Baurecht

Nachbarrechtsbehelf eines Sondereigentümers im einstweiligen Rechtsschutz

Aktenzeichen  1 CS 17.2539

Datum:
1.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2984
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 59
BauGB § 30 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Die Antragsbefugnis eines Wohnungseigentümers setzt voraus‚ dass der Wohnungseigentümer die konkrete Betroffenheit des in seinem Sondereigentum stehenden Wohneigentums darlegt. (Rn. 3) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Wird vorgebracht, der zu Grunde liegende Bebauungsplan sei unwirksam, ist darzulegen, weshalb sich aus der behaupteten Unwirksamkeit des Bebauungsplans eine Verletzung von Nachbarrechten ergeben könnte. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

M 11 SN 17.4959 2017-12-06 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750‚- Euro festgesetzt.

Gründe

Die im Beschwerdeverfahren innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Gründe‚ auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO)‚ geben keine Veranlassung‚ die angegriffene Entscheidung zu ändern. Der Senat geht zu Gunsten der Antragsteller zwar davon aus‚ dass sie antragsbefugt sind; der Antrag ist jedoch unbegründet‚ da die angefochtene Baugenehmigung voraussichtlich keine Rechte der Antragsteller verletzt.
Der Senat geht von der Antragsbefugnis der Antragsteller aus‚ da im Beschwerdeverfahren – anders als im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht – zumindest ansatzweise dargelegt wurde‚ in welcher Form das Eigentumsrecht der Antragsteller betroffen sein könnte.
Die Antragsteller als Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) können baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nur geltend machen‚ wenn eine konkrete Beeinträchtigung ihres Sondereigentums im Raum steht (BVerwG‚ U.v. 20.8.1992 – 4 B 92.92 – juris Rn. 10; BayVGH‚ B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – NVwZ 2013, 1622). Rechte, die im gemeinschaftlichen Eigentum für das gesamte Grundstück wurzeln‚ können demgegenüber nur von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und nicht von den einzelnen Wohnungseigentümern geltend gemacht werden (BayVGH‚ B.v. 27.7.2017 – 1 CS 17.918 – juris Rn. 3). Die Antragsbefugnis setzt deshalb voraus‚ dass die Antragsteller die konkrete Betroffenheit ihres im Sondereigentum stehenden Wohneigentums darlegen. Im Beschwerdeverfahren hat der Bevollmächtigte der Antragsteller ausgeführt‚ dass sich die Wohnung im ersten Obergeschoss des Anwesens K… befinde und auf Fotografien verwiesen‚ aus denen sich im Zusammenhang mit dem Beschwerdevorbringen schließen lässt‚ dass jedenfalls ein im Anwesen K… erstes Obergeschoss befindlicher Balkon mit der Ausrichtung nach Südosten zur Wohnung der Antragsteller gehört. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass dieser und die dahinter befindlichen Wohnräume im Sondereigentum der Antragsteller stehen. Insofern ist eine mögliche Betroffenheit der Antragsteller durch das Bauvorhaben nicht auszuschließen. Nachdem es aber weiterhin an einer genauen Bezeichnung des Sondereigentums der Antragsteller durch Nennung der Wohnungsnummer laut Aufteilungsplan und eine planliche Darstellung des Sondereigentums fehlt, können der inhaltlichen Prüfung der Beschwerde nur der beschriebene Bereich des Balkons und die hinter diesem liegenden Räume zu Grunde gelegt werden.
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist das Verwaltungsgericht zu Recht auch von der Unbegründetheit des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ausgegangen, weil die Klage der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die angefochtene Baugenehmigung vom 22. Mai 2017 verstößt – worauf es allein ankommt – nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind.
Soweit die Antragsteller geltend machen‚ das Abstandsflächenrecht sei verletzt, kann dieser Einwand der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen haben die Antragsteller bereits nicht dargelegt‚ dass für den Bereich‚ in dem der Abstandsflächenverstoß vermutet wird (Hauseingangsbereich im Nordwesten des Anwesens K… ……) ein Abwehrrecht der Antragsteller in Betracht kommt. Zum anderen wurde das streitgegenständliche Bauvorhaben im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO zugelassen. Die Frage der Einhaltung der Abstandsflächen ist deshalb nicht vom Prüfumfang und der Feststellungswirkung der Baugenehmigung umfasst. Eine Verletzung der Rechte der Antragsteller durch die streitgegenständliche Baugenehmigung hinsichtlich der Abstandsflächenvorschriften scheidet daher von vorneherein aus.
Die angefochtene Baugenehmigung verstößt voraussichtlich nicht gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, das unabhängig von einer Wirksamkeit des Bebauungsplans zu berücksichtigen ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.11.2016 – 15 CS 16.1688 – juris Rn. 19; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 18). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots in Form einer „erdrückenden Wirkung“ des zugelassenen Bauvorhabens auf das Sondereigentum der Antragsteller liegt nicht vor. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängen die Anforderungen‚ die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG‚ U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986‚ 1271). Eine einmauernde oder erdrückende Wirkung kommt dann in Betracht, wenn nach Höhe und Volumen übergroße Baukörper in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden errichtet werden (vgl. BVerwG‚ U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – a.a.O.; BayVGH‚ B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – BayVBl 2009, 751; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei Beurteilung einer erdrückenden Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Ausdehnung sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH‚ B.v. 10.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; BayVGH‚ B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme einer abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes‚ was insbesondere gilt‚ wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH‚ B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
Unter Zugrundelegung der vorstehenden Maßgaben legt die Beschwerdebegründung eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots schon nicht ausreichend dar‚ da sie von unzutreffenden Maßen des geplanten Baukörpers ausgeht. Es erschließt sich dem Senat nicht‚ wie die Antragsteller anhand der vorliegenden Pläne zu dem Ergebnis gelangen‚ der Balkon werde im Süden mit einer 4‚20 m tiefen Wand eines sechsgeschossigen Gebäudes eingemauert. Der im Südwesten des Balkons der Antragsteller geplante Baukörper tritt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze lediglich ca. 1‚44 m nach Südosten vor die südöstliche Außenwand des Anwesens, in dem sich die Wohnung der Antragsteller befindet. Der zugelassene sechsgeschossige Gebäudeteil bildet deshalb für den Balkon der Antragsteller eine Trennwand nach Südwesten, die die Balkontiefe kaum oder nur geringfügig überschreitet. Demgegenüber ist der sich an den sechsgeschossigen Baukörper auf dem Baugrundstück nach Südosten anschließende Baukörper nur eingeschossig und erreicht die Balkonbrüstung des Balkons der Antragsteller nicht. Die bisher bestehende Belichtung und die freie Sicht vom Balkon nach Südosten bleiben unbeeinträchtigt. Das Bauvorhaben ist daher nicht geeignet, die Wohnung der Antragsteller zu verschatten oder optisch zu bedrängen. Vom Balkon der Antragsteller eröffnet sich der Blick auf die begrünte Dachterrasse des auf dem Baugrundstück geplanten erdgeschossigen Baukörpers. Durch die zugelassene Bebauung tritt somit keine wesentliche Verschlechterung der Belichtungssituation gegenüber dem bisherigen Zustand ein. Aus dem in den Bauvorlagen befindlichen amtlichen Lageplan ergibt sich‚ dass schon der früher auf dem Baugrundstück vorhandene Altbestand an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ca. 1 m weiter in Richtung Südosten reichte als die südöstliche Außenwand des Anwesens K… Nachdem auf dem Baugrundstück schon bisher ein mehrgeschossiges Gebäude vorhanden war, bestand daher beim Balkon der Antragsteller schon bisher in Richtung Südwesten eine Ecksituation. Da der Balkon der Antragsteller in der gesamten Tiefe überdacht ist, wird der Lichteinfall von Oben nicht durch die Außenwand des Gebäudes auf dem Baugrundstück, sondern durch die Balkonüberdachung und den im 2. Obergeschoss befindlichen Balkon vermindert. Daher ändert sich die Belichtungssituation für die Antragsteller auch durch die Vergrößerung der Wandhöhe der vorspringenden Wand auf dem Baugrundstück nicht spürbar.
Soweit in der Beschwerdebegründung ausführt wird‚ der für das Baugrundstück geltende Bebauungsplan sei unwirksam, kann dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Das Erstgericht hat zu Recht ausgeführt‚ dass auch im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots hinsichtlich des Sondereigentums der Antragsteller festzustellen seien (BA S. 10). Die Beschwerde legt nicht dar, weshalb sich aus der behaupteten Unwirksamkeit des Bebauungsplans eine Verletzung von Nachbarrechten ergeben könnte. Nur hierauf kommt es für den Erfolg des Rechtsbehelfs der Antragsteller an. Die Wirksamkeit des Bebauungsplans als Rechtsnorm ist nicht entscheidungserheblich.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2‚ § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen‚ weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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