Baurecht

Obliegenheit des Klägers zur Substantiierung seiner Klage innerhalb der Zehn-Wochen-Frist des § 6 Satz 1 UmwRG, Anforderung an den geringen Aufwand der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung im Sinne von § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO

Aktenzeichen  M 2 K 20.3842

Datum:
6.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11066
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
UmwRG § 1, § 6
VwGO § 87b Abs. 3 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Über den Rechtsstreit konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die vor der Landung zur mündlichen Verhandlung abgegebenen Verzichterklärungen wurden nach der Aufhebung es Termins nochmals wiederholt, so dass ein möglicherweise durch die Ladung eintretender Verbrauch der Verzichtserklärungen einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht entgegensteht.
Mit der Übertragung auf den Einzelrichter waren die Beteiligten einverstanden; sie war insbesondere deshalb möglich, weil die Kammer bereits einen vergleichbaren Fall entschieden hat (vgl. VG München, U.v. 26.10.2021 – M 2 K 20.2234), so dass es auf eine Richtlinien- und Koordinierungsfunktion des Kollegialspruchkörpers nicht ankommt.
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist mit seinen vorgetragenen Tatsachen und abgegebenen Erklärungen nach § 6 UmwRG präkludiert, so dass der Rechtsbehelf nach Maßgabe von § 4 Abs. 1b oder § 7 Abs. 5 UmwRG keinen Erfolg haben kann.
1. Gemäß § 6 Sätze 1 und 2 UmwRG hat eine Person oder eine Vereinigung innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben; Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind vorbehaltlich der Regelung in § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO nur zuzulassen, wenn die Verspätung entschuldigt ist. Die Frist kann nach § 6 Satz 4 UmwRG (nur) dann auf Antrag verlängert werden, wenn die Person oder die Vereinigung in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.
Ein Verstoß gegen die durch § 6 UmwRG dem Kläger auferlegte Obliegenheit führt zur Unbegründetheit und nicht zur Unzulässigkeit der Klage (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 20; OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 137). Das Gericht ist durch die Vorschrift gehindert, verspätetes Vorbringen zuzulassen. Auf die Frage, ob eine Zulassung verspäteten Vorbringens das Verfahren konkret verzögern würde, kommt es nicht an.
2. Vorliegend ist § 6 UmwRG wegen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG zu beachten. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist hiernach auf Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte (Rn. 24) anzuwenden, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben (Rn. 26) unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union (Rn. 27 f.) zugelassen werden (Rn. 25). Dass vorliegend der Kläger eine natürliche Person und keine anerkannte Vereinigung ist, ist für die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht von Bedeutung; § 6 Satz 1 UmwRG stellt auf „eine Person (…) im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1“ und damit auf jede natürliche Person ab (vgl. VG Hannover, U.v. 12.1.2021 – 4 A 1902/20 – juris Rn. 52).
a) Ein Planfeststellungsbeschluss ist als verbindliche Regelung eines Einzelfalls ein Verwaltungsakt mit dinglichen Wirkungen (vgl. statt vieler Neumann/Külpmann in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 74 Rn. 19 m.w.N.).
b) Der vorliegende Planfeststellungsbeschluss ist eine Entscheidung zur Zulassung eines Vorhabens. Für den Vorhabensbegriff des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 4 UVPG – jedoch ohne die dort enthaltene Bezugnahme auf die Anlage 1 zum UVPG – maßgeblich (vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 36; s.a. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 1 UmwRG Rn. 103). Die durch den Plan festgestellte Ortsumgehung stellt ein Vorhaben nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 a oder b) UVPG dar. Es handelt sich um ein Neuvorhaben, das zugleich die Errichtung und den Betrieb einer technischen Anlage – eine Straße weist ein Mindestmaß an maschineller Konstruktion auf und ist deshalb als technisch anzusehen -, jedenfalls aber eine sonstige Anlage darstellt (vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 1 UmwRG Rn. 104 ff.). Da aufgrund des streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses die Beigeladene als Vorhabenträgerin das Vorhaben realisieren darf, wird das Vorhaben auch zugelassen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG a.E. (zum Zulassungsbegriff vgl. Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 1 UmwRG Rn. 111 u. 35).
c) Das planfestgestellte Vorhaben wird auch nicht von einer anderen Nummer des § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG erfasst, insbesondere liegt kein Fall der Nummer 1 vor. Zwar ist der Planfeststellungsbeschluss eine Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG, die das konkrete Vorhaben auch zulässt, jedoch „kann“ für das Vorhaben eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (Buchst. a) oder landesrechtlichen Vorschriften (Buchst. b) nicht bestehen. Eine solche Prüfung „kann“ bestehen, wenn entweder eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder – unabhängig vom Ergebnis – eine Vorprüfung nach § 7 UVPG durchzuführen ist (vgl. VG Ansbach, U.v. 8.2.2021 – AN 9 K 19.01265 – juris Rn. 51; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 1 UmwRG Rn. 39; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 1 UmwRG Rn. 10; es kommt insoweit aber nicht zusätzlich auf die Bejahung von § 1 UVPG an, a.A. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 1 UmwRG Rn. 10). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder ist das Vorhaben in Spalte 1 der Anlage 1 zum UVPG aufgelistet – dann bestünde eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 6 – noch ergibt sich aus landesrechtlichen Vorschriften eine solche Pflicht; insbesondere die Voraussetzungen des Art. 37 BayStrWG liegen nicht vor (vgl. Planfeststellungsbeschluss, S. 21). Eine Pflicht zur Vorprüfung besteht ebenfalls nicht; das Vorhaben ist auch nicht als Vorhaben in Spalte 2 der Anlage 1 zum UVPG enthalten – dann bestünde nach § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 UVGP eine Pflicht zur allgemeinen oder standortbezogenen Vorprüfung. Auch andere eine Umweltverträglichkeitsprüfung auslösende Tatbestände liegen nicht vor.
d) Schließlich wird das Vorhaben „unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften“ zugelassen. Umweltbezogene Rechtsvorschriften sind nach § 1 Abs. 4 UmwRG Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Umweltinformationsgesetzes (Nr. 1) oder Faktoren im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 des Umweltinformationsgesetzes (Nr. 2) beziehen. Umweltbestandteile sind hiernach u.a. Luft, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Lebensräume, die Artenvielfalt sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen. Faktoren sind u.a. Stoffe, die sich auf die Umweltbestandteile auswirken oder wahrscheinlich auswirken. „Unter Anwendung“ solcher Bestimmungen wird ein Vorhaben durch Verwaltungsakt zugelassen, wenn diese von der zuständigen Behörde zu prüfen waren, unabhängig davon, ob sie tatsächlich geprüft wurden (vgl. VG München, U.v. 17.5.2021 – M 8 K 19.6030 – juris Rn. 31; Seiber, NVwZ 2018, 97/98).
Zum Prüfprogramm des vorliegenden Planfeststellungsbeschlusses gehört das Naturschutzrecht (vgl. allg. Kupfer in Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, Vorb. § 72 Rn. 156 ff.). Sein Gegenstand ist die Erhaltung, Pflege und Entwicklung der Pflanzen- und Tierwelt, einschließlich ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Das Naturschutzrecht enthält daher Bestimmungen, die sich im vorstehenden Sinne zum Schutz von Menschen und Umwelt auf natürliche Lebensräume und Artenvielfalt beziehen. Schon deshalb ist der vorliegende Planfeststellungsbeschluss (auch) unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften ergangen (vgl. Nr. 2.4.5.2, S. 48 ff. des Planfeststellungsbeschlusses).
3. Der Vortrag des Klägers genügt den Anforderungen des § 6 Satz 1 UmwRG nicht.
a) Nach § 6 Satz 1 UmwRG sind innerhalb der Frist von zehn Wochen seit der Klageerhebung die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Welchen Umfang, insbesondere Tiefgang die Begründung haben muss, um eine „Angabe“ in diesem Sinne zu sein, lässt sich dem bloßen Wortlaut des § 6 Satz 1 UmwRG nicht entnehmen, ergibt sich aber bei teleologischer Betrachtung der Norm. Der Zweck des § 6 UmwRG besteht darin, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten wird. Innerhalb der Begründungsfrist hat der Kläger grundsätzlich den Prozessstoff festzulegen. Damit soll für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und eindeutig feststehen, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird. Das schließt späteren lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8/17 – juris Rn. 14; OVG NW, U.v. 5.2.2021 – 11 D 13/18.AK – juris Rn. 83). Bei der Spezifizierung der gebotenen Anforderungen an den klägerischen Vortrag ist zu beachten, dass die Ordnungsfunktion der Vorschrift nur verlangt, frühzeitig den Beteiligten die „Angriffsrichtungen“ gegen den Streitgegenstand zu verdeutlichen, nicht aber schon den „Angriff“ in jeder Hinsicht auszuführen. Ferner ist zu beachten, dass einerseits rechtliche Ausführungen von der Präklusionsvorschrift nicht erfasst werden (unklar insoweit BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 17, der im Zusammenhang mit § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO von „tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten“ spricht), andererseits diese vielfach einen Anknüpfungspunkt im Tatsächlichen haben, so dass sie insoweit auch bereits in der fristgemäßen Klagebegründung „angelegt“ sein müssen (insoweit kommt dem Bagatellvorbehalt des § 6 Satz 3 UmwRG eine Rolle zu).
b) Aus dem skizzierten Zweck des § 6 UmwRG ergibt sich, dass die Vorschrift den Kläger nicht nur dazu verpflichtet, überhaupt die Klage zu begründen – mithin kann eine Klageerhebung allein unter Vorlage des angefochtenen Beschlusses ohne Begründung von vorherein nicht genügen (vgl. BayVGH, GB v. 12.4.2021 – 8 A 19.40009 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 14; VG Ansbach, U.v. 8.2.2021 – AN 9 K 19.01265 – juris Rn. 52) -, sondern auch dazu, die maßgeblichen Tatsachen mit einem Mindestmaß an Schlüssigkeit und Substanz vorzutragen. Der Vortrag muss geeignet sein, dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten einen hinreichenden Eindruck von dem jeweiligen Tatsachenkomplex zu verschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 13; OVG NW, U.v. 5.2.2021 – 11 D 13/18.AK – juris Rn. 83; OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 142). Ferner sind, das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, Beweismittel für einen späteren förmlichen Beweisantrag innerhalb der Klagebegründungsfrist anzugeben (vgl. a. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8/17 – juris Rn. 14; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 6 UmwRG Rn. 63)
Demnach fehlt es an einem ausreichenden Mindestmaß an Schlüssigkeit und Substanz, wenn in der fristgemäßen Klagebegründung aus Sicht des Klägers relevante Tatsachenkomplexe ausschließlich aufgelistet werden und deren nähere Einordnung einer späteren Vertiefung der Klage oder gar erst der mündlichen Verhandlung vorbehalten bleiben soll. Die beschriebene Ordnungsfunktion der Norm liefe leer, wäre es nicht erforderlich, dass der Kläger die von ihm als relevant erachteten Tatsachen in Beziehung zum konkreten Planfeststellungsbeschluss setzt. Dieser bildet im Übrigen den Streitgegenstand und muss schon deshalb Bezugspunkt einer Klageschrift sein (vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 4 A 16/16 – juris Rn. 36 zum vergleichbaren § 43e Abs. 3 Satz 1 EnWG). Die bloße Wiederholung des Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren kann daher nicht den Substantiierungserfordernissen des § 6 Satz 1 UmwRG genügen (vgl. BayVGH, GB v. 12.4.2021 – 8 A 19.40009 – juris Rn. 17; OVG Saarl, B.v. 5.7.2021 – 2 A 123/20 – Rn. 19; OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 142; vgl. auch VG Hannover, U.v. 12.1.2021 – 4 A 1902/20 – juris Rn. 52 mit Zweifeln, ob allein die Vorlage der Widerspruchsbegründung als Anlage zur Klageschrift genügt).
Vielmehr muss der Kläger fristgerecht gegenüber dem Gericht und den Beteiligten eine schriftsätzliche Auseinandersetzung dergestalt leisten, dass er sich mit konkreten tatsächlichen Aspekten und ihrer Behandlung durch die streitgegenständliche Zulassungsentscheidung des Beklagten zumindest in groben Zügen auseinandersetzt. Dass dabei im Regelfall ganz überwiegend Inhalt des Vortrags aus dem Verwaltungsverfahren relevant sein wird, ändert nichts daran, dass dessen Zuordnung zu den Ausführungen und Bewertungen des streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses und seiner Begründung geboten ist. Die erforderliche Auseinandersetzung muss erkennen lassen, worauf zumindest wesentliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses gründen, mithin aus welchen Gründen die Argumentation und Abwägung der Planfeststellungsbehörde für unzutreffend gehalten wird. Die schlichte Behauptung, die Tatsachen seien anders als vom Beklagten angenommen, ist zu wenig. Umgekehrt ist eine schlüssige Gegenargumentation oder eine Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Erwägung des Planfeststellungsbeschlusses ebenso wenig erforderlich wie eine umfassende Antizipation des Vortrags der übrigen Beteiligten (vgl. zutreffend Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 6 UmwRG Rn. 65). Im Einzelnen wird das konkrete Anforderungsprofil an die Substantiierung auch vom Gehalt der angefochtenen Zulassungsentscheidung gesteuert. Vor diesem Hintergrund sind daher schlichte Behauptungen, die Planfeststellungsbehörde hätte den Antrag des Vorhabenträgers ablehnen müssen, jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn und soweit sich der Planfeststellungsbeschluss und seine Begründung mit dem klägerischen Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren befasst.
c) Diesen Anforderungen genügt der klägerische Vortrag nicht. Es wurden bis zum Tag der Entscheidung (so dass es auf das Ende der Frist – hier bis zum Ablauf des 29. Oktober 2020, § 57 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB -nicht ankommt) lediglich der Schriftsatz, mit dem die Klage sehr knapp und im Wesentlichen durch Bezugnahme auf das Einwendungsschreiben vom 7. April 2017 begründet wurde, eingereicht. Der Schriftsatz des Klägers teilt die flurnummern- und quadratmetergenaue Betroffenheit des Klägers (differenziert nach Erwerbs- und Inanspruchnahmeflächen) mit und verknüpft ohne weitere tatsächliche und rechtliche Ausführungen mit diesen die Bewertung, dass das Vorhaben die Grundstücke des Klägers „in nicht hinnehmbarer Weise“ durchschneide. Diese Annahme wird im Schriftsatz noch ergänzt durch die Aussage, die Belange des Klägers seien in der gebotenen „Abwägung nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt“ worden. Im Übrigen wird auf das Einwendungsschreiben verwiesen. Jeweils ein im Wesentlichen gleichlautender Schriftsatz ist in zwei weiteren bei Gericht anhängigen Verfahren, in denen sich Landwirte in ähnlicher Lage gegen den gleichen Planfeststellungsbeschluss wenden, eingereicht worden.
Dieser Vortrag ist nicht geeignet, dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten einen hinreichenden Eindruck von dem jeweiligen Tatsachenkomplex zu verschaffen und lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen die Argumentation und Abwägung der Planfeststellungsbehörde für unzutreffend gehalten wird.
Problematisch ist bereits, dass der Bevollmächtigte des Klägers den streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschluss der Klage nicht beigelegt hat. Es spricht viel dafür, dass der Kläger in einem solchen Fall seiner Pflicht nach § 6 Satz 1 UmwRG in gleicher Weise nicht genügt, wie wenn er ohne weitere Begründung die streitgegenständliche Zulassungsentscheidung übersendet. Während in jenem Fall Angriffsrichtung und Angriffsumfang unklar bleiben, bleibt in diesem Fall zwar zunächst nur der Angriffsgegenstand, damit aber letztlich auch der Angriffsumfang und -richtung unklar. Außerdem kann durch alleinige Lektüre der Klage und ihrer Anlagen ohne Streitgegenstand die klägerische Position nicht vollumfänglich nachvollzogen werden. Das auf Seite 2 des Schreibens vom 7. April 2017 kritisierte Fehlen eines Wirtschaftswegs bleibt unverständlich; weder wird vorgetragen, ob ein solcher Weg durch das Vorhaben beseitigt werden soll, oder ob ein neuer Weg als Kompensationsleistung für geboten erachtet wird und in welchem Umfang für den Kläger damit Vorteile verbunden wären.
Ungeachtet dieser bestehenden Unverständlichkeit der Klageschrift genügen die Ausführungen im Rahmen der Klagebegründung den gesetzlichen Anforderungen auch dann nicht, wenn man neben dem Einwendungsschreiben auch noch den Planfeststellungsbeschluss in die Bewertung des klägerischen Vortrags einbezieht. Die Einwände des Klägers sind abstrakt und oberflächlich. Sie beschränken sich letztlich auf die eklektische Benennung einzelner Fehlerkategorien („Abwägungsfehler“) ohne jede Subsumtionsleistung. Der Kläger führt nicht ansatzweise aus, in welchen materiellen Positionen genau er sich verletzt sieht oder welche Abwägungsfehler er dem Beklagten vorwirft. Die pauschale und unsubstantiierte Behauptung, im Eigentumsgrundrecht verletzt zu sein – streng genommen wird noch nicht einmal das ausdrücklich, sondern nur implizit vorgetragen -, genügt nicht für die geforderte Substantiierung. Während ein solcher allgemeiner Vortrag im Verwaltungsverfahren nicht unüblich und auch (zumindest jenseits von Präklusionsfragen) unschädlich ist, weil der Behörde gleichwohl Ansatzpunkte für Ermittlungen und Bewertungen vermittelt werden und ihr Prüfungsmaßstab und Entscheidungsgegenstand geformt werden (vgl. zur Funktion der Anhörung Weiß in Schoch/Schneider, VwVfG, Grundwerk Juli 2020, § 73 Rn. 206 ff., 225 ff.), ist er für das gerichtliche Verfahren ungeeignet. Denn die von dem Bevollmächtigten unverändert aus dem Verwaltungsverfahren (durch Verweis) in das gerichtliche Verfahren transferierten Einwände können naturgemäß keinen konkreten Bezug zum erst später bekannt gemachten Planfeststellungsbeschluss aufweisen. So verwundert es nicht, dass der Verweis innerhalb des Einwendungsverfahrens auf den damaligen Entwurf des Beschlusses (auf dessen S. 60), sein Ziel nicht (mehr) findet. Insoweit ist es durchaus folgerichtig – aber gleichzeitig Ausdruck der Unsubstantiiertheit der Klage -, dass der Kläger sich noch nicht einmal mit der Bewertung des Beklagten hinsichtlich seiner eigenen Einwände (S. 85 f. des Planfeststellungsbeschlusses) befasst. Die Klageschrift lässt weder eine juristische Prüfung noch eine auch nur kursorische Durchdringung des Beschlusses erkennen.
4. Die Präklusionswirkung ist nicht wegen des Vorbehalts des § 6 Satz 2 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ausgeschlossen. Ein Entschuldigungsgrund ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich (vgl. zu den Anforderungen Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 86. EL, April 2018, § 6 UmwRG Rn. 78 f.).
5. Die Präklusionswirkung ist nicht wegen des Vorbehalts des § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO ausgeschlossen.
a) Eine Ausnahme von der Präklusionswirkung nach § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO greift ein, wenn es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Es handelt sich um einen Bagatellvorbehalt, der eine im Einzelfall unverhältnismäßige Präklusion ausschließen soll und daher eng auszulegen ist. Für die Feststellung des geringen Aufwands hinsichtlich der Ermittlung maßgeblicher Tatsachen (das ist mit dem weder in § 6 UmwRG noch in § 87b VwGO sonst genannten Wort „Sachverhalt“ gemeint) ist der finanzielle, aber auch der zeitliche Aufwand ausschlaggebend (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: EL 38, Januar 2020, § 87b Rn. 65; Baudewin/Großkurth NVwZ 2018, 1674/1677); letzteres ist insbesondere bei § 6 UmwRG relevant, weil die Vorschrift inzwischen (zur Vorgängernorm vgl. insoweit BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 22 ZB 18.856 – juris Rn. 69 f.) anders als § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO gerade auf eine tatsächliche Verzögerungswirkung verspäteten Vorbringens als Präklusionsvoraussetzung verzichtet (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8/17 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 17; OVG NW, U.v. 5.2.2021 – 11 D 13/18.AK – juris Rn. 81).
Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass die Behördenakten generell Grundlage der Urteilsfindung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind und deshalb die Ermittlung des Sachverhalts durch Aktenstudium nicht von vornherein als Aufwand für das Gericht verstanden werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 22 ZB 18.856 – juris Rn. 73; VG Halle, B.v. 26.8.2020 – 8 B 147/20 – juris Rn. 61; weitergehend wohl OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 150; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: EL 38, Januar 2020, § 87b Rn. 65), kann jedenfalls die Auswertung und Durchdringung von in den Akten befindlichen Gutachten oder Stellungnahmen – etwa zur Notwendigkeit einer Trassenführung, zur Beachtung technischer Vorgaben, der naturschutzfachlichen Verträglichkeit des Vorhabens oder die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung – nach Schlüssigkeit oder methodischen Fehlern nicht ohne Substantiierungsleistung des Klägers ergehen. Denn zur „ungefragten Fehlersuche“ ist das Gericht auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 6 UmwRG nicht verpflichtet (vgl. BVerwG, B.v. 28.6.2018 – 2 B 57/17 – juris Rn. 17).
b) Vorliegend ist es dem Gericht nicht mit geringem Aufwand möglich, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Den Planfeststellungsbeschluss kann das Gericht den Behördenakten entnehmen – insoweit ist das Aktenstudium auch nicht von vornherein als Aufwand für das Gericht zu verstehen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2020 – 22 ZB 18.856 – juris Rn. 73; VG Halle, B.v. 26.8.2020 – 8 B 147/20 – juris Rn. 61; weitergehend wohl OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 150; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: EL 38, Januar 2020, § 87b Rn. 65) – und auf diesem Wege auch die rudimentären Einwände des Klägers, soweit sie aus der Klageschrift nicht selbst verständlich sind, einem ersten Sinngehalt zuführen. Allerdings lässt sich der in der Sache wohl beabsichtigte materielle Gehalt der Einwände des Klägers nicht ohne weiteres aus den Akten einer rechtlichen Prüfung zuführen. Die Frage nach der Zumutbarkeit der Beeinträchtigung des Klägers durch den Flächenverlust und die Lage der verbleibenden Flächen dies- und jenseits der planfestgestellten Straße lässt sich nicht ohne Mitwirkung des Klägers ohne Aufwand ermitteln.
Ein geringer Aufwand im Sinne der Vorschrift ist auch nicht deshalb zu bejahen, weil sich das Gericht in Verfahren, die andere Kläger angestrengt und voraussichtlich fristgerecht und substantiiert begründet haben, mit der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu befassen haben wird. Zwar mag sich – je nach Inhalt und Gehalt des klägerischen Vortrags – der Arbeitsaufwand für das Gericht tatsächlich nur geringfügig erhöhen, wenn es (auch noch) die Belange des hiesigen Klägers in einer mündlichen Verhandlung ermittelt. Jedoch würde hierdurch der Blick auf das Gericht verengt und blieben die ebenfalls schutzwürdigen Belange des Beklagten und des beigeladenen Vorhabenträgers unberücksichtigt. Infolge des subjektiven Rechtsschutzcharakters der VwGO entfaltet eine erfolgreiche Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss juristisch grundsätzlich nur Wirkung gegenüber dem Kläger; allen anderen gegenüber, für die der Planfeststellungsbeschluss bestandskräftig geworden ist, bleibt er unberührt (vgl. Kupfer in Schoch/Schneider, VwVfG, 1. EL August 2021, § 75 Rn. 63), auch wenn ein planfestgestelltes Vorhaben faktisch regelhaft nicht mehr vollziehbar sein wird und insoweit auch erfolglose Kläger und Betroffene, die gar nicht erst geklagt haben, profitieren (vgl. Stepanek, NVwZ 2021, 778/780; Johlen, NVwZ 1989, 109/111). Dieser Schutz der Bestandskraft zugunsten des Beklagten und des Vorhabenträgers verbietet es, verfahrensübergreifende Erfüllungswirkung zu Gunsten jener Kläger anzunehmen, die selbst nicht in der Lage oder willens waren, ihrer Obliegenheit nach § 6 Satz 1 UmwRG gerecht zu werden. Schließlich wäre es unbillig, die Wirkung einer Präklusionsvorschrift vom Verhalten Dritter abhängig zu machen.
Da der Kläger mit seinem gesamten Vorbringen präkludiert ist, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Der Kläger trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind ihm aufzuerlegen, weil diese wegen Stellung eines Sachantrags im Schriftsatz vom 16. Juli 2020 ein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. zur ständigen Rechtsprechung BayVGH, U.v. 20.3.2019 – 8 BV 17.862 – juris Rn. 54; BayVGH, B.v. 20.7.2018 – 8 C 18.614 – juris Rn. 3).
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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