Aktenzeichen RN 6 K 15.1889
Leitsatz
Ein Bauvorhaben verstößt gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit findet eine Orientierung an den Bestimmungen der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) statt (hier Unzumutbarkeit verneint bei Neubau eines Logistikzentrums im Industriegebiet). (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Landratsamts … vom 16.7.2014 i.d.F. vom 21.8.2014 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, kann damit nur Erfolg haben, wenn diese gegen die zu prüfenden nachbarschützenden Vorschriften verstößt. Zu diesen gehört auch das partiell nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Für den Anspruch eines Nachbarn ist es dagegen nicht maßgeblich, ob die Baugenehmigung in vollem Umfang und in allen Teilen rechtmäßig ist, insbesondere, ob die Vorschriften über das Baugenehmigungsverfahren eingehalten wurden.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme konkret begründet, hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Somit kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist.
Die angefochtene Baugenehmigung verletzt keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts, insbesondere nicht das im Einzelfall nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme, das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankert ist.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 9 BauNVO. Das Vorhaben ist im Industriegebiet zulässig. Industriegebiete dienen ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind (§ 9 Abs. 1 BauNVO). Die Zulässigkeit des Logistikzentrums folgt aus § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze…). Das streitgegenständliche Vorhaben widerspricht nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans und die Erschließung ist gesichert. Die Zufahrt zu dem Industriegebiet führt über die Staats Straße St … und nicht über die südlich vom Anwesen der Klägerin gelegenen Flächen.
Das Bauvorhaben verstößt nicht gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme.
Ein Vorhaben ist unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets (im Baugebiet selbst oder) in dessen Umgebung unzumutbar sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen schädlicher Geräuschimmissionen erscheint vorliegend ausgeschlossen, weil von dem genehmigten Vorhaben keine Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die in der Umgebung des Baugebiets unzumutbar sind.
Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit orientiert sich die Rechtsprechung an den Bestimmungen der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm vom 26.8.1998, GMBl S. 503). Nach deren Nr. 6.1 betragen die Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden in Dorfgebieten und Mischgebieten tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A).
Durch die Verweisung in der Baugenehmigung auf die zu beachtenden umwelttechnischen Berichte der 3 … GmbH vom 17.4. und 20.8.2014, die Bestandteil dieser Genehmigung sind, gelten die o.g. Immissionswerte als einzuhaltende Vorgaben.
Diese Werte können nach den umwelttechnischen Berichten der 3 … GmbH vom 17.4. und 20.8.2014 und der Stellungnahme des Technischen Umweltschutzes des Landratsamts … vom 31.1.2017 eingehalten werden.
Der Schutz der Nachbarschaft wird gewährleistet durch die Festsetzungen der Emissionskontingente (flächenbezogener emissionswirksamer Schallleistungspegel) nach DIN 45691 in den planlichen Festsetzungen 4.6 und den textlichen Festsetzungen 4.1 des Bebauungsplans. Nach der Rechtsprechung ist es zulässig, den Lärmschutz durch zielorientierte Festlegungen zu regeln. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass die Richtwerte im Regelbetrieb auch eingehalten werden können (BVerwG, B. v. 2.10.2013 – 4 BN 10.13; BayVGH, U. v. 21.2.2013 – 2 N 11.1018; U. v. 29.11.2012 – 15 N 09.693; U. v. 14.7.2009 – 1 N 07.2977; B. v. 29.6.2009 – 15 CS 09.860). Zur Gliederung der in §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BNVO können auch Emissionsgrenzwerte nach dem Modell der sog. emissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel festgesetzt werden. Der emissionswirksame flächenbezogene Schallleistungspegel ist ein zulässiger Maßstab für das Emissionsverhalten eines Betriebes oder einer Anlage, der als deren „Eigenschaft“ im Sinne von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO festgesetzt werden kann. Die Festsetzung setzt allerdings voraus, dass die Emissionsgrenzwerte das Emissionsverhalten jedes einzelnen Betriebes und jeder einzelnen Anlage in dem betreffenden Gebiet verbindlich regeln. Ein Summenpegel für mehrere Betriebe oder Anlagen ist unzulässig, weil mit ihm keine Nutzungsart, insbesondere nicht das Emissionsverhalten als „Eigenschaft“ von Anlagen und Betrieben im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO festgesetzt, sondern nur ein Immissionsgeschehen gekennzeichnet wird, das von unterschiedlichen Betrieben und Anlagen gemeinsam bestimmt wird und deshalb für das Emissionsverhalten einer bestimmten Anlage für sich genommen letztlich unbeachtlich ist. Die durch § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO eröffnete Möglichkeit der Gliederung von Baugebieten folgt damit dem Gedanken der anlagen- und betriebsbezogenen Typisierung, der den Baugebietsvorschriften der §§ 2 bis 9 BauNVO insgesamt zugrunde liegt (vgl. BVerwG, B. v. 2.10.2013 – 4 BN 10.13 m.w.N.).
Nach der textlichen Festsetzung 4.2 im Bebauungsplan ist für das jeweilige Bauvorhaben im Rahmen der Antragstellung ein Nachweis über die Einhaltung der festgesetzten Emissionskontingente auf der Grundlage der DIN 45691 vorzulegen. Dies ist durch die umwelttechnischen Berichte der 3 … GmbH vom 17.4. und 20.8.2014 erfolgt. Ausgehend von dem für das Baugrundstück (= Parzellen 1.1 und 1.2) in Richtung Wohnbebauung Nord und Ost (IP Nord, IP Nord 2, IP Ost) festgesetzten Emissionskontingent L EK tags von 64 dB(A)/m² (Parzellen 1.1 und 1.2) und L EK nachts von 48 dB(A)/m² (Parzelle 1.1) sowie 40 dB(A) m² (Parzelle 1.2) ergibt sich für den auf dem Anwesen der Klägerin gelegenen Immissionspunkt (IP) Nord ein Immissionskontingent L r,A TAG von 50 dB(A) und L r,A NACHT von 33 dB(A). Das Immissionskontingent bildet den zulässigen Maximalpegel am Immissionsort, verursacht aus der Planfläche. Für das genehmigte Vorhaben errechnet sich nach beiden Berichten am IP Nord ein Beurteilungspegel von 45 dB(A) werktags und von 32 dB(A) in der lautesten Nachtstunde. Daraus folgt, dass das Immissionskontingent durch den Betrieb des Logistikzentrums am IP Nord während des Tagzeitraums (6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) eingehalten und in der lautesten Nachtstunde nicht überschritten wird. Nachdem in den umwelttechnischen Berichten laut Stellungnahme des Landratsamts vom 31.1.2017 mit 20 Anlieferungen während der lautesten Nachtstunde gerechnet wurde und eine Überschreitung der durch den Bebauungsplan vorgegebenen Immissionskontingente nicht zu befürchten ist, konnte die höhere Anzahl an zulässigen Fahrten in die Baugenehmigung übernommen werden und wird die Klägerin, die auch keinerlei Einwendungen gegen die umwelttechnischen Berichte vom 17.4. und 20.8.2014 erhoben hat, durch die angefochtene Baugenehmigung nicht im Gebot der Rücksichtnahme verletzt.
Keine Bedenken grundsätzlicher Art bestehen nach wie vor bezüglich der fehlenden Untersuchung etwaiger Vorbelastungen. Bei einer Unterschreitung der Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 der TA Lärm durch die durch ein Vorhaben verursachte Zusatzbelastung um 6 dB(A) ist von der Irrelevanz dieser Lärmbelastung auszugehen (Nr. 3.2.1 TA Lärm). Nachdem nach den schalltechnischen Untersuchungen der 3 … GmbH eine Einhaltung dieser reduzierten Immissionsrichtwerte möglich ist, ist die Untersuchung der Vorbelastung nicht notwendig.
Nachdem weitere Gesichtspunkte, die eine Verletzung subjektiver Rechte der Klägerin begründen könnten, weder dargetan noch ersichtlich sind, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entsprach nicht der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.