Baurecht

nachbarrechtsrelevante Unbestimmtheit einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  1 CS 22.551

Datum:
26.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9237
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 37

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 1 SN 21.5130 2022-02-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 16. Juli 2021 zur Errichtung einer Maschinenhalle mit Lagerräumen und Garagen auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung A. Sie ist Eigentümerin des bislang unbebauten Grundstücks FlNr. …7, das westlich des Vorhabengrundstücks gelegen ist, sowie des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. …, das mit seiner nordöstlichen Ecke an das Vorhabengrundstück angrenzt.
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Die Baugenehmigung sei im Hinblick auf drittschützende Vorschriften nicht hinreichend bestimmt. Nach dem objektiven Erklärungsgehalt der Baugenehmigung sei eine Maschinenhalle mit Lagerräumen und Garagen genehmigt worden. Dieses Vorhaben umfasse die Möglichkeit einer gewerblichen Nutzung. Die Erklärung des Beigeladenen, das Vorhaben nur privat nutzen zu wollen, sei nicht Bestandteil der Baugenehmigung. Eine rein private Nutzung des Bauvorhabens liege sowohl im Hinblick auf die einzustellenden Gerätschaften als auch im Hinblick auf die Größe des Vorhabens fern. Die Antragstellerin könne anhand der vorliegenden Unterlagen nicht feststellen, ob und in welchem Umfang sie von der Baugenehmigung betroffen sei. Die Unbestimmtheit im Hinblick auf die Nutzung des Gebäudes betreffe den Anspruch auf Wahrung der gebotenen Rücksichtnahme. Zudem stehe jedenfalls im Hinblick auf ihr Grundstück FlNr. … ein Gebietserhaltungsanspruch im Raum.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Beigeladenen. Eine gewerbliche Nutzung sei nicht von der Baugenehmigung umfasst. Seine im Genehmigungsverfahren abgegebene Erklärung, das Vorhaben nur privat nutzen zu wollen, sei für die Auslegung der Baugenehmigung von Bedeutung und liege dieser zu Grunde.
Der Antragsgegner stellte im Beschwerdeverfahren keinen Antrag und sah von einer Stellungnahme ab. Die Antragstellerin trat der Beschwerde entgegen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Beigeladenen dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zu Recht angeordnet. Die Klage der Antragstellerin wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben, sodass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen vorrangig ist.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die im Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Antragsunterlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (vgl. BVerwG, B.v. 20.5.2014 – 4 B 21.14 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 1 CS 21.2776 – juris Rn. 13, B.v. 23.9.2020 – 1 CS 20.1595 – juris Rn. 3; B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 10). Nicht mit Genehmigungsvermerk versehene Unterlagen können allenfalls dann zur Auslegung des Inhalts der Baugenehmigung herangezogen werden, wenn anderweitig im Genehmigungsbescheid oder in den (gestempelten) Bauvorlagen auf sie genommen wird (BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 15 ZB 21.2871 – juris Rn. 17).
Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht der angegriffenen Entscheidung zu Grunde gelegt und ist zutreffend zu der Einschätzung gelangt, dass die Baugenehmigung im Hinblick auf die Nutzungsart nicht hinreichend bestimmt ist. Die gegenüber der Gemeinde abgegebene Erklärung des Beigeladenen vom 7. Juni 2021, wonach es sich um eine privat genutzte Halle zum Abstellen von Maschinen handle, hat keinen Eingang in die Baugenehmigung gefunden. Weder wurde sie zum Bestandteil der Genehmigung erklärt noch wurde auf sie nach den oben dargestellten Grundsätzen Bezug genommen, sodass sie zur Auslegung der Baugenehmigung nicht herangezogen werden kann. Dass die Antragstellerin nach ihrem erstinstanzlichen Vorbringen selbst von einer ausschließlich privaten Nutzung des Vorhabens ausgegangen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Maßgeblich für die Auslegung einer Baugenehmigung sind die objektiven Umstände, nicht die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten. Da somit die Nutzungsart des Bauvorhabens unklar bleibt, fehlt es der Baugenehmigung an der hinreichenden Bestimmtheit in nachbarrechtsrelevanter Weise. Dabei kommt es entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht darauf an, ob das Bauvorhaben zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme bzw. des Gebietserhaltungsanspruchs führt. Es genügt, dass eine solche Verletzung auf Grund der Unbestimmtheit der Baugenehmigung nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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