Baurecht

Nachträgliche Bebauung eines zunächst als unbebaut veranlagten Grundstücks

Aktenzeichen  20 B 16.115

Datum:
9.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5 Abs. 2a
AO AO § 169

 

Leitsatz

Ein einmal entstandener fiktiver Geschossflächenbeitrag in Höhe von einem Viertel der Grundstücksfläche unterliegt der Festsetzungsverjährung unabhängig davon, ob er durch einen Beitragsbescheid festgesetzt worden ist und mindert die neu zu veranlagende, zusätzlich geschaffene Geschossfläche.

Verfahrensgang

4 K 13.937 2015-04-29 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29. April 2015 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Klägerin. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren, weil die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2015 wird geändert, weil der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. November 2013 rechtmäßig ist. Der Beitragsbescheid der Klägerin vom 23. April 2010 ist dagegen rechtswidrig und verletzt den Beigeladenen in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit er vom diesem angefochten worden ist. Zutreffend geht nämlich der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. November 2013 davon aus, dass ein Geschossflächenbeitrag nur in Höhe der ein Viertel der Grundstücksfläche übersteigenden neu geschaffenen Geschossfläche entstanden ist.
Nach Art. 5 Abs. 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählen auch öffentlich betriebene Entwässerungseinrichtungen, wie die der Klägerin. Von dieser Ermächtigung hat die Klägerin durch den Erlass einer Beitrags- und Gebührensatzung vom 16. Januar 1997 (BGS/EWS 1997) Gebrauch gemacht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Abgabesatzung und der zugrundeliegenden Entwässerungssatzung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Gemäß Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG entsteht ein zusätzlicher Beitrag, wenn sich nachträglich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern. So liegt es hier. Das Grundstück des Beigeladenen, welches zunächst als unbebautes Grundstück mit Bescheid vom 13. Februar 1992 nur mit der Grundstücksfläche veranlagt wurde, ist nachträglich mit einem Einfamilienhaus bebaut worden. Grundsätzlich entsteht hierbei ein zusätzlicher Herstellungsbeitrag, wenn wie von der Klägerin nach der tatsächlichen Geschossfläche abgerechnet wird. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt. Davon gehen auch alle Beteiligten aus.
Die Erhebung eines zusätzlichen Beitrags hat sich nach Art. 5 Abs. 2a KAG am Vorteilsbegriff zu orientieren. Daran anknüpfend kann ein Beitragstatbestand, der einmal verwirklicht wurde und damit eine Beitragspflicht entstanden ist, nicht mehr zur Beitragserhebung führen, wenn die Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Dies gebietet der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung (vgl. hierzu Driehaus, Kommunales Abgabenrecht, § 8 Anm. 746) im Zusammenhang mit den Vorschriften der Festsetzungsverjährung.
Zutreffend geht das Verwaltungsgericht noch davon aus, dass mit dem Inkrafttreten der BGS-EWS vom 16. Januar 1997 am 1. Januar 1997 für die im Geltungsbereich des damaligen Bebauungsplanes gelegene Teilfläche des Grundstücks Fl.-Nr. 1359 ein Grundstücksflächenbeitrag (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BGS-EWS) und ein fiktiver Geschossflächenbeitrag entstanden sind, wobei ein Viertel der Grundstücksfläche als Geschossfläche anzusetzen ist (§ 5 Abs. 4 Satz 2 BGS-EWS). Das vorher erlassene Satzungsrecht ist nichtig gewesen, weil die Satzung vom 23. Dezember 1985 eine Nebengebäuderegelung enthalten hat, die nach der Rechtsprechung des Senats zur Gesamtnichtigkeit des Beitragsteils der Abgabesatzung führt (BayVGH, U. v. 18. 1. 2005 – 23 B 04.2222 – BeckRS 2005, 39594). Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 BGS-EWS (1997) ist bei unbebauten Grundstücken die anzusetzende Geschossfläche nach der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung zu ermitteln. Fehlt es an einer heranziehbaren Umgebungsbebauung, ist gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 BGS-EWS ein Viertel der Grundstücksfläche als Geschossfläche anzusetzen. Nach dem Vortrag der Beteiligten und dem vorgelegten Akteninhalt geht der Senat davon aus, dass das Grundstück des Beigeladenen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht am 1. Januar 1997 unbebaut war. Hierfür spricht bereits der Beitragsbescheid der Klägerin vom 13. Februar 1992, welcher ausdrücklich von einem unbebauten Grundstück ausgeht und nicht ersichtlich und vorgetragen ist, dass hernach eine Bebauung erfolgt ist. Ausschlaggebend für diese Einschätzung ist jedoch die schriftliche Stellungnahme des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Wunsiedel (Außenstelle Hof) vom 10. Februar 2017. Danach sei auf dem Flurstück 1359 der Gemarkung … im Jahre 1932 eine Gärtnerei mit Wasserbehälter eingemessen und in den amtlichen Karten vorgetragen worden. Im Jahre 1981 sei laut Fortführungsriss Nummer 2778 festgestellt, dass bis auf den Wasserbehälter sämtliche Gebäude der Gärtnerei abgebrochen gewesen und aus der Karte entfernt worden seien. Bei dem im Kartenausschnitt dargestellten Objekt handele es sich um den Wasserbehälter. Gründe, diese Ausführungen in Zweifel zu ziehen, sind nicht ersichtlich. Die Behauptung der Klägerin, auf dem Grundstück sei zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Nebengebäude vorhanden gewesen, welches keinen Schmutzwasserbedarf ausgelöst habe, ist unsubstantiiert und nicht belegt.
War damit das Grundstück des Beigeladenen zum Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht am 1. Januar 1997 unbebaut, so sind nach den Beitragstatbeständen der Satzung der Klägerin ein Beitrag für die Grundstücksfläche, der hier nicht im Streit steht, und ein fiktiver Geschossflächenbeitrag in Höhe eines Viertels der Grundstücksfläche entstanden. Eine Ermittlung der fiktiven Geschossfläche gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 BGS-EWS (1997) anhand der vorhandenen Umgebungsbebauung ist dabei mangels Anhaltspunkten nicht durchzuführen, so dass ein Herstellungsbeitrag in Höhe von einem Viertel der Grundstücksfläche (§ 5 Abs. 4 Satz 2 BGS-EWS) im Jahr 1997 entstanden und nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG i.V.m. §§ 169, 170 AO mit Ablauf des Jahres 2001 verjährt ist.
Daran ändert die Bestimmung des § 5 Abs. 6 der BGS-EWS (1997) der Klägerin nichts. Wird danach ein unbebautes Grundstück, für das ein Beitrag nach dem hier einschlägigen Absatz 4 festgesetzt worden ist, später bebaut, so wird der Herstellungsbeitrag (im Wege einer Gegenüberstellung der Geschossflächen nach Satz 2) neu berechnet. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass früher entstandene Beitragspflichten, die wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr veranlagt werden können, bei der Berechnung des zusätzlichen Beitrags nicht oder lediglich mit den im Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht geltenden Beitragssatz berücksichtigt werden können. Eine entsprechende Auslegung der Satzungsbestimmung würde gegen das Gebot der Einmaligkeit der Beitragserhebung verstoßen und wäre damit (teil-)nichtig. Denn bei dem sog. fiktiven Geschossflächenbeitrag handelt es sich um einen Bestandteil eines echten Herstellungsbeitrags und nicht etwa um eine Vorauszahlung, weil der Vorteil im beitragsrechtlichen Sinn auch einem nicht bebauten, aber bebaubaren Grundstück innewohnt. Folglich ist die fiktive Geschossfläche und nicht ein fiktiver Geschossflächenbeitrag in Abzug zu bringen. Es ist damit eine neue Beitragspflicht entstanden, soweit die neu geschaffene Geschossfläche die fiktive Geschossfläche übersteigt (BayVGH; B. v. 26.4.1989 – 23 CS 90.468 – BeckRS 1990, 08814).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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