, deren Einhaltung ein Nachbar beanspruchen kann (vgl. VG Berlin, BeckRS 2015, 40685 m.w.N.). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vorläufig vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, da sie zulässig, aber unbegründet ist. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 13. Dezember 2018 verletzt den Kläger nicht in seinen nachbarschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
2. Das Vorhaben verstößt nicht gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts.
2.1 Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) i.V.m. § 34 BauGB, da kein qualifizierter Bebauungsplan für das streitgegenständliche Grundstück besteht, sondern nur ein gemäß § 173 Abs. 3 Bundesbaugesetz (BBauG) und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitetes und fortgeltendes Bauliniengefüge, welches für das streitgegenständliche Grundstück entlang des …wegs eine Baugrenze vorsieht, und das streitgegenständliche Grundstück im Übrigen im unbeplanten Innenbereich liegt.
2.2 Eine Verletzung drittschützender Rechte hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung liegt nicht vor, da sich der Kläger in der vorliegenden Gemengelage insbesondere nicht auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen kann.
2.2.1 Die maßgebliche nähere Umgebung stellt sich als Gemengelage dar.
Gemäß § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens im unbeplanten Innenbereich nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der BauNVO bezeichnet sind, entspricht. Im Übrigen richtet sich die Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, sodass sich ein Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss.
2.2.1.1 Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die nähere Umgebung. Berücksichtigt werden muss hier die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstückes prägt oder doch beeinflusst. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. In der Regel gilt bei einem, inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (vgl. BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19; U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20).
Demnach bildet die für das Bauvorhaben maßgebliche Umgebung jedenfalls die Bebauung östlich des …wegs, süd(west) lich der … Straße, westlich des …wegs und nördlich der (S-)Bahnlinie. Insoweit besteht bereits wegen der geringen räumlichen Entfernung der Gebäude zu dem streitgegenständlichen Anwesen – allein die Grundstücke mit den Fl.Nr. …, …, … und … grenzen unmittelbar hieran – sowie aufgrund der Situierung im selben Straßengeviert eine gegenseitige Prägung. Auch die dem Bauvorhaben gegenüberliegende Bebauung östlich des …wegs gehört durch die geringe Distanz zum streitgegenständlichen Grundstück (samt Blickbeziehung) sowie die geringen Ausmaße des …wegs (6 m Breite; Sackgasse; maximal einspurig in jede Fahrtrichtung befahrbar) zur näheren Umgebung.
Insbesondere gehört das Anwesen … Straße 22, Fl.Nr. … und …, zur maßgeblichen Umgebung. Die vornehmliche Einzelhandelsnutzung im Anwesen … Straße 22 wirkt prägend auf das streitgegenständliche Grundstück ein. Neben der unmittelbaren räumlichen Nähe samt wechselseitiger Blickbeziehung sprechen insbesondere die von jener Nutzung ausgehenden Immissionen für eine gegenseitige Beeinflussung. Die Parkplatznutzung des Einzelhandels mit den damit verbundenen an- und abfahrtsbedingten Lärm- und Geruchsimmissionen wirken direkt auf die streitgegenständliche Spielhallennutzung. Den Eingangsbereich der Vergnügungsstätte trennen weniger als zehn Meter von den Parkplätzen an der östlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks mit der Fl.Nr. … Umgekehrt wirken auch die der Spielhalle zurechenbaren Verkehrsbewegungen auf das Anwesen … Straße 22 ein, da die Parkplätze auf dem streitgegenständlichen Grundstück an dessen Westseite vorgesehen sind. Ein Strukturschnitt an der westlichen Grundstücksgrenze des streitgegenständlichen Anwesens ist nicht erkennbar; topographisch oder bezogen auf Bebauungs- und Nutzungsstruktur unterscheiden sich die benachbarten Grundstücke im Geviert nicht wesentlich. Dies gilt jedenfalls, wenn man den großflächigen Einzelhandelsbetrieb auf dem Anwesen …rweg 20 zur näheren Umgebung rechnet (so VG München, U.v. 17.11.2008 – M 8 K 08.345; wohl auch die Auffassung des BayVGH, vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 30.6.2011 im Verfahren 2 B 11.1030). Aber auch auf dem Grundstück …weg 8, Fl.Nr. … findet sich eine gewerbliche Nutzung, die über ein großes, mit dem Anwesen … Straße 22 vergleichbares Betriebsgebäude verfügt. Erhebliche Höhenunterschiede zwischen den Gebäuden im Straßengeviert sind überdies nicht vorhanden.
2.2.1.2 Die Bebauung in jener näheren Umgebung entspricht keinem der in den §§ 2 ff. BauNVO bezeichneten Gebiete.
2.2.1.2.1 Insbesondere liegt kein faktisches Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO vor.
Dies gilt zum einen deshalb, weil auf dem Grundstück … Straße 22, Fl.Nr. … und …, unter anderem ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO vorhanden ist und diese in Mischgebieten unzulässig sind (vgl. § 6 BauNVO, § 11 Abs. 3 Satz 1 aE BauNVO).
Einzelhandelsbetriebe sind in diesem Sinne großflächig, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten (grundlegend BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 10/04 – juris Rn. 12 ff. m.w.N.).
Im Rahmen des Augenscheins am 20. Mai 2019 hat das Gericht eine Verkaufsfläche von ca. 1.175 m² und damit die Großflächigkeit festgestellt.
Zum anderen hat im vorliegenden Gebiet die gewerbliche Nutzung ein deutliches Übergewicht gegenüber der Wohnnutzung.
Kennzeichnend für den Baugebietstyp „Mischgebiet“ ist dagegen die Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit von Wohnen und das Wohnen nicht störendem Gewerbe. Dieses gleichwertige Nebeneinander zweier Nutzungsarten setzt zum einen wechselseitige Rücksichtnahme der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse voraus, es bedeutet zum anderen aber auch, dass keine der Nutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen soll. Für die quantitative Mischung kommt es darauf an, in welchem Verhältnis die dem Wohnen und die gewerblichen Zwecken dienenden Anlagen im Baugebiet nach Anzahl und Umfang zueinander stehen. Dies lässt sich nicht ausschließlich danach beurteilen, mit welchen Prozentsätzen Geschossflächen im jeweiligen Mischgebiet für die eine oder andere Nutzungsart in Anspruch genommen werden. Die Störung des gebotenen quantitativen Mischungsverhältnisses kann sich aus einem übermäßig großen Anteil einer Nutzungsart an der Grundfläche des Baugebiets, einem Missverhältnis der Geschossflächen oder der Zahl der eigenständigen gewerblichen Betriebe im Verhältnis zu den vorhandenen Wohngebäuden, oder auch erst aus mehreren solcher Merkmale zusammengenommen ergeben. Erforderlich ist stets eine Bewertung aller für eine quantitative Beurteilung in Frage kommenden tatsächlichen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1988 – 4 C 34.86 – BVerwGE 79, 309; B.v. 11.4.1996 – 4 B 51.96 – NVwZ-RR 1997, 463). Weiter kann auch berücksichtigt werden, dass einzelne Grundstücke für eine Nutzungsart nur eingeschränkt zur Verfügung stehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2018 – 1 ZB 16.589 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Nach den Augenscheinfeststellungen des Gerichts – die sich im Wesentlichen auch mit den Feststellungen des Gerichts im Verfahren M 8 K 08.345 decken – sowie den, dem Gericht vorliegenden Luftbildern und Lageplänen sind auf den Grundstücken …weg 4, 6, 8, 10 sowie den Fl.Nrn. … und … ausschließlich gewerbliche Nutzungen in großem Umfang vorhanden. Dem stehen ausschließliche Wohnnutzungen auf den Grundstücken … Straße 24, 27/29 und …weg 6a gegenüber. Die Gebäude … Straße 28, 25 und 21 sind gemischt genutzt. Gewerbliche Nutzung überwiegt folglich sowohl nach der Anzahl als auch Geschossfläche der derart genutzten Grundstücke. Hinzu kommt, dass nach dem Eindruck des Gerichts die Wohnnutzungen nicht deutlich in Erscheinung treten; die gewerbliche Nutzungen wirken in dem Gebiet klar vorherrschend und gewichtiger. Dieses Ergebnis gilt umso mehr, wenn man die Grundstücke nordöstlich der … Straße bzw. südlich der …straße mit ihren Wohnnutzungen nicht in die Beurteilung der maßgeblichen Umgebung einstellt.
2.2.1.2.2 Auch ein faktisches Kerngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 7 BauNVO scheidet aus.
Kerngebiete im Sinn des § 7 BauNVO sind Gebiete für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen und einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Sie dienen darüber hinaus auch in beschränktem Umfang dem Wohnen. Kerngebiete dienen dabei vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur, § 7 Abs. 1 BauNVO. Alle allgemein, aber auch die ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten haben dabei grundsätzlich aufeinander Rücksicht zu nehmen. Ein Kerngebiet ist aber generell durch ein höheres Störpotential sowie ein geringeres Ruhebedürfnis geprägt, so dass Störungen in einem gewissen Maß hinzunehmen sind (vgl. BayVGH, U.v. 5.7.2017 – 2 B 17.824 – juris Rn. 43).
Auch wenn ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb in einem Kerngebiet allgemein zulässig sein kann (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, § 11 Abs. 3 Satz 1 aE BauNVO), kommt ein Kerngebiet vorliegend nicht in Betracht, da die nähere Umgebung kein Gebiet für zentrale Funktionen in der Stadt mit einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen darstellt. Selbst wenn man eine derartige Versorgungsfunktion hinsichtlich der Einzelhandelsnutzungen in den Gebäuden … Straße 22 und 21 bejahen wollte, überwiegen jedoch im Gebiet die Nutzungen, denen eine solche Funktion nicht zukommt: Weder die GmbH für Bodentechnik (* …weg 6) noch die Kfz-Vermietungen (* …weg 8 und 10) noch die Abstellplätze (v.a. Fl.Nr. …*) stellen zentrale Einrichtungen der Wirtschaft, Verwaltung oder Kultur da. Es handelt sich vielmehr um gewerbliche Nutzungen, deren Waren- und Dienstleistungsangebot sich an spezielle Kunden richtet, die die Betriebe gezielt aufsuchen. Im Übrigen fehlt es im Gebiet an für ein Kerngebiet wesentlichen allgemein zulässigen Nutzungen nach § 7 Abs. 2 BauNVO, so beispielsweise an Einrichtungen der Gemeindeverwaltung, Betrieben des Beherbergungsgewerbes, Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke oder Tankstellen. Außerdem nehmen die Wohnnutzungen ein erhebliches, wenn auch im Vergleich zu den gewerblichen Nutzungen nicht überwiegendes bzw. gleiches Gewicht ein. Auch dies widerspricht dem grundsätzlichen Charakter eines Kerngebiets, da Wohnnutzungen, die wie hier (überwiegend) keine Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter (§ 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO) darstellen, nur ausnahmsweise zugelassen werden können (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO). Allein fünf Wohneinheiten im Anwesen … Straße 24 sowie weitere Wohnnutzungen in den Gebäuden …weg 6a und … Straße 28 widersprechen unter Berücksichtigung der geringen Anzahl an Gebäuden in der maßgeblichen Umgebung dem Charakter eines Kerngebiets.
2.2.1.2.3 In der zufälligen Zusammensetzung entspricht das Gebiet daher keinen städtebaulichen Ordnungsvorstellungen und entzieht sich einer klaren Klassifikation. Folglich handelt es sich um eine Gemengelage, in welcher sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung allein nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauNVO beurteilt (so VG München, U.v. 17.11.2008 – M 8 K 08.345; wohl auch die Auffassung des BayVGH, vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 30.6.2011 im Verfahren 2 B 11.1030).
2.2.2 Im Rahmen der Nachbarklage ist dabei – wie bereits dargestellt – nicht zu prüfen, ob die Baugenehmigung rechtmäßig ist und sich das Vorhaben der Beigeladenen objektiv nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügt, sodass offen bleiben kann, ob die geplante Vergnügungsstättennutzung den Rahmen des in der näheren Umgebung Vorhandenen noch einhält. Allein maßgeblich ist vielmehr die Verletzung des Klägers in drittschützenden Normen.
Dabei kann ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wendet, im Fall einer Gemengelage klageweise mit Einwendungen gegen die Nutzungsart nur dann durchdringen, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Zwar hat der Nachbar aus dem sog. Gebietserhaltungsanspruch in einem durch Bebauungsplan festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB einen unabhängig von tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigungen bestehenden Abwehranspruch gegen eine von der jeweils zulässigen Nutzungsart abweichende gebietswidrige Nutzung. Ein solcher Anspruch besteht jedoch im Falle einer Gemengelage nicht (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2017 – 15 ZB 16.1975 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.177 – juris Rn. 19 m.w.N.). Mangels eines klar identifizierbaren und zuordenbaren Gebietscharakters in einer Gemengelage besteht somit kein wechselbezügliches nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis, das gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterliegt, deren Einhaltung ein Nachbar beanspruchen kann (vgl. VG Berlin, B.v. 11.12.2014 – 13 L 327.14 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Soweit daneben ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch überhaupt anzuerkennen ist, gilt dieser jedenfalls nicht in einer Gemengelage, da eine Gemengelage keine typische Prägung vermittelt, die durch ein Vorhaben beeinträchtigt sein könnte (vgl. zum Ganzen VG München, U.v. 18.4.2016 – M 8 K 15.159 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.).
Somit liegt weder eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs noch des Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vor.
2.3. Auf einen möglichen Verstoß gegen das drittschützende, bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme kann sich die Klagepartei nicht berufen, da die derzeit auf ihrem Grundstück vorhandene Nutzung illegal ist.
2.3.1 Das Gebot der Rücksichtnahme ist in Gemengelagen im Tatbestandsmerkmal des Einfügens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthalten (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.177 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Inhaltlich zielt es darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 9).
2.3.2 Auf das Gebot der Rücksichtnahme kann sich jedoch nur derjenige berufen, der rechtlich schutzwürdig ist. Der Bauherr hat nur Rücksicht zu nehmen, soweit durch sein Vorhaben Rechtspositionen Dritter in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise betroffen sind (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 132. EL Dezember 2018, Art. 66 Rn. 466, 470).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kommt es für die Einstufung der Schutzwürdigkeit eines auf dem Grundstück des Rücksichtnahmebegünstigten vorhandenen Baubestandes darauf an, ob die dort ausgeübte Nutzung in jeder Hinsicht legal ist. Nutzungen, die zwar ausgeübt, aber nicht genehmigt sind, dürfen im Rahmen des vom Gebot der Rücksichtnahme geforderten Interessenausgleichs nicht in Ansatz gebracht werden. Der Rücksichtnahme Einfordernde soll nicht mit bloßen Behauptungen oder allein durch einseitig aufgenommene Nutzungen auf seinem Grundstück Einfluss auf den Ausgang des Genehmigungsverfahrens für ein Vorhaben auf einem benachbarten Grundstück nehmen können (vgl. BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19/90 – juris Rn. 27 m.w.N.; BayVGH, B.v. 11.4.2012 – 14 CS 12.294 – juris Rn. 25 m.w.N.).
2.3.3 Dies zu Grunde gelegt, kann sich der Kläger nicht auf das Rücksichtnahmegebot berufen, weil die von ihm derzeit betriebene Nutzung illegal ist.
2.3.3.1 Die derzeitige Nutzung des Anwesens …weg 2 erfolgt formell illegal.
2.3.3.1.1 Der Kläger hat die Nutzung seines Gebäudes im Vergleich zum genehmigten Bestand geändert.
Für das Gebäude liegen Baugenehmigungen vom 25. Januar 1968, 13. August 1968 und vom 2. September 1971 vor. Zunächst wurde die Errichtung eines Betriebsgebäudes mit Garage genehmigt. Durch zwei Tektur-/Änderungsgenehmigungen wurde die Nutzung durch den Betreff der Baugenehmigungen zu Wohngebäude geändert. Da seither keine andere Baugenehmigung mehr erteilt und umgesetzt worden ist (die am 28.4.2010 erstmals erteilte Genehmigung wurde unstreitig nicht umgesetzt), beinhaltet die Baugenehmigung vom 2. September 1971 in Verbindung mit den beiden vorausgegangenen Genehmigungen die zuletzt genehmigte Nutzung.
Die tatsächliche Nutzung des Gebäudes auf dem Grundstück des Klägers weicht von der genehmigten Nutzung jedoch erheblich ab. Beim Augenschein am 24. Juni 2019 hat das Gericht festgestellt, dass Schlafgelegenheiten für acht Personen im Erdgeschoss und sieben Personen im Kellergeschoss vorgehalten werden und größtenteils auch in Benutzung erschienen. Im Erdgeschoss war insbesondere der im genehmigten Plan von 1971 als Büro bezeichnete Raum als (Schlaf-)Zimmer genutzt. Im Kellergeschoss wiesen zwei als „Keller“ bezeichnete Räume eine Wohneinrichtung auf.
Hierbei handelt es sich nicht allein um eine Nutzungsintensivierung, sondern um eine Nutzungsänderung.
Eine solche liegt nach Art. 55 Abs. 1 BayBO immer dann vor, wenn der Anlage – wenigstens teilweise – durch Verlassen der Variationsbreite der bisherigen Nutzung eine neue, d.h. andere Zweckbestimmung gegeben wird und diese Änderung baurechtlich relevant ist. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn von der neuen Nutzung gänzlich andere Wirkungen auf die Umgebung ausgehen als bisher (vgl. Lechner/Busse in Simon/Busse, BayBO, 132. EL Dezember 2018, Art. 57 Rn. 413 f. m.w.N.; Molodovsky/Famers/Waldmann in Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, 42. Update Februar 2019, Art. 57 Rn. 210).
Danach liegt eine Nutzungsänderung hier vor. Die aktuelle Nutzung des Gebäudes des Klägers hat die Variationsbreite der genehmigten Nutzung verlassen. Zwar leben – wie es dem genehmigten Bestand entspricht – Personen in dem Haus. Diese Nutzung unterscheidet sich jedoch so erheblich von der Genehmigungslage, dass sie nicht mehr von der in der Baugenehmigung von 1971 genehmigten Wohngebäudenutzung umfasst ist.
Zu dem Begriff des Wohnens gehören nach herrschender Meinung eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 16). Im Grundsatz unerheblich sind dagegen die Anzahl der Bewohner und die Belegungsdichte einer Wohneinheit, denn auch ein „verdichtetes“ Wohnen z.B. kinderreicher Familien ist unter den genannten Voraussetzungen Wohnen im Rechtssinne (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 3 Rn. 16; Hornmann in BeckOK BauNVO, 18. Ed. 15.6.2019, § 3 Rn. 73.2 m.w.N.). Sind die Wohnverhältnisse hingegen durch Besonderheiten geprägt, die im öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnis wurzeln, können sie die Qualifikation als Wohnen infrage stellen. Solche Besonderheiten können eine Belegung außerhalb des üblichen Rahmens sein, z.B. eine Überbelegung und Unterbringung ohne Rücksicht auf Familienzugehörigkeit und die Gewährung von Unterkunft auf eine gewisse Dauer, die nicht vom ständigen oder bereits vorhersehbaren oder vorbestimmten Wechsel bestimmt ist (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 132. EL Februar 2019, § 3 BauNVO Rn. 54a m.w.N.). Gerade bei einer großen Anzahl an Bewohnern in einem Wohngebäude kommt es entscheidend darauf an, ob darin jeweils die Wohnbedürfnisse jedenfalls von Einzelpersonen in einer gewissen Häuslichkeit befriedigt werden können (vgl. Hornmann in BeckOK BauNVO, 17. Ed. 15.3.2019, § 3 Rn. 98). Eine Mehrfachbelegung von Schlafräumen schließt dabei eine Einordnung als Wohnnutzung nicht grundsätzlich aus. Besteht jedoch keine persönliche Beziehung zwischen den Bewohnern, spricht dies in der Regel dagegen, weil dann ein Rückzug in das Private nicht in dem gebotenen Umfang möglich ist, wobei es keiner engen Freundschaften oder verwandtschaftlichen Bande bedarf (vgl. NdsOVG, B.v. 18.9.2015 – 1 ME 126/15 – juris Rn. 11; Hornmann in BeckOK BauNVO, 18. Ed. 15.6.2019, § 3 Rn. 98.5; BayVGH, B.v. 2.6.2016 – 2 ZB 15.2630 – BeckRS 2016, 115867).
Die vorhandene Nutzung ist keine Wohnnutzung, wie sie mit der Baugenehmigung von 1971 genehmigt worden ist.
Insbesondere im Keller sieht die Baugenehmigung von 1971 keine Wohnnutzung vor, sondern lediglich Kellerräume, die der Wohnnutzung im Erdgeschoss dienen. Nun befinden sich dort aber sieben Schlafmöglichkeiten in zwei Räumen. Die derzeitige Nutzung übersteigt bereits dadurch die Grenzen einer extensiven Wohnnutzung, beispielsweise durch eine große Familie oder durch eine Wohngemeinschaft. Eine derartige Nutzung eines kleinen Einfamilienhauses (eingeschossig; Grundfläche ca. 120 m²; 4 bewohnte Zimmer im Erdgeschoss mit ca. 70 m² Fläche, 2 bewohnte Zimmer im Kellergeschoss mit ca. 50 m² Fläche) durch bis zu 15 Personen entspricht nicht mehr einer typischen Wohngebäudenutzung. Zwar verfügen die Bewohner des klägerischen Gebäudes zu einem gewissen Grad über eine eigene Häuslichkeit, wie z.B. eigene Fernseher, absperrbare Spinde und (teils) eigene Kühlschränke. Für die einzelnen Bewohner existieren derzeit jedoch keine Rückzugsräume, obwohl mindestens drei der Zimmer mehrfach belegt sind. Alle Zimmer waren zum Zeitpunkt des Augenscheins in Benutzung und verfügen über Schlafgelegenheiten. Als Gemeinschaftsräume stehen im Erdgeschoss neben den sanitären Einrichtungen nur die Küche (und der Abstellraum) zur Verfügung. Diese bietet jedoch keine angemessene Möglichkeit sich ins Private zurückzuziehen, weil sie allen Bewohnern dient und von ihnen genutzt werden kann. Eine persönliche Beziehung der Bewohner untereinander wurde von der Klagepartei zudem nicht vorgetragen. Vielmehr spricht viel dafür, dass es sich bei den aktuellen Bewohnern um Arbeiter einer Baufirma handelt, die in keiner näheren Beziehung zueinander stehen. Die genaueren Umstände der Wohnverhältnisse konnte die Klagepartei trotz Aufforderung des Gerichts zur Vorlage eines Mietvertrags nicht darlegen, was zu ihren Lasten gehen muss.
Diese Änderung der Zweckbestimmung durch Verlassen der Variationsbreite ist auch baurechtlich relevant. Denn es handelt sich auch um eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB. Eine solche liegt vor, wenn die jeder Art von Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und sich die Genehmigungsfrage neu stellt, indem bodenrechtliche Belange neu berührt werden (vgl. HessVGH, B.v. 15.5.2018 – 3 A 395/15 – juris Rn. 37; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 8 SE 16.3583 – juris Rn. 63; jeweils m.w.N.). Bodenrechtliche Belange werden bereits deshalb berührt, weil die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB) und Verkehrsbelange (§ 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB) durch eine deutlich erhöhte Bewohnerzahl betroffen sind. Bereits insoweit ist die Nutzungsänderung bau(planungs) rechtlich relevant.
Welchem Nutzungstyp der BauNVO die Nutzung des Klägers zuzuordnen ist, (z.B. Betrieb des Beherbergungsgewerbes oder nicht störender Gewerbebetrieb) kann offen bleiben.
2.3.3.1.2 Für diese Nutzungsänderung verfügt der Kläger über keine Baugenehmigung, obwohl eine solche nach Art. 55 Abs. 1 BayBO erforderlich ist.
Insbesondere ist die Nutzungsänderung nicht gemäß Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO verfahrensfrei. So können – je nach Ausgestaltung und konkreter Festlegung der Nutzung in einer Betriebsbeschreibung – andere bauplanungsrechtliche und bauordnungsrechtliche Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 BayBO an die Anlage zu stellen sein. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht kommt eine Einordnung als Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 Alt. 2 oder 11 Alt. 2 BayBO in Betracht, wodurch andere Anforderungen an Standsicherheits- und Brandschutznachweis nach Art. 62 ff. BayBO gelten würden. Bauplanungsrechtlich stellt sich die Frage nach dem vorliegenden Nutzungstyp im Sinne der BauNVO. Im Übrigen könnten auch andere stellplatzrechtliche Anforderungen zu beachten sein.
2.3.3.2 Die ursprünglich aufgenommene Nutzung des Wohngebäudes aufgrund der Baugenehmigung von 1971 kann dem Vorhaben der Beigeladenen ebenfalls nicht entgegengehalten werden, da diese endgültig aufgegeben wurde und somit die legalisierende Wirkung der Baugenehmigung entfallen ist.
Der nach außen sichtbare, tatsächliche Beginn einer anderen Nutzung, die außerhalb der Variationsbreite der genehmigten Nutzung liegt und nicht nur vorübergehend ausgeübt werden soll, und die Aufgabe der Nutzung lassen nicht nur den Bestandsschutz entfallen, sondern auch die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.1988 – 4 C 21/85 – juris Rn. 26; Molodovsky/Famers/Waldmann in Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, 42. Update Februar 2019, Art. 69 Rn. 35 m.w.N.). Die Baugenehmigung erledigt sich in einem solchen Fall auf andere Weise und wird dadurch gemäß Art. 43 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) unwirksam (vgl. OVG NRW, B.v. 13.12.2016 – 7 B 1227/16 – juris Rn. 4; Greim-Diroll in BeckOK BauordnungsR Bayern, 11. Ed. 1.6.2019, Art. 69 BayBO Rn. 50).
Laut Angabe des Bevollmächtigten des Klägers hat dieser vor etwa zwei Jahren die eigene, vorherige Nutzung des Gebäudes aufgegeben; der Mietvertrag weist eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2020 auf. Dies spricht für eine endgültige Aufgabe der Nutzung und gegen eine bloße vorübergehende Nutzungsunterbrechung. Nach außen erkennbar ist die geänderte Nutzung allein aufgrund des geänderten Zu- und Abfahrtsverkehrs, der Nutzung durch andere Personen als die klägerische Familie sowie durch die erhöhte Bewohneranzahl.
Selbst wenn man mit Teilen der Rechtsprechung darüber hinaus verlangen würde, dass ein objektiver Beobachter nach den Umständen des Einzelfalles hieraus unmissverständlich und zweifelsfrei den Schluss auf ein Erlöschen der alten Genehmigung ziehen kann und darf (vgl. OVG Bbg, U.v. 8.11.2018 – OVG 2 B 4.17 – juris Rn. 39), lägen diese Voraussetzungen hier vor. Denn aufgrund der erheblichen Dauer einer anderweitigen Nutzung sowie der nach außen erkennbaren erhebliche Erhöhung der Bewohnerzahl muss für einen objektiven Dritten erkennbar sein, dass der Kläger die Nutzung des Gebäudes geändert hat und zu dieser bis auf Weiteres nicht wieder zurückkehren möchte.
2.3.3.3 Auch die mit Baugenehmigung vom 28. April 2010 genehmigte Wohn- und Geschäftshausnutzung kann im Rahmen des Rücksichtnahmegebots keine Berücksichtigung finden.
Aufschluss darüber, ob sich ein Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung rücksichtsvoll einfügt, vermag allein die tatsächlich vorhandene Bebauung bzw. tatsächlich ausgeübte Nutzung zu geben; denn nur sie eignet sich als Maßstab für die Zulässigkeit neuer Vorhaben. Künftige Entwicklungen können nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19/90 – juris Rn. 25).
Da der Kläger die Baugenehmigung vom 28. April 2010 (mehrfach verlängert und damit heute noch wirksam) noch nicht umgesetzt hat und die tatsächliche Nutzung des Grundstücks folglich eine andere ist, vermittelt der Bescheid dem Kläger keine schutzwürdige Rechtsposition. Im Übrigen ist der Kläger auch nicht verpflichtet, jene Baugenehmigung umzusetzen.
2.3.3.4 Schließlich kommt auch die Gewährung materiellen Bestandsschutzes nicht in Betracht.
Die Gewährung von sog. materiellen Bestandsschutz scheitert bereits daran, dass die genehmigungsbedürftige Nutzung zu keinem Zeitpunkt genehmigt war. Nach neuerer Auffassung (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 15.12.1995 – 1 BvR 1713/92 – juris Rn. 4; BVerwG, B.v. 18.7.1997 – 4 B 116/97 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 25.9.2003 – 22 ZB 03.2110 u.a. – juris Rn. 3) erstreckt sich der Bestandsschutz für bauliche Anlagen nur noch auf den genehmigten Bestand und die genehmigte Funktion. Erforderlich ist, dass das Vorhaben formell und materiell rechtmäßig ist bzw. war, um Bestandsschutz genießen zu können. Dementsprechend genießt eine Anlage nur dann Bestandsschutz, wenn sie seit ihrem Entstehen in irgendeinem – namhaften – Zeitraum dem maßgebenden materiellen Recht entsprochen hat, sofern in diesem Zeitraum eine förmliche Genehmigung entweder nicht erforderlich war oder wenn die Anlage förmlich genehmigt worden ist (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 15.12.1995 a.a.O.; BVerwG, B.v. 18.7.1997 a.a.O.; BayVGH, U.v. 17.10.2006 – 1 B 05.1429 – juris Rn. 24 m.w.N.). Demzufolge genügt es nicht (mehr), wenn für einen namhaften Zeitraum der Bestand zu irgendeinem Zeitpunkt genehmigt worden oder jedenfalls genehmigungsfähig gewesen ist (vgl. VG München, U.v. 22.5.2014 – M 11 K 13.3437 – juris Rn. 63; zum Ganzen: Decker in Simon/Busse, BayBO, 132. EL Dezember 2018, Art. 76 Rn. 115 ff. m.w.N.).
Da für die derzeitige klägerische Nutzung niemals eine Genehmigung ausgesprochen wurde, kommt ein Bestandsschutz daher auch nicht in Betracht. Selbst wenn man jedoch eine (offensichtliche) Genehmigungsfähigkeit zu einem erheblichen Zeitpunkt in der Vergangenheit ausreichen lassen wollen würde, läge diese nicht vor. Allein die oben skizzierten bauordnungs-, bauplanungs- und stellplatzrechtlichen Fragestellungen lassen sich – zumal in der seit geraumer Zeit bestehenden Gemengelage – ohne ein klar definiertes Nutzungskonzept nicht beantworten. Insoweit hat die Klagepartei auch keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit vorgetragen, obwohl sie insoweit die Darlegungs- und Beweislast treffen würde (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2014 – 4 B 32.13 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 4.10.2016 – 9 ZB 14.2173 – juris Rn. 9 f.; Decker in Simon/Busse, BayBO, 130. EL Dezember 2018, Art. 76 Rn. 130 m.w.N.).
3. Eine Verletzung anderer, im Prüfprogramm der Baugenehmigung enthaltener, drittschützender Normen ist von Klägerseite weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
4. Der Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihr ihre außergerichtlichen Kosten erstattet werden (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung er-folgt gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben