Baurecht

Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung für die Umnutzung einer bestehenden Garagenanlage in zwei Asylbewerber-Wohnungen

Aktenzeichen  RO 7 K 16.427

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146429
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6, Art. 59 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Bei der Errichtung von zwei „Asylbewerber-Wohnungen“ handelt es sich bauplanungsrechtlich um Wohnnutzung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Möglichkeit der Einsichtnahme in sein Grundstück muss der Nachbar hinnehmen. Das Baurecht bzw. das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn in aller Regel keinen Schutz vor (neuen) Einsichtsmöglichkeiten. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, hat nicht bereits dann Erfolg, wenn die Baugenehmigung (nur) objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist der Nachbar nur dann i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt, wenn die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz subjektiv öffentlicher Rechte des Nachbarn dienen und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nur insoweit kommt eine Verletzung von Nachbarrechten in Betracht.
Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch die angefochtene Baugenehmigung liegt nicht vor.
1. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob für das genehmigte Vorhaben aufgrund der Nutzungsänderung des Gebäudes im Obergeschoss zu Wohnnutzung und der vorgesehenen baulichen Veränderungen eine Neubeurteilung in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht erforderlich ist oder nach der Einlassung des Beklagten insoweit Bestandskraft besteht. Denn die Baugenehmigung wurde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt, in dem die Frage der Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO) grundsätzlich nicht zum Prüfungsumfang gehört. Darüber wurde demnach in der Baugenehmigung nicht entschieden.
2. In bauplanungsrechtlicher Hinsicht (Art. 59 S. 1 Nr. 1 BayBO) kommt eine Verletzung des drittschützenden sog. Gebietserhaltungsanspruches ersichtlich nicht in Betracht. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung hat das Vorhaben die Umnutzung des Obergeschossen zu Wohnzwecken zum Gegenstand. Beim vorgesehenen Umbau zu zwei selbständig nutzbaren abgeschlossenen Wohnungen ist es bauplanungsrechtlich unerheblich, dass insoweit im Antrag und im Bescheid von „zwei Asylbewerber-Wohnungen“ die Rede ist; bauplanungsrechtlich ergibt sich hierfür keine andere Beurteilung. Es handelt sich um Wohnnutzung, die sich im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt. Gegenteiliges wurde nicht eingewendet. Der Kläger selbst hat im Osten ein Wohngebäude, im Norden des Vorhabens befindet sich nach Auskunft des Klägers in der mündlichen Verhandlung das Wohngebäude des Beigeladenen. Geht man mit der Stellungnahme der Gemeinde davon aus, dass die umgebende Bebauung einem Mischgebiet (MI) im Sinne des § 6 BauNVO entspricht, ist das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO seiner Art nach allgemein zulässig.
3. Das Vorhaben verletzt gegenüber dem Kläger auch nicht das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, das gem. § 34 Abs. 2 i.V.m. § 15 BauNVO bzw. als ungeschriebener Belang im Rahmen einer Prüfung nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beachten ist. Das geplante Vorhaben der Errichtung von zwei Wohnungen ist dem Kläger nicht unzumutbar, insbesondere weder durch Einsichtsmöglichkeiten seines Grundstücks durch den Einbau von Fenstern auf der Ostseite des Gebäudes noch durch eine erdrückende Wirkung.
Die Möglichkeit der Einsichtnahme in sein Grundstück muss der Nachbar hinnehmen. Das Baurecht bzw. das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn in aller Regel keinen Schutz vor (neuen) Einsichtsmöglichkeiten (vgl. BVerwG, B. v. 24.4.1989 – Az. – 4 B 7/89 – juris Rn. 7; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – Az. 9 CS 14.222 – juris Rn. 13; B. v. 14.4.2014; Az. 15 ZB 13.205 – juris Rn. 19). Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich städtebaulich nicht relevant. Ein Nachbar ist daher nicht dagegen geschützt, dass sein Grundstück eingesehen werden kann; er hat also keinen Anspruch darauf, dass sein Grundstück freizuhalten ist vor unerwünschten Einblicken. Gegenseitige Einsichtsmöglichkeiten sind in Innerortslagen auch meist unvermeidbar. Besondere Umstände, die im Ausnahmefall die Annahme einer rücksichtslosen Wirkung rechtfertigen können, sind nicht erkennbar. Wie sich aus dem Luftbild ergibt, handelt es sich beim Grundstück des Klägers um ein großzügiges Grundstück; im Westen – zum Vorhaben des Beigeladenen hin – befindet sich die Garage und die Zufahrt, während die eigentlichen Ruhe- und Gartenbereiche im Norden und Osten des Wohnhauses des Klägers liegen. Aufgrund des in Innerortslagen üblichen Abstandes der beiden Gebäude zueinander ergeben sich auch keine besonderen Einsichtsmöglichkeiten in das Wohngebäude des Klägers selbst, ggf. ist dem Kläger auch zuzumuten, entsprechende Maßnahmen zum Sichtschutz, z.B. Gardinen, zu treffen.
Auch eine erdrückende Wirkung ergibt sich nicht. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbar nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Eine Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls ist maßgeblich dafür, ob einem Vorhaben „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung zukommt. (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris Rn. 5). Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2012 – 15 ZB 11.1016 – juris Rn. 6). Vorliegend beträgt der Abstand des Wohnhauses des Klägers zum Vorhaben des Beigeladenen ca. 12 bis 13 Meter. Nach Süden hin ist nach dem Luftbild zur Bebauung – getrennt durch eine Straße – ein etwas größerer Abstand gegeben. Vor allem nach Norden hin ist der Abstand des Wohnhauses zur Bebauung auf dem Nachbargrundstück sehr groß (deutlich mehr als 30 m), im Osten des Grundstücks verläuft der Ludwig-Donau-Main-Kanal, so dass insoweit eine Bebauung der Nachbargrundstücke nicht zu erwarten ist. Das geplante Vorhaben stellt sich weder bzgl. Länge noch Höhe (ca. 5 Meter Wandhöhe plus Dachaufbau, insgesamt 7,50 m Gebäudehöhe bei einer Dachneigung von 30°) als „übergroß“ dar, es besteht in seiner Kubatur seit Jahrzehnten. Der Rechtsvorgänger des Klägers hat auch der Errichtung des Gebäudes zugestimmt. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Bebauung entlang der Westseite des Grundstücks des Klägers auf dem Grundstück Fl.Nr. 1777/6 (wohl das Wohnhaus des Beigeladenen) ergibt die Würdigung der Gesamtumstände keine Unzumutbarkeit für den Kläger im Hinblick auf eine „erdrückende oder einmauernde“ Wirkung. Soweit insoweit eingewandt wurde, das Vorhaben verletze die erforderlichen Abstandsflächen, dies sei ein Indiz für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots, so führt dies zu keiner anderen Entscheidung. Maßgeblich ist jeweils eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Hier lässt sich anhand des Luftbildes und anderer im Geoinformationssystem der Vermessungsverwaltung abrufbaren (Höhen-)pläne und der Planunterlagen zu den Ausmaßen des streitgegenständlichen Vorhabens erkennen, dass eine unzumutbare Situation im Hinblick auf eine erdrückende Wirkung nicht besteht.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Es entsprach nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der keinen Antrag zur Sache gestellt hat und deshalb kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 VwGO).


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