Baurecht

Nachbarklage gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlagen

Aktenzeichen  AN 11 K 15.02105

Datum:
3.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BayBO BayBO Art. 82 Abs. 1
BImSchG BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1

 

Leitsatz

Hinsichtlich des Schattenwurfs einer Windkraftanlage können für die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle die “Hinweise zur Ermittlung und Beurteilung der optischen Immissionen von Windenergieanlagen” der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (WEA-Schattenwurf-Hinweise LAI)” vom 13. März 2002, die fachlich begründete Orientierungswerte enthalten, als geeignete Beurteilungsgrundlage herangezogen werden. (redaktioneller Leitsatz)
Erhebliche Belästigungen durch Infraschall sind unter Zugrundelegung des Windkrafterlasses Bayern vom 20. Dezember 2011, der ein antizipiertes Sachverständigengutachten hoher Qualität darstellt, ab einem Abstand von 250 Metern von einer Windkraftanlage im Allgemeinen nicht mehr zu erwarten. (redaktioneller Leitsatz)
Bei der sog. 10-H-Regelung (Art. 82 BayBO) handelt es sich um keine bauordnungsrechtliche Abstandsflächenvorschrift mit drittschützendem Charakter. Vielmehr bewirkt Art. 82 BayBO eine bauplanungsrechtliche Entprivilegierung von Vorhaben, die den Mindestabstand von 10 H zu den genannten Wohngebäuden nicht einhalten. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1). Die Beigeladene zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Anfechtungsklage ist zulässig. Die Kläger sind insbesondere klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, da sie geltend machen können, durch die streitgegenständlichen Windkraftanlagen schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ausgesetzt zu sein. Diese Möglichkeit ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, da sich das klägerische Grundstück innerhalb des „10-H-Bereichs“ befindet und die Kläger zudem geltend machen, dass der der Genehmigung zugrunde liegende Bebauungsplan nichtig sei.
2. Die Klage ist jedoch nach dem prozessualen Erfolgsmaßstab des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unbegründet, da der streitgegenständliche Genehmigungsbescheid die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt. Bei der hier vorliegenden Nachbarklage beschränkt sich insofern die gerichtliche Überprüfung darauf, ob gerade drittschützende Normen verletzt sind, denn auf sonstiges objektiv-rechtliches Recht kann sich ein Nachbar als Dritter nicht berufen.
a) Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BImSchG in Verbindung mit der drittschützenden Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG darf eine Anlage nur genehmigt werden, wenn sie keine schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft hervorruft. Schädliche Umwelteinwirkungen definiert § 3 Abs. 1 BImSchG als „Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen“. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird unter anderem durch die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA-Luft) und durch die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften (vgl. § 48 Abs. 1 BImSchG) näher bestimmt.
aa) Die genehmigten Anlagen führen zu keiner unzumutbaren Lärmbelästigung am klägerischen Anwesen, worauf es allein ankommt. Die Grenze dessen, was den Klägern an Geräuschbelastungen rechtlich zuzumuten ist, bestimmt sich nach der TA Lärm. Die TA Lärm ist nach ständiger Rechtsprechung auf Windkraftanlagen anwendbar (vgl. z. B. BVerwG vom 29.8.2007 Az. 4 C 2/07; BayVGH vom 14.1.2009 Az. 22 ZB 08.1715). Im Genehmigungsbescheid hat das Landratsamt in Einklang mit der TA Lärm unter Ziffer 3.5.2 festgesetzt, dass in einem Allgemeinen Wohngebiet von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr an den Immissionsorten … in … und … , OT … die Immissionsrichtwerte 34 dB(A) nicht überschritten werden dürfen. Aus dem Schallgutachten geht hervor, dass die Immissionsschutzwerte an den Immissionsorten eingehalten werden. Dass am Anwesen der Kläger höhere Immissionswerte zu erwarten sind, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Gegen das Gutachten wurden keine substantiierten Einwände vorgebracht und dem Gericht drängen sich solche auch nicht auf.
bb) Auch führt der von den genehmigten Anlagen ausgehende Schattenwurf für das klägerische Anwesen nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Kläger.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass für die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle die „Hinweise zur Ermittlung und Beurteilung der optischen Immissionen von Windenergieanlagen” der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) (WEA- Schattenwurf-Hinweise LAI)“ vom 13. März 2002, die fachlich begründete Orientierungswerte enthalten, als geeignete Beurteilungsgrundlage herangezogen werden können (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27.3.2015, Az. 22 CS 15.481; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6.7.2015, Az. 8 S 534/15). Obwohl nur Erkenntnisquelle und Orientierungshilfe „im Sinne eines groben Anhalts“ sowie einer im Ergebnis rechtlich nicht bindenden Auslegungshilfe, sind die LAI-Hinweise bei Prüfung und Würdigung des hiesigen Einzelfalles als sachverständige Beurteilungshilfe vom Gericht nutzbar gewesen und angewandt worden. Die Beachtung dieser Werte gewährleistet, dass der von den Windkraftanlagen ausgehende Schattenwurf keine Beeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verursacht. Die Berechnungen im Schattenwurfgutachten haben für den Immissionsort C, der in der Nähe des Anwesens der Kläger liegt, einen Schattenwurf von 14:04 Stunden pro Jahr und 0:19 maximale Schattenstunden am Tag ergeben. Die an den Schattenwurfhinweisen orientierten Richtwerte für die astronomisch maximal zulässigen Schattenstunden pro Tag von 30 Minuten und 30 Stunden pro Jahr werden damit nicht überschritten. Dass sich die Schattenwurfsituation auf dem Anwesen der Kläger gänzlich anders darstelle, ist aufgrund der Lage des Anwesens weder anzunehmen noch wurde dies vorgetragen oder drängt sich dies dem Gericht auf.
cc) Von den Klägern wurde nicht dargetan, dass durch die streitgegenständlichen Anlagen Infraschall im Sinne einer schädlichen Umwelteinwirkung für sie entsteht. Unter Zugrundelegung des Windkrafterlass Bayerns vom 20. Dezember 2011, bei dem es sich rechtlich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten von hoher Qualität handelt, vgl. BayVGH, Urteil vom 18.6.2014, Az. 22 B 13.1358, sind ab einem Abstand von 250 m von einer Windkraftanlage im Allgemeinen keine erheblichen Belästigungen durch Infraschall mehr zu erwarten, vgl. 8.2.8 des Windkrafterlasses. Auf den dort ebenfalls genannten Abstand von 500 m – der hier unstrittig auch eingehalten ist – kommt es vorliegend insoweit nicht an, als dieser Abstand allenfalls unter den drittschutzgewährenden Vorsorgegesichtspunkten im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG relevant ist. Da das klägerische Anwesen etwa 1500 m von den streitgegenständlichen Anlagen entfernt ist und damit weit außerhalb der geforderten Abstände liegt sowie eine Ausnahmesituation weder vorgetragen noch von Amts wegen bei den Klägern mit deren Grundstücken zu erkennen ist, können schädliche Umwelteinwirkungen durch Infraschall der Windkraftanlagen ausgeschlossen werden.
b) Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG darf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zudem nur erteilt werden, wenn Errichtung und Betrieb der Anlage auch keine anderen öffentlich-rechtlichen anlagenbezogenen Vorschriften entgegenstehen, die im immissionsschutzrechtlichen Verfahren zu prüfen sind. Andere anlagenbezogene Vorschriften sind unter anderem die bauplanungsrechtlichen Vorgaben der §§ 29 ff. BauGB. Eine Verletzung dieser Normen nach diesem Maßstab ist hier nicht gegeben. Dabei kommt es auf die Frage, ob der Bebauungsplan rechtmäßig ist, nicht an.
aa) Die Rechtmäßigkeit des qualifizierten Bebauungsplans unterstellt findet § 35 BauGB keine Anwendung, vgl. § 30 Abs. 1, Abs. 3 BauGB und dementsprechend auch nicht die in Art. 82 Abs. 1 BayBO geregelte 10-H-Regelung. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ergibt sich dann vielmehr allein aus § 30 Abs. 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Dies ist bei den streitgegenständlichen Anlagen der Fall.
bb) Die Rechtswidrigkeit und damit Normnichtigkeit des Bebauungsplans unterstellt, findet für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Anlagen § 35 BauGB Anwendung. Da die streitgegenständlichen Anlagen den Mindestabstand vom Zehnfachen ihrer Höhe zum Anwesen der Kläger unterschreiten, fände gemäß Art. 82 Abs. 1 BayBO § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB keine Anwendung. Die Zulässigkeit der Windkraftanlage als „sonstiges Vorhaben“ richtete sich dann dementsprechend nach § 35 Abs. 2 BauGB. Danach kann ein Vorhaben im Einzelfall zugelassen werden, wenn seine Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
Auf eine Verletzung der der 10-H-Regelung können sich die Kläger schon nicht berufen, da diese keinen drittschützenden Charakter vermittelt.
Ob eine konkrete Norm Drittschutz vermittelt, wird im Wesentlichen nach den Grundsätzen der sogenannten Schutznormtheorie ermittelt, vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Juni 2009, Az. 14 ZB 09.656, mit weiteren Nachweisen. Danach muss die betreffende Norm zumindest auch ein Individualinteresse derart schützen, dass dessen Träger die Einhaltung des Rechtssatzes soll verlangen können, BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1993, Az. 3 C/89. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung der betreffenden Norm zu ermitteln.
Aus der Zielsetzung wie auch aus den systematischen Folgen der Neuregelung des Art. 82 BayBO ergibt sich, dass es sich bei der 10-H-Regelung gerade nicht um eine bauordnungsrechtliche Abstandsflächenvorschrift mit drittschützendem Charakter handelt. Vielmehr bewirkt Art. 82 BayBO eine bauplanungsrechtliche Entprivilegierung von Vorhaben, die den Mindestabstand von 10 H zu den genannten Wohngebäuden nicht einhalten. Bei § 35 Abs. 1 Nrn. 1 bis 8 BauGB handelt es sich wiederum um Planungsentscheidungen des Gesetzgebers, die städtebaulichen Zielen dienen und keinen Individualschutz für Dritte vermitteln. Dafür spricht letztlich auch die in Art. 82 Abs. 5 BayBO normierte Abweichungsbefugnis der Gemeinden, die nur im Zusammenhang mit einer städtebaulichen Regelung Sinn ergibt. Denn es dürfte nicht der gesetzgeberischen Intention entsprechen, den jeweiligen Standortgemeinden eine Dispositionsbefugnis über drittschützende Normen einzuräumen. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung zur Neuregelung. Insoweit wird lediglich auf eine erhöhte Akzeptanz der Windenergie in der Bevölkerung bei Einhaltung der statuierten Mindestabstände verwiesen (vgl. Landtag Drucksache 17/2137). Nicht ausgeführt wird hingegen, dass die unter den in Art. 82 BayBO n. F. normierten Voraussetzungen eintretende Entprivilegierung bezüglich unzumutbarer immissionsfachlicher Einwirkungen oder dergleichen auf die Nachbaranwesen erforderlich gewesen wäre. Derartige Erwägungen wären nach dem oben Ausgeführten bereits nicht mehr von der in § 249 Abs. 3 BauGB geregelten Gesetzgebungsbefugnis des Landesgesetzgebers gedeckt. Denn diese ermöglicht lediglich, die Anwendbarkeit des Privilegierungstatbestands des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB von der Einhaltung bestimmter Abstände zu bestimmten Baugebieten abhängig zu machen. Die privilegierte Zulässigkeit von Vorhaben der Windenergie kann jedoch auf der vorgenannten Ermächtigungsgrundlage nicht aus anderen – etwa immissionsfachlichen – Gründen begrenzt werden (so auch VG Bayreuth, Urteil vom 24.11.2015, Az. B 2 K 15.77).
Einzig § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB kann über das partiell drittschützende Gebot der Rücksichtnahme hier im Einzelfall Drittschutz vermitteln. Nach den Ausführungen unter 2. a) sind die nachbarschützenden immissionsschutzrechtlichen – die auch den Maßstab hier im BauGB bilden – Anforderungen gewahrt, so dass es keine Anhaltspunkte für eine unzumutbare Betroffenheit der Kläger gibt. Das Bebauungsrecht vermittelt im Vergleich zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG keinen andersartigen oder weitergehenden Nachbarschutz, vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September1992, Az.: 7 C 7.92. Da wie oben dargelegt eine Verletzung drittschützender Kriterien nicht ersichtlich ist, ist die Klage abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) entspricht der Billigkeit, weil diese einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko übernommen hat, § 154 Abs. 3 VwGO. Mangels Antrags trägt die Beigeladene zu 2) hingegen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nrn. 19.2 und 2.2.2 Streitwertkatalog.


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