Baurecht

Nutzungsänderung eines Ladens in eine Vergnügungsstätte (Wettbüro) – fehlender Stellplatznachweis

Aktenzeichen  AN 9 K 17.01579

Datum:
10.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27761
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauNVO § 4a Abs. 3 Nr. 2, § 6 Abs. 3, § 15

 

Leitsatz

1. Ein Betrieb zur Vermittlung von (Sport-)Wetten ist als Wettbüro und damit als Vergnügungsstätte einzustufen, wenn – in Abgrenzung zu einer bloßen Wettannahmestelle – in den Räumlichkeiten nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen besteht, sondern diese auch zur kommerziellen Unterhaltung dienen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Entscheidung über den Abschluss eines Stellplatz-Ablösungsvertrages trifft die Gemeinde als Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises. Sie entscheidet hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei sie einen von dem der Bauaufsicht zu unterscheidenden eigenen Sachbereich zu wahren hat. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein etwaiger Anspruch auf Abschluss eines Stellplatz-Ablösungsvertrages kann nicht im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung geltend gemacht werden. Er muss vielmehr mit einer gesonderten Leistungsklage gegenüber der Gemeinde verfolgt werden. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Gemeinde darf ihr „Vertragsabschlussermessen“ auch zur Verfolgung städtebaulicher Zwecke, die sie mit dem Instrumentarium des BauGB und der BauNVO allein nicht erreichen kann, einsetzen; es ist ihr unbenommen, das Instrumentarium der Stellplatzablösung mit der Intention zu handhaben, hierdurch eine nach ihren städtebaulichen Zielvorstellungen vorzugswürdige bauliche Entwicklung zu fördern. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Nach § 101 Abs. 2 VwGO konnte das Gericht aufgrund der beidseitigen Verzichtserklärungen der Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von einem Laden und Lager in eine Vergnügungsstätte in Form eines Wettbüros in dem Anwesen … in …, da dem Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, § 113 Abs. 5 VwGO, Art. 68 BayBO.
Die Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise mit Bescheid vom 5. Juli 2017 die beantragte Genehmigung für die Nutzungsänderung abgelehnt.
Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben ist nach der Art der Nutzung als Vergnügungsstätte einzustufen, die begehrte Nutzungsänderung ist deshalb genehmigungspflichtig (dazu 1.), jedoch nicht genehmigungsfähig, da sie gegen die bauordnungsrechtliche Vorschrift der Stellplatzsatzung der Beklagten vom 14. Dezember 2007 verstößt, die nach Art. 59 BayBO auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen ist (dazu 2.).
1. Das zur Genehmigung beantragte Vorhaben der Klägerin ist als Vergnügungsstätte einzustufen.
Ein Betrieb zur Vermittlung von (Sport-)Wetten ist nach ständiger Rechtsprechung als Wettbüro und damit als Vergnügungsstätte einzustufen, wenn – in Abgrenzung zu einer bloßen Wettannahmestelle vergleichbar einer Lotto-Toto-Annahmestelle als Laden – in den Räumlichkeiten nicht nur Gelegenheit zur Abgabe von Wetten und zur Entgegennahme von Gewinnen besteht, sondern diese auch zur kommerziellen Unterhaltung dienen. Dabei reicht es insoweit für die Annahme einer Vergnügungsstätte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits aus, wenn im Wettbüro Livewetten vermittelt werden und die Möglichkeit be-steht, sich in den Räumlichkeiten aufzuhalten, um die aktuellen Quotenergebnisse live zu ver-folgen. Bereits daraus resultieren der Verweilcharakter und die Annahme einer kommerziellen Unterhaltung, wie sie eine Vergnügungsstätte bietet. Gerade Livewetten bilden nämlich eine ra-sche Aufeinanderfolge ständig aktualisierter Wettmöglichkeiten und sprechen damit den Spieltrieb besonders nachhaltig an und sind ähnlich wie Geld- oder Glücksspielautomaten auf Unterhaltung an Ort und Stelle angelegt. Die Ausstattung der Räumlichkeiten mit Sitzgruppen oder TV-Bildschirmen, das Bereitstellen von Getränken und Speisen oder das Vorhalten von Unterhaltungsspielen sind keine unabdingbaren Voraussetzungen für das Vorliegen eines als Vergnügungsstätte zu qualifizierenden Wettbüros, aber weitere Indizien hierfür; selbiges gilt hinsichtlich der Größe des Betriebs. Diese ist insbesondere relevantes Kriterium zur Unterscheidung von kerngebietstypischen und nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätten (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 15 CS 15.9 – juris Rn. 15; B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 8; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 24). Entscheidend ist hierbei für die rechtliche Einstufung das, was nach den eingereichten Unterlagen und nachfolgende Ergänzungen bzw. Erläuterungen als Betriebsweise für das Vorhaben realistischerweise in Betracht gezogen werden muss (vgl. OVG NRW, U.v. 13.12.2017 – 7 A 880/16 – juris Rn 47).
Aus den Bauantragsunterlagen, insbesondere aus der der Beklagten vorgelegten Betriebsbeschreibung der Klägerin vom 7. Dezember 2015, ergibt sich, dass die Klägerin im Erdgeschoss des Anwesens in der … in … eine Vergnügungsstätte in Gestalt eines Wettbüros beantragt hat. Das Vorhaben hat nach den Angaben der Klägerin den Zweck der Wettannahme und der Vermittlung von Wetten. In den Räumlichkeiten, in denen sich bis zu 30 Kunden in der Wettannahme aufhalten können, befindet sich ein Wettannahme- und Infobereich mit mehreren Kassenplätzen sowie Stellwänden und Tafeln zur Kundeninformation. Auf verschiedenen Monitoren sollen die Ergebnisse und Quoten sowie Liveübertragungen geschaltet werden. Mehrere Sitz- und Stehplätze für Kunden laden zum Verweilen ein, zudem gibt es Automaten für Snacks sowie Selbstbedienungsterminals für Wetten. Die gewerbliche Nutzfläche in den eingereichten Bauantragsunterlagen wurde mit 124,81 m² angegeben, von der Beklagten mit 104,61 m² angenommen. Die Betriebszeit ist von 9:30 Uhr bis 23:00 Uhr geplant.
Die klägerseits angestrebte Nutzungsänderung in ein Wettbüro ist baugenehmigungspflichtig, Art. 55 BayBO.
Die Voraussetzungen für eine Genehmigungsfreiheit nach Art. 57 Abs. 4 BayBO liegen nicht vor. An eine Nutzung als Betrieb zur Vermittlung von Wetten in Gestalt einer Vergnügungsstätte wie hier sind andere öffentlich-rechtliche Anforderungen zu stellen als an eine Nutzung als Ladengeschäft, weil ein solcher Betrieb zur Annahme von Sportwetten die Variationsbreite eines typischen Ladens mit Lager und Werkstatt zweifelsohne überschreitet. Eine solche Nutzung ist geeignet, in Bezug auf die in § 1 Abs. 5 BauGB genannten Ziele der Bauleitplanung bodenrechtliche Spannungen auszulösen. Auch in bauordnungsrechtliche Hinsicht löst das Vorhaben eines Wettbüros eine erhöhte Stellplatzpflicht gegenüber einem herkömmlichen Ladengeschäft aus.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13. März 2019 in den Verfahren AN 9 K 17.01417 und AN 9 K 17.01497 verwiesen.
2. Unabhängig davon, ob sich das beantragte Bauvorhaben in Gestalt eines Wettbüros als planungsrechtlich unbedenklich herausstellen sollte, verstößt es gegen die bauordnungsrechtliche Vorschrift der Satzung über die Herstellung und Bereitstellung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplatz (StellplatzsatzungStS) der Beklagten vom 14. Dezember 2007 (Amtsblatt S. 457, ber. 2008 S. 15), zuletzt geändert durch Satzung vom 15. Dezember 2016 (Amtsblatt S. 436).
Auch wenn das klägerische Vorhaben dem Anwendungsbereich des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO unterfällt, ist die Erfüllung der Anforderungen der Stellplatzsatzung der Beklagten, bei der es sich um eine örtliche Bauvorschrift im Sinne von Art. 81 Abs. 1 BayBO handelt (Art. 59 Nr. 1 Var. 2 BayBO), zu prüfen.
Unbestritten von der Beklagten sind entsprechend den eingereichten Bauantragsunterlagen der Klägerin vom 7. Dezember 2015 unter Heranziehung der Stellplatzsatzung der Beklagten in Verbindung mit der Richtzahlenliste (Anlage zu § 2 Abs. 1 StS) insgesamt für den Betrieb des Wettbüros sechs Kraftfahrzeugstellplätze erforderlich, wobei zwei Stellplätze bereits im Bestand vorhanden sind, sodass der Stellplatznachweis für vier Stellplätze erforderlich ist.
Ein Stellplatznachweis liegt jedoch nicht vor.
Die Beklagte hat zu Recht die Ablehnung des Bauantrages (auch) damit begründet, dass die erforderlichen Stellplätze für das Vorhaben nicht nachgewiesen werden können.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO sind bei Änderungen oder Nutzungsänderungen von Anlagen Stellplätze in solcher Zahl und Größe herzustellen, dass die Stellplätze die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge aufnehmen können. Der durch eine Nutzungsänderung verursachte Mehrbedarf wird durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem Stellplatzbedarf der geänderten Anlage (sog. „Sollbedarf“) und des genehmigten Altbestandes ermittelt.
Einen Nachweis der Erfüllung der Stellplatzpflicht durch die Herstellung der erforderlichen Stellplätze auf dem Baugrundstück oder in dessen Nähe (vgl. Art. 47 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 BayBO) hat die Klägerin nicht geführt.
Eine Erfüllung der Stellplatzpflicht käme vorliegend daher nur dann in Betracht, wenn die Beklagte bereit wäre, mit der Klägerin eine Vereinbarung zur Ablösung der erforderlichen Stellplätze abzuschließen, vgl. Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO. Ob die Beklagte die Ablösung zu Recht „aus städtebaulichen Gründen“ verweigert hat oder ob die Klägerin möglicherweise ein Anspruch auf eine entsprechende Vereinbarung zusteht, ist dabei für die Entscheidung im anhängigen Verfahren ohne Bedeutung.
Die Entscheidung über den Abschluss des Ablösevertrages, einem öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne von Art. 54 ff. BayVwVfG, trifft die Gemeinde als Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises. Sie entscheidet hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei sie insoweit einen von dem der Bauaufsicht zu unterscheidenden eigenen Sachbereich zu wahren hat (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.1985 – 26 B 83 A.996 – juris). Die Stellplatzablösung ist mithin einer der Erteilung der Baugenehmigung vorgreifliche Entscheidung, die von der Gemeinde in einem besonderen, dem Baugenehmigungsverfahren zwischengeschalteten Verfahren zu treffen ist. Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Gemeinde selbst für die Erteilung der Baugenehmigung zuständig ist (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.1985 a. a. O.). Aus dem Umstand, dass die Entscheidung über die Ablösung im Vollzug der Erfüllung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises durch die Gemeinde erfolgt und insoweit – entgegen den Ausführungen der Klägerin – keine Regelungsbefugnis für die Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren eröffnet ist, folgt weiter, dass ein etwaiger Anspruch auf den Abschluss eines Ablösungsvertrages auch nicht im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung geltend gemacht werden kann. Er muss vielmehr mit einer gesonderten Leistungsklage gegenüber der Gemeinde verfolgt werden (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.1990 – 2 B 89.336 – BayVBl 1991, S. 246; VG München, U.v. 18.11.2013 – M 8 K 12.5721 – BeckRS 2014,49968 – beck-online).
Da die Frage, ob ein Anspruch auf Stellplatzablöse besteht, nicht Gegenstand der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren ist und dieser Anspruch auch nicht mit der Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung geltend gemacht werden kann, muss hier auch nicht näher darauf eingegangen werden, ob die von der Beklagten angeführten Erwägungen in ihrer Klageerwiderung vom 16. September 2019, dass sie aus städtebaulichen Gründen eine Ablösung ablehnt, sich im Ergebnis als ermessensgerecht darstellen. Insoweit ist ledigich anzumerken, dass die Gemeinde ihr „Vertragsabschlussermessen“ auch zur Verfolgung städtebaulicher Zwecke, die sie mit dem Instrumentarium des BauGB und der BauNVO allein nicht erreichen kann, einsetzen darf und es ihr unbenommen ist, das Instrumentarium der Stellplatzablösung mit der Intention zu handhaben, hierdurch eine nach ihren städtebaulichen Zielvorstellungen vorzugswürdige bauliche Entwicklung zu fördern (vgl. BVerwG, B. v. 27.9.1983 – 4 B 122/83 – juris Rn. 6; B. v. 4.9.1986 – 4 B 186/86, NVwZ 1987, NVWZ Jahr 1987 Seite 410 – juris Rn. 3 f.). Die Gemeinde ist insbesondere bundesrechtlich nicht gehindert, die Ablösung für ein Vorhaben zu verweigern, obwohl es bebauungsrechtlich zulässig ist (BVerwG, B. v. 27.9.1983 – 4 B 122/83 – juris Rn. 6).
Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Klägerin den erforderlichen Stellplatznachweis nicht geführt hat. Da dieser Nachweis Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung ist, kann die Klage keinen Erfolg haben.
3. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf vorliegend, ob der Betrieb der Vergnügungsstätte in Gestalt eines Wettbüros sich nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und damit planungsrechtlich zulässig ist (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
Es bedarf in der Folge auch keiner abschließenden Entscheidung, ob es sich bei dem beantragten Vorhaben nach § 6 Abs. 3 BauNVO i.V.m. § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO um eine nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätte handelt, die in Mischgebieten ausnahmsweise zulässig ist. Letztlich wäre für die abschließende Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung, auf die es im zu entscheidenden Fall jedoch nicht ankommt, eine Augenscheinseinnahme der örtlichen Lage des streitgegenständlichen Anwesens und der Umgebung durch das Gericht erforderlich, denn die hier maßgebliche nähere Umgebung um das Baugrundstück deckt sich nicht mit der im Verfahren AN 3 K 19.01367 maßgeblichen, abgesehen von möglichen Veränderungen in der Zwischenzeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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