Baurecht

Nachbarklage gegen heranrückende Wohnbebauung

Aktenzeichen  1 CS 21.2866

Datum:
21.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 950
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Dem Gebot der Rücksichtnahme, das als nachbarschützender bauplanungsrechtlicher Genehmigungsmaßstab bei Annahme eines faktischen Dorfgebiets in § 34 Abs. 2 BauGB iVm § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO enthalten ist, kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es wird zulasten des Nachbarn verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine heranrückende Wohnbebauung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert, wobei das insbesondere dann der Fall ist, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da Betriebe der Landwirtschaft im Hinblick auf ihren Standort beschränkt sind und lediglich im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) oder in Dorfgebieten (§ 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) errichtet werden dürfen, sind dort die mit ihnen einhergehenden Immissionen gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots von benachbarten Nutzungen grundsätzlich hinzunehmen; die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Emissionen sind daher auch in Bezug auf Lärm (Tiergeräusche, Lärm von Maschinen sowie Be- und Entlüftungsanlagen) gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 SN 21.799 2021-10-26 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich als Eigentümer des benachbarten Grundstücks FlNr. …, Gemarkung F., auf dem er eine landwirtschaftliche Hofstelle mit Rinderhaltung (Milchvieh und Kälberaufzucht) betreibt, gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser mit je acht Wohneinheiten und Tiefgarage.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2019 erteilte das Landratsamt der Beigeladenen nach Vorlage eines immissionsschutztechnischen Gutachtens zunächst einen Vorbescheid, mit Bescheid vom 13. Januar 2021 die beantragte Baugenehmigung. Der Antragsteller erhob gegen beide Bescheide jeweils Klage, über die noch nicht entschieden wurde, und stellte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Nachdem er – abweichend von dem im immissionsschutztechnischen Gutachten zugrunde gelegten Wert – einen höheren Gesamtviehbestand geltend machte, lies die Beigeladene das immissionsschutztechnische Gutachten überarbeiten. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 26. Oktober 2021 abgelehnt. Die Baugenehmigung verletze voraussichtlich keine Nachbarrechte des Antragstellers, eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aufgrund des Heranrückens der Wohnbebauung an den landwirtschaftlichen Betrieb durch das Bauvorhaben liege nicht vor. Das Bauvorhaben sei voraussichtlich weder schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von Geruchs- noch Lärmimmissionen ausgesetzt. Konkret geplante oder naheliegende Entwicklungsmöglichkeiten seien nicht zu berücksichtigen, die von dem Antragsteller gestellte Vorbescheidsfrage für die bauliche und funktionelle Umgestaltung seines landwirtschaftlichen Betriebs sei abstrakt gehalten.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 13. Januar 2021 anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht habe die Beurteilung des konkreten Gebietscharakters nicht offen lassen dürfen. Gerade bei einem (faktischen) Dorfgebiet sei aufgrund der Vorrangklausel des § 5 Abs. 1 BauNVO auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen. Die Wohnbauten seien bis jetzt nicht in unmittelbarer Nähe zu einem der vorhandenen landwirtschaftlichen Anwesen errichtet worden. Der Viehbestand von 86,4 GV sei auf der Hofstelle untergebracht. Über seinen 2020 gestellten Vorbescheidsantrag für den Umbau eines bestehenden Anbindestalls, den Neubau eines Milchviehstalls und den Abbruch des bestehenden Stadls sei noch nicht entschieden worden. Dass von Seiten des Landratsamts immer neue Anforderungen gestellt würden, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Auch die Verweigerung der Erteilung des Einvernehmens durch die Gemeinde, die sich gegen eine Aufstockung des Viehbestands aus Gründen des Nachbarschutzes ausgesprochen habe, belege, dass der landwirtschaftliche Betrieb in seiner Entwicklung gegenüber einer Wohnbebauung zurückzustehen habe. Im Hinblick auf die nur noch zeitlich begrenzte Zulässigkeit der Anbindehaltung müsse er zum Erhalt seines Betriebs Umbau- und Erweiterungsarbeiten durchführen, da mit der Umstellung ein höherer Platzbedarf einhergehe; der mögliche Erweiterungsumfang sei allerdings noch abzuklären. Eine konkrete Baugenehmigung habe er zur Minimierung des Kostenrisikos und zur Senkung des Zeitdrucks bewusst noch nicht beantragt. Es stehe aber fest, dass in nächster Zeit ein Betrieb mit mindestens 110 GV bestehen werde und damit mit höheren bzw. schädlichen Emissionen zu rechnen sei, nachdem das neue Stallgebäude noch weiter an die Wohnbebauung heranrücken werde. Zudem sei die Baugenehmigung im Hinblick auf die Lärmbelastung ohne Auflagen zur architektonischen Selbsthilfe erteilt worden. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf seine Obliegenheit zur architektonischen Selbsthilfe bei einem Stallumbau sei mit dem Vorrang des landwirtschaftlichen Betriebs im Dorfgebiet nicht vereinbar. Bei dem Bauvorhaben handle es sich auch nicht um ein in dem Ortsteil übliches Ein- oder Zweifamilienhaus, sondern um eine geballte Wohnbebauung teilweise mit Wohneinheiten ausschließlich an der emissionsquellenzugewandten Nordseite, die zu einem vermehrten Potential an Einwendungen gegen seine Landwirtschaft führe. Die Klärung der Frage der objektiven Zumutbarkeitsgrenze sei in der Baugenehmigung zu entscheiden, eine Verlagerung auf zivilrechtliche Verfahren sei nicht zulässig. Den vorgelegten Gutachten lägen fehlerhafte Beurteilungsgrundlagen zugrunde, da sowohl die GV-Zahl als auch der GV-Wert unzutreffend seien. Es handle sich nicht um lediglich „marginale“ Abweichungen. Sein Aussetzungsinteresse sei daher höher als das Vollzugsinteresse der Beigeladenen zu werten.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er weist ergänzend darauf hin, dass die Anbindehaltung von Milchvieh nach geltendem Recht nach wie vor zulässig sei. Ein Zeitpunkt im Sinn einer „Ausstiegsfrist“, ab dem die Anbindehaltung verboten wäre, sei normativ nicht festgelegt, vielmehr werde ein tierwohlgünstiger Umbau der Landwirtschaft angestrebt. Der Vortrag des Antragstellers bestätige, dass eine konkrete Erweiterungsplanung nicht vorliege. Unabhängig davon sei nicht nachvollziehbar, dass im Beschwerdeverfahren dargelegt worden sei, dass „in nächster Zeit“ von mindestens 110 GV auszugehen sei, während er eine solche zukünftige Zahl im Vorbescheidsverfahren nicht habe benennen können. In seiner Vorbescheidsfrage habe er sich auch nicht auf eine bestimmte zukünftige Viehhaltungsform festgelegt, sodass gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erweiterungsabsichten des Antragstellers bestünden. Auch die Angaben zum aktuelle Viehbestand seien widersprüchlich, da er in der Beschwerdebegründung den Viehbestand mit 86,4 GV und zugleich mit 87,3 GV bezeichnet habe.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls die Zurückweisung der Beschwerde. Künftige Erweiterungen bzw. Erweiterungsabsichten eines landwirtschaftlichen Betriebs, der sich – wie hier – im unbeplanten Innenbereich befinde, könnten nur berücksichtigt werden, sofern sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden hätten. Bei dem geplanten Bauvorhaben des Antragstellers sei zu berücksichtigen, dass sich östlich und westlich vom Bestandsstall sowie vom Standort des geplanten Freilaufstalls bereits Wohnhäuser befänden. Ein Bestandsschutz könne nicht für den geplanten Neubau angenommen werden, da auch im Rahmen der BauNVO die Nähe bestehender Wohnbebauung zu berücksichtigen sei; auch im Dorfgebiet sei eine Wohnbebauung ausdrücklich zugelassen. Das vorgelegte Gutachten sei unter Berücksichtigung einer GV von 85,5 überarbeitet worden. Weshalb dem Gutachten entgegen der Anlage 9 zu § 9 GSVSV ein GV-Wert von 0,7 anstelle von 0,6 zugrunde gelegt werden müsse, lege der Antragsteller nicht dar.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe geben keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird und das Vollzugsinteresse demnach das gegenläufige Interesse des Antragstellers überwiegt. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Der Senat geht aufgrund der in den vorgelegten Akten befindlichen Lageplänen und der Darstellung in BayernAtlas nach summarischer Prüfung davon aus, dass das Baugrundstück und das nordwestlich anschließende Grundstück des Antragstellers – jedenfalls im Hinblick auf das Wohngebäude mit angegliedertem Stall – in einem faktischen Dorfgebiet im Sinn von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO liegen (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – BayVBl 1991, 473 zum Verlauf der Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich). In dem für die Bestimmung des Gebietscharakters maßgeblichen Umgriff befindet sich neben dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers noch ein weiterer landwirtschaftlicher Betrieb auf dem südlich an das Grundstück des Antragstellers angrenzenden Grundstück sowie Wohnbebauung und eine Zimmerei. Auch der Antragsteller selbst ist der Auffassung, dass es sich hier um ein faktisches Dorfgebiet handelt.
Dem Gebot der Rücksichtnahme, das als nachbarschützender bauplanungsrechtlicher Genehmigungsmaßstab im vorliegenden Fall bei Annahme eines faktischen Dorfgebiets in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthalten ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314), kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290). Es wird zulasten des Nachbarn verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – BauR 2013, 934; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 21). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4). Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314; BayVGH, B.v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – UPR 2017, 32; VGH BW, U.v. 12.10.2017 – 3 S 1457/17 – ZfBR 2018, 171). Eine heranrückende Wohnbebauung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 15 CS 20.901 – juris Rn. 27; NdsOVG, U.v. 12.6.2018 – 1 LB 141/16 – juris Rn. 23).
Das Wohnbauvorhaben der Beigeladenen setzt sich voraussichtlich nicht unzumutbaren Geruchsbelastungen aus, weswegen der Betrieb des Antragstellers keine Einschränkungen zu befürchten hat. Die der Entscheidung zugrunde gelegte geruchstechnische Untersuchung, die auf der Basis der Grundsätze der „Abstandsregelungen für Rinderhaltungen“ des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ erstellt wurde, geht in Übereinstimmung mit dem Antragsteller von der Schutzbedürftigkeit eines Dorfgebiets aus und berücksichtigt in der überarbeiteten Fassung vom 13. Juli 2021 nunmehr 85,5 Großvieheinheiten (GV). Die „Abstandsregelungen für Rinderhaltungen“ können als Orientierungshilfe herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2021 – 1 ZB 18.2158 – juris Rn. 10; B.v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 24; U.v. 10.5.2016 – 2 B 16.231 – juris Rn. 27). Danach ist ein für ein Dorfgebiet maßgeblicher Abstand von 37,1 m eingehalten, die Geruchsbelastung hält sich im grünen Bereich. Soweit der Antragsteller die Berechnungsgrundlage der Untersuchungen beanstandet und einen Ansatz von 87,3 GV für zutreffend erachtet, indem er für weibliche Rinder im Alter von ein bis zwei Jahren 0,7 GV je Rind ansetzt anstelle des in der Untersuchung zugrunde gelegten Werts von 0,6 GV je Rind, vermag er damit keine relevante Verschlechterung seiner bisherigen Lage zu begründen. Denn die geruchstechnische Untersuchung ist im Hinblick auf die knappe Einhaltung des grünen Mindestabstands unter Berücksichtigung der südlich an das Grundstück des Antragstellers angrenzenden weiteren Rinderhaltung zu dem Ergebnis gekommen, dass selbst bei einer Unterschreitung des grünen Mindestabstands zwischen den geplanten Wohnnutzungen und dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers keine schädlichen Umwelteinwirkungen vorliegen, da diese Rinderhaltung den grünen Mindestabstand zu den geplanten Wohnhäusern einhält und daher maximal eine mittlere Zusatzbelastung zu erwarten ist. Dazu und zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, es könne daher dahinstehen, ob der Ansatz für weibliche Rinder von lediglich 0,6 GV in der Untersuchung möglicherweise fehlerhaft sei, verhält der Antragsteller sich nicht. Die bloße Behauptung, es handle sich dabei nicht um eine „marginale“ Abweichung, sodass es an einer hinreichenden Bewertungsgrundlage fehle, reicht nicht aus.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegt auch eine im vorliegenden Verfahren zu beachtende konkrete Erweiterungsabsicht, die durch das streitige Vorhaben wesentlich erschwert oder unmöglich gemacht würde, nicht vor. Liegen – wie hier – das Baugrundstück und der landwirtschaftliche Betrieb des Antragstellers – im faktischen Dorfgebiet, können künftige Entwicklungen – anders als möglicherweise bei einem landwirtschaftlichen Betrieb im bauplanungsrechtlichen Außenbereich (vgl. BVerwG, B.v. 5.9.2000 – 4 B 56.00 – BauR 2001, 83 zur Abgrenzung des Bedürfnisses nach einer künftigen Betriebserweiterung von einem nur vagen Erweiterungsinteresse) nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im vorhandenen baulichen Bestand bereits ihren Niederschlag gefunden haben. Nutzungen, die noch nicht ausgeübt werden und ohne baurechtliche Genehmigung auch nicht ausgeübt werden dürfen, unterliegen nicht einer Rücksichtnahmepflicht. Auch der Umstand, dass nach § 5 BauNVO der landwirtschaftlichen Nutzung erkennbar eine besondere Rolle zuerkannt wird, lässt nicht den Rückschluss darauf zu, dass es nur auf eine gedachte zukünftige Nutzung ankomme. Der Vorrang, den die landwirtschaftliche Nutzung im (faktischen) Dorfgebiet beansprucht, äußert sich darin, dass der Schutz des Wohnens gegenüber landwirtschaftstypischen Störungen stärker eingeschränkt ist als in allen anderen Baugebieten (vgl. BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – BauR 1993, 445). Der lediglich geplante Neubau eines Milchviehstalls, für den der Antragsteller bisher (nur) einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids gestellt hat, fällt daher nicht mehr in den Schutzbereich des Rücksichtnahmegebots.
Es kann daher dahinstehen, ob die in dem Antrag gestellte Vorbescheidsfrage, die sich allein auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit insbesondere des Neubaus eines Stalls beschränkt, ohne die künftige (höhere) Mindestanzahl an Tierbestand aufzuzeigen bzw. eine künftig abweichende Viehhaltungsform, bereits die konkrete Ausgestaltung des Neubaus eines Milchviehstalls und damit etwaige Auswirkungen auf eine Berechnung der Geruchsimmissionen erkennen lässt oder ob sich die konkrete Ausgestaltung des Umbaus erst zukünftig zeigen wird. Dahinstehen kann auch die erstmals im Beschwerdeverfahren ohne nähere Darlegung behauptete Erhöhung des Tierbestands des Antragstellers in „nächster Zeit“ auf mindestens 110 GV sowie die möglichen Umstände, die einer Erteilung des Vorbescheids gegenwärtig entgegenstehen. Die Anzahl der Wohnungen in den zu errichtenden Wohnhäusern ist kein bodenrechtlich relevanter Gesichtspunkt (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – NVwZ 1989, 1060; U.v. 13.6.1980 – IV C 98.77 – BauR 1981, 45).
Das Beschwerdevorbringen zeigt im Hinblick auf Lärmimmissionen ebenfalls keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot auf. Nach Nummer 1 Abs. 2 Buchst. c TA Lärm sind nicht genehmigungsbedürftige landwirtschaftliche Anlagen wegen der besonderen Privilegierung der Landwirtschaft ausdrücklich vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommen. Da Betriebe der Landwirtschaft im Hinblick auf ihren Standort beschränkt sind und lediglich im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) oder in Dorfgebieten (§ 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) errichtet werden dürfen, sind dort die mit ihnen einhergehenden Immissionen gerade auch unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots von benachbarten Nutzungen grundsätzlich hinzunehmen. Die von landwirtschaftlichen Betrieben üblicherweise ausgehenden Emissionen sind daher auch in Bezug auf Lärm (Tiergeräusche, Lärm von Maschinen sowie Be- und Entlüftungsanlagen) gebietstypisch und daher in der Regel nicht als unzulässige Störung der in der Nachbarschaft vorhandenen oder geplanten Wohnnutzung anzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2021 – 1 ZB 18.2158 – juris Rn. 11; B.v. 10.8.2020 – 1 CS 20.1440 – juris Rn. 7, B.v. 10.2.2016 – 22 ZB 15.2329 – juris Rn. 22). Der vom Antragsteller eingeforderten Auflagen zur architektonischen Selbsthilfe bedurfte es daher nicht. Soweit das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Gegenseitigkeit der Verpflichtung zur Rücksichtnahme mögliche Verpflichtungen sowohl des Antragstellers als auch der Beigeladenen aufzeigt (vgl. BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 2 B 16.231 – juris Rn. 32), betrifft dies einen möglichen Bauantrag des Antragstellers, nicht aber das Bauvorhaben der Beigeladenen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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