Baurecht

Normenkontrolleilantrag einer Nachbargemeinde – Sondergebiete für Windenergie

Aktenzeichen  9 NE 19.2274

Datum:
19.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 93
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Das interkommunale Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB) vermittelt einer benachbarten Gemeinde nicht automatisch die Befugnis, alle Bebauungspläne zum Gegenstand einer Normenkontrolle machen zu können, die einen räumlichen Bezug zum eigenen Gemeindegebiet haben. Nur gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf dem benachbarten Gemeindegebiet kann sich eine Gemeinde zur Wehr setzen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen des interkommunalen Abstimmungsgebots können nur Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Nachbargemeinde relevant sein. Faktische Auswirkungen auf Nachbargemeinden können ausreichen, sofern sie städtebauliche Relevanz haben. Doch bedarf es auch insoweit des Erreichens einer gewissen, näher zu präzisierenden Intensitätsschwelle, um eine Abstimmungspflicht nach § 2 Abs. 2 BauGB zu begründen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein lediglich allgemeines Freihaltungsinteresse für bestimmte Gemeindeteile, um sich etwaige Planungsoptionen für die Zukunft oder Nutzungsmöglichkeiten Dritter abstrakt offen zu halten, ist nicht schutzwürdig und stellt keinen planungsrechtlich beachtlichen Belang dar. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Gemeinde kann nicht als Sachwalterin private Interessen ihrer Bürger vertreten und durchsetzen und ist auch nicht Kontrolleurin der zur Wahrung öffentlicher Belange berufenen staatlichen Behörden. Sie kann sich daher auf gesundheitliche Belange ihrer Gemeindebürger, Eingriffe in das Landschaftsbild oder den Wasserhaushalt sowie auf naturschutz- und landschaftsschutzrechtliche Belange nicht berufen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 30.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich als Nachbargemeinde gegen den am 20. März 2019 bekanntgemachten Bebauungsplan „Sondergebiet …, …“ des Antragsgegners.
Das Plangebiet umfasst ca. 27 ha und befindet sich im Gemeindegebiet des Antragsgegners ca. 900 m nordwestlich seines Ortsteils H… und 150 m westlich der Bundesautobahn * an der südlichen bzw. südöstlichen Gemeindegrenze der Antragstellerin in einem Bereich, in dem bereits zwei Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von 135 m und einem Rotordurchmesser von 101 m auf FlNr. … bzw. … Gemarkung H… errichtet sind und ansonsten landwirtschaftliche Nutzung stattfindet. Im parallel geänderten Flächennutzungsplan wird das Plangebiet als Sondergebiet für Windenergienutzung dargestellt. Nach dem Regionalplan Region W… befindet sich das Plangebiet im durch Beschluss des Planungsausschusses vom 15. September 2017 erweiterten dortigen Vorbehaltsgebiet für Windkraftnutzung (WK **).
Gegenstand der Planung ist im Wesentlichen die Festsetzung von drei 3.500 m² großen Sondergebieten für Windenergie jeweils mit Baugrenzen auf sonst landwirtschaftlichen Nutzflächen, innerhalb der je eine Windenergieanlage errichtet werden kann. Das westliche sowie das südliche Sondergebiet im Plangebiet sind mit den vorhandenen Windenergieanlagen belegt. Eine dritte Anlage ist im östlich gelegenen Sondergebiet auf FlNr. … Gemarkung H… geplant. Nach Nummer 2.1 der textlichen Festsetzungen sind innerhalb des Geltungsbereichs des Sondergebiets Anlagen zur Nutzung der Windenergie sowie die zur Errichtung oder den Betrieb notwendigen Nebenanlagen, Leitungen und Erschließungsflächen zulässig. Nach Nummer 2.2.2 beträgt die maximale Höhe der Anlagen in den Sondergebieten vom Bezugspunkt … ü.NN bis zur Rotorblattspitze gemessen 220 m.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 18. November 2019 hat die Antragstellerin einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan „Sondergebiet …, …“ des Antragsgegners gestellt, über den noch nicht entschieden ist (Az. 9 N 19.2265). Sie macht dort geltend, in ihrem Recht auf gemeindliche Abstimmung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB sowie in ihrem Recht auf Abwägung ihrer Belange in beachtlicher Weise verletzt zu sein. Die Planungshoheit der Antragstellerin sei erheblich beeinträchtigt, weil sie aufgrund der von den Windenergieanlagen ausgehenden Emissionen darin eingeschränkt sei, Wohngebiete auszuweisen und sich die Immissionen negativ auf bestehende bebaute Gebiete der Antragstellerin auswirkten. Der Abstand zwischen dem Bebauungsplangebiet bzw. den Windenergieanlagen und der Wohnbebauung im Bereich ihres Ortsteils U… betrage 1750 m, zu ihrem Ortsteil G… seien es 1680 m. Die 10 H-Regelung gemäß Art. 82 Abs. 1 BayBO sei somit unterschritten. Es könne aber nur bei Einhaltung eines entsprechenden Abstands davon ausgegangen werden, dass die Interessen der in diesem Umkreis lebenden Menschen gewahrt werden. Eine Unterschreitung erfordere eine weitergehende, über die bloße Verträglichkeit nach Immissionsschutzgesichtspunkten hinausgehende Berücksichtigung dieser Interessen. Dem sei der Antragsgegner im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung nicht gerecht geworden, in dem er darauf abgestellt habe, dass die 10 H-Regelung gerade durch die Erstellung eines Bebauungsplans umgangen werden könne.
Mit gleichem Schriftsatz begehrt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil die geplanten Baumaßnahmen mit Inkrafttreten des Bebauungsplans unmittelbar realisiert werden könnten und Veränderungen drohen würden, die bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht oder nur noch schwer rückgängig zu machen wären. Ein gleichzeitig zu führendes Rechtsmittelverfahren in Bezug auf die vom Landratsamt … … … … * … … erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der neu geplanten Windenergieanlage vom 8. November 2019 lasse das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Bebauungsplan „Sondergebiet …, …“ des Antragsgegners, rechtsverbindlich seit dem 20. März 2019, bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin außer Vollzug zu setzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragstellerin fehle bereits die Antragsbefugnis. Diese könne sich zwar grundsätzlich aus dem interkommunalen Abstimmungsgebot ergeben. Allein der räumliche Bezug des Bebauungsplans zum eigenen Gemeindegebiet genüge aber nicht, sondern es müssten von der beabsichtigten Planung auf das Gebiet der Nachbargemeinde unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art ausgehen können. Auch wenn es die Rücksichtnahmepflicht auf die Nachbargemeinde verbiete, solche Auswirkungen erst dann anzunehmen, wenn eine hinreichend bestimmte Planung der Gemeinde nachhaltig gestört werde oder wesentliche Teile ihres Gebietes einer durchsetzbaren Planung entzogen würden, müsse eine Planungsabsicht zumindest in den Grundzügen bestehen. Andernfalls könne eine Nachbargemeinde grundsätzlich jedes Vorhaben im Sinne eines Vetorechts verhindern, das mit irgendeiner Nutzung nicht vereinbar wäre. Konkrete Nachteile für denkbare Planungen oder Beeinträchtigungen der eigenen städtebaulichen Entwicklungschancen der Antragstellerin würden von dieser nicht aufgezeigt. Die Auswirkungen des Vorhabens stünden nur reflexartig in Beziehung zur gemeindlichen Planungshoheit der Antragstellerin. Einwirkende Emissionen auf bestehende Gebiete könne die Antragstellerin mangels eigener Rechtsbetroffenheit nicht geltend machen.
Im Übrigen sei der Normenkontrollantrag auch unbegründet, zumal die Unterschreitung des Abstands nach § 82 Abs. 1 BayBO lediglich die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB entfallen lasse. Die Abstandserfordernisse aus dem Immissionsschutzrecht oder aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme lägen erheblich unter der nach Art. 82 Abs. 1 BayBO geforderten Distanz, wie das im Aufstellungsverfahren vom Antragsgegner eingeholte immissionsschutzrechtliche Gutachten und der Erlass der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 8. November 2019 bestätige. Der Antragsgegner habe den Einwand der Antragstellerin abgewogen und festgestellt dass die 10 H-Regelung durch den Bebauungsplan unterschritten werden könne.
Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehle es außerdem am Rechtsschutzbedürfnis. Eine Aussetzung der Vollziehung des Bebauungsplans berühre die mit der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung verbundene Legalisierungswirkung nicht.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die vorgelegten Unterlagen und die beigezogenen Planakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
1. Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis. Sie kann sich nicht auf eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten durch den Bebauungsplan berufen (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Die Antragsbefugnis im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO entspricht der des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für das Normenkontrollverfahren (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 47 Rn. 104). Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein. Für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 VwGO ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15 – juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 10.4.2018 – 9 NE 18.278 – juris Rn. 13). Ein Antragsteller kann sich im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, B.v. 12.12.2018 – 4 BN 22/18 – juris Rn. 6 m.w.N.).
a) Die Antragstellerin hat nicht substantiiert dargelegt, dass sie durch den angefochtenen Bebauungsplan in ihrem Recht auf interkommunale Abstimmung im Sinne von § 2 Abs. 2 BauGB verletzt sein könnte.
Nach § 2 Abs. 2 BauGB, der als gesetzliche Ausformung des verfassungsrechtlich gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltungsrechts und als besondere Ausprägung des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) zu sehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 1.8.2002 – 4 C 5.01 – juris Rn. 21; BayVGH, U.v. 18.2.2017 – 15 N 15.2042 – juris Rn. 61), sind die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen. Die Vorschrift verlangt einen Interessenausgleich zwischen der planenden Gemeinde und der von dieser Planung möglicherweise betroffenen Nachbargemeinde und fordert eine Koordination der gemeindlichen Belange; die planende Gemeinde unterliegt einem erhöhten Rechtfertigungszwang in Gestalt der Verpflichtung zur (formellen und materiellen) Abstimmung im Rahmen einer förmlichen Planung (BVerwG, U.v. 1.8.2002 a.a.O.). Allerdings vermittelt das interkommunale Abstimmungsgebot einer benachbarten Gemeinde nicht automatisch die Befugnis, alle Bebauungspläne zum Gegenstand einer Normenkontrolle machen zu können, die einen räumlichen Bezug zum eigenen Gemeindegebiet haben. Nur gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf dem benachbarten Gemeindegebiet kann sich eine Gemeinde zur Wehr setzen. Voraussetzung ist dabei nicht, dass sie selbst bereits Bauleitpläne aufgestellt hat oder überhaupt bestimmte planerische Vorstellungen bestehen (BVerwG, B.v. 9.1.1995 – 4 NB 42.94 – juris Rn. 7). Insoweit vermittelt das interkommunale Abstimmungsgebot weitergehende Rechte als sie einer Gemeinde gemäß § 38 BauGB gegenüber Fachplanungsvorhaben zustehen, gegen die eine wehrfähige Rechtsposition nur besteht, wenn eine hinreichend bestimmte kommunale Planung nachhaltig gestört wird oder durch ein Vorhaben der Fachplanung wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer Planung der Gemeinde entzogen werden (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1989 – 4 C 36.86 – juris Rn. 32; OVG Hamburg, U.v. 20.8.2019 – 2 E 6/18 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 1.8.2012 – 1 N 12.1304 – juris Rn. 17).
Da es sich bei § 2 Abs. 2 BauGB um eine einfachgesetzliche Ausformung der Planungshoheit als Teil der Selbstverwaltungsgarantie handelt, können nur Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Nachbargemeinde relevant sein. Faktische Auswirkungen auf Nachbargemeinden können ausreichen, sofern sie städtebauliche Relevanz haben. Doch bedarf es auch insoweit des Erreichens einer gewissen, näher zu präzisierenden Intensitätsschwelle, um tatsächlich eine Abstimmungspflicht nach § 2 Abs. 2 BauGB zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 22 CS 17.1471 – juris Rn. 22; OVG RhPf, U.v. 26.2.2014 – 8 C 10561/13 – juris Rn. 37). Die Antragstellerin hat danach nicht substantiiert dargelegt, durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan von unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art betroffen zu sein.
aa) Soweit die Antragstellerin sich darauf beruft, dass sie durch von den Windkraftanlagen verursachte Emissionen insbesondere darin beschränkt sei, Wohngebiete auszuweisen, hierbei allerdings in keiner Weise konkretisiert, welche für den südöstlichen Teil ihres Gemeindegebiets wenigstens potentiell in Betracht kommenden Planungen oder kommunalen Nutzungen durch welche Einwirkungen des ermöglichten Vorhabens beeinträchtigt werden könnten, hat sie nicht ansatzweise dargelegt, dass die Bauleitplanung des Antragsgegners eine bauplanerische Entwicklung einzelner Ortsteile des Antragstellers in erheblicher Weise erschwert oder gar unmöglich macht. Die Antragstellerin hat nicht vorgetragen, dass in Gebieten, auf die der Bebauungsplan des Antragsgegners Auswirkungen haben könnte, eine städtebauliche Weiterentwicklung, etwa im Sinne der Ausweisung von Wohngebieten, überhaupt in Betracht kommt. Das wäre im vorliegenden Fall aber vor dem Hintergrund des großen Abstands der Anlagen zu den nächstgelegenen Ortsteilen der Antragstellerin U… und G… notwendig (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 22 CS 17.1471 – juris Rn. 22 m.w.N.), zumal den Hinweisen der Antragstellerin auf die Nichteinhaltung des nach Art. 82 Abs. 1 BayBO maßgeblichen Abstands insoweit keine Bedeutung zukommen kann. Die besagte Norm schränkt lediglich den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ein; die ursprüngliche Fassung des Art. 82 Abs. 5 BayBO verstieß gemäß Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Verfassung und ist daher nichtig sowie unanwendbar (vgl. BayVerfGH, E.v. 9.5.2016 – Vf. 14-VII-14 u.a. – juris Rn. 189 f.; BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 22 CS 17.1471 – juris Rn. 13; vgl. auch BayVerfGH, E.v. 9.5.2016 a.a.O. Rn. 148). Ohne jede Konkretisierung von Planungsabsichten der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, inwieweit der Bebauungsplan denkbare Planungen in einer die Abstimmungspflicht nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB auslösenden Weise tangieren könnte. Ein lediglich allgemeines Freihaltungsinteresse für bestimmte Gemeindeteile, um sich etwaige Planungsoptionen für die Zukunft oder auch Nutzungsmöglichkeiten Dritter abstrakt offen zu halten, ist nicht schutzwürdig und stellt keinen planungsrechtlich beachtlichen Belang dar (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 22 CS 17.1471 – juris Rn. 22 m.w.N.).
bb) Auch soweit die Antragstellerin im Aufstellungsverfahren visuelle Überlastungserscheinungen geltend gemacht hat und im Normenkontrollverfahren mit ihrem diesbezüglichen Hinweis in der schriftlichen Sachverhaltsdarstellung hierauf überhaupt Bezug nehmen will, kann ohne nähere Erläuterung nicht ersehen werden, dass sie in ihrem Recht auf interkommunale Abstimmung verletzt sein könnte. Die Antragstellerin kann zwar aus Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich ein Recht auf Selbstgestaltung ableiten. Damit dieses verletzt sein könnte, müsste sie aber aufzeigen, dass von der Festsetzung der Sondergebiete eine entscheidende Prägung des Ortsbildes der Antragstellerin ausgehen würde, die nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirkt (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.1999 – 4 VR 18/98, 4 A 18.08 – juris Rn. 9 m.w.N; OVG MV, B.v. 26.6.2019 – 3 KM 83/17 – juris Rn. 17; vgl. auch BVerwG, U.v. 27.4.2017 – 9 A 30/15 – juris Rn. 29). Auch in Anbetracht des Umstandes, dass die drei Windenergieanlagenstandorte nach eigenem Vortrag mehr als 1.500 m von den Ortsrändern der Antragstellerin entfernt sind, sowie zwei der möglichen drei Anlagen – wenn auch kleiner als nunmehr festgesetzt – bereits unabhängig vom streitgegenständlichen Bebauungsplan bestehen, ist solches nicht substantiiert dargelegt.
cc) Die Antragstellerin kann auf der Grundlage des interkommunalen Abstimmungsgebots auch nicht geltend machen, dass sich Immissionen negativ auf bestehende bebaute Gebiete bzw. auf umliegende Wohnbebauungen in ihrer Gemeinde auswirkten, oder, wie sie jedoch nur im Aufstellungsverfahren und nicht mehr im gerichtlichen Verfahren eingewandt hat, Bedenken aus artenschutzrechtlichen Gründen bestehen. Generell gilt, dass eine Gemeinde, auch eine Nachbargemeinde, nicht gleichsam als Sachwalterin private Interessen ihrer Bürger vertreten und durchsetzen kann und auch nicht als Kontrolleurin der zur Wahrung öffentlicher Belange berufenen staatlichen Behörden berufen ist. Sie kann sich daher auf gesundheitliche Belange ihrer Gemeindebürger, Eingriffe in das Landschaftsbild oder den Wasserhaushalt, aber auch auf naturschutz- und landschaftsschutzrechtliche Belange nicht berufen, da hierdurch ihre Planungshoheit oder ihr Selbstgestaltungsrecht auf ihrem Gemeindegebiet nicht berührt ist. Die Antragstellerin kann somit nicht aus ihrer Sicht rechtswidrige Immissionen „abwehren“, die auf Grundstücke einwirken, die sich nicht in ihrem Eigentum befinden; sie kann als Nachbargemeinde auch nicht das Artenschutzrecht für sich nutzbar machen (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 22 CS 17.1471 – juris Rn. 15, 17 m.w.N.).
b) Nachdem die Antragstellerin – wie bereits ausgeführt – ihre städtebaulichen Vorstellungen und entsprechende planerische Überlegungen nicht wenigstens ansatzweise präsentiert und plausibel macht, warum die angegriffene Bebauungsplanung den eigenen Belangen zuwider laufen könnte, lässt sich ihre Antragsbefugnis auch nicht aus dem „einfachen“ Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) ableiten (vgl. BayVGH, U.v. 1.8.2012 – 1 N 12.1304 – juris Rn. 21). Gleiches gilt, soweit visuelle Auswirkungen geltend gemacht wurden, weil nach den obigen Ausführungen auch insoweit eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle nicht dargelegt oder sonst ersichtlich ist.
2. Der Eilantrag wäre aber auch mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil ohne ausreichende Anhaltspunkte für ansonsten schwere Nachteile oder sonst dafürsprechende wichtige Gründe auch kein Anordnungsgrund ersichtlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2014 – 9 NE 14.430 – juris Rn. 11). Auf der Grundlage des Bebauungsplans ist vom Landratssamt … … … * … … unter dem 8. November 2019 unstreitig die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die dritte, im Plangebiet noch zu errichtende Windkraftanlage erteilt worden, die die Planfestsetzung in dem betreffenden Sondergebiet im Wesentlichen ausnutzt. Unabhängig davon, ob diese Genehmigung angefochten ist, verschafft die vorläufige Außervollzugsetzung des Plans somit der Antragstellerin insoweit keinen Vorteil mehr, da sie lediglich der Genehmigungsbehörde die künftige Anwendung des Bebauungsplans untersagt, diesen jedoch nicht – auch nicht vorläufig – für unwirksam erklärt (NdsOVG, B.v. 11.9.2019 – 1 MN 94/19 – juris Rn. 17; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 103; vgl. auch BVerwG, B.v. 30.4.2019 – 4 VR 3.19 – juris Rn. 8 m.w.N.; BayVGH, B.v. 14.1.2020 – 9 NE 19.1111 – juris Rn. 3).
Die Antragstellerin ist in jedem Fall gezwungen, die immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit Rechtsmitteln anzugreifen und in der Lage, in einem betreffenden (Eil-)Verfahren die Wirksamkeit des Plans inzident prüfen zu lassen (vgl. NdsOVG, B.v. 11.9.2019 a.a.O. Rn. 18; BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 9 NE 15.377 – juris Rn. 25). Dass die zusätzliche Durchführung des Normenkontrolleilverfahrens einen Mehrwert bringen würde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal nach Aktenlage nicht mit alsbald bevorstehenden Änderungen an den bereits errichteten kleineren Windkraftanlagen im Sinne einer Ausnutzung des Bebauungsplans auszugehen ist. Soweit trotz der noch nicht bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die geplante dritte Windkraftanlage mit deren Bau begonnen werden sollte, trägt die Betreiberin allein das Risiko einer Rückbaupflicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 1 und Abs. 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.8.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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